Pop und Populismus

Streifzüge 69/2017
von Roger Behrens

 

Pop, sollte man meinen, ist doch je schon und von Anfang an, seit den fünfziger Jahren, populistisch: Wie „Pop“ einst, sei der Populismus heute auch und vor allem: Kampfbegriff – wenn auch jener offensiv und affirmativ, dieser hingegen negativ, als Vorwurf; sowieso stecke etymologisch, zumindest wenn „Pop“ als Abkürzung für das Populäre verstanden wird, in beiden Wörtern das lateinische „populus“ = Volk. Und wenn die Rede vom Rechtspopulismus ist, sind es dann nicht die Popstars, die Musikerinnen und Bands, die dagegen einen wie auch immer viralen und vitalen, energischen und fröhlichen Linkspopulismus setzen? Pink? Eminem? Madonna? Sido? Rage Against The Machine? Früher: Nena? Gil Scott-Heron, The Last Poets? Die Liste ist lang und wird immer länger. Jennifer Rostock (gegen die AfD) und selbst Roland Kaiser (gegen Pegida) sind dabei. Das hauseigene Label von Ton Steine Scherben hieß immerhin David Volksmund Produktion (s. Streifzüge 40/2007). Leichtfertig behauptete ich einmal, dass Blumfeld „mit den Mitteln der Popmusik einen linken Populismus formulier[t]en“ (taz, 27.09.2001; gemeint war das als Agit-Prop oder Agit-Pop, als Widerstand gegen damals wieder groß in Hamburg aufmarschierende Nazis; Blumfeld, Tocotronic etc. hatten sich an den Gegendemonstrationen u.a. mit kostenlosen Konzerten beteiligt). Und schließlich hatte schon Woody Guthrie 1943 auf seiner Gitarre stehen: „This Machine kills Fascists“!

In seiner Naivität und Banalität ist diese Gleichsetzung von Pop und Populismus allerdings bestenfalls halbwahr und genau genommen schlechterdings falsch. Des Volkes Stimme ist indes immer noch „His Masters Voice“. Denn halbwahr ist das nur hörbar als selbst schon populistisch missverstandener Pop, im Sinne oder Unsinn dessen, was Leute wie Andreas Gabalier oder Xavier Naidoo produzieren. Falsch mithin ist es, weil Pop streng genommen, also in seiner historischen Konstitutionsbewegung richtig verstanden, ja keineswegs bloß die Abkürzung für „populär“ ist; und wo Pop mit dem Populären affiziert ist, ist es eben nicht Folklore, eben nicht das mystifizierte Authentische beziehungsweise eine derart authentifizierte Ideologie von Natur und Nation. Vielmehr gilt das Gegenteil und wurde auch das Gegenteil über die Jahrzehnte seit den 1950ern verteidigt: Pop ist international, modern, kommunikativ, auf die gesellschaftlichen Verkehrsformen orientiert – freilich ökonomisch strukturiert durch Kommerzialisierung und Kommodifizierung, kurzum: strukturiert als Kulturindustrie. Das jedoch, dialektisch in trivialster Weise, bildet den Umschlag wiederum ins Populistische: denn das gesellschaftliche Feld des Populismus – der Aktionsraum seiner Akteure und Gegenakteure, überhaupt seine Bühne und seine Inszenierungen – ist, bei aller Asozialität des Populismus, die auf die Gesellschaft ubiquitär ausgeweitete Kulturindustrie.

„Populistisch“ am Pop ist die Struktur, sind die Verfahrens- und Vermittlungsweisen der allgegenwärtigen Kulturindustrie. Derart in den Pop integriert und heute, nachdem sich die postmoderne Beliebigkeit postmodern ins absolut Beliebige überschlagen hat, als Pop generiert, zeigt sich, inwieweit Populismus einen relativ selbstverständlichen Modus der politischen Ideologie zeitigt: er ist Ästhetisierung der Politik unter Bedingungen demokratisch verfasster Gesellschaften, die diese Verfasstheit nicht mehr gesellschaftlich umsetzen können. Über ein „Legitimationsproblem“ (Habermas) geht das hinaus: Populismus bedeutet die Aufkündigung der Öffentlichkeit als Sphäre politischen Handelns. Noch in den 1970ern und 1980ern wurde diese Sphäre medial garantiert, Pop bildete mit seinen subversiven Versprechen den Rahmen, um soziale Konflikte kulturell, ja sogar „kulturrevolutionär“ auszutragen: gegen die Politik des Establishments wurde die Politik des Pop gesetzt – bis sie dann in den Pop übertragen wurde.

Egal ob Rolling Stones, Abba, Donna Summer, James Brown oder Yoko Ono und John Lennon: Pop war ein politisches Statement. Zunächst wurde die kulturindustrielle Zeichenproduktion okkupiert, mit Punk, Postpunk und Hardcore sollte auch die Realproduktion übernommen werden. „Ein charakteristisches Merkmal der kulturrevolutionären Strategie der späten sechziger Jahre war der Medienoptimismus, die trügerische politische Hoffnung, aus der proletaroiden egalitären Struktur der Massenmedien lasse sich eine Umschichtung der Verfügungsgewalt über sie ableiten.“ (Peter Gorsen: Transformierte Alltäglichkeit, 1981, S. 249) Wenn jemand wie Bob Dylan den Nobelpreis bekommt, kann das auch als sich wehmütig erinnernder Reflex darauf verstanden werden.

Was heute als Populismus agiert, steht dem diametral entgegen, ist – in alter Terminologie – konterrevolutionär. Populismus ist die Imagination der „Macht des Volkes“. Als Imagination ist der Populismus unmittelbar mit „Images“, also mit Bildern verknüpft; wobei „Macht“ und „Volk“ gleichsam die zentralen Images sind und spektakulär überblendet werden. Populismus bewegt sich damit jenseits der Reste bürgerlicher Öffentlichkeit, wird zur Signatur dessen, was seit den 1990er Jahren unter dem Stichwort „Postdemokratie“ registriert wird. Die Medien sind dabei nicht mehr nur (technische) Träger von Botschaften, sondern sind identisch mit den Botschaften, so wie McLuhan es postulierte. Dass der aktuelle Populismus sich vollständig innerhalb der Medien abspielt (Trump und Twitter), die mittlerweile als „Technopol“ (Postman) bzw. „integriertes Spektakel“ (Debord) die alten Deutungsmuster der Popkultur absorbiert und liquidiert haben, verweist auch darauf, wie weit die bisher zwar immer auch widersprüchlichen, doch insgesamt gültigen Vermögen und Verbindlichkeiten der bürgerlichen Ideologie erodiert sind.

Das Technische löst das Politische ab; deshalb ist es auch so schwierig, den Populismus und seine Kritik formal wie inhaltlich zu definieren; gerade in der Regie der Medien wird der Populismus technisch zum politischen Funktionalismus.

Auch die Kritik ist diesem Funktionalismus unterworfen: Kritik des Populismus „funktioniert“ nur in der ironischen Totalübertreibung, im drastischen und derben Witz (vgl. Hamilton: Pop sei u. a. „witty“, Streifzüge 67/2016). „Mainstreammedien“ wie ausgerechnet das eher konservative ZDF bieten hier die Popnischen: „Heute-Show“, „Neo Magazin Royale“ etc.