Studierende als Investitionsobjekte

von Tomasz Konicz

Es gehört inzwischen zum guten Ton in der Arbeitswelt, offen und affirmativ mit dem Warencharakter des eigenen Arbeitsvermögens umzugehen. Viele Lohnabhängige – insbesondere in der Mitteklasse – sehen sich ohne jedwede Illusionen tatsächlich als Warensubjekte, als Ich-AGs oder als Humankapital, das nur noch nach der Realisierung eines möglichst guten Marktpreises zu streben habe. Diese illusionslose und offene Zurichtung des Menschen zur Ware, die gerade in Reaktion auf die gegenwärtige kapitalistische Systemkrise forciert wurde, geht mit einer Fülle Orwellscher Strategien der „Selbstoptimierung“ einher, die auf die Hebung des Leistungsvermögens wie auch der „Soft Skills“ der zu „Unternehmern ihrer selbst“ mutierten Lohnabhängigen abzielen.

Wir alle müssen produktiver werden, wir müssen länger Arbeiten und uns schneller regenerieren. Während insbesondere im Ober- und Mittelbau der kriselnden Arbeitsgesellschaft die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit zusehend verschwimmen, sollen wir beständig effizienter, kreativer und flexibler agieren. Es gilt schlicht, das Bestehende unabhängig neu zu erfinden – ohne es jemals infrage zu stellen. Diese Techniken der Selbstoptimierung zielen letztendlich auf die Verinnerlichung der Anforderungen der „Wirtschaft“ – also der Imperative der Kapitalverwertung -, die nun krisenbedingt von den Lohnabhängigen in Eigenregie und neoliberaler „Selbstverantwortlichkeit“ geleistet werden soll. Die systemisch vermittelten Zwänge kapitalistischer Vergesellschaftung, die während der „Wirtschaftswunderzeit“ durch äußere Faktoren wie die hierarchische und zentralistische Arbeitsorganisation in der fordistischen Industrie realisiert wurden, werden nun in der verschärften Krisenkonkurrenz ins Innere der Lohnabhängigen eingebrannt.

Wenn schon der Lohnabhängige sich längst als eine permanent selbstoptimierende Ware wahrnimmt, so ist es doch nur noch ein kleiner Schritt, bis man sich auch als ein Investitionsobjekt begreift. Die „Unternehmer ihrer selbst,“ die nichts anderes als Ihre Arbeitskraft zu Markte tragen können, müssen perspektivisch auch um Investitionen zur Hebung ihres Humankapitals konkurrieren können – im Austausch für eine entsprechende Rendite, versteht sich. Und wo könnte diese neue Stufe der spätkapitalistischen Entfremdung des Menschen besser initiiert werden als im akademischen Bildungswesen, wo Karrieremöglichkeiten und finanzieller Aufwand in eine immer engere Wechselwirkung treten?

Gute Renditen und niedriges Risiko werden Investoren bei „Studentenaktien“ versprochen

Anfang September verabschiedete der Kantonsrat im zentralschweizerischen Luzern ein neues Stipendiengesetz (zip-Datei), das die Einführung einer sogenannten Studentenaktie vorsieht. Der betroffene Student wird hierbei buchstäblich zu einer Aktie: Private Investoren „kaufen sich quasi in die Ausbildung des Studenten ein und partizipieren nach abgeschlossener Ausbildung am Lohn des finanziell Unterstützten“, erläuterte das Portal Swiss Info. Der Student werde so „zum Spekulations- und Investitionsobjekt“. Das neue Stipendiengesetz, das eine Beteiligung des Kantons Luzern an den „Studentenaktien“ vorsieht, wird am 1. April 2014 in Kraft treten.

Die Renditen, die von den zu „Aktien“ zugerichteten Studenten später eingetrieben werden können, wurden in dem Stipendiengesetz ebenfalls festgeschrieben

Als Dank hat der Student oder die Studentin nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung monatlich einen Lohnanteil von bis zu 9,25% an den Stipendiengeber zu entrichten. Die Investition soll sich schließlich rechnen. … Mit diesem Beschluss möchte Luzern neue Anreize für Stiftungen und Privatpersonen schaffen, damit diese sich vermehrt der finanziellen Unterstützung der Ausbildung von Studentinnen und Studenten annehmen. Schließlich winkt ein gutes Geschäft.

