Krisenimperialismus – Teil 2

von Tomasz Konicz Teil 1, Teil 3

Wie die Großmächte mit ihrem neoimperialistischen Great Game auf einen neuen Großkonflikt zusteuern.

Was braucht die kriselnde und instabile kapitalistische One World derzeit am dringendsten? Bessere Atomwaffen selbstverständlich! Mitte November kündigte das US-Verteidigungsministerium an, binnen der nächsten Dekade 355 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung des Atomwaffenarsenals der Vereinigten Staaten zu investieren.

Die USA sind nicht allein in ihrem Bemühen, ihre nuklearen Massenvernichtungswaffen auf den neusten Stand der Technik zu bringen. Die Vereinigten Staaten „müssen weiterhin glaubwürdig bleiben“, erklärte Maj. Gen. Sandra Finan, Kommandeurin der Nuklearstreitkräfte der US-Airforce anlässlich der Ankündigung dieses Modernisierungsprogramms, da „rivalisierende Mächte Milliarden in die Verbesserung und Modernisierung ihrer nuklearen Systeme investieren“. Finan deutete damit auf das russische Rüstungsprogramm, das Militärausgaben von rund 560 Milliarden US-Dollar binnen der nächsten sechs Jahre vorsieht – an die 25 Prozent dieser Summe sind für das militärische Nuklearprogramm Russlands vorgesehen. Im vergangenen September führte Russland einen erfolgreichen Test einer neuen Interkontinentalrakete durch.

Mag die Weltwirtschaft schwächeln, der Atombombenbau hat derzeit Hochkonjunktur. Das Militär aller relevanten Atommächte sei derzeit bestrebt, seine Atomwaffen auf den neusten Stand der Technik zu bringen, wie Hugh Chalmers, Experte für Nuklearwaffenkontrolle am Londoner Thinktank Royal United Services Institute, gegenüber der International Business Times erklärte:

Alle Atomstaaten führen im Moment irgendeine Form von nuklearer Modernisierung durch, oder sie werden bald in diesen Prozess eintreten. Du kannst dich in der Welt umschauen und überall die Entwicklung neuer Raketen, neuer Atom-Uboote, neuer Cruise Missiles beobachten, deswegen sind die USA sicherlich nicht alleine in ihren Anstrengungen, ihre nuklearen Streitkräfte zu modernisieren.

Damit würden die Verpflichtungen der Nuklearmächte, ihre während des Kalten Krieges aufgebauten Waffenarsenale zu reduzieren, im Vorfeld einer für 2015 angesetzten diesbezüglichen Konferenz ausgehöhlt, warnte Chalmers.

Enormes Eskalationspotenzial

Die nukleare Aufrüstung oder Modernisierung ist mitunter schon länger geplant gewesen, sie wird aber aufgrund der aktuellen geopolitischen Entwicklung forciert. Die militärische Mobilisierung und die damit einhergehenden Drohgebärden zwischen den Machtblöcken nehmen seit Monaten zu. Nachdem die NATO damit begonnen hat, in Reaktion auf die Annexion der Krim eine neue schnelle Eingreiftruppe für Osteuropa aufzustellen und US-Truppen ins Baltikum zu verlegen, sind die russischen Luftstreitkräfte zu einer massiven Ausweitung ihrer Aktivitäten übergegangen, die seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr zu beobachten gewesen war.

Anfang Dezember fand – nahezu unbeachtet von der Öffentlichkeit – die bislang größte diesbezügliche Konfrontation über der Ostsee statt, als Dutzende von NATO-Flugzeugen sich abmühten, rund 28 russische Kampfflugzeuge, darunter auch atomwaffenfähige strategische Bomber, abzufangen, die in einer Machtdemonstration binnen kürzester Zeit in der Ostseeregion ausschwärmten. Dieser Blitzvorstoß stellte nach Ansicht von Beobachtern eine Reaktion auf die Verlegung von atomwaffenfähigen Bombern der NATO ins Baltikum – also direkt an die Grenzen Russlands! – dar.

