Eat is murder

von Franz Schandl

Tierschützer sind mir immer kräftig auf den Zeiger gegangen. Vor allem, wenn sie sich penetrant vor mir aufpflanzten und sinngemäß die Frage stellten, ob ich Tiere mag. Da pflegte ich dann leicht genervt zu antworten: Ja, ich esse sie gerne! Damit war die Sache erledigt.

Heute antworte ich nicht mehr so. Hier war eine unzulässige Überheblichkeit und Unbedachtheit am Werk, die sich gerade in einer elementaren Frage der sonst eingeforderten Reflexion entschlug. Es war ein schlichtes Bekenntnis zur Herrschaft einer Spezies, die davon ausging, sich alles untertan machen zu dürfen. Herrschaft erscheint darin als vorausgesetztes Modell, mochte man auch über die Auskleidung derselben streiten.

Soll ich mich um die Viecher auch noch kümmern? Tja. Inzwischen bin ich nicht unbedingt zum Tierschützer, aber doch zum Tierschätzer geworden, was meint, dass ich mir ein rein instrumentelles Verhältnis einfach nicht mehr gestatte. Es hat sich zusehends ein fragender Respekt eingeschlichen, der weiter verfolgt werden möchte. Die selbstverständliche Verfügung über alles, das Zum-Material-Machen, ist anthropozentrischer Größenwahn. Nicht nur weil er ökologische Katastrophen bedingt, sondern er bereits in seiner Konstruktion angelegt ist.

Ein Tier zu sein, ist immer noch das Letzte: „In den Märchen der Nationen kehrt die Verwandlung von Menschen in Tiere als Strafe wieder. In einen Tierleib gebannt zu sein, gilt als Verdammnis“, schreiben Horkheimer und Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ (Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften 3, S. 285). Tiere müssen stets herhalten, Menschen zu beleidigen. Menschen sollen degradiert und disqualifiziert werden, indem man ihnen Tierisches unterstellt. „Wie die Tiere“, hieß eines der jüngsten Stücke der Elfriede Jelinek, das im Titel genau diesen Raster reproduziert. Doch die Männer, die Jelinek da in gekonnter Weise in ihren Textsequenzen vorführt und seziert, verhalten sich gegenüber den zu Fleisch abgewerteten Frauen unmenschlich, keineswegs tierisch.

Hasen und Hühner

Als mein Großvater Hansi schlachtete, ihn im Schuppen aufhängte, ihm das Fell abzog und ganz unschuldig meinte, das sei unser Hase, wurde mir unmittelbar schlecht. Für den fünfjährigen Knaben hing Hansi blutig an der Wand, und ich hatte ihn doch so lieb. Nun sollte ich Hansi auch noch essen. Ich brachte keine zwei Bissen runter und streikte. Ihn zu füttern war toll, ihn zu futtern war jenseits. Seither will ich keine Haushasen mehr essen, auch Feldhasen nicht. Interessant ist allerdings, dass unmittelbar in meiner Nähe geköpfte Hendl nicht denselben Schauer auslösten. Hasen gehen mir also über Hühner.

Meine Eltern und Großeltern hingegen wunderten sich über dieses absonderliche Gebaren. Solch Sentimentalitäten waren ihnen völlig fremd. Was will das dumme Kind? Die Hasen im Verschlag und die Hühner im Hof waren nach dem Krieg insbesondere für Kleinhäusler und Arbeiter oft die einzige Möglichkeit, überhaupt zu Fleisch zu kommen. Selbst Dachhasen, also Katzen, mussten da dran glauben.

