Wert und Werte

von Franz Schandl

„Was verrät es über eine Gesellschaft, dass sie ausgerechnet Werte braucht?“ (Andreas Urs Sommer)

Jede Orientierung auf die Werte ist eine Orientierung auf den Wert. Der Zusammenhang ist offensichtlich, so wenig Beachtung er auch findet. Noch weniger als in der Wirtschaft werden die gesellschaftlich allseits positiven Werte-Begriffe einer kategorialen Kritik unterzogen. Wir haben sie zu haben und haben sie zu wollen – was denn sonst? Möglicherweise lässt sich aber auch die Doppeldeutigkeit des Werts – dass etwas einen Preis haben soll und dass einem etwas teuer ist – dahingehend auflösen, dass das, was einen Preis hat, uns teuer zu sein hat und vice versa, das, was uns teuer ist, auch einen Wert erzielt. Die Parallele wäre dann eine Schaltung, wo das eine ohne das andere nicht zu denken ist.

Fetisch unser

Oder? Für Werte sind wir alle. Ihnen ist einfach nicht zu entkommen. Welche, die keine haben, sollen welche bekommen, am besten natürlich unsere Werte, die da zu unser aller Freude strahlen in der liberalen Demokratie, nach der nichts Besseres mehr kommen kann und die schon das Gute ist. Gott ist bereits da und da er ein universeller Gott ist, ist er auch über die ganze Menschheit zu bringen. Fetisch unser. Ohne Wert und Werte kein Visum. Um also anerkannt zu werden, hat man vorab die Werte nicht nur anzuerkennen, sondern zu bekennen, ansonsten katapultiert sich eins in Out.

Die Wertegemeinschaft firmiert als das eherne Gehäuse unseres kapitalistischen Daseins. Sie ist ihre ideologische Chiffre. Das Spezifische wird generalisiert, um alle realen und vermeintlichen Abweicher stigmatisieren und sanktionieren zu können. Unrechtgläubige stehen fortwährend im Verdacht, Unrecht zu üben und Unwahrheiten zu sagen. „Fake!“, krächzt das kulturindustrielle Kommando. Selbst die Realpolitik dieser Tage wirkt zusehends beseelt vom Idealismus fanatischer Wertgläubigkeit. Schlimmer als die Organe der Herrschaft geriert sich der linksliberale Klüngel als eine Art Secondhand-Mainstream der Zuspätgekommenen, aber darum umso Entschlosseneren, der den Werten nicht nur idealtypische Selbstinszenierung zuschreibt, sondern sie auf Punkt und Beistrich in die Wirklichkeit überführen will. Nennen wir es das Baerbock-Syndrom. Die Gesinnungstäter sind unter uns und sie schreien nach Intervention. Werteritter mutieren zu Wertekriegern. Bei der unheimlichen, aber gar nicht heimlichen Offensive der Werte geht es darum, die Reihen dicht zu schließen („Wir“) und die Anderen („Ihr“) nicht als Handelnde, sondern als zu Behandelnde zu konstruieren, die man dann entweder erziehen, ausschließen oder überwältigen muss.

Werte haben auf jeden Fall nicht nur ausgerufen zu werden, sie haben auch angerufen zu werden. Der Westen zelebriert sie als planetarische Gebetsstunde. Und es hat geglaubt zu werden: „Österreich hat einen etablierten Wertekanon, der nicht verhandelbar ist“, heißt es nicht nur in irgendeinem Papier des Außenministeriums. Von unseren Werten zu sprechen, gleicht einer metaphysischen Anrufung, einer Beschwörung von Fetischen, denen wir allesamt zu huldigen haben. Kein westlicher Grundsatztext ist heute frei von diesem Sermon. Kam die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 noch ohne „Werte“ aus, so haben in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union von 2000 die „Werte“ schon entscheidende Positionen erobert.

