Philippa als Evita

von Franz Schandl

Wen interessieren schon Themen? Derer
gäbe es zwar genug: Wohnen, Gesundheit, Bildung, Verkehr, Arbeit, ja
sogar Klimaschutz. Sie kommen zwar vor, aber sie verursachen durch
Phrasen und Chiffren, durch Stehsätze und Nullaussagen lediglich ein
Rauschen im Hintergrund. Wird über sie gesprochen, werden sie nicht
erörtert, sondern zerredet. Politik wird zusehends zu einem Brei und
als vermeintlichen Befreiungsschlag scheint nur noch der Populismus
möglich. Der reüssiert, mag er unmittelbar auch etwas schwächeln.

Tatsächlich hat man (nicht erst seit
dieser Wahl) das Gefühl, dass es in den hiesigen Wahlkämpfen primär
um leidige Korruption und persönliche Verfehlungen geht. Wichtiges
und Nichtiges sind dabei leicht zu verwechseln, weil schwer zu
unterscheiden. War die Rendi gar in St. Tropez? Wem können wir was
anhängen?, fragen sich hochdotierte Campaignisierer und Coaches.
Welches Gschichterl drücken wir rein?

Neudeutsch nennt sich das dann Framing
bzw. Reframing. Zuletzt kam die ÖVP wiederum in Bedrängnis, weil
sie angeblich via doppelter Buchführung ihre Wahlkampfausgaben
verschleiern wollte. Diese unterliegen in Österreich einer
Obergrenze. Die Volkspartei behauptet nun, dass die Daten gestohlen
und manipuliert worden sind. Das ist nicht ganz auszuschließen, wenn
auch nicht wahrscheinlich. Das Reframing soll so funktionieren: Da
gab es eine Hacker-Attacke! Waren es die Russen oder der Silberstein
oder einer der Mitbewerber? Auf jeden Fall soll ein Narrativ von
einem anderen Narrativ abgelöst werden. Mutmaßliche Täter
transformieren sich zu vermeintlichen Opfern. Näher liegend ist
freilich, dass in der ÖVP-Zentrale Maulwürfe sitzen, die aus
welchen Gründen auch immer das kreative Rechnungswesen verraten
haben. Dass hingegen gerade Putin ein vorrangiges Interesse haben
sollte, die Christkonservativen zu bespitzeln, ist abwegig. Da heuert
er doch lieber deren Spitzenrepräsentanten nach ihrem politischen
Abtritt an.

Wahlkämpfe reduzieren sich immer mehr
zu einem allumfassenden Casting der Spitzenkandidaten. Da geht es
inzwischen Schlag auf Schlag, d.h. wer schlägt wen? Nirgendwo ist
die Dichte an Fernsehduellen so hoch wie in Österreich. Die direkten
Konfrontationen gleichen einer Endlosschleife: Jeder gegen Jeden,
Alle gegen Alle. Und das auf diversen Sendern. Ziel muss sein,
atmosphärisch zu punkten. Auf allen einschlägigen Kanälen werden
Kandidaten gleich Kampfhühnern in die Arena geschickt.

Politik als Show zu kritisieren, ist
zwar keine falsche Diagnose, aber doch eine hilflose, eben weil die
ganze Gesellschaft mittlerweile auf die Kulturindustrie konditioniert
ist und nach ihr tickt. Der mediale Selbstlauf vermag allen
Bekenntnissen zum Trotz nichts anderes anzustellen. Gefragt ist
schlicht die Performance. Politik gerät in die Castingmaschine, wo
dann sogleich eine Jury die Haltungsnoten mitliefert. Auch das
Publikum spielt da mit. Das Trollen, das Haten, das Shitposten gehört
inzwischen zum unguten Ton. Nie zuvor war es so einfach, Dreck durch
die Gegend zu schicken. Das Kanalsystem der sozialen Medien wird
immer größer.

Wie kommt nun diese Dynamik in die
Politik? Warum lässt sie sich nicht stoppen, sondern verschärft
sich zusehends, nicht nur in Österreich. Ist das die Rückseite der
allseits beschworenen Werte? Geht es hier gegen die Demokratie oder
verpuppt sich diese gerade zur Kenntlichkeit? Quasi als Pluralismus
diverser Unmöglichkeiten. Warum gewöhnt man sich diese Politik zum
Abgewöhnen akkurat nicht ab? Woher rührt die Stärke dieses Sogs?

Das ständige Jagen, Aufdecken,
Überführen, Anpatzen wirkt indes angeschlagen, wenn auch nicht
ausgereizt – man spürt das auch, es ermüdet. Als Alternative zu
alledem wird indes gerade das populistische Gepolter wahrgenommen,
also nicht das Gegenteil von dem, was läuft, sondern der Komparativ
des Gehabten. Viel Aufwand wird getrieben die Politikverdrossenheit
klein zu halten. Insgesamt haben die Österreicher nämlich die Nase
ziemlich voll, so oft wählen gehen zu müssen. Seit 2016 gibt es nun
bereits sechs bundesweite Urnengänge.