In meiner Kindheit hieß Wohlstand Fleischkonsum. In den Sechzigerjahren wurde regelrecht zelebriert, was man hatte. Bei meinen bäuerlichen Großeltern mütterlicherseits gab es nun fast täglich Schweinernes. Das kam aus dem eigenen Stall, aus der eigenen Verarbeitung und aus dem eigenen Rohr. Das Geselchte und die Blunzen, die Grammeln und das Schmalz, insbesondere aber der Schweinsbraten ernährten die Leute. Die Qualität von alledem war hoch, die Plackerei aber ebenfalls nicht ohne. Es schmeckte vorzüglich. Wenngleich man nichts übrig lassen durfte – das galt als Versündigung –, war Essen doch mit einiger Lust verbunden. Keinesfalls aber das Sau-Abstechen, da suchte ich das Weite. Wenn sie gar jämmerlich quiekte, hielt ich mir die Ohren zu. Jene, die dabei Freude empfanden und unbedingt dabei sein wollten, habe ich nie verstanden.

Nur nicht hinschauen! Uns interessiert das Fleisch in der Pfanne, aber nicht die Tötung des Tieres. Sofern wir was spüren, spüren wir, dass dort Ungeheuerliches passiert. Natürlich halte ich jene, die nicht hinsehen können für feinfühliger, andererseits aber auch für verlogener als die, die sich dazu bekennen und es sogar genießen, auch wenn es nichts anderes ist als Mordsgaudi geheißene Mordlust.

Wird der bewusstlose Fleischkonsum bewusst gemacht, gerät eins in eine prekäre Lage. Dürfen Tiere getötet werden? Theoretisch bin ich mir da nicht so sicher, praktisch allerdings muss ich mir sicher sein, denn wenn ich welche verspeise, dann ist das wohl die Conditio sine qua non. Zu Martini gibt’s ein Gansl. Und natürlich trage ich (wenn geht) Lederschuhe und keine Gummiböck, und, ehrlich gestanden, finde ich Pelzmäntel richtig geil.

Mensch und Tier

„Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus“, schreiben Horkheimer und Adorno. „Die Welt des Tieres ist begriffslos. Es ist kein Wort da, um im Fluss des Erscheinenden das Identische festzuhalten, im Wechsel der Exemplare dieselbe Gattung, in den veränderten Situationen dasselbe Ding. Wenngleich die Möglichkeit von Wiedererkennen nicht mangelt, ist Identifizierung aufs vital Vorgezeichnete beschränkt. Im Fluß findet sich nichts, das als bleibend bestimmt wäre, und doch bleibt alles ein und dasselbe, weil es kein festes Wissen ums Vergangene und keinen hellen Vorblick in die Zukunft gibt. Das Tier hört auf den Namen und hat kein Selbst, es ist in sich eingeschlossen und doch preisgegeben, immer kommt ein neuer Zwang, keine Idee reicht über ihn hinaus.“ (Dialektik der Aufklärung, Adorno, Gesammelte Schriften 3, S. 283f.)

Tiere verfügen über Witterung und Ahnung, aber was ihnen fehlt, ist ein reflektiertes Zeitbewusstsein, das etwa „schon“ oder „bald“ unterscheiden könnte. Für Tiere ist permanent jetzt, sie haben keine Vorschläge für morgen und kein Wissen von gestern, selbst wenn etwas hängen geblieben ist. Erfahrung kennen sie wohl, aber nicht in der Form von Erinnerung und Gedanken. Ihre Reflexion ist auf den Reflex zurückgeworfen, auch wenn es hier unterschiedliche Grade geben kann und so manche Tiere näher bei den Menschen sind als andere.

Das Tier verkörpert die reine Immanenz. Es kann nichts wollen außer müssen. Diese Aussage hat aber nichts „Wertendes“ an sich, nicht nur weil wir Werte in unserer Beurteilung sowieso nicht verwenden. Jene sagt also nicht, dass das Tier „minder“ und der Mensch „mehr“ ist, sie sagt lediglich, dass der Mensch etwas ist, was das Tier nicht ist, weil sein kann. Der Mensch ist also kein „höheres Tier“, sondern er ist ein spezifisches Tier und auch etwas anderes als ein Tier. Durch die Gesellschaft ist der Mensch auch aus der Natur herausgetreten. Nie vollständig, aber doch ständig.

