Nur nicht lang fackeln!

Ankündigen,
Beschließen, Durchziehen: Das Tempo, das die österreichische
Bundesregierung vorlegt, ist doch beachtlich. Den Sound macht es
zweifellos. Wege der vitalisierten Demokratie in Österreich

von Franz Schandl

Die Sprachregelungen sind eingeübt und
werden bis zum Erbrechen reproduziert. So etwa der Satz, dass die,
die arbeiten, nicht die Dummen sein dürfen. Damit ist nicht gemeint,
dass diese zu wenig verdienen, sondern dass Arbeitslosen,
Sozialhilfeempfängern und Asylwerbern zu viel Geld zugesteckt wird.
Erhalten die weniger, geht es den Niedriglöhnern gleich besser, so
die frappante Logik, die leider verfängt, gerade auch bei den
Betroffenen. Gerechtigkeit nennt das die Frontpropaganda. Man denke
an Wögingers Tischler, der da regelrecht aufblüht, wenn anderen die
Lebensgrundlagen entzogen werden. Redlich müht sich die Regierung
asoziale Desparados zu erzeugen. Ist doch geil wie die, bei denen
reingeschnitten werden soll, bei ihresgleichen reinschneiden wollen.

Stets wird die vorletzte Liga gegen die
letzte in Stellung gebracht. Underdogs gegen Underdogs, das genau ist
die Schlacht, die die rechts-rechte Regierung wünscht und auch
bekommt. Die Zustimmung ist groß. Jene lassen es sich nicht nur
gefallen, es gefällt ihnen mitunter sogar. Mit 150 Euro im Monat
könne man (falls die Wohnung anderweitig finanziert werde) schon
durchkommen, ließ Beate Hartinger-Klein, die amtierende
Sozialministerin der FPÖ wissen. Man staune über Unerschrockenheit
und Kälte, aber das Entsetzen blieb aus. Die größte Leistung der
Koalition besteht darin, dass sie die Bevölkerung verhöhnt, aber
diese sich nicht verhöhnt fühlt, zumindest trifft das auf jene zu,
die noch wählen gehen. Das Verhältnis zwischen Regierung und
Publikum ähnelt einem sadomasochistischen Treiben.

Die tun was!, sagt der Volksmund. Die
arbeiten jetzt wirklich. Da geht was weiter. Das schreien auch jene,
deren Leistungen beschnitten, deren Perspektiven eingeengt, die
fortwährend unter die Räder zu kommen drohen. Vorsichtiges
Taktieren ist rücksichtslosem Traktieren gewichen. Die Exekutive
strotzt vor wilder Entschlossenheit. Und sie strotzt immer mehr, je
mehr sie problem- und widerstandslos ihre Anliegen durchbringt.
Anstatt medial vor sich hergetrieben zu werden (wie das in Zeiten der
SPÖVP-Koalition der Fall gewesen ist), setzen türkis-blaue Akteure
jetzt Maßnahme um Maßnahme. Ankündigen, Beschließen, Durchziehen,
so macht man das.

Tempo als Taktik

Lizitieren bestimmt die Taktik. Rauf
oder runter, je nach Bedarf. Soll eine Leistung halbiert werden,
begegnet man jeder Kritik daran sinngemäß so, dass man sie ja auch
ganz streichen könnte. Euch werden wir es zeigen. Die Kunst besteht
in der Kunst des Nachlegens: Noch eins drauf. Noch eins drüber. Noch
was kürzen. Da werden die anderen aber schauen. Tatsächlich, sie
schauen nicht nur, sie starren gleich Kaninchen. Nachfragen geht im
Nachlegen unter. Ablenkung verschiebt die Aufmerksamkeit. Nehmen wir
nur die sogenannte Karfreitags-Lösung. Als aufgrund einer
Verfassungsbeschwerde der Karfreitag als ausschließlich gesetzlicher
Feiertag für Protestanten und Altkatholiken gekappt werden musste,
beschloss die Regierung schlussendlich ihn ganz abzuschaffen. Damit
hatten die Initiatoren nicht gerechnet, obwohl es doch so naheliegend
gewesen wäre. Die Industrieellenvereinigung regte, die Gunst der
Stunde nutzend sogleich an, überhaupt alle bezahlten Feiertage zu
streichen. So weit ist die Regierung noch nicht.

