Mali – und noch ein Anti-Terror-Krieg

Nachrichten aus einem unbekannten Land

von Gruppen gegen Kapital und Nation

Südlich von Algerien liegt Mali. Ein Land, von dem der geneigte europäische Zeitungsleser bis vor wenigen Monaten keine Ahnung hatte. In letzter Zeit häuften sich die Berichte über islamistische Gruppierungen, die sich im Norden des Landes breit gemacht haben. Zudem engagieren sich dort Kämpfer, die sich als Teil eines sogenannten Volksstammes namens Tuareg sehen. Sie haben mit dem politischen Islamismus als Programm nichts am Hut und wollen im Norden Malis einen eigenen Nationalstaat gründen. Die Tuareg kooperieren wohl mit den Islamisten, mal bekämpfen sich diese Gruppierungen untereinander. Ein genaues Bild gibt es nicht, weil wohl alle Gruppierungen kein Interesse daran haben, die Weltöffentlichkeit über ihre konkreten Vorhaben und Taten zu informieren – Presseleute sind nicht gerne gesehen und leben gefährlich.

Dennoch erscheinen in den deutschen Zeitungen regelmäßig Berichte über archaische Justizmethoden seitens der politischen Islamisten (Arm abhacken bei Diebstahl, öffentliche Steinigungen) und eine rigide Repression gegen Frauen. Dass diese Berichte stimmen – zumindest dass die politischen Islamisten derlei veranstalten – ist anzunehmen. Was die Tuareg vor Ort genau machen, abgesehen davon, dass sie einen Landteil abspalten wollen, erfährt man aus der Zeitungslektüre nicht. Von den mittel- oder langfristigen Zielen aller Gruppierungen, also welche gesellschaftlichen Regeln sie durchsetzen wollen und was für ökonomische Vorstellungen sie für den Norden Malis haben, auch davon ist zumindest bis Mitte Januar 2013 nichts zu lesen.

Bis vor einem Jahr, so konnte man lesen, gab es wohl einen demokratisch gewählten Präsidenten in Mali. Der wurde im März 2012 von Offizieren weggeputscht, die ihm im Kampf gegen die separatistischen Bestrebungen im Norden des Landes Versagen vorwarfen. Der Putsch wiederum sorgte anscheinend vor allem dafür, dass sich die Gruppierungen im Norden erst recht stabilisieren konnten. Mit dem Putsch war Europa überhaupt nicht einverstanden und fror infolgedessen Gelder ein, die Mali davor wohl regelmäßig bekommen hat.

In Zusammenarbeit mit interessierten Nachbarländern von Mali bereiteten ab Herbst 2012 europäische Staaten eine Ausbildung der malischen Armee vor, damit diese die Gruppierungen im Norden langfristig erfolgreich bekämpfen können würde. Die Gruppierungen im Norden kamen diesem Plan zuvor und rückten in den Süden des Landes vor.

Frankreich schaltet sich nun im Januar 2013 mit seiner Luftwaffe und Bodenkampftruppen direkt in den Bürgerkrieg ein. Dieser Kriegseinsatz wird von den europäischen Bündnispartnern allseitig begrüßt, auch Russland und China stellen sich nicht dagegen. Nachdem sich Deutschland bei dem internationalen militärischen Einsatz in Libyen nur neutral verhalten hat, unterstützt es jetzt Frankreich logistisch in der Kriegsführung. Alle deutschen Parteien finden das gut mit Ausnahme der Linkspartei.

Kriegsgründe und Kriegslegitimationen

Worum geht es in dem Krieg? Wie so oft gehen in der Öffentlichkeit Kriegsgründe, Kriegsanlässe und Kriegslegitimationen bunt durcheinander. Der französische Präsident Hollande „betonte, sein Land verfolge `kein Eigeninteresse in Mali.` Ziel der Intervention sei es, der malischen Regierung dabei zu helfen, die `territoriale Integrität` zurückzuerobern.“ (FAZ, 17.01.2013, S. 1) Was soll das? Ganz uneigennützig hat Frankreich zufällig in der ganzen Region Militärstützpunkte und scheut mitten in der europäischen Staatsschuldenkrise keine militärischen Kosten, um selbstlos zu helfen?