Auch das linke und aufklärerische Denken (inklusive Marxismus) steht für die Affirmation der Werte. Die sind allemal positiv besetzt, von Agnes Heller bis David Graeber, von David Mason bis Slavoj Žižek (um nur wenige zu nennen) sind fast alle in diesem Universum zu Hause und erweisen sich damit als treue Kopisten kapitalistischer Normen. Explizite Kritiker der Werte finden sich ganz selten. Auf zwei sei hier trotzdem verwiesen, auf Günther Anders und Ivan Illich. Anders setzte die „Werte“ auf eine schwarze Liste: „In der Tat ist der barbarische Begriff, der aus der Finanzwirtschaft stammt, erst nach 1850 in die Philosophie und erst in den Zwanziger Jahren in die Trivialsprache eingedrungen“, schreibt er(Ketzereien. München 1982, S. 131). Und Illich sagt: „Ich bin fest davon überzeugt (…), dass der Verlust der Umsonstigkeit einen Aspekt der Moderne bildet. Einer der tiefer liegenden Gründe dafür ist, dass die Philosophen seit der Aufklärung im Großen und Ganzen nicht mehr über Ethik und Moral als Suche nach dem Guten Sprechen, sondern zunehmend über Werte. (…) Werte stehen immer in Beziehung zu Effektivität und Effizienz, also zu einem Mittel, einem Werkzeug, einem Zweck.“ (In den Flüssen nördlich der Zukunft. Letzte Gespräche über Religion und Gesellschaft mit David Cayley. Aus dem Englischen von Sebastian Trapp, München 2006, S. 253) Er verweist dezidiert auf den konkurrierenden Mechanismus.

Singular und Plural

Tatsächlich legt der Singular offen, was der Plural verschweigt. Der Begriff des Werts hat sich ausgehend vom ökonomischen Sektor in alle gesellschaftlichen Bereiche gebohrt. Wert ist zu einem, ja dem substanziellen Leitterminus geworden. Wenn etwas etwas wert ist, ist etwas etwas wert. Wert gilt als das Positivum sui generis. Wert ist dem gesunden Menschenverstand eine in all seinen Verästelungen zu bejahende Assoziation, keine kritische Größe. Die ideelle Verwertung des Wertes zu den Werten verweist nicht nur sprachlich auf die Relevanz des ursprünglich Terminus und ebenso auf die Sonderstellung dieser Termini überhaupt. Gültige Phrasen haben dieses Vokabular zu pflegen.

Der Wert setzt die Werte. Er ist auch die zentrale Instanz des Selbstwerts. Bürgerliches Selbstbewusstsein verläuft auf einer Skala der Ab- und Aufwertung am Markt. Das jeweilige Einkommen regelt die Zugangs- und Beteiligungsmöglichkeiten, die auch über Integration und Desintegration entscheiden: Was haben? Wo dabei sein? Wie viel dürfen? Was darstellen? Die Achtung der Menschen erfolgt nicht direkt, sondern über die jeweiligen Wertigkeiten am Markt. Akzeptiert wird, wer sich verwertet. Jeder Wer ein Was! Wer kein Was, ein Nichts! Das Selbstwertgefühl sinkt rapide, wird der Einzelne vom Kapital nicht anerkannt. Nicht nur Arbeitslose und Immigranten spüren das.

Im Wert steckt auch alles, was uns so gespenstisch vertraut ist: die Konkurrenz, das Wachstum, das Ranking, die Leistung, das Eigentum und natürlich der jeweilige Preis selbst. Mit dem Wert und seinen geprägten Worten wird das Vokabular ökonomifiziert und unsere Vorstellungskraft in eine bestimmte Richtung kanalisiert. Wir lassen das nicht nur zu, es fällt gar nicht als Besonderheit auf. So zu sprechen erscheint uns als selbstverständlich. Wir haben keine andere Sprache. Man denke bloß an all die infizierten (und oft kaum substituierbaren) Vokabel wie Wertschätzung, Wertschöpfung, Bewertung oder wertvoll. Und der Werteworte des Wertekanons werden mehr: Werteschulungen, Wertekatalog, Werteerziehung, Wertevermittlung, Werte-Patenschaften, vielleicht könnte man noch einen Wertekataster anlegen, wo Wertebüros mit Werteschablonen den Werteindex (Selbstverwertungskoeffizienten) aller gesellschaftlichen Mitglieder transparent machen könnten. Abfragbar und abrufbar. Digitales Instrumentarium dafür gibt es in Hülle und Fülle.

