Ausharren im Nirgendwo

Flüchtlinge in Deutschland

von Birgit v. Criegern

Flüchtlinge in Deutschland „wohnen“ unter miserablen Bedingungen zu großem Teil in Wohnheimen und Lagern abseits der Gesellschaft. Ob mensch den Berichten der „Flüchtlingsinitiative Berlin-Brandenburg“ zuhört, die Homepage von „The Voice Refugee Forum“ liest oder die Lagebeschreibung (und: Lagerbeschreibung) des Flüchtlingsrates Bayern nach der „Lagerinventour 2009“ studiert, meistens begegnen Feststellungen wie: „im Wald gelegen, mehrere Kilometer vom Dorf X.“, „am Stadtrand, im Industriegebiet“, „bis zum Bahnhof drei Kilometer Fußweg“ usw. usw. Die Handhabung, Flüchtlinge an den Peripherien, in der Einöde unterzubringen, ist inoffizielle politische Regel und gesellschaftlich umstandslos akzeptiert. Ohne dass es geschrieben stünde, gilt: Flüchtlinge haben in dieser Gesellschaft kein Recht auf soziale Teilhabe. Und sie haben auch kein Recht auf Wohnen – darauf, sich als Menschen zu fühlen, selbstbestimmt zu sein und unter anderen Menschen zu wohnen.

Der Flüchtling Felix Otto aus Kamerun, der im April 2009 ins Gefängnis gehen musste, nur weil er gegen das Gesetz der Residenzpflicht verstieß – ein in der EU einmaliges deutsches Gesetz, das die Bewegungsfreiheit der MigrantInnen im Inland stark einschränkt – schrieb einen kurzen Brief aus der JVA in Suhl, Thüringen, an seine UnterstützerInnen von der Karawane für das Recht der Flüchtlinge: „Hallo (…) Ich bin seit neun Jahren in Deutschland. Es ist eine große Zeit in meinem Leben: ohne Zukunft, immer in einem Isolantewohnheim 30 km entfernt von jeder Stadt, kein Supermarkt, keine Apotheke. (…)“

Während sich manche deutsche GegenwartsdichterInnen um originelle Erfindungen abmühen, formulierte Otto hier aus dem Gefängnis heraus eine frappierende Bezeichnung, treffend und bissig zugleich. Sie verweist auf das Peinlichste, Schäbigste, was unsere Gesellschaft zu bieten hat – die Flüchtlingsunterkünfte. Er selbst bezog sich dabei auf „sein“ Wohnheim in Rodarabrunn, im thüringischen Landkreis Schleiz, abseits der Gesellschaft. Zwei Kilometer entfernt liegt die bayrische Grenze. Die nächste größere Ortschaft, Kronach, die sich für Einkäufe und z.B. Telecafé-Besuche anbot, ist jenseits dieser Grenze. Weil er diese mehrmals ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde übertreten hatte, wurde er zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. So schreibt es die „Residenzpflicht“ vor. Die Asylantenwohnheime sind „Isolantewohnheime“: ein treffendes Urteil für dieses Institut, trotz behaupteter freiheitlich-demokratischer Grundordnung, deren PolitikerInnen so gerne die „humanitären Mängel“ anderswo anprangern. Felix Otto wurde im August aus dem Gefängnis heraus nach Kamerun abgeschoben – der politisch Oppositionelle hoffte vergeblich auf Hilfe und Asyl in Deutschland. Doch für die Öffentlichkeit war er da schon kein Unbekannter mehr wie so viele andere: „The Voice Refugee Forum“ hatte gegen seine Abschiebung protestiert und den Fall in die Medien gebracht.

In den meisten Bundesländern gilt zwar, dass Flüchtlinge nach der „Erstaufnahme“ in Heimen und Lagern eine eigene private Wohnung bekommen können – doch nicht immer zwingend. Die große Mehrzahl der abgelehnten AsylbewerberInnen mit „Duldungs“status (mehr als hunderttausend insgesamt in der BRD) wird zeitweise oder dauerhaft in eine „Gemeinschaftsunterkunft“ verwiesen – mit der Begründung, sie müssten ausreisen, ihre Passangelegenheiten in Ordnung bringen. Ein Druckmittel also. Da haben dann Flüchtlinge an den Peripherien auszuharren, zumeist in Containerbauten oder alten Kasernen, während sie versuchen, die deutsche Regierung von ihren Fluchtgründen zu überzeugen – politische Verfolgung, Not und Krieg in ihrem Herkunftsland. Hier soll es nur um ein Beispiel von vielen gehen.

