Nicht auffallen, um zu gefallen

von Franz Schandl

Die Regierung ist zufrieden. Zumindest mit sich. Geradezu einig beschwört man das gute Gesprächsklima und die bisherigen Leistungen der Dreierkoalition. Die Bilanz fällt nur positiv auf. Die politischen Rayons sind vergeben und in den jeweiligen Gebieten dürfen die Partner nun anstellen, was sie wollen. Derzeit ist man ganz auf Christian und Andi. Christian Stocker, ÖVP-Kanzler und Andreas Babler, SPÖ-Vizekanzler veranstalten einen Paarlauf im Duett. So als seien sie schon seit ewig best friends. Und auch Beate Meinl-Reisinger, Außenministerin und Vorsitzende der liberalen Neos, spielt ihre Rolle wie anvisiert. Es herrscht das amikale Procedere.

Die Verhaberung ist nicht zufällig, sie ist symptomatisch. Nicht aufzufallen ist dabei die Voraussetzung, dem Publikum zu gefallen. Differenzen scheint es kaum zu geben, zumindest werden sie nach außen nur vorsichtig vorgebracht, nicht lautstark. Vor einem Jahr wäre das noch unvorstellbar gewesen. Freilich hat das auch zu tun mit einem Rollenwechsel, den die Partner mit Eintritt in diese Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos vollzogen haben. Stocker hat sich von seiner Rolle als Ein- und Auspeitscher, die er in der Phase Nehammer als Generalsekretär der Partei innehatte, verabschiedet. Abrupt ging das über die Bühne. Ein Rollenwechsel, als wäre nichts gewesen. Vielleicht war auch nichts, seltsam wirkte es allemal. Aber Politik ist schnelllebig. Es passt zu den Erfordernissen der neuen Situation, in das schwarz-rote Zusammenfinden nach Jahren der Abstinenz. Die ÖVP wollte von den Futtertrögen nicht weg und die SPÖ wollte nach sieben Jahren Abstinenz unbedingt wieder hin. Dieser gemeinsame Drang war stärker als jede Animosität.

Andreas Babler wiederum, lange einer der linken Antiimps der Sozialdemokratie, hat seine gestrigen Positionen quasi ebenfalls mit einem Handstreich erledigt. So schnell hat man gar nicht schauen können, war da aufgeräumt. Was interessieren die Geschichten von gestern. Da war nix. Da führte nicht einmal der obligate Weg von links unten nach rechts oben, weil es keinen Weg gegeben hat, sondern nur einen Schnitt. Zur Eröffnung der Salzburger Festspiele meinte der Vizekanzler, dass deren Programm den „Nerv der Zeit“ treffe. Er jedenfalls nervt zur Zeit gar nicht. Seine Haltung ist wahrlich die Zurückhaltung. Die Stabilität der Regierung steht über allem. Zumindest habe er aber eine Mietpreisbremse durchgesetzt. Selbst als er nach vielen Wochen des Schweigens Einwände gegen Israels Vorgehen in Gaza äußerte, meinte er, sich ausgerechnet auf Friedrich Merz (!) berufen zu müssen, um ja nicht als unsicherer Kantonist oder gar als Antisemit gescholten zu werden. Das ist übrigens dem ehemaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer (SPÖ) im späten Frühjahr passiert, als er glaubte, ungestraft Kritik an Israels Politik zu äußern. Er erhielt dabei aber kaum Unterstützung seiner Partei. Mit den ehemaligen Kreiskyisten in der SPÖ dürfte es zu Ende gehen, kritische Positionen zu Israels Rolle im Nahen Osten wurden einfach kassiert. Auch dies weniger eine Folge einer Entwicklung, als Ausdruck eines Bruchs, der nicht einmal erklärt wurde.

