Von heißgekocht zu abgebrüht
von Franz Schandl
Eigentlich ist die Sache durch. Und zwar ganz im Sinne der so verfemten Rechtsaußenparteien. Ihre Vorschläge sind Konsens geworden, wenngleich die als Kräfte der Mitte Posierenden das nicht zugeben wollen. Die Maßnahmen wurden in den letzten Jahren immer restriktiver. Was man der Rechten stets zurecht vorwirft, hat man nun selbst vor. In Österreich geht der Trugschluss so: der Aufstieg der Freiheitlichen ist nur zu stoppen, wenn man ihre Inhalte übernimmt. Bestenfalls führt das zur kurzfristigen Schwächung der FPÖ, insgesamt legitimiert es deren Ideologie, die dadurch hegemonial wird.
Indes soll das auch kein Plädoyer sein, deren Standpunkte nicht ernst zu nehmen. Das wäre verkehrt. Ernst nehmen meint nicht kopieren, sondern nach den Ursachen dieses immensen Zuspruchs zu forschen und jene zu benennen. Die bloße Diskreditierung der Rechtspopulisten hilft wenig, ja verleiht ihnen noch den Nimbus von Rebellen. Es drängt selbst Publikum, das nicht ihres ist, in ihre Richtung. Immer wieder erstaunt, dass inzwischen Leute (und sei’s aus taktischen Gründen) diese Parteien wählen, von denen wir das nie gedacht hätten.
In Österreich überlegte erst kürzlich Kanzler Christian Stocker (ÖVP) die Menschenrechte zurechtzustutzen. Ein entsprechendes Vorbild gibt es auch da: Herbert Kickl, nunmehr FPÖ-Chef, forderte in seiner damaligen Funktion als Innenminister bereits 2019 die Aufweichung der Grundregeln der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Asylbereich. Die Empörung war groß. Aber es regiert schon seit Jahren eine Politik der Empörung. Was nicht aufregt, geht sowieso unter. Mittlerweile ist aber selbst die Aufregung unter die Räder gekommen. Politik wird lethargisch, jeder Enthusiasmus ist bloß simuliert, meist reine Performance. Was früher heiß gekocht wurde, wirkt heute abgebrüht. In vielem ist man müde, ja apathisch geworden.
Gegenwärtig sind solche Vorschläge kein Tabubruch mehr, sondern Gebot der Stunde. Zumindest wenn es nach nicht wenigen, genau gesagt neun Regierungschefs (darunter Stocker, aber nicht Merz), in der Europäischen Union geht. In einem offenen Brief fordern sie, dass insbesondere Rückführungen nach Afghanistan und Syrien erleichtert werden. Mette Frederiksen, Unterzeichnerin dieses Schriftstücks und sozialdemokratische Ministerpräsidentin Dänemarks bezeichnete erst unlängst die Migration als „größte Bedrohung für die nordischen Länder“. Gleich Meloni träumt sie von „verpflichtenden Rückführungen“. Der Schutz für bestimmte Personen soll sistiert werden. Vorerst sind straffällig gewordene Asylwerber gemeint, aber das dürfte nur der erste Schritt sein, dem weitere zu folgen drohen. Menschenrechte, wie wir sie kannten, sollen in Krisensituationen suspendiert werden. Diese werden immer mehr zur verhandelbaren Masse, bei Schönwetter leichter zu tolerieren als bei Schlechtwetter. In der Krise zeigen nun die entwickelten kapitalistischen Staaten Europas, was sie unter Werten und Demokratie mitunter so alles verstehen.
Die österreichische Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und Liberalen ist auch in einer anderen Frage vorgeprescht. Seit einigen Wochen werden Anträge für den Familiennachzug von Asyl- und subsidär Schutzberechtigten nicht mehr bearbeitet. Deutschland orientiert sich neuerdings am kleinen Nachbarstaat. Auch hier sollen die Nachzugsmöglichkeiten erschwert werden. Zusätzliche Probleme wird es freilich geben, wenn man sich gegenseitig Asylwerber zuschieben möchte. Was vorhersehbar ist. Da hört sich dann die Freundschaft auf.
Natürlich wird auch den hiesigen Gesellschaften zu viel, was an Wanderung stattfindet, indes sie könnten gegensteuern. Aber sie denken keine Sekunde daran, vielmehr drehen sie an der Repressionsspirale. Das heißt nicht, dass alles zu tolerieren wäre, was heute bestraft wird, es heißt aber schon, dass außer Sanktionen der Politik aktuell wenig einfällt. Dass es keine europäischen Lösungen gibt, sondern der nationale Egoismus hier absoluten Vorrang hat, spricht Bände und lässt an der Idee Europa zweifeln. Immanent gedacht, scheint es keine Alternativen zu geben.
Wer nach „Verschärfung“ ruft, hat die Debatte bereits gewonnen. Zwölf- oder mehrköpfige Syrerfamilien mit „luxuriösen“ Sozialzuschüssen sind gerade das Lieblingsfeindlbild in Wien. Das bringt die Volksseele abermals auf Temperatur. Konsens besteht darin, Flüchtlinge zu drangsalieren und auszuhungern, kurzum zu piesacken. Es herrscht die Drohung und die Drohung wirkt: seit einigen Jahren sind die Zahlen der Asylwerber in der Alpenrepublik stark rückläufig.
Die wirksamste Methode, großen internationalen Migrationsbewegungen zu begegnen, ist nicht die Repression, sondern die globale Entwicklung auf solidarische Beine zu stellen, die Menschen weltweit in den Mittelpunkt zu rücken, nicht ökonomische und militärische Interessen. Davon sind wir weit entfernt, man möchte sagen wir sind davon weiter entfernt als vor fünfzig Jahren. An eine Therapie der globalen Linderung anstatt der nationalen Verschärfung denkt niemand. Das sind bloß Hirngespinste.