Das sieht aus wie Schönfärberei, ist aber im Kern etwas anderes. Solche Reden sind Ausdruck davon, dass ein Krieg legitimatorisch wie objektiv nicht mehr einfach eine Sache zwischen zwei Staaten ist. Weil das Interesse moderner kapitalistischer Staaten die ganze Welt ins Auge fasst, gibt es keinen Krieg, der nicht mindestens die potenten Nationen mittelbar berührt. Jeder Krieg zwischen zwei Staaten hat deshalb das Potential, in einen Weltkrieg auszuarten. Im Völkerrecht haben sich die Staaten der Welt auf Regeln geeinigt, wann ein Krieg legitim ist und wann nicht. Die militärisch überlegenen Staaten haben so allen Staaten der Welt deutlich mitgeteilt, dass Kriegführen keine einfache souveräne Entscheidung eines Staates mehr ist. Sie haben so klargestellt, dass sie immer mitreden wollen. Von den anderen Staaten aus gesehen ist das Völkerrecht jetzt die Pflicht, den anderen Staaten die eigenen Kriegsgründe plausibel zu machen, dann aber auch die Chance, bei einem Krieg nicht gleich den Rest der Welt im Nacken zu haben, ja vielleicht sogar Unterstützung zu bekommen. Was im Völkerrecht verboten ist, ist ein Angriffskrieg, also ein Krieg, bei dem ein Staat schlicht gegen einen anderen Staat sein Interesse mit Gewalt durchsetzen will. Jetzt weiß jeder Staatsführer selbst am besten, dass sie selbst nur dann einen Krieg führen, wenn es im nationalen Interesse ist. Das Völkerrecht sorgt dann nicht dafür, dass es gar keinen Krieg mehr gibt, sondern dass jede kriegführende Partei Gründe angeben muss, die mehr sind als bloß das eigene Interesse.

Ob sich Staaten an diese Regeln halten müssen (bzw. sollten), ist immer noch eine Frage der Gewalt, also wie viel Kriegsmaschinerie man auf sich vereinigen kann. Dennoch halten sich die Staaten daran, sich gegenseitig mehr Gründe als das bloße nationale Interesse für einen Krieg zu geben, und diese Gründe beziehen sich immer auf einen höheren Maßstab. In diesem Falle behauptet der französische Präsident glatt, gar kein Eigeninteresse zu haben, stattdessen dem hohen Gut der staatlichen Integrität zum Durchbruch verhelfen zu wollen. Dass Frankreich kein Eigeninteresse hätte, stimmt nicht – und das weiß jeder Politiker und jede Zeitungsredaktion. Als Heuchelei mag das aber auch keine Zeitung kritisieren, weil alle es schon mal gut finden, dass bei dem Krieg die Etikette gewahrt wird, die die Sitte der Staatenwelt verlangt.

Die territoriale Integrität Malis ist als Ziel immerhin etwas, was Frankreich in diesem Krieg tatsächlich interessieren könnte. Erstmal heißt das: Frankreich will, dass Mali ein Staat bleibt, vor allem, dass Mali von der Hauptstadt aus regiert wird und dass das Gesetz flächendeckend gilt. Zweitens soll aber Mali von den Richtigen regiert werden. Und das heißt zusammen, dass die Gruppierungen im Norden militärisch fertig gemacht, also besiegt werden müssen. Denn diese Gruppen bestreiten durch ihre Bewaffnung und eigene Rechtsprechung das Gewaltmonopol der Hauptstadtregierung bzw. wären auch nicht die gewünschten Machthaber in einem ganzheitlichen Mali.

Die EU-Außenbeauftrage Catherine Ashton sagte vor dem Europaparlament: „Es ist wichtig, dass die Aufständischen verstehen, dass die Staatengemeinschaft zusammensteht, um das malische Volk gegen diejenigen zu unterstützen, die ihm ein undemokratisches und gewaltsames Regime aufzwingen wollen.“ (FAZ, 17.01.2013, S. 2) Auch Ashton versteht die Kunst, einen Krieg als uneigennützig darzustellen. Während Hollande noch sagt, er helfe der malischen Regierung, sagt sie, dass das eigentliche Hilfsobjekt das malische Staatsvolk sei. Dass ein beträchtlicher Teil der von der Regierung beanspruchten Bevölkerung (die kämpfenden Tuareg und die Islamisten) scheinbar gar nicht malisches Volk sein will – scheißegal. Dass sie gerade einem Regime in der Hauptstadt zur umfassenden Gewalthoheit in ganz Mali verhelfen will, also allemal ein gewaltsames Regime will – scheißegal. Dass die aktuelle malische Regierung sich an die Macht geputscht hat – hier zunächst scheißegal.