Gas geben! Das Tempo macht den Sound.
„Speed kills“ nannte das Andreas Khol, der ehemalige
Parlamentspräsident der ÖVP, einer der Konstrukteure der ersten
schwarz-blauen Koalition unter Wolfgang Schüssel (2000-2006). Die
Dynamik der Paarung Kurz-Strache unterscheidet sich jedoch von
Schüssel-Haider, einem Projekt, das zwar nicht politisch, aber
mental zum Scheitern verurteilt gewesen ist. Sebastian Kurz und
Heinz-Christian Strache hingegen verstehen sich prächtig. Da stimmt
die Chemie. Die FPÖ darf vorpreschen, damit der Kanzler dann stets
eine Light-Version der freiheitlichen Vorschläge präsentieren kann,
auf die man sich gütlich geeinigt hat. Kurz moderiert und die ÖVP
bringt durch, was sie will. Machen die einen auf „High noon“, so
die anderen auf „Honey moon“.

Das Tempo erhöht auch Norbert Gerwald
Hofer, der ehemalige Präsidentschaftskandidat und nunmehr
Infrastrukturminister der FPÖ. Auf den Autobahnen soll schneller
gefahren werden. Vorerst überlegt man eine Anhebung von 130 auf
140kmh. Als Kritik an seiner Maßnahme laut wird, reagiert er mit der
Ausweitung der Teststrecken, ja lässt süffisant wissen, dass er
über eine Höchstgeschwindigkeit von 160 noch nicht nachdenke. So
geht das. Österreich muss auf die Überholspur. Auch die Deutschen
dürfen so schnell fahren wie sie wollen. Freie Fahrt für freie
Bürger!

Vorpreschen und noch einmal
vorpreschen. Nachladen. Zielen. Schießen. Es herrscht eine Politik
der Vorgaben. Es dominiert das Dekret. Das funktioniert blendend.
Blendend ist genau das richtige Wort, die Methode fasziniert. Es
brodelt und es jodelt der Boulevard: „Basti Fantasti!“ Herwig
Hösele, der ehemalige Bundesratspräsident der ÖVP, beschreibt das
gar als „vitalisierte Demokratie“. Mit Empörung ist dagegen
wenig auszurichten. Doch, wer verfügt schon über Alternativen?

Türkis-Blau hat jedenfalls den Modus
gewechselt. Strategisch ist man von der Defensive zur Offensive
übergegangen. Angriff ist die beste Verteidigung. Der Stellungskrieg
ist dem Bewegungskrieg gewichen. Andauernd wird nach vorne gestürmt.
Nur nicht lang fackeln, lautet die Devise. Die Opposition soll nicht
einmal zum Verschnaufen kommen. Das bemühte Reagieren kommt mit dem
flinken Agieren nicht mit. Zur Zeit ist niemand in Sicht, der der
Regierungskoalition die Initiative entwinden könnte.
Kaltschnäuzigkeit brilliert. Der Gestus der Macht ist
offensichtlich: Nicht „Wir haben was zu sagen“, heißt die
Botschaft, sondern „Wir haben hier das Sagen“.

