Von vermeintlichen Linken und ihren Vorbildern

„Antideutsche“ von gestern, heute und morgen

Streifzüge 3/2003

von Bernhard Schmid

Es war vor nunmehr 16 Jahren, und viele Linke hatten damals noch zahllose Illusionen in die grün-alternative „Bewegung“ (die Rede ist an dieser Stelle von deren westdeutscher Ausgabe). Damals erhob sich ein Herr in mittlerem Alter mit (selbst)kritischem Weitblick und erklärte diesen jungen Leuten, dass sie in Wirklichkeit ganz reaktionären Ideen aufgesessen waren, ohne es zu wissen. Ablehnung der NATO? Ganz gefährlich, belehrte der Kritiker sein Publikum, und überhaupt eine völlig rechtslastige Idee. Dahinter stehe nämlich die Idee von einem deutschen „Sonderweg“ und eine Tradition, von der „nicht umsonst zwei Weltkriege ausgegangen sind“ – so die hier nur unwesentlich verkürzt wiedergegebene Kernargumentation.

Aus (gewissermaßen) lupenrein antifaschistischen Gründen also stehe „Akzeptanz der Westbindung“ auf der Tagesordnung. Und das beinhalte, die bis dahin – jedenfalls von vielen in ihren Reihen – aufgestellte Forderung nach NATO-Austritt definitiv aus dem Ideenarsenal der grünen Partei zu streichen. So sollte es denn auch einige Jahre später faktisch auch geschehen.

War es also der Hass auf deutsche Machtansprüche und ein wieder erwachsendes Großmachtstreben, das den Idealismus des Herrn beflügelte? Genauso klang es: Die „Akzeptanz der Westbindung“, und faktisch jene, der unter dieser Bezeichnung verhandelten Militärorganisationen, schien faktisch dem Bestreben zu entspringen, dem Handlungsspielraum der Herrschaftseliten deutscher Nationalität Fesseln zu verpassen. Nicht ihrer Stärkung, sondern ihrer Schwächung sollte der Verbleib der deutschen Bundesrepublik im nordatlantischen Militärbündnis demnach dienen.

Nun ist es vielleicht an der Zeit, den Vorhang zu lüften und den Namen des nachdenklichen Herrn jener Tage zu nennen. Es war ein gewisser Joschka Fischer, heute auch bekannt unter dem Vornamen Joseph, der im Hochsommer 1987 eine regelrechte Pressekampagne mittels der taz – des Hofblatts des u. a. von ihm angeführten „realpolitischen“ Flügels der grünen Partei – lancierte. Das verdankte er auch seinen Fans in deren Redaktion, die täglich entsprechende Kommentare zu seinen Vorstößen lieferten. Wie es weiterging mit dem Hass des Joschka Fischer auf deutsche Machtpolitik und ihre Instrumente, ist hinlänglich bekannt: Der Hass auf sie war so groß, dass der Mann 1999 als erster deutscher Außenminister seit dem Zweiten Weltkrieg einen militärischen Kampfeinsatz der Bundeswehr politisch verantworten würde.

Dass überhaupt deutsche ehemalige Linke solche Umwege auf dem Weg über eine vermeintlich besonders scharfe Kritik an der Macht – die sie am Ende in genau deren Arme führt – nötig haben, während etwa französische Karrieristen sich da mühelos und einfach auf die Staatsräson (die man unter einem sozialistischen Präsidenten wie Mitterrand doch akzeptieren könne) berufen, erklärt sich vor dem historischen Hintergrund. Das Wissen, dass die Absage an emanzipatorisches Gedankgut in Deutschland im Extremfall zum Allerschlimmsten führen kann, sorgt für einen Rest von schlechtem Gewissen. Doch mit dem wird man problemlos fertig, wenn man einfach eine Abspaltung vornimmt: Das Übel liegt in einem „Sonderweg“ begründet, dessen Gefahren man dann bewältigt, wenn man sich mit dem „Normalzustand“ gegen die gefährliche Abweichung verbündet.

