Alptraum Elektroauto

Unter dem Titel „Alptraum Auto“
fand im Jahr 1986 in München eine Ausstellung zum 100. Geburtstag
des Automobils statt, die sich mit den Auswirkungen der Motorisierung
kritisch auseinandersetzte. Jetzt, mehr als 30 Jahre später – nach
der Dieselkrise –, setzt die Autoindustrie auf einen neuen Anfang
und forciert die E-Mobilität. Seit den 1970er Jahren hat die
weltweite Automobilbranche fünf Krisen überstanden und ist aus
jeder gestärkt hervorgegangen. Wurden im Jahr 1960 weltweit 16,5
Millionen Autos gebaut, hat sich der Ausstoß nach der Ölkrise in
den 70er Jahren auf 40 Millionen erhöht. Trotz diverser Rückschläge
für die Autobauer wurde die Produktion inzwischen auf 100 Millionen
Stück pro Jahr gesteigert.

Nunmehr soll eine weitere Steigerung
mittels massenhafter Produktion von E-Autos erfolgen. Dies ist die
These von Winfried Wolf, die er in seinem neuen Buch „Mit dem
Elektroauto in die Sackgasse“ aufstellt. Der promovierte
Politikwissenschaftler beschäftigt sich seit den 80er Jahren
eingehend mit Verkehrspolitik. Von 1994 bis 2002 war er Abgeordneter
im deutschen Bundestag für die PDS, später für die Linke. 1986
publizierte er sein Standardwerk „Eisenbahn und Autowahn“.
Seither hat er das Thema einschlägig bearbeitet und immer wieder
Veröffentlichungen getätigt.

Mit vielen Daten gespickt beschreibt
Wolf die Probleme, die bei der vermehrten Herstellung von
Elektroautos auftreten. Zum einen sind es Fragen der für die
E-Mobile benötigten Rohstoffe. Ist es für die E-Motoren vor allem
das bereits selten gewordene und dadurch teure Kupfer, so wird für
die Anfertigung von Batterien vor allem Lithium und Kobalt benötigt.
Beides sind äußerst seltene Rohstoffe, die im Fall von Lithium im
südlichen Teil Lateinamerikas in hochandinen, sensiblen Regionen
Chiles und Argentiniens vorkommen und nur unter umweltzerstörerischen
Bedingungen abgebaut werden können.

Zum anderen ist es die mit dem
Autogebrauch verbundene Umweltbelastung. Winfried Wolf versucht
nachzuweisen, dass die Ausweitung des E-Anteils, die vor allem in
China forciert wird, gleichzeitig auch einen massenhaften Anstieg des
Verbrennungssektors zur Folge hat. Und natürlich wird Strom zur
Aufladung der Batterien benötigt. Dieser kommt in China, dem Land
mit den meisten Elektroautos, vor allem aus Kohle- und
Atomkraftwerken. Bis 2050 sollen in China deshalb an die 100
Atomreaktoren am Netz sein. Eine gefährliche Entwicklung, denn der
nächste Gau ist wohl nur eine Frage der Zeit.

Der Bau einer Batterie für einen Tesla
ist ähnlich umweltbelastend wie der achtjährige Betrieb eines
Verbrennungsmotors. Tesla ist der Inbegriff für Elektroautos.
Firmenchef Elon Musk versteht es offenbar, sich bzw. seine Autos zu
verkaufen. Obwohl die Marke einschließlich des neuen, als
massentauglich gepriesenen Modell 3, das in Österreich noch nicht zu
haben ist, ausschließlich leistungsstarke Luxusautos in einem
Preissegment von mehr als 50.000,- Euro herstellt oder verkauft.
Winfried Wolf schildert die „andere Marktwirtschaft“ von Tesla &
Musk ausführlich, die mit öffentlichen Förderungen und
Vorauszahlungen der Kunden Profite generiert. Musk, der auch in
Kooperation mit der Nasa gutes Geld verdient, indem er mit seiner
Firma Space X Nachschub zur Raumstation ISS transportiert, baut
momentan in der Wüste von Nevada an einem riesigen Batteriewerk.

Die massenweise E-Mobilproduktion soll
sich hauptsächlich in China abspielen, das mit seiner Vorgabe eines
10%-igen Anteils an strombetriebenen Autos aus der Smogbelastung
herauskommen will. Diese ist aber nicht nur auf die in den letzten
Jahrzehnten über China, das noch vor kurzem das Radfahrland Nummer
eins in der Welt war, hereingebrochene Motorisierung zurückzuführen,
sondern vor allem auf seine auf Kohle ausgerichtete Energie- und
Industrieproduktion.

Können in China, das noch immer ganze
Städte aus dem Boden stampft, Infrastrukturmaßnahmen für E-Autos
gleich mitgeplant werden (etwa Stromtankstellen in Parkgaragen), ist
in Europas Städten der Umstieg auf E-Mobilität schwer vorstellbar
und wird zumindest mittelfristig eine Minderheitenveranstaltung
bleiben. Hausbesitzer mit eigener Ladestation – im besten Fall
Fotovoltaik – tun sich da leichter. Somit werden laut Wolf E-Autos
gehobeneren Schichten als Zweitautos vorbehalten bleiben.

Die Probleme des Individualverkehrs
bleiben auch bei Elektroantrieb bestehen. Das ist einerseits der
enorme Platzverbrauch, der mit Zweitautos noch größer wird,
andererseits das Unfallrisiko. Nur in wenigen begünstigten Ländern
(Österreich Norwegen, Schweiz) gibt es einen Energiemix, der nicht
den Bau weiterer fossiler oder atomarer Kraftwerke notwendig macht.
Einzig die geringe Lärmentwicklung von E-Mobilen, die von den
Autoherstellern immer beworben wird, erscheint als Vorteil. Im Buch
wird jedoch aufgezeigt, dass die Fahrtgeräusche von Elektroautos ab
einer Geschwindigkeit von etwa 35 km/h denen von Fahrzeugen mit
Verbrennungsmotor vergleichbar sind. Das bewirken Abroll- und
Windgeräusche. Ab Mitte 2019 müssen Elektroautos zusätzlich
künstlichen Lärm machen. Hier wurde Forderungen von
Blindenverbänden Rechnung getragen, damit Sehschwache durch
entsprechende Warngeräusche vor Unfällen geschützt werden.

Einen Ausweg aus der Mobilitätskrise
sieht Wolf in einer Verkehrswende: Die drei „grünen“
Verkehrsarten Zufußgehen, Radfahren und öffentlicher Verkehr müssen
begünstigt, die „roten“, zu denen der Autoverkehr zählt,
eingeschränkt werden. Bei der Ausstellung „Alptraum Auto“ wurden
diese Maßnahmen damals unter dem Begriff „Allgemeine
Verkehrsberuhigung“ zusammengefasst. Eine Maßnahme, die auch schon
40 Jahre oder länger von Umweltgruppen und Grünen Parteien
gefordert wird, gar nichts kostet und eine sofortige Reduktion der
giftigen Autoabgase bringt, ist die Reduzierung der Geschwindigkeit
(100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Bundesstraßen).

Winfried
Wolf: Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Warum E-Mobilität den
Klimawandel beschleunigt, Promedia 2019, 216 Seiten, ca. Euro 17,90