Darmspiegelung auf Ibiza

von Franz Schandl

„A b’soffene G’schicht“ ist es also
gewesen, die da Heinz-Christian Strache ähnlich seinem Vorgänger
Jörg Haider zu Fall gebracht hat. Haider war im Oktober 2008 schwer
alkoholisiert in den Tod gerast. Strache ist nun an den Folgen einer
durchzechten Nacht auf Ibiza bloß noch der Rücktritt als
Vizekanzler und FPÖ-Vorsitzender übriggeblieben. Das ist schon ein
ausgesprochenes Pech. Wie sagte doch ein Satiriker, der zufällig
auch Spitzenkandidat der FPÖ zur Europawahl ist und Harald Vilimsky
heißt: „Wer war noch nie stockbetrunken?“

Das allseits bekannte Video gleicht
jedenfalls einer Darmspiegelung. Es ist die in seinem seltsamen
Politikerleben vom Nazibuben zum Vizekanzler akkumulierte
Primitivität, die da aus dem berauschten Strache schwappt: „Wir
wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie Orbán“, verkündet er,
„Journalisten sind sowieso die größten Huren auf dem Planeten“,
die Gegner seien allesamt „Schneebrunzer“. „Du hast die Waffen
in der Hand“ meinte er zur vermeintlichen Oligarchen-Nichte, die
ihn vor allem aufgrund des Sexappeals beeindruckte: „Bist du
deppert, die is schoarf“. So redete sich der zweitgrößte
Freiheitliche aller Zeiten um Kopf und Kragen. „Er sagt, was er
denkt“, war einst ein Wahlspruch Straches. Und wie. Zweifellos ist
das auch eine Schmutzkübelkampagne, aber auf dem Schmutzkübel, wo
Strache draufsteht, ist Strache drinnen. Kotproduzent war er selbst.

Krone übernehmen, ORF
privatisieren, Bauaufträge an russische Oligarchen. Das sind doch
klare Ansagen. Hinter den Kulissen lässt Strache alle Vorsicht und
Rücksicht fahren. Da geht es „Zack, zack, zack“, wie er es
ausdrückt. Der Mob geriert sich als Elite. Dass gerade dieKrone
, das größte Boulevardblatt des Landes zum „Ziel übler
Machtübernahmegelüste“ wurde, muss schon verwundern wie auch
deren Chefredakteur feststellt: „Ausgerechnet die „Kronen
Zeitung“, die sich über Jahre um ein korrektes Verhalten zu den
Freiheitlichen bemüht“ hat.

Wo sagt Strache die Wahrheit, und wo blufft er? Wenn er den Investor René Benko, den Waffenproduzenten Gaston Glock oder den Glücksspielkonzern Novomatic als Großspender der FPÖ benennt, ist nicht davon auszugehen, dass hier einer nur seine Wünsche vorträgt. Inzwischen tobt um die Krone ja wirklich ein Machtkampf diverser Gesellschafter, bei dem der milliardenschwere Benko eine maßgebliche Rolle spielt. Interessant ist, wie Forian Klenk vom Falter bemerkte, dass Strache von Benkos Vorhaben bereits vor dessen Einstieg bei der Krone im Jahr 2018 gewusst hat. Über diese clandestinen Verflechtungen wäre zu reden statt sich mit dem obligaten Dementi diverser Anwälte und Presseabteilungen abspeisen zu lassen. Auch wenn des öfteren irre Verschwörungstheorien fabriziert werden, ist nicht davon auszugehen, dass es keine Verschwörungen gibt. Dass das große Kapital Interesse hat, gerade eine solche Partei der kleinen Leute zu unterstützen, liegt jedenfalls auf der Hand. Strache mag angeben und übertreiben, aber dass das alles eine glatte Lüge ist, ist unwahrscheinlich.

Dass die FPÖ immer nur mit der
Korruption der anderen Schwierigkeiten hat, sollte nach den letzten
30 Jahren ebenfalls schon aufgefallen sein. Und wie das lasche
Parteienfinanzierungsgesetz mittels nahestehenden Vereinen oder
anderweitig zu umgehen ist, ist ein beliebtes Spiel des politischen
Schwarzmarkts. Nicht bloß Freiheitliche dürften es spielen. Aus
welchen Quellen die Kurz-Partei ihren letzten Wahlkampf finanzierte,
weiß man bis heute nicht.

Verlogenheit gegen Ungeheuerlichkeit

„Diese Respektlosigkeit toleriere ich
nicht“, sagt nun Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Indes
diese Respektlosigkeit ist kennzeichnend für die politische
Kommunikation, zumindest auf informeller Ebene. Der Unterschied liegt
vielmehr darin, das Heinz-Christian Strache dabei erwischt wurde, als
er in seinem Feriendomizil im Sommer 2017 in eine Falle gelockt
wurde. Vergessen wir nicht, dass ähnliches vor Jahren dem ehemaligen
christkonservativen Innenminister, Ernst Strasser passierte. Der ist
inzwischen rechtskräftig verurteilt worden, weil er für sein
Lobbying als EU-Delegationsleiter der ÖVP auch gleich sein Honorar
nannte. Strasser ist der Sunday Times auf den Leim gegangen.