Das begründete Misstrauen sitzt daher tief, wenn in den letzten Monaten und Jahren erneut von Seiten besonders radikal sein wollender Linker (mit oder ohne Anführungsstriche) zu hören ist, es handele sich doch nur um eine spezifische Form von Herrschaftskritik, wenn man aktiv für „westliche“ Militäreinsätze und für größtmögliche Nähe zu den USA eintritt bzw. , wenn diese Operationen (meist ohne eigenes Zutun) stattfinden, diesen zujubelt. Gehe es doch nur darum, das deutsche Wesen in der Welt, das anscheinend eine wundersame Wandlung durchlaufen und sich dabei ziemlich weit – vor allem auf den arabischen Raum – ausgedehnt hat, zurückzukämpfen. Wenn man diese Form von reaktionärem „Sonderweg“ erst niedergerungen habe (nicht in Deutschland, denn ein militärisches Eingreifen dort stand meines Wissens in jüngerer Zeit selten ernsthaft zur Debatte, wohl aber in Teilen der so genannten Dritten Welt), dann werde man auch die Kritik am westlich-kapitalistischen „Normalzustand“ unbedingt weitertreiben. Einstweilen aber gelte, dass man diese „westliche Normalität“ gegen ihre ärgsten Herausforderungen, alias Manifestationen des deutschen Wesens, zu verteidigen habe. Also nur noch während der kommenden 900 Jahre.

Nun seien zwei Anmerkungen dazu erlaubt. Die Erste: Joschka Fischer hatte 1987 ohne Zweifel einige Ahnung von dem Ziel, das er anstrebte; es dürfte ziemlich genau dem ähneln, was er (mit einigem Glück) dann auch erreicht hat. Seine „antideutsch“ formulierten Einwände gegen die NATOKritik bildeten lediglich das – bewusst eingesetzte – Eintrittsticket ins Reich der bundesdeutschen Realpolitik, denn einer „außenpolitisch nicht zuverlässigen“ bzw. „unberechenbaren“ Partei hätte man sicherlich keine Regierungsbeteiligung angetragen. Diese Aussage muss nicht auf all diejenigen zutreffen, die heute ihrerseits für „westliche“ Kriege eintreten (während Deutschland in den wichtigsten Militärbündnissen „des Westens“ Mitglied ist) und dies zugleich als „antideutsche“ Position ausgeben.

Denn ihnen dürften in der Regel beileibe nicht dieselben Karriereaussichten offen stehen; man kann auch aus ideologischer Verblendung, Dummheit und ähnlichen Gründen Positionen ergreifen, die unter anderen Umständen karrierefördernd wirken könnten. Anderes gilt freilich für jene Teile des betreffenden Spektrums, die zur gleichen Zeit konkrete Aktivitäten und materielle Interessen als NGO-Politiker aufweisen; und namentlich für Kriegskarrieristen (in dem Sinne, dass erst ihre publizistische Offensive parallel zum US-Krieg im Irak sie wirklich bekannt gemacht hat) und NGO-Betreiber, die sich im Februar 2003 (parallel zum Formulieren ihrer „antideutschen“ Sprechblasen, für den US-Krieg im Irak) in einem Memorandum an das deutsche Außenministerium gewandt haben, um der deutschen Politik nahezulegen, ihre Erfahrungen in der Abwicklung der DDR auch im Irak nach der Baath-Diktatur einzusetzen. Es handelt sich namentlich um die berüchtigten Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer, die ihre heiße Sympathie für die US-Neokonservativen – von denen viele ehemalige Linke sind wie sie selbst – sowie ihnen nahe stehende Kräfte im Pentagon unverhohlen bekundet haben. (1)