Es ist auch wirklich kurios. Diese Wahl
gibt es nur aufgrund es Ibiza-Videos. Die Regierungskonstellation,
die wir vorher hatten, werden wir wohl auch nachher wieder haben. Die
ÖVP wird etwas stärker und die FPÖ etwas schwächer geworden sein.
Dass Sebastian Kurz siegen wird, ist fix, es fragt sich bloß mit wie
viel Vorsprung. Am meisten zugewinnen werden aber die Grünen. Sie
haben nicht nur aufgrund der Klimakrise Konjunktur, viele Wähler
wollen sie auch dafür entschädigen, dass sie das letzte Mal den
abtrünnigen Peter Pilz oder gleich die SPÖ gewählt haben und die
Ökopartei deswegen aus dem Nationalrat geflogen ist.

Der FPÖ wiederum hat Ibiza kaum
geschadet. Die Freiheitlichen würden nur dann abstürzen, wenn
Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache auszuckt. Gelegentlich war er,
der bloß zwischenzeitlich Ausgeschiedene, auch nahe dran, doch
letztlich fügte er sich dem Deal mit dem designierten Parteichef,
Norbert Hofer: „Strache ist jetzt sehr ruhig und stört Wahlkampf
nicht“, sagt dieser. Dafür bekommt seine Frau Philippa auch ein
Nationalratsmandat. Die Nahversorgung ist somit gesichert. Die
Parteibasis hält aber noch immer fest zu ihm, die Parteigranden
hingegen sind erzürnt über das Video. Nicht, dass man das nicht
sagen darf, aber welch Trottel lässt sich dabei schon filmen. Von
einem Ende der Karriere sollte man indes nicht ausgehen. Im
Interregnum macht Philippa auf Evita und heilt die Wunden. „FPÖ
schafft mit Philippa das Comeback“, schreibt das Boulevardblatt
Österreich. Es grenzt nicht nur an eine politische Soap
Opera, es ist eine. Häufen sich die Peinlichkeiten und Blamagen,
sind es keine mehr.

„Unproduktive Empörung“ (Karl
Kraus) beherrscht die Szene. Aufregung ist überall, und wo sie nicht
ist, wird sie erzeugt. Doch sie verpufft auch schnell wieder. Im Nu
ist man auf etwas fixiert, aber die Fixierung ist eine fluktuative,
keine dauerhafte. Tritt eine neue Affäre aufs Tapet, ist die letzte
schon vergessen. Die unzähligen Eindrücke können gar nicht
verarbeitet und sortiert werden. Da man nicht mehr weiß, was man
glauben soll, glaubt man halt, was man glauben will.

Der große Skandal ist, dass fast nur
noch Skandal ist. Man versinkt förmlich im Morast der Affären.
Permanent wird etwas mit oft dubiosen Methoden aufgedeckt und durch
undurchsichtige Kanäle weitergeleitet. Verdächtigungen und
Anschuldigungen haben Saison. Politik erscheint als Dunkelkammer.
Nicht, dass es diese schwarzen Räume nicht gibt, soll behauptet
werden, aber ihre Relevanz wird überschätzt. Ohne Protektion keine
Politik. Skandale stoßen mehr ab als sie anspornen. Vor allem führen
sie zu der bahnbrechenden wie falschen Erleuchtung, dass alle
Politiker Gauner sind. Oder noch konzentrierter, dass alle außer den
ganz großen Lumpen, Lumpen seien. Nur so ist es erklärbar, dass
gerade die FPÖ, die Partei mit der höchsten Skandalquote, als
Kämpferin gegen Korruption und Postenschacher aufzutreten vermag.

Wenn dann zu allem Überfluss aus
Sebastian Kurz Mund der Begriff „neue Politik“ fällt, kann einem
bloß noch schlecht werden. Das ist gelinde gesagt, eine Drohung und
keine Hoffnung. Kann die Sprüche von Transparenz und Sauberkeit noch
jemand hören? Vielmehr wäre es erkenntnisreich, Politik als das zu
nehmen was sie ist und nicht als das, was sie zu scheinen hat.
Anstatt sich also über die Korruption der Kavaliere zu echauffieren,
sollte man mal sich hinsetzen und in Ruhe konstatieren, dass es so
läuft. Straches paradigmatischer Satz: „Novomatic zahlt alle“,
sollte als grundsolide Aussage über das Verhältnis etwa des
mächtigen Glücksspielkonzerns zu den Parteien ernst genommen
werden. Tut man das, gerät freilich einiges mehr ins Rutschen als
das eh schon der Fall ist. Der Skandal wäre nicht als Abweichung
sondern als Funktion der Norm zu denken.