Im Teufelskreis

»Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.«

von Tomasz Konicz

Die Krise in Europa beeinträchtigt zunehmend die Weltwirtschaft. Die Eurokrise hinterlässt immer deutlichere Spuren auch in den außereuropäischen Volkswirtschaften – mit unübersehbaren Folgen.

»Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.« Dieses Zitat Kurt Tucholskys findet in der aktuellen Krise wieder einmal seine volle Bestätigung. Die an Dynamik gewinnende Krise in der Eurozone strahlt nämlich verstärkt auf die Weltwirtschaft aus, die sich am Rande eines Konjunktureinbruchs befindet. Eindringliche Mahnungen formulierte jüngst etwa die OECD, die den Euroraum als – so wörtlich – »größten Risikofaktor für die Weltwirtschaft« bezeichnete. Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sieht hingegen im zerrütteten europäischen Finanzsektor, in dem Zustände wie »nach dem Kollaps von Lehman Brothers« 2008 herrschten, enormes Gefahrenpotenzial.

Wirtschaftsklima kühlt bereits ab

Konjunkturelle Frühindikatoren deuten bereits auf eine globale wirtschaftliche Abkühlung hin. Der Ölpreis ist in Erwartung sinkender Nachfrage gegenüber seinen Höchstständen im März bereits um rund 30 Prozent gefallen, auch für den Goldpreis ging es rapide bergab. Die nachlassende Nachfrage nach Rohstoffen wird auch am Kursverfall des S&P GSCI Rohstoff-Index deutlich, der die Preisentwicklung von 24 Rohstoffen und Energieträgern abbildet und gegenüber seinem Zwischenhoch um 20 Prozent absackte. Dieser einsetzende Preisverfall bei Energieträgern trifft insbesondere Rohstoffexporteure wie Russland sehr hart, das sich bereits jetzt mit einem explodierenden Haushaltsdefizit konfrontiert sieht.

Die Eurokrise überträgt sich auf andere Wirtschaftsräume sowohl über die konjunkturelle Schwäche als auch über den labilen Finanzsektor Europas. Aufgrund der Rezession in der Eurozone gehen die Importe in den wichtigen Absatzmarkt zurück. Mit rund 18 Prozent der Weltwirtschaftsleistung stellt der europäische Währungsraum die nach den USA zweitwichtigste Wirtschaftsregion dar. Für China etwa bildet Europa inzwischen den wichtigsten Exportmarkt; die USA exportieren nur nach Kanada mehr als in die Eurozone. US-Exporte nach Europa sanken im April um 4,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. China wiederum musste in den ersten fünf Monaten dieses Jahres einen Exportrückgang von 0,8 Prozent in den Euroraum hinnehmen.

Die Krise des europäischen Finanzsektors lässt zudem Befürchtungen nach einer »Kreditklemme« aufkommen, wie sie im Gefolge der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers 2008 einsetzte. Hiervon wäre vor allem Osteuropa betroffen, da dort westeuropäische Banken eine dominante Stellung innehaben. Aber auch Lateinamerika, wo rund 60 Prozent der ausländischen Kredite von europäischen Banken stammen, drohen bei einer Eskalation der Eurokrise ernsthafte Verwerfungen.

Die Hoffnungen, wonach die Schwellenländer künftig als globale Konjunkturlokomotive fungieren würden, erfüllen sich offenbar nicht: Reihenweise werden die Wachstumsprognosen der aufstrebenden Volkswirtschaften nach unten korrigiert, da sie in hohem Ausmaß von der Konjunktur in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems abhängig sind: Chinas Regierung geht von einem Wachstum von 7,5 Prozent im laufenden Jahr aus – die niedrigste Prognose seit acht Jahren. In Indien soll die Wirtschaft um weniger als sechs Prozent zulegen, und Brasiliens Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird laut jüngsten Wachstumsprognosen in diesem Jahr nur noch um 2,4 Prozent wachsen.

Eurozone nur als Brennpunkt der Krise

Bei einer Eskalation der europäischen Schuldenkrise würden laut einer Simulation der Weltbank die Schwellenländer ebenfalls in den Abgrund gerissen: Um 8,5 Prozent würde das BIP 2013 in Europa sinken, sollte die Eurozone zusammenbrechen In den Schwellenländern könnte dies zu einer Kontraktion von durchschnittlich 4 Prozent des BIP führen.

Dabei bildet die Eurozone nur den gegenwärtigen Brennpunkt einer gesamtkapitalistischen Schuldenkrise, wie die BIZ konstatierte. Die Weltwirtschaft sei fünf Jahre nach Krisenausbruch »einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell« nicht nähergerückt, so das auch als »Bank der Zentralbanken« bezeichnete Institut. In einem »Teufelskreislauf« führten die Schuldenreduzierungsbemühungen von Regierungen, Privathaushalten, Unternehmen und Finanzsektoren dazu, dass sich die Konjunkturaussichten verdüsterten.

aus: Neues Deutschland, 10. 7. 2012

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