Denn an anderer Stelle wird den jetzigen Kriegspartnern in der Hauptstadt durchaus mitgeteilt: „Parallel zu diesen militärischen Planungen sucht die EU den politischen Druck auf die Führung in Bamako (der Hauptstadt) zu erhöhen. Zu dem Treffen am Donnerstag wurde auch der malische Außenminister Tieman Hubert Coulibaly geladen. Ihm soll noch einmal deutlich gemacht werden, dass die Europäer eine Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und Wahlen erwarten. Als Druckmittel dienen 90 Millionen Euro Haushaltshilfe und 140 Millionen Euro Projekthilfe, deren Auszahlung die EU nach dem Putsch im vergangenen Jahr eingefroren hat.“ (FAZ, 17.01.2013, S. 2)

Kurzum: Die Berufung auf das malische Volk, dem geholfen werden soll, ist ein umständlicher Weg, um zu sagen: Wir wollen einen malischen Staat, in dem die Gruppierungen im Norden nichts zu sagen haben. Das eigene Interesse an einer ganz bestimmten politischen Ordnung in Mali, das jetzt mit Militärgewalt gegen einige Menschen durchgesetzt wird, wird so ausgedrückt, dass die Menschen vor Ort sich anderes gar nicht wünschen könnten.

In der Berufung auf das (fremde) Volk für den eigenen Kriegszweck liegt noch eine weitere Konsequenz. Wer sich von der ansässigen Bevölkerung das nicht wünscht, gehört dann halt nicht zum Volk und ist zum Abschuss frei gegeben. Wenn sonstige Menschen dabei draufgehen, dann ist das nur ein unvermeidlicher Nebeneffekt ihres (angeblich) eigenen Freiheitsdranges, der eben nur die Ordnung will, die die EU für Mali vorgesehen hat.

Der Kampf gegen den Terror….

Also die Frage auf den Tisch: Was will Frankreich bzw. die westliche Staatenwelt jetzt wirklich von Mali? „Die Medien beurteilten den Einsatz zumeist positiv. Hollande habe einen `spektakulären Rückhalt der ganzen internationalen Gemeinschaft`, lobte die linke Libération. Er habe gehandelt, um zu verhindern, `dass im Herzen des schwarzen Kontinents ein Terror-Staat entsteht`. Einziges Ziel der Operation sei es, den Terrorismus zu bekämpfen, betonte der Präsident.“ (SZ, 14.01.2013, S. 2)

So reiht sich das Kriegsziel in den weltweiten Kampf gegen vom Islam inspirierte, antiwestlich eingestellte Gruppen ein. Aus vielen Ländern, die mit dem Westen im sogenannten Kampf gegen den Terror zusammen arbeiten, mehr oder minder erfolgreich verdrängt, haben sie sich im Norden von Mali breit gemacht und versuchen dort, ihre Version einer moralisch korrekten Gesellschaft einzurichten. Dort, wo sie etwas Hoheit gewinnen, scheinen die international eingestellten Islamisten ihresgleichen für Kämpfe in aller Welt auszubilden. Im Westen gelten sie einfach als verrückt und bloß mörderisch, was Ausdruck davon ist, dass der Westen sie kompromisslos bekämpfen will. Das drückt sich auch darin aus, dass sie deren Kampf als „Terror“ bezeichnen. Damit spricht der Westen aus, dass er deren Gewalt als nicht legitim behandeln will. Die politischen Islamisten seien keine Politiker, die wie andere Politiker auch mit Gewalt ihre Vorstellungen über die Gesellschaft durchsetzen wollen, sondern Leute, die einfach Gewalt ausüben wollen, quasi als Selbstzweck.