Das sattsam bekannte Gerede vom „Amt
in Demut ausüben“, von den stets strapazierten „Werten“, von
der „liberalen Demokratie“ und den „unabhängigen Medien“
usw. hilft und führt überhaupt nicht weiter. Es verklärt geradezu,
ist obszön auf andere Weise. Zu diskutieren wäre vielmehr die
Synchronisierung von Geschäft und Politik, die Verstrickung von
Journalismus und Macht, die Kohärenz von ökonomischen Wert und
ideologischen Werten. Auch die nur auf den ersten Blick schräge
Kombination aus Politik, Alkohol und Sex wäre zu untersuchen, nicht
ausschließlich voyeuristisch zu akzentuieren. Dass derlei geschehen
wird, ist auszuschließen. Auch die äußerst banale, aber
grundlegende Frage: was Politik überhaupt (noch) können kann,
bleibt ungestellt. Gebannt sehen wir auf die Phänomene ohne zu
begreifen, was sich tut.

Gegen den populistischen Striptease
wider Willen setzen Medien und Politik abermals auf die liberale
Verkleidung, den Dresscode des Mainstreams. Die Ereignisse bedürfen
weniger einer Entschuldigung als einer Erklärung. Es geht nicht um
Schande und Scham, sondern um eine Struktur der Schamlosigkeit. Der
Salon ist so wie die angeblich nicht salonfähige FPÖ. Das
demonstrative Zeigen auf die Schmuddelkinder ist Ablenkung.
Angesichts der Geschehnisse fassungslos zu sein, ist ein geistiges
Armutszeugnis. Nachdenken wäre besser als fremdschämen.

Aktuell hat die Verlogenheit gegen die
Ungeheuerlichkeit eine Schlacht gewonnen. Mehr ist nicht. Freilich
wer den letzten Samstag in Wien erlebte, musste wirklich denken, hier
habe eine kleine Revolte stattgefunden, bei der ein Bündnis
fortschrittlicher Kräfte sich gegen die rechtsrechte Pack
durchgesetzt hat. Solch Analyse krankt an allen Ecken und Enden. Im
Prinzip ist Strache medial abserviert worden, was nicht schade ist,
aber doch einen anderen Sachverhalt ausdrückt. Wenn Sebastian Kurz
sagt: „Ich möchte in Zukunft ohne Skandale regieren“, dann ist
der Appell bar jeder Erkenntnis, nicht mehr als simple Propaganda,
Blendwerk für Gläubige. Wie viele Skandale brauchen wir noch um zu
sehen, dass das nicht geht. Gerade der Zusammenhang von Skandal und
Normalität bedürfte einer Aufdeckung. Skandalisierung und
Kampagnisierung der Politik sind selbst Zeichen der Erosion des
Politischen.

Verheerend ist das Sittenbild
zweifellos, aber ist es auch verzerrend? Wenn Van der Bellen sagt:
„So sind wir nicht“, dann stellt sich die Frage, was dem guten
Mann in den 25 Jahren, die er nun in der Politik weilt, aufgefallen
ist. Ist das mehr als eine staatsbürgerliche Andacht? Was Strache
ohne es zu wollen aufdeckt, decken solche Kommentare wieder zu. Von
Erkenntnisgewinn wäre es, zu betonen, dass in der Realität vieles
nicht anders läuft als Strache es da großkotzig beschreibt. Das
Land badet wieder einmal in einer Real Soap. Doch was als Operette
erscheint, ist keine. Es ist der exemplarische wie dramatische
Niedergang der Politik insgesamt, der sich hier spiegelt. Was stabil
schien, wird immer fragiler. Keine Beschwörung der liberalen
Demokratie wird das verhindern.

Wer die Alternative zu den
Rechtspopulisten in Kurz und Weber, Timmermann und Verhofstadt sieht,
wird die Strache, Orbán oder Salvini bekommen. Wenn der Politologe
Peter Filzmeier meint, dass „Kurz bei der Partnerwahl ins Klo
gegriffen hat“, dann stimmt das nur bedingt. Was das Personal
betrifft, ist das richtig, aber was die Inhalte angeht, hat der
ÖVP-Chef in schlüssiger Manier zu jenen gegriffen, die ihm am
nächsten stehen. Zwischen die programmatischen Vorstellungen der
Koalitionsparteien passte und passt wirklich kein Löschblatt. Beide
entwachsen dem gleichen Abort der Unmenschlichkeit. Die bisherigen
Maßnahmen der türkis-blauen Koalitionsregierung wurden allesamt
ohne Friktionen oder gar Turbulenzen beschlossen, beide Parteien
betonen zurecht ihr bisher gutes Arbeits- und Vertrauensverhältnis.