Das Eingeforderte wird fixiert und formatiert im Wert und seinen Werten. Darin verpackt ist die gemeine Verwertungspflicht. Es ist zwar übel, wenn Menschen nichts wert sind, aber schlimmer noch ist, dass Menschen überhaupt etwas wert zu sein haben; dass eine ökonomische Abstraktion – der Wert – diese Gesellschaft beherrscht, Status und Rang der Mitglieder vorgibt und via Werte verfügen möchte, was wir wollen sollen.

Anders als Gut ist Wert ohne Komparativ (Mehrwert, Minderwertigkeit) nicht zu denken. Dass zu Wert immer Mehrwert und Minderwert(igkeit) gehören, versteht sich von selbst, muss aber eigens erwähnt werden. Und natürlich geht es um In-Wert-Setzung, dem neoliberalen Subjekt ist die Selbstoptimierung seines Humankapitals oberste Pflicht und stete Aufgabe. Was für die Exponate, d.h. das Personen genannte Personal, gilt, gilt erst recht für deren identitären Kollektive. „Wir“ und „unsere“ steht dabei hoch im Kurs an den ideellen Börsen.

Carl Schmitt, der zweifellos ein rechter, aber ein äußerst scharfsinniger Theoretiker gewesen ist, bringt es gleich mehrfach auf den Punkt: „Niemand kann werten ohne abzuwerten, aufzuwerten und zu verwerten. Wer Werte setzt, hat sich damit gegen Unwerte abgesetzt.“ „Der Geltungsdrang des Wertes ist unwiderstehlich und der Streit der Werter, Abwerter, Aufwerter und Verwerter unvermeidlich.“ „Die Wertlehre feiert, wie wir sahen, in der Erörterung der Frage des gerechten Krieges ihre eigentlichen Triumphe.“ „Der Unwert hat kein Recht gegenüber dem Wert, und für die Durchsetzung des höchsten Wertes ist kein Preis zu hoch.“ (Die Tyrannei der Werte (1967). Vierte, unveränderte Auflage, Berlin 2011, S. 46, 47, 51 und 51f.)

Werten und Schätzen

Historisches als Gültiges, ja Endgültiges zu setzen, es als menschliche Natur zu propagieren, diese ontologische Hinterlist aller Herrschaftsformen beruht immer auf der sagenhaften Banalität, aus dem Spezifischen ein Allgemeines zu machen. Diese Hinterlist ist keine Heimtücke, sondern eine synthetische Leistung der Form selbst. Es geht darum, sich absolut zu setzen. Aktuelle Formprinzipien sind zu eternisieren. Das Gewordene hat zu bleiben, nicht vergänglich zu werden. Dass es einmal gesetzt wurde, weil es sich durchgesetzt hat, hat niemanden anzugehen. Es hat einfach so zu sein, weil es so ist.

Ähnlich verfährt auch Andreas Urs Sommer in seinem Buch Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt (Stuttgart 2016). „Bewerten bedeutet Schätzen“ (S. 14), schreibt er. (Seitenzahlen in Folge beziehen sich auf diesen Band.) „Leben heißt bewerten“ (S. 13), hält er ganz kategorisch fest. Doch diese Gleichsetzung von Schätzen und Werten ist zwar zweckdienlich, aber falsch. Schätzen setzt primär eine Bedeutung für mich, demonstriert also keine Vergleichbarkeit, die über ein Drittes ausgedrückt und definiert wird. Zu Geliebten und Freunden sagt man: „Ich schätze dich“, niemals aber: „Ich werte dich!“ Da ist kein Synonym.