Marx und Engels hielten diesbezüglich fest: „Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst.“ (Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 21) Via Geist kann der Mensch aus seinem Körper heraus, das Tier kann das nicht, es bleibt in sich gefangen. Sein Leben reduziert sich auf das Existenzielle. Substanz geht über Existenz nicht hinaus. Die Bestimmung findet in der Beschaffenheit ihre Grenze. Auch wenn wir diesen qualitativen Unterschied nicht als Rangordnung betrachten sollten, ist er nicht einfach zu eskamotieren.

Die Frage hingegen, ob Tiere eine Seele haben, führt in die Irre, weil sie die falsche Ansicht voraussetzt, dass Menschen über eine solche verfügen. Doch Seele ist religiös aufgeblasene Sinnlichkeit wie Geistlichkeit aufgeladener Geist. Wir sind Ausdruck sinnlicher Möglichkeiten, nicht beseelter Tatsachen. Dort, wo wir höhere Weihen am Werk sehen, Götter erfinden oder eine Aura entdecken, offenbaren wir die Befangenheit im Fetischismus.

Natur und Nicht-Natur

Mensch ist das, was über den biologischen Organismus und dessen Funktionen hinausreicht. Diese sind zwar Bedingung des Lebens, aber nicht Bestimmung. Nur bei Menschen fallen Verwirklichung und Beschaffenheit in ihrer Grundkonstitution auseinander. Nur Menschen repräsentieren etwas, das auch Nicht-Natur ist. Selbstverständlich kann man sich auf den Standpunkt der Künstlichkeit gegen die Natürlichkeit stellen. Was wir zumeist gerne tun. Indes, jede Künstlichkeit ist transformierte Natur. Wie wir es auch drehen und wenden, auch wir, die Künstlichen, sind Insassen der Natur.

Der Mensch ist Tier und Mensch, das Tier hingegen ist nur Tier. Wir sind als Körper Teil ihrer spezifischen Welt, doch sie sind nicht Teil unserer spezifischen Welt, auch wenn sie deren Modus unterworfen sind. So sind sie von uns mehr geschieden als wir von ihnen. Sie entkommen uns nicht. Wir erklären uns für zuständig. Darin unterscheiden sich Tiernützer und Tierschützer nicht.

Wenn Tiere andere Tiere bei lebendigem Leib fressen, dann können wir das mit unseren Begriffen eigentlich nicht beschreiben. Es mag uns grausam erscheinen, aber dem tierischen Dasein entsprechend, ist es keine Grausamkeit, sondern eine Notwendigkeit. Wenn der Löwe die Antilope erbeutet, ist das keine Absicht, sondern Ergebnis. Wenn die Mücke uns sticht und Blut saugt, geht dem kein Entschluss voran. Sie folgen ihren Trieben. Sie tun weder Gutes noch Böses, sie verwirklichen nur ihre existenzielle Besonderheit. Die Welt geschieht den Tieren, sie sind selbst in ihren Äußerungen keine Handelnden. „Wo ein Verhältnis existiert, da existiert es für mich, das Tier ,verhält‘ sich zu Nichts und überhaupt nicht. Für das Tier existiert sein Verhältnis zu andern nicht als Verhältnis.“ (MEW 3, S. 30)

Tiere töten, aber sie führen keine Kriege, sie bauen keine Schlachthöfe und sie entwickeln keine Vernichtungsprogramme. Sie wollen auch keine andere Spezies ausrotten. Nur Menschen haben Massenschlachtung als auch Massenvernichtung systematisiert. Tiere sind zu derlei gar nicht fähig, es liegt außerhalb ihrer Welt. Das tierische Dasein ist somit wie ein Brocken Natur, der jedoch ebenso den menschlichen Kulturen und ihren Anstalten ausgeliefert ist. Über letzteres sollte diskutiert werden. Denn dieses spezifische „Müssen“ der Tiere ist alles andere als unabänderlich.