Misstrauen und Neuwahl

Schon vor dem Ibiza-Gate war die FPÖ
allerdings in die Defensive geraten. Zuletzt trieb nicht die FPÖ die
ÖVP vor sich her, sondern umgekehrt. Strache musste seit Wochen
zurückrudern, wirkte angeschlagen. Zwei Beispiele von vielen: Als
die Kontakte der Identitären zum Christchurch-Attentäter ruchbar
wurden, distanzierten sich die Freiheitlichen prompt von den bisher
gut gelittenen Freunden. Als der Braunauer Vizebürgermeister in
einem Gedicht Migranten mit Ratten verglich, wurde er des Amts
enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Strache reagierte stets,
wenn auch meist erst auf Zuruf des ÖVP-Vorsitzenden.

Langsam, aber doch, sollte auch das
zweite und dritte Glied in der Partei begreifen, dass es gilt, die
Nazisau ja nicht rauszulassen, sondern einfach die Pappen zu halten.
Dafür dürfe man sich an den Futtertrögen artig und gierig
anstellen. Das Problem war aber, dass die vielen „Einzelfälle“
nicht aufhörten und den Prozess der Normalisierung immer wieder
konterkarierten. Es ist auch nicht leicht, den Leuten das
abzugewöhnen, was sie bisher viele Jahre ungehemmt und mit
Unterstützung der Vorderen getrieben haben. Erwähnenswert bleibt,
dass die FPÖ nicht über ihren seriellen Rassismus oder eine
antisemitische Attacke gestolpert ist, sondern über einen ordinären
Skandal, wo es ausschließlich um Geschäfte und Medien ging.

Kurz versucht nun einmal mehr sich als
verantwortungsbewusster Staatsmann zu inszenieren, vor allem aber die
Gunst der Stunde zu nutzen. Die erste Erklärung des Kanzlers am
Samstag glich bereits einer Wahlkampfrede. Implizit bat er die
Zuschauer der Abendnachrichten ihn mit einer absoluten Mehrheit
auszustatten. Das wird zwar nicht aufgehen, doch Chancen kräftig
zuzugewinnen hat er. Im September wird gewählt.

Ein eher verwirrendes Bild liefert die
Sozialdemokratie. Zuerst konnte sie sich zu keiner Neuwahlforderung
durchringen, wollte gar das Statement des Bundeskanzlers abwarten.
Nicht einmal zu einem dezidierten Koalitionsbruch mit den
Freiheitlichen im Burgendland konnte sich die Partei durchringen,
lediglich die Wahlen wurden um eingie Monate vorverlegt. Außerdem
ist in der laufenden maskulinistischen Posse „Männer rechnen mit
Männern ab“ für Frauen keine Hauptrolle vorgesehen. Die
Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner wirkt bisweilen zögerlich wie
abwesend und hat stets mit Loyalitätsproblemen zu kämpfen. Der mit
der FPÖ regierende burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter
Doskozil dürfte sich als Sargnagel der SP-Chefin erweisen. Ob die
SPÖ nun mit ihrem Vorhaben Bundeskanzler Kurz mit einem
Misstrauensvotum im Parlament zu stürzen, reüssieren kann, wird
sich weisen. Der Befreiungsversuch ist riskant, auch weil man dafür
ausgerechnet die Zustimmung der FPÖ bräuchte. Die geschwächten
Grünen werden froh sein, wenn sie im Herbst wieder in den
Nationalrat einziehen. Dafür wird die Liste des abtrünnigen Peter
Pilz rausfliegen.

Skandal und Skandalpartei

Zu erwarten ist, dass es der FPÖ
wiederum gelingen wird, Fuß zu fassen, eben weil es das
populistische Bedürfnis gibt, dieses keineswegs aus der Welt ist. An
dieser Realität werden die Ereignisse (die keine Entwicklungen
darstellen!) der letzten Tage nichts ändern. Das
Autoritätsverhältnis zwischen rechtem Publikum und Führung ist
gestört, aber nicht zerstört. Die Niederlage, die der
Rechtspopulismus da zwischen Ibiza und Wien eingefahren hat, ist eine
konjunkturelle Delle. Auch die nun folgenden Wahlniederlagen werden
sich in Grenzen halten. Tatsächlich zeigt sich immer wieder, dass
der Aufstieg der FPÖ nicht mit obligaten politischen Mitteln und
medialen Geschützen gestoppt werden konnte. So sind auch die
Freiheitlichen nicht am Ende.

Skandale schadeten der Skandalpartei
immer nur kurzfristig. Würden Affären die FPÖ umbringen, wäre sie
schon längst mausetot. Sie treffen nicht den Nerv geschweige denn
die Substanz dieser Bewegung. Was gemeinhin als Blamage
sondergleichen gilt, wird in der FPÖ-Anhängerschaft als fremder
Übergriff dunkler Mächte halluziniert. „Jetzt erst recht!“ In
einer WhatsApp-Nachricht an FPÖ-Funktionäre am Abend des 18. Mai
gab sich der soeben gestürzte Strache kämpferisch: „Wir werden
denen einheizen“, schrieb er. Noch sind die in die Pfütze
gefallenen Streichhölzer freilich feucht. Aber sie können
auftrocknen.