Möhlau zum Beispiel

Das Lager Möhlau in Sachsen-Anhalt ist eines unter vielen. Eine frühere Sowjet-Plattenbaukaserne im Wald gelegen, abseits der Städte und ungefähr acht Kilometer entfernt von einem Bahnanschluss. Sie ist nach der Wiedervereinigung nicht saniert oder abgerissen worden, wird seit mehr als zehn Jahren als Flüchtlingsheim genutzt. Hier „wohnen“ derzeit hundertachtzig Menschen, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche. Sie kommen aus Benin, China, Kosovo, Sierra Leone, Syrien und anderen Ländern.

Ich habe das Lager besucht, zu dem es Info-Material von der Organisation „No-Lager-Halle“ (ludwigstrasse37.de/nolager) und der Initiative „Togo Action Plus“ (togoactionplus.wordpress.com) gibt.

Die Bausubstanz ist sehr heruntergekommen. Die düsteren Treppenaufgänge führen zu den Unterkünften auf mehreren Etagen. Die Türen aus billigem Holz sind teilweise kaputt, löcherig oder hängen schief in den Angeln. Auf engstem Raum sind mehrere Flüchtlinge, oft große Familien untergebracht.

Die Möbel sind oft notdürftig zusammengeflickt, durchgesessen, schäbig. Mehrere Wohnungen teilen sich eine Gemeinschaftsküche, die aus einem kahlen Raum mit mehreren Herden besteht.

Sieht mensch aus dem Fenster, geht der Blick auf ein Waldstück einerseits und auf eine versiegelte Betonfläche und mehrere alte mit Brettern provisorisch vernagelten Baracken andererseits. „Nachts hört man die Wildschweine“, sagt einer der Bewohner. Ein anderer, der hier schon seit mehr als zehn Jahren lebt, sagt: „Dieser Ort ist so gut wie alles, was ich von Deutschland kenne.“ Er spricht vor allem Französisch, konnte sich Deutsch nur teilweise im Lauf der Jahre selbst aneignen, der Besuch von Deutschkursen in der Stadt wurde ihm nicht erlaubt.

Bei gutem Wetter stellen die Männer auf dem Hof, vor den Baracken, einen klapprigen Tisch auf und spielen Karten, mehr Zerstreuung ist nicht drin. Die Frauen hängen hier draußen die Wäsche auf. Die Kinder laufen zwischen den Baracken herum. Es herrscht eine merkwürdige Zeit- und Ortlosigkeit. Die weite Entfernung zu den bewohnten Gegenden, zu den größeren Ortschaften (20 Kilometer nach Dessau, 30 nach der Lutherstadt Wittenberg, der Landkreishauptstadt), schafft von selbst eine Abschottung. Auch der selten fahrende Bus kann keine Verbindung für die Flüchtlinge herstellen – von ihrem kargen „Taschengeld“ können sie keine Busfahrten bestreiten. Es herrscht eine Art Ausnahmezustand in einem gesellschaftlichen Nirgendwo, welcher von Administration und Politik wissentlich herbeigeführt ist. Ein Nirgendwo mitten in der hochentwickelten deutschen Informationsgesellschaft. Struktureller Rassismus, sagt die Flüchtlingsinitiative „Togo Action Plus“.

Salomon Wantchoucou wohnt seit 2008 in Möhlau. Er ist politischer Flüchtling aus Benin, ein Oppositioneller. Die Kugel, die seine Gegner auf ihn abgefeuert hatten, konnte er erst hierzulande in Zerbst herausoperieren lassen. Als Beweisstück für ein Asylrecht hat sie für die Behörde nicht ausgereicht – Wantchoucou muss weiter darum kämpfen, als politisch Verfolgter hier bleiben zu dürfen. Er dokumentierte die Lebensverhältnisse der Flüchtlinge hier im Lager, gründete die „Flüchtlingsinitiative Möhlau“, organisierte eine Kundgebung im Juli mit. Und er schrieb mit den Flüchtlingen im April 2009 einen offenen Brief an die Ausländerbehörde in Wittenberg, in dem sie private Wohnungen in der Stadt forderten.