Somit bieten diese Studentenaktien geneigten „Investoren“ tatsächlich große Renditemöglichkeiten bei relativ niedrigen Risiken. Da kein in Abhängigkeit zur Stipendiensumme festgelegter Festbetrag zurückerstattet werden soll, sondern eine prozentuale Lohnbeteiligung realisiert wird, ist diese von dem tatsächlichen späteren Karriereweg des studentischen „Investitionsobjekts“ abhängig. Es findet somit eine Spekulation statt, bei der die Risiken relativ gering sind, da es in der Schweiz keine nennenswerte Akademikerarbeitslosigkeit gibt. Die Gesetzesvorlage erinnert letztendlich an den „Zehnten“, den die Bauern in der feudalen Wirtschaftsverfassung des Mittelalters an die Kirche oder andere Feudalherren abzugeben hatten.

Das Kalkül der Kantonsregierung zielt hingegen auf eine Senkung der Bildungskosten, denn das neue Stipendiengesetz sieht eine Reduzierung der Stipendienvergabe vor. Die universitäre Ausbildung wird ausgelagert und für regelrechte Bildungsspekulanten geöffnet, während sich der Staat sukzessive auch aus diesem Aufgabenfeld zurückzieht. Kritisiert wurde dieses Vorhaben von der Sozialdemokratischen Partei (SP) in Luzern. Die Finanzierung der Ausbildung sei in der Schweiz traditionell eine Aufgabe des Staates und „kein unternehmerisches Projekt“, so die Kantonsrätin Priska Lorenz (SP).

Die Züricher Geschichtsstudentin und Aktivistin Nina Kunz, die sich mit dem umstrittenen Gesetzesvorhaben eingehend auseinandersetzte, machte im Gespräch mit Telepolis auf die Absurditäten der Argumentation der Befürworter der Studienaktie aufmerksam: „Sie sagen, dass viele Kinder gutverdienender Eltern keine Stipendien bekommen und dass dies unfair sei, denn viele Eltern würden ihre Kinder trotz des vorhandenen Geldes nicht unterstützen.“ Dabei sei es absurd zu behaupten, Studenten aus gut situierten Verhältnissen seien derzeit schlechter gestellt als Kinder von schlecht verdienenden Eltern. Es sei überdies „gefährlich“, Menschen wie Waren zu behandeln, in die investiert werde, um künftig hieraus Profit zu schlagen. Es sollte verboten werden, junge Menschen in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Investoren zu schicken, so Kunz.

Steuersenkungen brachten Ausbildung in die Krise

Den haushaltspolitischen Rahmen, in dem diese Privatisierung der Stipendienvergabe durchgesetzt wurde, schilderte hingegen der Tagesanzeiger:

In Luzern macht sich Katerstimmung breit: Die radikalen Steuersenkungen der vergangenen Jahre haben dem Kanton zwar schweizweit die tiefsten Unternehmenssteuern, aber nicht mehr Steuereinnahmen beschert.

Die in Zürich ansässige Tageszeitung zitierte den Luzerner Bildungsdirektor Reto Wyss, der von einer „erbarmungslosen“ Beeinflussung der Bildungspolitik durch die angespannte Finanzlage sprach. Damit wird offensichtlich, dass es letztendlich der krisenbedingte steuerliche Standortwettbewerb ist, der die Einführung der Studentenaktie beförderte.