In Verantwortung genommen, spricht Andreas Babler nur noch von Verantwortung. Wenn man ihm zuhört, hat man den Eindruck, dass hier einer bloß die Hausaufgaben macht, die Medien, Koalition und Partei vorgeben. Vorsicht geht vor Umsicht. Originell ist da nichts, konventionell dafür alles. Alles im Rahmen leichter Kost. Die SPÖ und ihr Vorsitzender scheinen überglücklich, wieder am Regierungstisch zu sitzen. Träge wirkt das. Nicht einmal „Marxist“ sagt man (von der FPÖ abgesehen) mehr zu ihm. Das Problem ist, dass die SPÖ nur noch als Hüterin des Bestehenden wahrgenommen wird, Perspektive hat das keine, mobilisieren lässt sich damit kaum. Aus „Mit uns zieht die neue Zeit“ ist „Mit uns verzieht sich die alte Zeit“ geworden. Die gelegentliche Lautstärke des Parteiobmanns ist nicht mit der Stärke der Sozialdemokratie zu verwechseln. Babler hat zwar ein Rezept gefunden, den Parteirechten Hans-Peter Doskozil zu verhindern, darüber hinaus scheint es keine Konzepte zu geben, die über das Verwalten des Status Quo hinausreichen. Man hat das Gefühl, als wollte Babler die SPÖ, die immerhin von 1970 bis 2017 (mit einer Unbterbrechung) stets die stärkste Partei gewesen ist, stabil auf 18 Prozent niedrig halten. Platz Drei gilt inzwischen als abgesichert. Von Aufbruch keine Spur.

Dafür rührt sich in der Volkspartei einiges. Vor allem einer rührt um. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer, der regste der ÖVP-Ministerriege steht für das Eintrommeln von sozialen Verschärfungen. Fast täglich sind seine Einwürfe zu lesen und zu hören. Hattmannsdorfer kennt da keine Hemmungen, einmal mehr geht es darum, Widerstände in Koalition und Gesellschaft zu überwinden. Neue Belastungen sind angesagt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind hingegen altbekannt: Arbeitslose drangsalieren, Sanktionen ausbauen, Sozialhilfe senken, Krankenstände bestrafen, Teilzeitarbeit erschweren, Ausländer schikanieren. Das obligate Programm sozialer Grausamkeiten wird da aufgefahren. Eine Kampagne folgt der anderen. Bürgerliche Medien machen einmal mehr das Leitorchester.

So wird sich die SPÖ auch in der Pensionsfrage so lange vor sich her treiben lassen, bis man den Forderungen nach einer Erhöhung des Pensionsantrittsalters nachgibt. Unser Tipp: es werden die deutschen 67 werden. Nicht sogleich, aber mittelfristig. Christian Kern, der ehemalige Vorsitzende und Kurzzeitkanzler hat sich bereits dafür ausgesprochen und damit seiner Partei und insbesondere dem Gewerkschaftsbund einen Bärendienst erwiesen. Zumindest wurde er für diese dezidierte Abweichung einer möglicherweise bereits erodierenden Parteilinie mit medialer Aufmerksamkeit belohnt, die er sonst nicht mehr hat.

Am Schwierigsten ist derzeit wohl das gemeinsam Agieren in sozialen Fragen. Die Budgetlage ist angespannt, die Inflation im europäischen Vergleich weiterhin sehr hoch, auch die Arbeitslosenzahlen steigen wieder und puncto Aufrüstung will man auch hierzulande ebenfalls sehr spendabel sein. Doch auch andere Fragen stehen mittelfristig zur Entscheidung an. Ob man als Republik etwa neutral bleibt oder wie es sich die Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) wünscht, Österreich ebenfalls in die NATO flüchtet und fester Bestandteil des westlichen Kriegsbündnisses wird. Da steht man aber selbst noch in der ÖVP auf der Bremse. Andererseits singt man aktuell schon artig und eifrig im NATO-Chor mit. Man denke bloß an Sky Shield. Insbesondere Ex-Politiker wie Wolfgang Schüssel (ÖVP-Kanzler von 2000-2006) tun sich hier als Scharfmacher hervor. „Wir stehen fest auf der Seite der Ukraine“, lautet jedenfalls ein von allen aufzusagender Textbaustein. Die Neutralitätsfrage könnte die Koalition freilich zerreißen.

Und sonst? Weil es gar zu fad ist, gibt es einen sommerlichen Sex-Skandal um Österreichs EU-Botschafter in Brüssel. Sado-Maso oder sowas. Der Mann, schon weg, war kein Trump.