Die Konfrontationen weisen ein enormes Eskalationspotenzial auf, da es hierbei sehr schnell zu einem unbeabsichtigten Zusammenstoß kommen kann – wie etwa Anfang März in Dänemark, als ein russisches Spionageflugzeug beinahe mit einem Passagierflugzeug kollidierte. In diesem Jahr wurden 40 solcher „gefährlichen Zwischenfälle“ gezählt. Wie nah sich die Kontrahenten bei diesen Abfangmanövern mitunter kommen, zeigt ein Video der norwegischen Luftwaffe.

Warnungen vor einer neuen nuklearen Katastrophe

Der letzte sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow warnte folglich bei einer Berliner Rede anlässlich des Mauerfalls vor einem neuen Kalten Krieg und einer drohenden Katastrophe, sollten die Spannungen zwischen Ost und West nicht bald abgebaut werden. Der Westen habe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Schwäche Russlands ausgenutzt und die Grenzen der NATO entgegen früherer Zusagen massiv nach Osten verschoben.

Euphorie und Triumphalismus haben die Köpfe der westlichen Führer vernebelt. Unter Ausnutzung der Schwäche und des Souveränitätsverlusts Russlands beanspruchten sie ein Führungsmonopol und die Dominanz in der Welt…

Auch Noam Chomsky, einer der führenden Intellektuellen der USA, warnte in einem Interview mit Russia Today vor einer drohenden nuklearen Katastrophe, die bei einer Eskalation des gegenwärtigen Konflikts die menschliche Zivilisation auslöschen würde:

Das schlimmste Szenario stellt natürlich ein Atomkrieg dar, der furchtbar wäre. Beide Seiten, die ihn initiierten, würden ausgelöscht werden. Die Welt ist in der Vergangenheit etliche Male knapp an diesem Worst-Case-Szenario vorbeigeschlittert. Und dies könnte wieder passieren, nicht unbedingt geplant, sondern als Folge einer Serie von Interaktionen der Konfliktparteien. Es lohnt, sich in Erinnerung zu rufen, dass der Erste Weltkrieg vor Hundert Jahren infolge solcher Interaktionen ausbrach. Der Erste Weltkrieg war schrecklich genug, aber dessen aktuelle Wiederaufführung würde das Ende der menschlichen Spezies bedeuten.

Zusätzliches Öl ins Feuer gossen Resolutionen des US-Senats und Repräsentantenhauses, die weitere Sanktionen gegen Russland und direkte Militärhilfen für die Ukraine fordern, sowie Drohungen des Pentagons, die Stationierung von Atomwaffen in Europa auszuweiten. In russischen Medien wurden hierauf Stimmen laut, die davor warnten, dies Vorgehen läute einen Neuen Kalten Krieg ein – und bringe Russland und den Westen einer militärischen Konfrontation näher.

„Die westlichen Führer nehmen deutlich wahr, dass ihre Macht schwindet“

Warnungen vor einem Großkrieg zwischen Ost und West ertönen nicht nur in Moskau, auch westliche Analytiker warnen vor einer unkontrollierbaren Eskalation. Helge Luras, Direktor des norwegischen Thinktanks Centre for International and Strategic Analysis (SISA), sieht die Großmächte in einen Nuklearkrieg schlafwandeln.

Bisher habe die NATO es noch nie gewagt, eine andere Atommacht herauszufordern, und deswegen habe sie ihre bisherigen politisch-militärischen Eskalationen überlebt, so Luras, aber im Fall Russlands könnte die „fehlerhafte westliche Selbsteinschätzung“ zu einem katastrophalen Krieg führen. Das auf „Vermutungen“ basierende Bedrohungsszenarios in den baltischen Staaten und Polen, das die NATO zum Vorwand nahm, um „militärische Ressourcen“ in diesen Raum zu verlegen, könnte sich nun zu einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“ wandeln, warnte Luras. In der Ukraine stehe für Russland „viel mehr auf dem Spiel als für den Westen“. Deswegen könne Russland es nicht zulassen, dass es in diesem geopolitischen Kampf unterliege.