Anthropozentrisches Provisorium

„Ich finde, es ist eine furchtbare Anmaßung zu glauben, dass ausgerechnet wir, die wir nun einmal Menschen sind, eine andere metaphysische Valenz haben als die Millionen anderen creata, die anderen Geschöpfe und geschaffenen Dinge, die es in der Welt gibt.“ (Günther Anders antwortet. Interviews & Erklärungen, Berlin (West) 1987, S. 99) Das stimmt, und doch gibt es eine Diskrepanz. Gemeint ist die Selbstschöpfungsfähigkeit der Menschen, die sowohl konstruktiv wie destruktiv weit über die natürlichen Anlagen hinausgeht. Sobald wir denken und sobald wir handeln, greift ein impliziter Anthropozentrismus. Da muss man sich gar nicht explizit dazu bekennen. Wir haben unsere Irrelevanz zu konstatieren und unsere Relevanz zu zelebrieren.

Die zweite Natur verurteilt die Menschen geradewegs dazu, und sie vermögen dies nicht einmal aufzuheben, wenn sie es aufheben möchten. Denn jede Setzung – sei sie so oder so – ist a priori anthropozentrisch. Es geht gar nicht anders. Der objektiven Begrenzungen sind viele. Damit sind die Menschen aber nicht entlastet, im Gegenteil, sie sind damit extrem belastet. Zweifellos, Menschen können etwas, das andere Wesen nicht können. Dieses Vermögen ist ein zufälliges Geschenk der Evolution und keine Legitimation zur Herrschaft, sondern ein Auftrag zur Sorge. Leid erfordert zumindest Mitleid.

Das anthropozentrische Provisorium, dieses fragile Konstrukt, ist nicht einfach abzureißen. Diese Schranke ist weder seriös zu affirmieren noch ernsthaft zu negieren. Das ist ein Paradoxon, für das ich plädiere, ohne mich endgültig festlegen zu wollen. Die etwas niederschmetternde These ist nun die, dass der Anthropozentrismus nur relativiert, aber auf absehbare Zeit nicht überwunden werden kann.

Tierrecht ohne Tierpflicht

Können Menschen über Tiere sprechen, ohne in irgendeiner Weise speziesistisch, rassistisch oder patriarchal aufzufallen? Ich fürchte, nein. Und das ist weniger ein Problem der Abwertung (die man sich zweifelsfrei abgewöhnen könnte) als eines der Behandlung, weil eben die Einseitigkeit des Mensch-Tierverhältnisses nicht schlicht für obsolet erklärt werden kann. Emanzipation hat Grenzen, über die zu diskutieren wäre. So gibt es auch – denken wir nicht in Erdzeitaltern – keine Selbstbefreiung der Tiere.

Die dispositive Anordnung scheint unüberwindbar. Alle Erörterungen setzen voraus, dass Menschen weiterhin über Tiere verfügen können, nur die Inhalte der Verfügung andere sein sollten. Tiere, ja auch die Wildtiere, stehen unter unserer Kuratel. Egal, was debattiert wird, die Kuratel verhandelt unter sich. Schon wenn der Mensch zum Tier jovial sagt: „Du bist jetzt auch ein Rechtssubjekt“, dann wirkt das aufgrund der Konstruktion irgendwie lächerlich. Von Menschen kann man verlangen, Vertreter ihrer selbst zu sein, von Tieren kann man das nie verlangen. Sie sind im leersten Sinne des Wortes verantwortungslos. Die Libelle vertritt den Stier vor Gericht, das könnte gerade mal Dietmar Dath einfallen.

Weder können sich Menschen ins Tierreich zurückversetzen, noch können wir Tiere im Menschenreich aufnehmen. Wenn Tiere Rechte haben, dann haben nicht Tiere Rechte, sondern Menschen für Tiere. Tiere bleiben ihren Advokaten ausgeliefert. So oder so. Natürlich ist es ein Unterschied, ob Kühe die meiste Zeit auf der Weide grasen oder ob sie, in wenigen Monaten hochgezüchtet, in unendlichen Transporten auf engstem Raum durch Europa zum Schlachthof gekarrt werden. Das soll nicht abgestritten werden. Alle Maßnahmen, die das Los der Tiere erleichtern, sind in ganz tierfreundlicher und wirtschaftsfeindlicher Weise zu unterstützen.