Weitgehend synchronisiert ist die
rechts-rechte Regierung mit den Stimmungen in der Republik. Das mag
man nicht sympathisch finden, aber dem ist so. Ein chronisches
Problem der Sozialdemokratie besteht darin, dass sie nicht wesentlich
anders tickt, wie diverse Proponenten auch immer wieder
demonstrieren. Wie gegen die geplante Sicherungshaft für potenzielle
Gefährder sein, wo doch die eigene Basis dafür ist? Das
prophylaktische Wegsperren findet überhaupt eine satte Unterstützung
im Land, da mögen fast alle Rechtsexperten noch so kenntnisreich
dagegen argumentieren. Die Präventivhaft wird wohl gelitten. Die
Ösis wollen vielleicht nicht eingesperrt werden, aber einsperren
wollen sie allemal. „Hurra Zelle“, schreit der Volksmund, die
Herausforderungen der Zeit lösend. Es waren übrigens
sozialdemokratische Landeshauptleute, die nicht nur Asylwerber,
sondern auch gleich alle Eingeborenen in den Genuss dieser Maßnahme
bringen wollten. Während die SPÖ dabei aber in der Falle sitzt,
agieren ÖVP und FPÖ in ihrem Element.

Die Exekutive hält die Zügel fest in
der Hand. Diktieren statt diskutieren ist angesagt. So regte der
Kanzler soeben erst an, Arbeitslosen, die einen Jobangebot nicht
annehmen, unbedingt zu sanktionieren. Da müsse man, wie vorgesehen,
die Bezüge kürzen. Kulanz war gestern. Endlich geschieht etwas, und
genauso kommt es auch rüber. Da wird nicht geredet sondern
gehandelt. Macher agieren als Scharfmacher. Jahre des Stillstands
sind Geschichte. Auffällig ist auch das Hofieren der sogenannten
Wirtschaft, worunter ausschließlich die Unternehmer gemeint sind,
nicht die Arbeiter. Das Neoliberale und das Populistische, da hat
sich gefunden, was zusammengehört.

The winner of the shooting is…

Sebastian hat das Shooting gewonnen,
daher ist er ein Star. Shooting Star nennt sich das. Und er bewegt
sich auch so. Kurz ist weniger Kanzler als Illustrator eines
Regierungschefs. Am liebsten jettet er über den Planeten – Kairo,
Peking, Washington, Bukarest -, um seine Wichtigkeit zu
demonstrieren. Das mag der Welt nicht auffallen, hierzulande läuft
es täglich aus diversen medialen Konserven. Die Eindrücke kommen
an. Es ist das auffrisierte und ins Rasen geratene Geilomobil. Da ist
nichts originell, aber alles professionell, da ist nichts neu, aber
alles wirkt geschliffen. Wörter, ganz leer, funkeln televisionär.
Likes und Followers gehen durch die Decke. Jedes Auftreten ein
Auftritt. Das Stück ist schlecht, aber die Regie ist ausgezeichnet.
Seht her, da ist der Mann, der die Balkanroute verstopft hat, sagen
die Politdesigner. Der Kanzler selbst ist nicht Teil der Schlacht,
sondern über sie erhaben wie erhoben. Er lässt schlagen.

Das gegenwärtige Surplus der
Volkspartei resultiert auch aus dieser taktischen Überlegenheit.
Choreographie und Inszenierung sind dabei ganz wichtig. Von der
Sprache bis zur Körperhaltung, herrscht ein Verhaltenskodex. Die
Uniformierung des Vokabulars ist signifikant. Nicht als Gegenstand
kritischer Analyse, wohl aber in der synthetischen Rezeption. Auf
diesem Sprechblasenkomplott gedeihen die entgeistigten und
fehlemotionalisierten Haltungen. Was intellektuell begreifbar ist,
ist mental alles andere als greifbar. Auf jeden Fall gelingt es Zorn
und das Unbehagen stets Richtung Ressentiment und Vorurteil
umzuleiten. Das türkise Projekt funktioniert als Vexierbild einer
Start-Up-Projektion. Dass der aufgestiegene Sebastian Kurz ungefähr
gerade so viel Zuspruch hat wie die abgestiegene Angela Merkel, fällt
gar nicht erst auf. Auf europäischer Ebene wird er als der kommende
Mann gehandelt.

Wer liefert die entsprechenden Bilder und Worte, Anzüge und Kostüme? Wer maskiert sich in Talk shows und auf Bällen? Das machen heute Kurz und seine Crew am penetrantesten. Nicht einmal die Arroganz der Schnösel stört. Und was die weibliche Seite der Macht betrifft, wird vor allem Karoline Edtstadler, Staatssekretärin im Innenministerium, immer wieder vor die Kamera gerückt. Nicht, dass das nicht Kalkül wäre. Sie ist zweifellos die kommende Frau bei den Konservativen.