Tatsächlich könnte sich in wenigen Jahren herausstellen, dass ihre gutgläubigen, da vorwiegend ideologisch agierenden und nicht auf dieselben Karriereaussichten blickenden, „antideutschen“ Bündnispartner dem Diplomatensohn von der Osten-Sacken lediglich als Steigbügelhalter seiner künftigen Karriere gedient haben. Auffällig ist ferner, dass sie sich in jüngeren Texten über die deutsche Außenpolitik unter Gerhard Schröder (neben dem Vorwurf, diese sei reaktionärer als die US-Politik Bushs und Rumsfelds, da sie auf den Erhalt des Baath- Regimes gesetzt habe) immer auch darüber mokieren, dass diese chronisch erfolglos sei. So etwa in folgendem Zitat: „Weit weniger radikal, doch in ihrer Logik derjenigen der Attentäter (Anm. B. S. : vom 11. September 2001) verwandt, erscheint die Politik der Bundesregierung. Beide sind von einer , Selbstlosigkeit‘, die den eigenen Schaden als Preis für ein höheres Gut zu zahlen bereit ist. Die in der Losung , Nichts tun, was den Krieg nachträglich legitimieren könnte‘ zum Ausdruck gebrachte Hartnäckigkeit, mit der die Deutschen an ihrer ursprünglichen Entscheidung auch dann noch festhielten, als der Krieg gegen den Irak längst eine Tatsache war, ist nicht Teil einer Verhandlungsführung, die den Preis in die Höhe zu treiben sucht, sondern Ausdruck des unbedingten Willens, auch gegen die eigenen Interessen konsequent zu bleiben. „(2)

Wie viel rationaler und Gewinn bringender wäre es da doch gewesen, meinen die beiden Autoren, wenn die deutsche Bundesregierungen angeboten hätten, ihre Erfahrung bei der „Abwicklung Ost“ auch im US-kontrollierten Irak einzusetzen (und dabei vielleicht auch ein kleiner Auftrag für ihre NGO Wadi e. V. abgefallen wäre? ). Doch, ach, die deutsche Ideologie stand im Wege. In Wirklichkeit handelte es sich auf beiden Seiten um Interessenkalküle, die internationale mit innenpolitischen Vorteilen kombinierten: Die US-Führung setzte auf ihren dauerhaften Erfolg im Irak, da ja auch Deutschland und Japan nach 1945 (die aber keineswegs halbkoloniale Länder waren, an deren Filetstücken US-Konzerne sich gütlich tun sollten, sondern hochindustrialisierte Metropolen) stabilisiert worden seien. Ein Teil des, in dieser Frage zerstrittenen, EU-Blocks hingegen prognostizierte ein Scheitern dieser Politik und setzte stärker auf die Option, sich Sympathien in Afrika und Asien zu sichern, indem man sich demonstrativ von Washington absetzte – um den eigenen Einfluss zu erweitern. Welches Kalkül dabei rationaler war, wird sich erst noch herausstellen müssen.

Zum Zweiten: Aus dem Dargelegten darf nicht geschlossen werden, dass es keine reaktionären Aspekte an der NATO-Kritik mancher Fraktionen auch bei den Grünen der 80er Jahre gegeben hätte. Insbesondere jene Strömungen, die die Forderung nach NATO-Austritt mit einer Perspektive der Blockfreiheit „beider deutscher Staaten“ und, längerfristig, deren Wiedervereinigung (sowie der Schaffung eines „blockfreien Mitteleuropa“) verbanden, waren auf dem Weg zu einem „alternativen“ Deutschnationalismus. Diese Position gab es in Teilen des grünen Spektrums. Auch das Gefasel mancher Teile der Friedensbewegung, die Bewohner der BRD seien die Opfer eines drohenden „atomaren Holocaust“, trug in den frühen Achtzigern wohl zur Renationalisierung von sozialen Bewegungen und ehemaligen Linken bei.