Seit dem Ende des Kalten Krieges habe der Westen große Teile des postsowjetischen Einflussbereiches unter seine Kontrolle gebracht, dessen „hegemoniales Denken dies als natürlich ansah“. Doch nun dreht sich der Wind:

Die westlichen Führer nehmen deutlich wahr, dass ihre Macht schwindet. Das Zeitalter der Nationenbildung in weit entfernten Ländern geht für uns zu Ende. Das Ende der Omnipotenz, in der Tat ein Paradigmenwechsel, ist selbstverständlich traumatisch und schwer mit einem kühlen Kopf zu reflektieren. Aber der Schwund der politischen Macht des Westens geht nicht einher mit einer korrespondierenden Schwächung der militärischen Muskeln.

Die gegenwärtige geopolitische Eskalation entfaltet sich somit nicht aus einer Position der Stärke, sondern aufgrund eines massiven Verlusts („Paradigmenwechsel“) der Machtmittel des Westens. Hier scheint eine Ahnung des wahren Charakters des gegenwärtigen neoimperialistischen Großmachtpokers zwischen Ost und West auf. Es ist ein Kampf gegen den Abstieg – gegen den Verlust der dominanten oder hegemonialen Stellung der beteiligten Mächte.

Globales Chaos und Abstieg Amerikas

Ähnlich argumentierte die US-Analystin Rosa Brooks von der New Armerica Foundation, die in ihrem Beitrag für die Zeitschrift Foreign Policy das globale „Chaos“ und den Abstieg Amerikas deutlich benannte – und entgegen dem Mainstream der geopolitischen Politberater eine Art georderten Rückzug der Vereinigten Staaten aus ihrer hegemonialen Stellung im Weltsystem vorschlug. Und es sind selbstverständlich die sozioökonomischen wie politischen Folgen der sich zuspitzenden kapitalistischen Systemkrise, (Die Krise kurz erklärt) insbesondere des letzten globalen Krisenschubs von 2007/08, die diesen geopolitischen Abstiegskampf auslösten und immer weiter anfachen.

Die letzte Finanz- und Weltwirtschaftskrise brachte einen massiven Verelendungsschub und den sozioökonomischen Abstieg ganzer Regionen – etwa Südeuropas – mit sich, der zu einer massiven Zunahme der inneren Widersprüche in den betroffenen Ländern und der Verteilungskämpfe zwischen den Staaten und Wirtschaftsblöcken führte. Die eskalierenden Widersprüche einer dahinsiechenden Weltwirtschaft (Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst) und krisenbedingt zunehmender Systemzwänge treiben die Staatsapparate in verschärfte Konkurrenz, woraus global die zunehmenden Konflikte resultieren. Man kann für diesen Krisenimperialismus das Bild eines sinkenden Schiffes wählen, bei dem die Passagiere der ersten Klasse diejenigen der zweiten und dritten Klasse über Bord werfen, um noch etwas Zeit zu gewinnen – bis sie selbst an die Reihe kommen. Eine ganz ähnliche geopolitische Lage herrschte nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Negative Krisenkonkurrenz

Die krisenbedingt zunehmende Neigung der morschen Staatsapparate der neoimperialistischen Großmächte, mittels äußerer Expansion die wachsenden inneren Widersprüche zu überbrücken, bildete letztendlich auch den wichtigsten Faktor bei der Eskalation des Ost-West-Konflikts um die Ukraine. Es ist absolut klar, dass es sich hier nicht um einen klassischen, von expandierender Kapitalverwertung befeuerten Eroberungszug handelt, bei dem die geopolitischen Akteure um die Kontrolle etwa der maroden ostukrainischen Industrie ringen. Es handelt sich hier vielmehr um eine „negative“ Krisenkonkurrenz, bei der die jeweiligen Machtblöcke ihren Abstieg auf Kosten der jeweiligen Konkurrenten zu verhindern trachten.