Dieser war im Frühjahr von den Behörden abschlägig beschieden worden. Doch nachdem ein Flüchtling von Möhlau unter ungeklärten Umständen an Brandverletzungen gestorben war, interessierten sich die Medien für die Möhlauer Lebensverhältnisse. Zugleich bereiteten die MigrantInnen eine Demonstration in Wittenberg vor. Am 30. Juli forderte die „Flüchtlingsinitiative Möhlau“ sowie „No-Lager-Halle“ und „Togo Action Plus“ öffentlich eine dezentrale Unterbringung für die Betroffenen in Wohnungen. Jetzt, im Herbst, werden die Behörden wohl darüber entscheiden, ob Möhlau bleibt. Und von den anderen Lagern ist nicht einmal die Rede.

”Wittenberg is very very far from here“

Aus einem Gespräch, das „Togo Action Plus“ im Mai 2009 über Möhlau mit Herrn Wantchoucou führte. (Danke an die Initiative für die Überlassung von Bandaufzeichnungen.)

W.: The word of integration is a politicial word they use to blasphemy some certain things but internally some Landkreises have not even been trying to integrate the refugeees that have been living here for many years. Like for Möhlau, as long as I have been here, I have never seen people from government coming to the refugees (…), giving them information about the system and the state, so this people have been aparted out of the system by racial intend. (…)

You refugees have been saying that Möhlau must be closed. What are the most important reasons to this?

W.: Now, this Heim: The building is not what we are talking about, but the position of the Heim is not good for refugees because of lack of transportation system, lack of a place that is near to buy something. Everybody living here, all the Germans living in the small city Möhlau, have car. So we refugees don’t have car and we cannot support to be travelling from here to Dessau, to Gräfenhanichen, to buy goods that can be more than twenty kilo, thirty kilo at the same time. (…) how can this person go, itself, and go to a place very far, seven kilometres, twenty kilometres, and this even in winter, and all over the year (…)

Children are traumatised because of lack of seeing some people to which they will play together, to see some different kind of things. Then, if you want to create a Heim, create a Heim in Wittenberg! (…) And there’s a lot of empty houses everywhere, but the system wants that we must live in this isolated area. This is why we also told to the company who make this Heim, that they must close it (…), because they are making money with it, while innocent refugees get traumatised, some are trying to kill themselves, living in this situation for many, many years.

Are you getting pocket-money, and then, how do you evaluate the Gutschein?

W.: We are getting pocket-money of 20 Euro, so (…) we are using Gutschein of 130 Euro (pro Kopf und Monat, Anm. B.v.C.). So imagine a man living with this, a 130 Euro Gutschein in which it is obligatory that he will not buy this, he will not buy that. So, in African culture for example, we not always eat much sugar, or not eat things that are made with much sugar, and we cannot find things that are adapted to our situation, but that could cause diseases or diabetics and so on. Even, if we go to Gräfenhainichen and back for buying things, for one time, 10 Euro is gone from the pocket money. And also we cannot think of buying dresses, because dresses is not allowed from the Gutschein. You will not buy shoes, you will not buy a lot of things. Now how would you live? This is a criminal act. So we are telling the foreigner office of Wittenberg to stop this nonsense. (…)

How about the problem of Krankenschein, how does this work, what happens if a person is getting ill, while this place is far out?

W.: Now Wittenberg is very, very far from here, about 30 kilometres. It is where the Sozialamt is (…) They don’t have the already prepared Krankenschein. So if you are sick, you have to call Wittenberg, where they have to prepare this, and this can take many days. (…) Imagine that somebody can be chronically ill, and has to go to the house doctor, but he has no transport system, so now if someone is sick, he’ll have no energy, and before he takes the bicycle and goes to the house doctor, he could in the streets collaps or even die. (…) So who causes these consequences, that is Wittenberg Sozialsystem. (…) So we say, the people of this system should accept human dignity and think about a better system for integrating foreigners, refugeees, about a better way of life.

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