Tiere zu schützen wie zu schätzen ist eine menschliche Angelegenheit. Tieren kann derlei gar nicht aufgetragen werden. Tierschutz, Tierrecht und Tierbefreiung würden Tieren nie einfallen, weil sie ihnen gar nicht einfallen könnten. Oder will man tatsächlich den Tiger bestrafen, weil er die Antilope reißt oder den Storch, weil er den Frosch frisst, der die Mücke verschluckt, die an uns gesaugt hat? Würde man der Menschen Recht ins Tierreich einführen, bliebe nur eine übergeschnappte Gattung übrig. Wie man es auch betrachtet, die Instanz der Tiere sind die Menschen und nicht die Tiere. Und dies ist hier nicht als selbstgewisses Postulat vorgetragen, sondern als trauriges Resultat unserer Überlegungen.

Abgesehen davon, ist das Rechtskonzept überhaupt fragwürdig. Recht heißt immer auch Pflicht und Gewaltmonopol. Pflichten allerdings können die Tiere nicht wahrnehmen, und ein Gewaltmonopol – man mag es drehen und wenden – ist nur als Herrschaft, die von Menschen vollzogen wird, möglich. Jede Emanzipation, auch der Tiere, ist jenseits von Hierarchie und Gleichheit zu suchen, nicht in einer Analogisierung der Spezies. Auch legen all diese Forderungen nahe, dass der Wert nicht abgeschafft werden soll, sondern dass Tiere und Pflanzen akkurat einen (höheren) Wert erhalten sollen.

Es gibt auch Zonen, wo Tiere gegenüber Menschen bevorzugt sind, man denke nur an bestimmte Varianten des Sterbens. Kein Tier wird in eine aufwendige Chemotherapie geschickt, man geht davon aus, dass Tiere nicht unnötig leiden sollen, und vergönnt ihnen den Gnadentod. „Für Tiere gibt es in Österreich diese friedliche Art des Weggehens, für Menschen nicht“, beklagt sich etwa Bärbel Danneberg (Eiswege, Wien 2012, S. 85) nach dem Suizid ihres Mannes Julius Mende. Julius hat sich nach der Diagnose Lymphom in Mödling vor den Zug gelegt. Viele Menschen sterben schlechter als manche Tiere.

Aber würde tatsächlich niemand dem Tier eine Chemotherapie antun? Schon beim Niederschreiben beschleichen mich Zweifel. Vielleicht stimmt das gar nicht mehr, und die stationäre Tieronkologie ist in zwanzig Jahren bereits Realität. Und in fünfzig Jahren Norm. Zumindest für die privilegierten Tiere wie Hunde und Katzen in den reichen Ländern, sofern es solche dann noch gibt. Die Tieronkologie lässt mich folgendes Szenario beschwören: eine Fraktion, die meint, Tiere würden dort nur gequält; eine Fraktion, die davon ausgeht, Tiere seien nach wie vor einzuschläfern; eine Fraktion, die behauptet, auch Tiere hätten den Anspruch auf den höchsten medizinischen Standard. Die Palette möglicher Konflikte ist damit nicht ausgereizt. T.C. Boyles „Wenn das Schlachten vorbei ist“ lässt grüßen.

Meat is murder

Banal wie tragisch: Wer nichts isst, wird sterben. Und zwar nicht irgendwann, sondern bald. Verdauen heißt, dass wir uns verwirklichen, indem wir anderes entwirklichen. Die Ideologie einer intransigenten Gleichberechtigung aller Lebewesen oder gar Lebensformen kann nur in der Selbstabschaffung enden. Übergriffe sind also nicht abzuschaffen, sondern zu reflektieren und zu regeln.