Wenn ich etwas schätze, dann halte ich etwas davon, dann stehe ich für etwas ein. Schätzen ist ein Mögen, ist empathisch und sympathisch, nicht apathisch und neutral. Schätzen hat etwas Freundschaftliches. Prinzipiell ist da vorerst überhaupt kein Vergleich nötig. Es geschieht um ihrer oder seiner selbst willen. Wenn ich jemanden oder etwas liebe, dann liebe ich ihn, sie oder es, ohne deswegen nachzudenken, ob ich etwas weniger liebe oder mehr liebe. Wer geliebt werden will, will nicht „mehr geliebt“ werden wie jemand anderer und auch nicht „mehr lieben“. Lieben reicht. Lieben ist kein Wägen. Wenn es Lieben ist, ist es vorbehaltslos. Directly from my heart to you. Lieben, Mögen Schätzen sind kein Wägen. Sie leben nicht vom Vergleich, sondern von der unmittelbaren Hingezogenheit, einer Attraktivität sui generis. Bewerten hingegen lebt im, vom und für den Vergleich, Skalen, Noten, Zeugnisse sind obligat. Valuieren und Evaluieren ist angesagt. Werten meint immer auch ein Raten und Ranken, Werten bedarf unbedingt des Vergleichs, ist ohne diesen gar nicht erst zu denken. Der Komparativ ist wahrlich unumgänglich.

Leben heißt nicht bewerten, sondern fragen, analysieren, aussagen, schlussfolgern, wissen, erkennen, argumentieren. Werten reduziert das Denken auf das Berechnen. Das Bewerten ist schon eine sehr spezifische Form, keineswegs eine originäre und zentrale Leistung und schon gar nicht gebührt ihr Vorzug und Ausnahme. Da mögen Bewertungen heute noch so im Vordergrund stehen und unser Blickfeld stets kommerziell verengen und somit verstellen. Die Frage „Was ist?“ oder „Warum ist es?“ zieht keine automatische Bewertung nach sich, sondern eine umfassende Einschätzung. Bewerten ist eine ganz besondere Weise des Beurteilens, es geht dabei weniger um das Objekt als um die auf die Wertform bezogene Relation des Objekts zu anderen Objekten, denen allesamt als Waren ein Wert anheimgestellt wird. Es geht beim Bewerten nicht um die Sache selbst und auch nicht um ihre anderen vielfältigen Bezüglichkeiten, sondern diese wird gerankt und geratet anhand eines vorhandenen Maßes, das jede Qualität der Quantität unterordnet. Bewerten fungiert als Transmissionsriemen des Bezahlens.

Differenzen sind vorerst einmal qualitativ; z.B.: Es schmeckt, es leuchtet, es läuft. Sätze wie „Es schmeckt besser, als es leuchtet“ oder „Es leuchtet heller, als es läuft“ sind zu Recht unsinnig, ja abstrus. Selbst die Frage, wie gut es schmeckt, wie hell es leuchtet, wie schnell es läuft, kommt erst hernach. Und die Frage nach einem bewertenden Vergleich ist keine obligate, sie ist eminent wie immanent nur in der von Ware und Geschäft geprägten Welt. Nicht Menschen sind bewertende Wesen, sondern Bürger. Zweifellos, in der Marktwirtschaft herrscht regelrecht ein Bewertungswahn: Benoten Sie die Autoanmietung auf einer Skala von 1 bis 5. Alles und jedes hat auf Markttauglichkeit und Geschäftsfähigkeit getrimmt zu werden. Solche Urteile fließen letztlich in die Fluktuationen des Preises ein.

Urphänomene der Verrechnung

Formulierungen wie „Menschen unterliegen wie andere animalische Lebewesen auch einem Bewertungszwang“ (S. 22) sind absolut jenseits. Bewerten wird hier zur biologischen Konstante, Sommer versteigt sich gar zur Aussage „Bewerten kann der Kater ebenso wie ich es kann“ (S. 14). Klar ist, „dass lebendige Wesen bewertende Wesen sind. (…) Es braucht keine Werte um bewerten zu können.“ (S. 15) Werte sind „Resultate des Bewertens.“( S. 16) Bewertung war dieser Theorie zufolge schon immer. Dass dies nur oder am besten mit dem Wert funktioniert, ist uns dann allerdings erst mit dem Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft klar geworden. Vor der Aufklärung wussten wir nicht, dass wir so etwas hätten, doch durch Kapitalismus und Demokratie ist diese Erleuchtung über uns gekommen. Die Scheinwerfer überblenden hier gar vieles. Auf ewig haben sie zu leuchten, fortwährend und immerdar. Schon für den von Sommer herbeizitierten Max Scheler galten „die Werttatsachen als Urphänomene, die keiner weiteren Erklärung bedürfen“ (S. 26).