Konkret: Russland wollte mit der Einbringung der Ukraine in die vom Kreml forcierte Eurasische Union, die als Konkurrenzprojekt zur EU konzipiert war, seinen Status als eine global agierende Weltmacht halten. Bei der EU galt es folglich, das Aufkommen eines solchen Konkurrenten zu verhindern, der den europäischen Peripherieländern – für die „Europa“ aufgrund des deutschen Krisendiktats zusehends einem preußischen Kasernenhof gleicht – eine gangbare Bündnisalternative geboten hätte. (Let’s go East)

Die energiepolitische Kooperation Ungarns und Bulgariens mit dem Kreml (Stichwort: South Stream) in den vergangenen Jahren hat in Brüssel alle Warnlichter aufleuchten lassen. Die im Abstieg befindliche und hoch verschuldete Hegemonialmacht USA wiederum muss unbedingt den US-Dollar als Weltwährung retten, weswegen sie die Etablierung eines einheitlichen eurasischen Wirtschaftsraumes – bis vor Kurzem gab es auch innerhalb der deutschen Funktionseliten eine hierfür plädierende Strömung – um jeden Preis verhindern will. Die Eskalation in der Ukraine bildete somit den Keil, der eine diesbezügliche Annäherung zumindest mittelfristig unmöglich machen wird.

USA: Gelddruckerei und exzessive Schuldenaufnahme

Die krisenbedingt zunehmenden Widersprüche treiben somit die Staaten, denen das ökonomische Fundament wegzubrechen droht, in die Konfrontation. Offensichtlich ist dies – wie angedeutet – im Fall der USA. Washington steht inzwischen mit 17,8 Billionen US-Dollar in der Kreide, dies entspricht einer Staatsverschuldung von 101,6 Prozent des US-BI>. Nur zur Erinnerung: Vor Krisenausbruch 2007 lag die amerikanische Staatsschuld bei weniger als neun Billionen US-Dollar.

Um die Weltfinanzmärkte nach Krisenausbruch zu stabilisieren, hat die Fed im Rahmen ihrer Quantitative-Easing-Programme einen gigantischen Berg an Schrottpapieren und Staatsanleihen aufgekauft, sodass ihre Bilanzsumme von 800 Milliarden im Jahr 2008 auf aktuell 4000 Milliarden anschwoll. Diese Gelddruckerei und exzessive Schuldenaufnahme, mit der Washington die US-Konjunktur stabilisieren konnte, ist nur deswegen möglich, weil der US-Dollar die Reserve- und Weltleitwährung bildet, in der letztendlich ein Großteil der globalen Transaktionen – insbesondere im Finanz- und Rohstoffsektor – abgewickelt wird.

Würde der US-Dollar diese Position als Weltleitwährung verlieren, dann drohte den USA ein ähnlicher ökonomischer Zusammenbruch, wie sie überschuldete Staaten wie die Ukraine oder Griechenland erfuhren. (Die Ukraine als Griechenland des Ostens?) Und tatsächlich bemühten sich China und Russland in den vergangenen Monaten, die Position des Greenbacks als monetäre Grundlage der Weltwirtschaft in Frage zu stellen, auch wenn diese Angriffe allesamt verpufft sind; und dies nicht zuletzt aufgrund des – durch die Intervention des Westens in der Ukraine herbeigeführten – Scheiterns des russischen Projekts der Eurasischen Union, die ein Gegengewicht zur EU bilden und einen einheitlichen eurasischen Wirtschaftsraum etablieren sollte. Das geopolitische Agieren der USA ist somit an der strategischen Prämisse ausgerichtet, die Position des US-Dollar als Weltleitwährung um jeden Preis aufrecht zu erhalten, um einen Kollaps des heimischen Schuldenbergs zu verhindern.

Teufelskreislauf

Der US-amerikanische militärisch-industrielle Komplex, der zu einem guten Teil die Verschuldungsdynamik in den Vereinigten Staaten befeuert, gerät mit diesen geopolitischen Maximen in einen Teufelskreislauf: Die für weitere Schuldemnacherei unabdingbare Hegemonialstellung der wirtschaftlich schwächelnden USA, die in den vergangenen Dekaden eine breite Deindustrialisierung erfuhren, kann nur noch vermittels der militärischen Überlegenheit Washingtons aufrecht erhalten werden, deren Aufrechterhaltung weiterer kostspieliger – und schuldenfinanzierter – Rüstungsanstrengungen bedarf.