Was der Islamismus als politische Bewegung ist, dazu sei auf den Text „Der Islamismus – Konsequenz, Erbe und Konkurrent eines unzufriedenen arabischen Nationalismus“ verwiesen (siehe www.gegen-kapital-und-nation.org). Hier sei das Programm nur kurz umrissen. Der Islamismus als politische Bewegung hat seinen Ausgangspunkt in der Betrachtung von Ländern, deren Alltagskultur und politische Ordnung sich bereits auf den Islam stützen (so wie Deutschland etwa kulturell christlich geprägt ist). Dies sind Länder, die in der weltweiten Staatenkonkurrenz relativ weit unten angesiedelt sind; Länder, die meist nur als Rohstofflieferanten für den erfolgreichen Westen funktionieren, über Kredite vom Ausland abhängig sind und ansonsten für die Bevölkerung nur flächendeckende absolute Armut zu bieten haben. Als Nationalisten stört die Islamisten das Leid und das bescheidende Leben der Bevölkerung als solches nicht sonderlich, allerdings entdecken sie in diesem armseligen Leben ein weiteres Indiz dafür, dass die Nation nicht die Größe, den Glanz oder die Bedeutung in der weltweiten Staatenhierarchie hat, die sie ihr zusprechen. Für Nationalisten ist eine Massenarmut gut, wenn sie die Nation voranbringt (siehe hierzulande z.B. das Lob auf die Agenda 2010), sie ist aber schlecht, wenn sie nur Ausdruck davon ist, dass sich die Menschen für die Nation nicht nützlich machen (können). Als Nationalisten glauben sie an die Kraft des Staatsvolkes als Basis für die Größe der Nation. Dass die Nation in der Staatenhierarchie so glanzlos dasteht, liegt in ihren Augen auch daran, dass das Staatsvolk nicht die richtige Einstellung für die nötige Kraftanstrengung habe. Die Religion wird politisch radikalisiert gewendet: Die mangelnde oder vernachlässigte Gläubigkeit gilt den Islamisten als Hauptursache für das (angeblich) verfehlte Verhalten der Bevölkerung. Dieser Schluss wird gegen die Regierungen in den jeweiligen Ländern verlängert. Sie hätten es versäumt, dem Staatsvolk die richtige Moral beizubringen, sie hätten also schlecht regiert. Statt die Nation zur Sonne zu führen, würden sie die Nation untergraben.

Mit seinem Drang, die Welt mit Waren und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen für das eigene nationale Wirtschaftswachstum, verbreite der Westen lauter schädliche Einstellungen in den Regierungen und in der Bevölkerung derjenigen Nationen, die den Islamisten am Herzen liegen. Diese Einstellungen stehen nach Ansicht der Islamisten, ihrem gewünschten nationalistischen religiösen Aufbruchsprogramm im Wege. Der Islamismus als politische Bewegung hat einerseits einen stark internationalen Charakter, orientiert sich andererseits politisch überwiegend an nationalen Grenzen. Manche Bewegung verurteilt allerdings den Nationalstaat selbst als Fessel und hält die Umma als Weltislamgemeinschaft für den senkrechten Weg.

So war das ursprüngliche Ziel von „Ansar Dine“ (einer der wichtigsten islamistischen Gruppierungen in Mali) nicht die Schaffung von einem neuen Tuareg-Staat Azawad, sondern das Bekehren des gesamten Mali zum „wahren islamischen Leben“. Für die Islamisten von AQMI (al-Qaida im islamischen Maghreb) ist die Tatsache, dass Tuaregs Moslems sind und eine vom Westen unterstützte Regierung bekämpfen, handfester Einmischungsgrund mit dem Kalkül: Beim gemeinsamen Kampf wird man die Glaubensbrüder schon auf Linie bringen. Mujao („Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika“) scheint eher in „schwarzafrikanischen“ Regionen Anklang zu finden und sich von der arabisch dominierten Al-Qaida abzusetzen.

Der politische Islamismus arbeitet sich also an der Armut vor Ort und am Imperialismus des Westens ab und ist, so wie er das macht, nicht mit einer vernünftigen Kritik zu verwechseln, die ihren Ausgangspunkt am Leid der Menschen auch in der Peripherie nimmt. Er ist – eingedenk der Besonderheit einiger Islamisten, die einen Groß- oder Weltstaat Umma anstreben – im Großen und Ganzen ein nationalistisches Scheißprogramm. (Auf die Besonderheit der kämpfenden säkularen Tuareg, ihre Gründe und Ziele geht dieser Text nicht ein. Hier müssen wir uns erst nochmal einarbeiten.)

…für eine kapitalistische, westliche Weltordnung

Auf der anderen Seite ist der ekelhafte Charakter des politischen Islamismus kein Grund, dem westlichen Kriegsprojekt dann die Daumen zu drücken. Das postkoloniale Konzept der westlichen Mächte, das in Mali gegen die Islamisten und Separatisten verteidigt werden soll, hat es nämlich in sich.

Ein flüchtiger Blick auf Wikipedia verrät einem einiges über die trostlose Lage der Menschen in Mali und die Einordnung des Landes in die westliche Weltordnung. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser, 30% sind arbeitslos und 75% der über 15jährigen sind Analphabeten. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei ca. 48 Jahre, es gibt weit verbreitete Mangelernährung.