„Was bieten Werte, was beispielsweise die Tugenden nicht boten?“, fragt Sommer und antwortet: „Das große Versprechen, die große Suggestion von Werten ist (…) ihre Bezifferbarkeit“, sodass „man Werte miteinander verrechnen kann“ (S. 31). Die Verrechenbarkeit macht sie sicher. Die Vergleichbarkeit aller Waren in preismäßigen Bezifferungen ist allerdings eine eigentümliche Art der Vergleichung. Sie fragt gar nicht nach der Qualität des Produktes, sondern quantifiziert diese mithilfe ihrer digitalen Rechenschieber.

Beim Tauschen und Kaufen geht es nicht um einen qualitativen Vergleich von Produkten, sondern um Notierung und Platzierung anhand der Werteskala. Diese Gleichsetzung lässt dann alles als Quantum von etwas grundlegend Gleichem erscheinen. Eine ausgemachte Differenz ist ja noch keine Wertung, sondern lediglich die Feststellung, dass das Eine nicht das Andere, sondern qualitativ verschieden ist. Doch den Wert interessiert das partout nicht, im Gegenteil, er will, weil muss, messen. Er fängt jedes Produkt in seiner Wertgröße ein, jedes und alles soll quantitativer Ausdruck davon sein. In den Bewertungen konstatiert sich also eine ganz eigentümliche Differenz. Werte sind das, was der Wert in Politik, Ideologie und Kultur anrichtet.

Werte stehen bei Sommer für allerlei: Richtlinien, Prinzipien, Grundsätze, Tugenden, Regulative, Sitten, Bräuche, Normen. Aber da verwischt sich etwas, das auseinandergehalten werden sollte. Werte bedeuten jedenfalls, dass Diversität nur auf ihrer Grundlage gültig ist, sie jedoch selbst nicht Teil dieser Pluralität sind. Werte geben also nicht nur den Rahmen vor, sie indoktrinieren und infiltrieren alles ihnen Folgende durch sie. Werte sind nicht verhandelbar, sie bestimmen vielmehr das Handeln und sie gelten als universalistisch. Selbstbestimmung gibt es nur auf Grundlage dieser Formbestimmung. Werte sind die vorformatierte Chiffre der Matrix.

Wertfrei und wertlos

Beantworten wir die im Vorspann aufgeworfene Frage nun ganz deutlich: „Was verrät es über eine Gesellschaft, dass sie ausgerechnet Werte braucht?“ (S. 10) – Sie verrät, das sie auf dem Wert beruht. „Werte kommen in der Mehrzahl vor“ (S. 31), sagt Sommer, aber sie folgen doch der Einzahl, dem Wert, sagen wir. Sie sind dessen ideologische Äste. Überallhin sollen sie reichen. Wertewandel sagt ja auch nur aus, dass sich die jeweiligen Werte wandeln, aber die Konfiguration von Wert und Werten bestehen bleibt. Die von Sommer eher beiläufig angeführten Vokabel wie „Wertemeer“ und „Wertesumpf“ (S. 71) sollte man durchaus auf ihn projizieren. Dort schwimmt er mit und dort ist er auch untergegangen. Auch Sommer dokumentiert in seinem Buch seine Gefangenschaft im Wert-Begriff oder besser in den Werte-Begriffen, die da unsere Sprache beherrschen und der wir zustimmen, sooft wir sie benutzen. Dass man wollen soll, weil man wollen muss und es auch will, das ist die Zumutung der Matrix, hier auch Gehege genannt. Nun denn, ein paar Schilder wurden platziert, weitere sollen folgen.

Was Werte nicht infrage stellen und auch nicht infrage stellen können, das ist der Wert selbst. Dass keine Werte haben ein Wert sein sollte, wäre ja zu Recht grotesk. Es geht aber auch nicht um eine Umwertung, sondern um eine Entwertung der Werte. Bürgerliche Werte oder Formprinzipien wie Freiheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit gehören der Vergangenheit, bestenfalls noch der Gegenwart an, keine Zukunft wird sie benötigen. Eine freie Assoziation von Menschen wird nicht nur wertfrei sein, sie wird auch wertlos sein. Es geht schlicht um das Gute und die Umsonstigkeit.