Der definitive Abschied vom Internationalismus, oder: Ethnisierung politischer Konflikte von „links“

Einige nach rechts, ja mitunter nach rechtsaußen gewanderte oder noch wandernde Linke deutscher Nationalität lassen es nicht dabei bewenden, generelle „pro-westliche“ Positionen zu beziehen und manche (nicht alle) militärische Aktionen und Besetzungen in der so genannten Dritten Welt zu befürworten. Sie gehen weiter und betreiben selbst aktiv eine Ethnisierung im Hinblick auf politische oder militärische Konflikte. (Das trifft allerdings nicht in gleichem Maße auf „pro-westliche“ Aktivisten wie Thomas von der Osten-Sacken zu, der zwar den US-Krieg befürwortete, aber an diesem Treiben nicht beteiligt ist – freilich waren die Protagonisten dieser „ethnisierenden“ Tendenz seine erklärten Verbündeten bei dem Bemühen, eine Pro-Kriegs-Bewegung in den Trümmern der Linken zu begründen. )

Diese Denkform steht, auch wenn sie von so genannten „Antideutschen“ ausgeht, in schlechtester deutscher Tradition, selbst wenn dabei oft die Vorzeichen ausgetauscht wurden – und vermeintlich homogene „Völker“, die im traditionellen deutschen Nationaldiskurs negativ erscheinen, in diesem Fall als positive „Wesen“ auftauchen.

Das bedeutet lediglich einen Vorzeichenwechsel, der als solcher beliebig erscheinen muss. In den Reihen der französischen extremen Rechten etwa gibt es sowohl Sympathisanten „der Kroaten“, vor allem im ultra-katholischen Teil des Front National, als auch ebenso glühende Freunde „der Serben“ etwa auf dem nationalrevolutionären Flügel (eine Position, die jener mancher unserer „Antideutschen“, die ebenfalls kaum zwischen politischen und sozialen Kräften in der angehimmelten Nation unterscheiden, mitunter ziemlich nahe kommt). Beim Front National ist eine solche Koexistenz problemlos möglich, da es den Rechtsextremen nicht so sehr auf theoretische Kohärenz ankommt, sondern vor allem darauf, alle möglichen Ressentimentpotenziale zusammenfassen – auch wenn das dabei entstehende Konglomerat keine Gesamtlogik aufweist. Von Linken hingegen könnte man im Prinzip anderes erwarten, und vor allem, dass sie nicht in Kategorien von „Völkern“ als geschlossenen Größen denken, sondern in gesellschaftlichen Kategorien.

Durch die Hintertür eingeführt hat diese essenzialisierende und ethnisierende Sichtweise als Erste die einschlägig bekannte Zeitschrift Bahamas, wenngleich zunächst im Deckmantel der Kritik an (Teilen) der deutschen Bevölkerung. Anzeichen dafür fanden sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt, als noch einige heute anderweitig orientierte Linke mit der Redaktion dieser Zeitschrift kooperierten oder gar Mitglied in ihr waren, kurz, als die betreffende Gruppierung noch irgendwie Bestandteil eines fortschrittlichen Lagers zu sein schien. Erinnern wir uns an den Sommer 1997: Nach starken Regenfällen in Ostdeutschland kam es zum ersten spektakulären Bundeswehr-Einsatz im Landesinneren, der entsprechend als „nationales Gemeinschaftserlebnis“ im Fernsehen in Szene gesetzt wurde, als es um das Befördern von Sandsäcken ging. Viel hätte es in diesem Kontext zu sagen gegeben über die ideologische Inszenierung, die da ablief, und man hätte sicherlich zu einer Unterscheidung gelangen können zwischen dem, was objektiv zur Bewältigung der Folgen einer Naturkatastrophe dazu gehört, und dem, was die nationale Mobilmachung in den Köpfen beförden sollte. Doch der (inzwischen unbestrittene) Sektenhäuptling Justus Wertmüller gefiel sich in einem anderen Herangehen.