Kurz-Publikum und der Kurz-Typus bilden
aber keine neue Identität, so sehr sie aufeinander auch bezogen sein
mögen. Wählerschaft und Typus korrespondieren nicht. Erstere wählen
ihn nicht, weil sie so sind wie er, sondern weil sie es toll finden,
wie er wirkt. Sie abstrahieren von ihren Interessen um sich
instinktiv wie paradigmatisch den Erscheinungen hinzugeben.
Kommunikation wird dabei auf ein Anhängen, Anhimmeln und Aufschauen
konzentriert. Fan und Star treffen sich in diesem autoritären
Verhältnis. Das ist nicht außergewöhnlich, auffällig ist nur,
dass die Politik immer mehr nach diesen Mustern funktioniert.

Und doch ist nicht alles eitel Wonne
für Kanzler und Kanzlerpartei. Ein Drittel der Wähler sind nämlich
zugeflogene Stimmen, volatil nennt das die Businesssprache. Diese
Zugewinne bauen auf Zugvögeln. Was aber auch umgekehrt heißt, dass
zwei Drittel, sagen wir 22 der 33 Prozent der Gesamtwählerschaft,
die ÖVP auch ohne Kurz unterstützen würden oder sogar trotz ihm.
Das aktuelle Reservoir der ÖVP besteht so aus zwei großen Gruppen:
Da ist die erodierende Stammwählerschaft und da ist die
fluktuierende Wechselwählerschaft, das spezifische Kurz-Publikum.
Wahlerfolge halten diese Allianz zusammen. Erstere ist bereits seit
30 Jahren in Auflösung begriffen,die zweite Gruppe aber war nie
stabil und wird es auch nie werden. Es ist auch fragwürdig, ob
dieses Segment noch viel wird zulegen können.

Die Stammvoten sind allemal
substanzieller und sie sind im Apparat der Partei auch stärker
verankert als der Kurz-Typus (junge Aufsteiger und Quereinsteiger aus
der Wirtschaft), auch wenn diese in den oberen Etagen im Vormarsch
sind. In den Staatsämtern und staatsnahen Sektoren läuft soeben
eine große Sozi-Entsorgungsaktion. Die freiheitlichen
Koalitionspartner sind dabei besonders gefräßig und gierig. Es geht
um die Neuverteilung öffentlicher Pfründe.

Ein Problem ist, dass Kurz zwar die
Mehrheit sichert, aber selbst in der Partei keine Mehrheit hat. Über
diese „verfügen“ weiterhin die alten Großkoalitionäre, vor
allem die mächtigen Bundesländerfürsten. Der Apparat macht
insgesamt gute Miene, hat aber zur Kurz-Partie ein reserviertes und
taktisches Verhältnis. Der Kanzler ist der Bevölkerung bekömmlicher
als seiner Partei. Zugute kommt ihm, dass er die Nationalratswahl
gewonnen und die Partei nach außen geeint hat. Türkis ist nicht
schwarz, heißt es. Tatsächlich, Türkis ist ein Black Out sui
generis.

Indes ist die ÖVP nach wie vor –
ähnlich der SPÖ – in einer veritablen Krise, die jedoch völlig
zugedeckt wird. Das fällt aber nicht auf und wird daher auch nicht
thematisiert. Solange die Ergebnisse stimmen, herrscht das Black Out.
Sobald hier Schwächen auftreten, wird das System Kurz implodieren.
Dann wird ein großes Torkeln beginnen, das kein Gernot Blümel mehr
erklären kann.

Es hat schon was Usupatorisches. Viel
grob, wenig robust. Der Erfolg baut auf Sand, aber zweifellos,
visuell und virtuell ist jede Menge Sand vorhanden. Ganze Dünen
türmen sich da auf.