Die durch Steuersenkungen für Unternehmen ausgetragene Konkurrenz um Investitionen, die von den Regionen und Städten global geführt wird, löst einen fiskalischen Wettlauf nach unten aus, der selbst in den letzten Wohlstandsinseln wie der Schweiz zu Finanzengpässen führt. Ein Großteil der Attraktivität der Schweiz als Wirtschaftsstandort beruht gerade auf den niedrigen Unternehmenssteuern und der hohen wirtschaftlichen und politischen Stabilität in der Alpenrepublik. Doch findet dieser Steuersenkungswettlauf auch innerhalb der Schweiz statt, wobei sich hier die Kantone gegenseitig mit niedrigen Steuersätzen zu unterbieten versuchen, um so die eigene „Attraktivität“ für Investitionen zu erhöhen.

Es sind somit die Konsequenzen der neoliberalen Krisenverwaltung und Krisenkonkurrenz, die zur Etablierung buchstäblich neufeudaler Abhängigkeitsverhältnisse im Bildungswesen führen. In Luzern etwa kann die neoliberal agierende Kantonsregierung nicht mal mehr die geplante Wirtschaftsfakultät finanzieren, in der die neoliberale Ideologie künftig gepredigt werden soll – deshalb wird ihr Aufbau nun vollständig von Privatinvestoren getragen. Unirektor Paul Richli beeilte sich gegenüber dem Tagesanzeiger zu versichern, dass es ihm als „grundsätzlich liberal denkendem Menschen“ lieber sei, wenn private Investoren einspringen, als wenn überhaupt keine Gelder zugesprochen würden.

Idee kam aus Deutschland

Dennoch können die neoliberalen Hardliner in der Schweiz kein Patent auf die Studentenaktie anmelden. Diese Idee konnte ja nur in dem Land ausgebrütet werden, das solche zivilisatorischen Errungenschaften wie Hartz IV und Agenda 2010 hervorbrachte (Happy Birthday, Schweinesystem!).

Der deutsche BWL-Student Lars Stein kam 2001 auf die Idee, Studenten an Investoren zu verkaufen, als er 30.000 Franken für sein Studium in St. Gallen vermittels der Lars-Stein-Aktie bei Anlegern sammelte. Stein wickelt seinen Studentenhandel über die Internetpräsenz Studienaktie ab, die nun zum alleinigen Kooperationspartner der Kantonsregierung von Luzern avancierte. Seine Geschäftsidee verschaffte dem umtriebigen Geschäftsmann bereits eine breite Publicity. Sowohl Spiegel-Online als auch die Süddeutsche Zeitung berichteten wohlwollend über die Idee hinter der Studienaktie.

Die Expansion, die Steins Studentenhandel vorzuweisen hat, kann sich durchaus sehen lassen. Während es beim SPON-Interview 2008 nur drei Studenten waren, die „ihr Studium oder ihre Ausbildung über das Steinsche System“ finanzierten, kann studienaktie.org nun dank des neuen Luzerner Stipendiengesetzes auf bis zu 800 Interessierte pro Jahr zählen.

Dabei birgt diese Geschäftsidee ja tatsächlich ein enormes geschäftliches Expansionspotenzial: Zum Mantra der Selbstoptimierung gehört auch die Parole vom lebenslangen Lernen, wobei hierunter nicht etwa die kritische Reflexion der gesellschaftlichen Zustände gemeint ist, sondern die permanente Anpassung an die sich beständig wandelnden Anforderungen der Wirtschaft. Die Etablierung neufeudaler Verhältnisse im Arbeitsleben könnte überall dort forciert werden, wo Bildungsinvestitionen in das „Humankapital“ zur Aufrechterhaltung der Konkurrenzfähigkeit der Lohnabhängigen notwendig sind. Als „Kundschaft“ bietet sich etwa das Heer von Scheinselbstständigen und Freelancern in der IT-Industrie an, die sich die horrenden Kosten für Kurse und Fortbildungen nicht leisten können, um neue Zertifizierungen zu erwerben.

Mit der Einführung der „Studentenaktie“ zeichnet sich somit der Gipfelpunkt der Entfremdung im spätkapitalistischen Arbeitsleben ab. Der um permanente Selbstoptimierung bemühte Lohnabhängige wird sich so lange als Investitionsobjekt verkaufen müssen, bis er buchstäblich sich selbst nicht mehr gehört.

Aus:Telepolis 16.10.2013