Wirtschaftlich dominiert die Landwirtschaft unter schwierigen Naturbedingungen und ansonsten werden in Mali vor allem Gold und einige andere Rohstoffe abgebaut für den Export. Die abbauenden Unternehmen kommen aus dem Westen, und die Regierung verdient an den Lizenzen, die sie den Unternehmen verkauft. Damit die Unternehmen sich derartig engagieren können, lässt die Regierung schon mal hunderte von Dörfern räumen. Da es in einer solchen Ökonomie einfach keine wirtschaftliche Entwicklungsperspektive für die Menschen vor Ort gibt, kommt es nur darauf an, an die Macht zu gelangen, um unmittelbar darüber sich, Familie und Clan gut zu finanzieren. Vom Westen wird sowas als Korruption bezeichnet. In Wirklichkeit gehört das einfach zur Politökonomie eines Rohstoffexportlandes der Sorte Mali dazu. Die Regierungsmitglieder bereichern sich. Sie sorgen mit entsprechend entlohnten Gefolgsleuten dafür, dass der Rest der Bevölkerung, der eigentlich überflüssig ist, die Schnauze hält. Der Westen unterstützt die Regierungen dabei mit finanziellen Mitteln und der Ausbildung des Militärs, damit ihre Konzerne Gewinne machen und für einen sicheren, preislich günstigen Rohstofffluss gen Westen sorgen.

Daher ist es kein Wunder, dass in solchen Staaten immer wieder andere Gruppen auf die Idee kommen, sich selbst an die Macht zu putschen oder Landteile abzuspalten, um neue Nationen zu gründen (siehe hierzu als Beispiel die Texte auf der Homepage zum Sudan: „Ein neuer Staat für Afrika…“ und „Die Intervention in den Sudan: Noch ein Beweis dafür, dass es ohne Weltpolizei nicht geht“.) Immer wiederkehrende Bürgerkriege machen dann selbst die Existenz von Menschen als armselige Landwirte zunichte. Auf der Flucht vor den beschissenen Wirtschaftsbedingungen und Bürgerkriegen versuchen dann einige nach Europa zu kommen, wo sie der Westen wiederum mit einem hohen Sicherheitsaufwand über das Mittelmeer abschiebt, wenn die Flüchtlinge überhaupt lebend Europa erreichen. Eine unterlegene Bürgerkriegspartei setzt sich in aller Regel ins Nachbarland ab und versucht von dort an die Macht zu kommen. Oder aber sie versucht direkt im Nachbarland die Macht zu übernehmen.

Demokratie für Afrika – ein imperialistischer Idealismus

Der Westen ärgert sich über diese Instabilitäten, die notwendig zu der Politökonomie dazugehören, die er für viele Länder in seiner Weltordnung vorgesehen hat. Als anspruchsvolle Nationalisten meinen sie, dass nicht sein darf, was nicht sein soll, und so sind sie zu dem falschen Schluss gekommen, dass die Instabilitäten sich einem Mangel an Demokratie verdanken. Bei sich selbst bemerken sie, dass Wahlen und Rechtssicherheit zu einem Zuspruch der Bevölkerung zum Regiert-Werden führen und so das Regieren einfacher machen. Dieses Rezept umzusetzen, verlangen sie heute von Regierungen wie der in Mali. Das ist imperialistischer Idealismus, weil zu einer funktionierenden Demokratie immerhin noch die Aussicht auf wirtschaftliche Betätigung breiter Teile der Bevölkerung gehört. Wenn es gar keine Existenzquellen gibt und man sowieso nicht weiß, wie man morgen an das Essen rankommen soll, ist das Interesse an Rechtssicherheit und Wahlen auch nicht sehr naheliegend.

Mali galt in Sachen Demokratie in Afrika lange als Musterland, bestand dort doch zumindest bis letztes Jahr immerhin 20 Jahre lang so etwas wie Demokratie. Dass die Wahlbeteiligung bei 30% lag und im Norden Separatisten aktiv sind, legt allerdings nahe, dass weite Bevölkerungsanteile von der Zentralregierung nichts erwarten und umgekehrt die Regierung Maßnahmen gegen Bevölkerungsteile durchsetzt, in denen nicht mal der Schein von Unterstützung und bürgerlichem Glücksversprechen existiert, sondern bloß Repression.

Der Westen ist aber auch pragmatisch genug, jetzt den Demokratievorbehalt zurückzustellen. Im Vergleich mit den Islamisten, die erstmal garantiert keine Lizenzen für Rohstoffabbau an westliche Unternehmen vergeben würden, ist das Putschregime in der Hauptstadt besser als nix. Also werden die Fördergelder für Mali nun doch an die Putschisten freigegeben und kriegerisch wird mitgeholfen, wieder eine territoriale Integrität herzustellen, die es erlaubt, ein Stück Afrika für die nationale Reichtumsmehrung im Westen nutzbar zu machen bzw. zu halten.