Von dem amerikanischen Schuldenturmbau profitieren aber auch exportorientierte Volkswirtschaften, die ihre Exportüberschüsse in den durch exzessive Handelsdefizite gekennzeichneten Binnenmarkt der USA absetzen können. Neben China erwirtschaftet vor allem die Bundesrepublik ernorme Handelsüberschüsse mit den Vereinigten Staaten, die sich im Vergangenen Jahr auf den Rekordbetrag von 67,2 Milliarden US-Dollar summierten (2012 waren es 59,9 Milliarden, 2011 49,5 Milliarden). Diese ernormen Handelsüberschüsse, deren wirtschaftliche Bedeutung aufgrund des Nachfrageeinbruchs in der Eurozone für die BRD zunimmt, ermöglichen erst das Fortbestehen des exportfixierten deutschen Wirtschaftsmodells, das ja bekanntlich auf der Erzielung möglichst hocher Ausfuhrüberschüsse beruht (Der Exportüberschussweltmeister).

Zum Vergleich sei hier angemerkt, dass die Bundesrepublik 2013 Waren im Wert von nur 38 Milliarden Euro nach Russland exportierte. Der deutsche Handelsüberschüss gegenüber den USA ist somit nahezu doppelt so hoch wie die deutschen Gesamtausfuhren nach Russland! In diesen harten ökonomischen Fakten ist wohl einer der wichtigsten Gründe zu finden, wieso sich Berlin im Vorfeld der Ukraine-Krise in die westliche Allianz einreihte, auch wenn weiterhin hierüber Meinungsverschiedenheiten innerhalb der deutschen Funktionseliten bestehen.

„Klappe zu, Frau Merkel!“

Die hochverschuldeten und bis an die Zähne bewaffneten USA stemmen sich mit Interventionen gegen den drohenden Verlust ihrer Hegemonialstellung, im Fall der BRD wurden die Krisenfolgen hingegen vermittels der aggressiven Wirtschaftspolitik auf andere Staaten abgewälzt. (Krugman redet Klartext) Die jahrelangen deutschen Handelsüberschüsse gegenüber der Eurozone, die seit der Eureinführung regelreicht explodierten, haben maßgeblich zur Deindustriealisierung, Verschuldung und Verelendung der Europäischen Peripherie beigetragen, während die BRD ihre Industriekapazitäten halten und die europäischen „Schuldenstaaten“ in eine reglerechte Schuldknechtschaft treiben konnte.

Europas Wirtschafts- und Sozialpolitik wird nun – in Gestalt des europäischen Spardiktats – weitgehend in Berlin formuliert, wobei die diesbezüglichen Mahnungen, Weisungen und Ultimaten der deutschen Politelite den europäischen Adressaten inzwischen die Zornesröte ins Gesicht treiben. Der französische Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon twitterte in Reaktion auf weitere Sparforderungen aus Berlin: „Klappe zu, Frau Merkel!“ Sekundiert wurde er vom Finanzminister Sapin, der Merkel aufforderte, künftig besser auf ihre Wortwahl zu achten. Die Kritik am deutschen Dominanzanspruch in Europa, die in Frankreich formuliert wird, ähnelt inzwischen den Reaktionen aus Moskau auf das zunehmend aggressive Gebaren der politischen Führungsriege Berlins: „Wir können kaum noch unsere Besorgnis darüber ausdrücken, was unsere deutschen Kollegen treiben,“ klagte der russische Außenminister Lawrow Anfang Dezember.

Die globale Krise des Kapitals, das hieraus resultierende globale Chaos, führt somit zu einem allgemeinen Anstieg der zwischenstaatlichen Spannungen und Auseinandersetzungen – auch innerhalb der „westlichen Wertegemeinschaft“. Und dennoch unternimmt der im Abstieg befindliche und von inneren Konkurrenzkämpfen zerrissene Westen derzeit einen neuen Versuch, die schwindende Hegemonie aufrechtzuerhelten: Nicht nur vermittels aggressiver neoimperialistischer Interventionen in der russischen Einflusssphäre, sondern auch vermittels des Aufbaus eines transatlantischen Freihandelsraums, des TTIP.

aus: Telepolis 29.12.2014