Er hatte entdeckt, dass die Vor-Vorfahren der heute im Odertal („Oderbruch“ sagt man in jenen Landstrichen) lebenden Bewohner vor nunmehr 300 Jahren durch den preußischen König dort angesiedelt worden waren, um nämlich den Oderbruch landschaftlich nutzbar und strategisch beherrschbar zu machen. Damit war für das „Genie“ der nach rechts driftenden Lumpenintelligenzija alles klar: Diese Leuten hatten, ob ihrer Herkunft, das Ersaufen allemal verdient. Um das darzustellen, widmete er nicht weniger als sechs Seiten seines Sektenblättchens einem Artikel, dessen Überschrift bereits den wesentlichen Inhalt vermittelt und einem das Weiterlesen eigentlich erspart: „Sandschippendes Bruchbauerngesindel“ habe er in jenem Sommer beobachten können, verkündete der Text, der die Nummer 24 des Blättchens (vom Herbst 1997) eröffnete. Sollen sie doch verrecken, so lautet der Unterton, was haben sie auch solche Urahnen zu haben, die sich mit preußischen Monarchen eingelassen haben.

Mit einer solchen Grundposition könnte, ja müsste man eigentlich in Deutschland täglich in der U-Bahn oder in der Warteschlange Amok laufen, und das mit einiger moralischer Berechtigung. Ließe sich doch die gesamte Gesellschaft, in deren Geschichte die kritischen Kräfte auf wenig Siege zurückblicken können, mit dieser Methode unschwer als einzige Verbrecherbagage entlarven. Das tun auch die Häuptlinge der Sekte natürlich nicht. Aber die ursprünglich wohl als besonders radikale Kritik an einer herrschaftskonformen Gesellschaft verstandene Herangehensweise, die darin besteht, Menschen nach dem, was sie (von Geburt und Herkunft her) „sind“, zu bewerten und nicht nach dem, was sie „tun“, haben sie nicht nur beibehalten, sondern radikalisiert. Ein kleiner Trick hat ihnen die Verschärfung des Diskurses erlaubt, während sie sich doch gleichzeitig im Alltagsleben deutscher Städte zumindest individuell relativ gemütlich eingerichtet haben: Das Übel wird einfach weiter weg projiziert. Die Bevölkerung ist der Mob, der im Zweifel den Tod verdient hat, aber dieser Mob – zumindest seine gefährlichste Ausgabe – ist nicht um die Ecke zu finden, sondern dort, wo das „deutsche Wesen“ etwa seine arabische Ausprägung gefunden hat.

So kann man sich regelrecht die Gewaltfantasien ausmalen, die den Autor umgetrieben haben, dessen in Bälde erscheinendes Buch im ach so hochintellektuellen ça ira-Verlag unter anderem mit folgenden Worten angekündigt wird: „Vom Massaker in Sabra und Shatila will er nichts hören, den Kosovo-Albanern dagegen würde er gerne mal Arkan den Tiger zeigen. „(3)Arkan war der Chef serbischer paramilitärischer Gruppen bzw. Banden, die – außerhalb der Kontrolle von Regierung und regulärer Armee – u. a. im Kosovo plünderten, raubten und mordeten (eine Feststellung, die nicht über die Praktiken der ebenfalls unappetlichen UÇK hinwegtäuschen soll). An der Schnittstelle zwischen politischer Gewalt und organisiertem Verbrechen stehend wurde er im Jahr 2000 durch unzufriedene Konkurrenten ausgeschaltet. Die zitierte Aussage kann und muss man also als den Wunsch auffassen, eine Welle von Gewalt gegen eine – als solche definierte – Bevölkerungsgruppe zu entfesseln. Der Verfasser des so angekündigten Büchleins (und Bahamas– Autor) ist aber – wenigstens ein Trost – natürlich kein Tiger, sondern eine arme Sau, die ihre Gewaltfantasien in die Tastatur des Computers hineinhackt, ungefähr so wie andere Zeitgenossen sich beim Konsultieren pornographischer Websites „aufgeilen“. Was das aber mit linker Theorie zu tun haben mag, für die sein Verlag angeblich steht, vermag sich dem Betrachter nicht so recht zu erschließen.

Auch den Häuptlingen der Bahamas ist eine solche Denke nicht fremd, wenngleich sie sich nicht immer ganz so weit aus dem Fenster legen wie Karl das Schwein, das sich zu Arkan dem Tiger träumt. Nur noch halb verwunderlich ist es daher, wenn mittlerweile die – lange Zeit respektierte – Tabulinie überschritten wurde, die solche Autoren noch vom Lob für offene Rassisten und Rechtsextremisten trennte. Brüchig wurde sie bereits im Sommer 2002 mit dem Lob für Oriana Fallacis Buch „Die Wut und der Stolz“ (in dem u. a. zu lesen ist, muslimische Menschen „vermehren sich wie die Ratten“), dem das Sektenblättchen immerhin sechs Seiten geschlossener Rechtfertigung – nebst einigen rhethorischen Mäkeleien – widmete. Es gab genau zwei Medien in Deutschland, die Oriana Fallaci als positive Referenz in ihr Program nahmen: Die Bahamas sowie die rechtsextreme Wochenzeitung Junge Freiheit, welche Fallacis Skandalwerk in ihren Büchervertrieb aufnahm. Selbst der bayerische Innenminister Günther Beckstein hatte die (freilich wohlfeile) Erklärung in Die Welt abgegeben, der von Fallaci vorgeschlagene Umgang mit Flüchtlingen sei „blanker Rassismus“.

Doch Aufmerksamkeit lässt sich nur noch gewinnen, wenn die Provokation stets weitergetrieben und die Tabugrenze steht auf ’s Neue verletzt wird. Und damit ist Wertmüllers Justus nunmehr, in der neuesten Ausgabe (Nr. 42), bei einem neuen Adressaten seiner Komplimente angekommen, einem gewissen Jean-Marie Le Pen. Zwar wird an dessen „widerlichem Niveau“ herumgemäkelt – es kann nicht jeder das Talent eines Wertmüller haben -, wenn er (prinzipiell richtige) „Kritik an einer irre gewordenen Gesellschaft“ übe. Auch sei der Vorwurf des Rassismus nicht völlig von der Hand zu weisen. Doch formuliere Le Pen daneben auch „vernünftige Einwände gegen die ungebremste Islamisierung“ französischer Unterschichtsviertel. Solche Ausführungen noch der Kritik zu würdigen, hieße, ihnen einen Wert zu verleihen, der ihnen nicht zukommt.


Anmerkungen

(1) Um nur ein flagrantes Beispiel zu nehmen: In einem Artikel in ContextXXI“ (vom September 2003) präsentieren Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer ein Zitat des US-Militärs Jay Garner, der sich in extrem „realistischen“ Prognosen ergeht, denen zufolge der Irak in fünf Jahren von blühenden demokratischen Landschaften geprägt sein und wie ein Magnet auf alle umliegenden Länder wirken wird. Zu diesem reichlich ideologiegetränkten Legitimationsdiskurs eines, wie sie selbst schreiben, „Vertreter(s) der amerikanischen Besatzungsmacht“ im Irak ergehen sie sich geradezu in politischen Liebeserklärungen. „Wie human“, attestieren sie ihm unter anderem, und welch ein „Talent, das neokonservative Programm in wenigen einleuchtenden Sätzen präsentiert zu haben“.

(2) Zitiert aus dem Vorwort des in Bälde erscheinenden Buches „Amerika, der , War on Terror‘ und der Aufstand der Alten Welt“, als dessen Herausgeber die beiden kriegskarrieristischen „Thomasse“ sowie die Hamburger „Antideutsche“ Andrea Woeldike firmieren. Vorwort und Inhaltsverzeichnis sind derzeit auf der Homepage des ça ira-Verlags Freiburg einsehbar, nachdem der Konkret Literatur Verlag im Frühherbst diesen Titel aus seinem Programm geworfen hat, weil ihm die Sympathien für die US-Neokonservativen viel zu dick aufgetragen waren.

(3) Verlagsvorankündigung für den Titel „Ein Gläschen Yarden-Wein auf den israelischen Golan“, der im April 2003 bei ça ira in Freiburg erscheint. Verfasser ist ein gewisser Karl Selent (alias Carl Zeland) aus Düsseldorf, der in jüngerer Vergangenheit u. a. als Autor im Sektenzirkular Bahamas sowie in Konkret, wo er aber nicht mehr schreibt, in Erscheinung trat.

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