Die Kehrseite allen Speisens ist die Entwesung von Materie. Insbesondere ihre Überführung vom Leben ins Nichtleben. Kochen bedingt ein Schlachten und ein Schneiden, ein Zerlegen, ein Verfügen, ein Kombinieren. „Meat is murder“ singen die Smiths oder auch die Shout out Louds. Das ist richtig, aber tatsächlich ist es wohl noch viel schlimmer: Eat is murder! Denn ist nur das Tier eine Leiche? Was sind tote Pflanzen? Was unterscheidet Ernten von Schlachten? Nicht, dass es keine Differenzen gäbe, aber die Gemeinsamkeiten erscheinen größer als die Unterschiede. Philosophisch sowieso, aber nicht nur. Allein dass wir dem Stoffwechsel unterworfen sind und uns täglich transformieren müssen, um leben zu können, erlegt uns Zwänge auf, aus denen wir nicht einfach aussteigen können.

Die deutschen Liedermacher von Joint Venture besingen das Verspeisen der Artischocke wie folgt:

Der Mensch schneidet ihr schnippschnapp
Die grünen Blätter ab
Dann wird ihr jäh das Herz herausgerissen
Dann wird sie in was Heißes reingeschmissen
Und dann wird sie zerkaut
Und dann wird sie verdaut
Hör zu du Pflanzenfresser
Du bist ja auch nicht besser.

(Text und Musik: Martin Simon und Götz Widmann, Die zarte Artischocke (1996) www.maxilyrics.com/joint-venture-die-zarte-artischocke-lyrics-0a92.html)

Dieser Vergleich mag hinken, aber er hinkt nur etwas, er hinkt nicht sehr. Außerdem ist jedes Hinken ein Bewegen und Gehen. Die Diskrepanz mag noch so groß sein, eine elementare Differenz zwischen Mensch resp. Tier und Pflanze ist nicht zwingend, auch sie wird implizit dekretiert, um fortan als obligat zu erscheinen. Zweifellos wird man was essen müssen, so man leben will. Wir ernähren uns stets von Anderem und Anderen. Irgendetwas wird dran glauben müssen.

Nahrung selbst ist ein fundamentales Problem, nicht nur Menge und Qualität, sondern ebenso Wer? Was? Wie? Warum? Wo? Wann? Vor allem auch, wenn die Frage dem Leben gilt und nicht bloß dem Überleben. Allerdings ist die Existenz Bedingung jedweder Essenz. „Meat is murder“ kapriziert sich alleine auf das Mensch-Tier-Verhältnis und definiert dieses (richtig, aber doch verkürzt) als eines der Unterdrückung und Ausbeutung. Nicht Bezug genommen wird auf das gesamte Weltverhältnis von Mensch-Tier-Pflanze-unbelebte Natur und gesellschaftlicher Umwelt.

Den Fressimperativ verlagern etwa Pflanzenesser nur auf eine andere Spezies. Sie erweitern das Wir, ziehen ein größeres Tabu, aber aufheben können sie es schließlich nicht. Denn der Stoffwechsel ist lebensnotwendig, ohne ihn könnte nichts und niemand gedeihen. So verschieben sich zwar die Klassifizierungsmerkmale, aber die Klassifizierung selbst bleibt unberührt. Es gibt nichts Unbedenkliches.

Schwein und Linse

Warum soll die Ribisel nicht friedlich verenden, indem sie Mitte August vom Strauch fällt? Wir hingegen essen sie roh oder pflücken sie, um sie anschließend zu zerstampfen, zermalmen, zergatschen und zuletzt erhitzen wir sie noch, um etwa köstliche Marmelade aus Johannisbeeren zu machen. Warum maßen wir uns das an? Indes, diese Frage muss erlaubt sein, bei jedem einzelnen Lebensmittel, das wir anrühren und uns zuführen. Warum sollen wir mit Pflanzen machen dürfen, was wir mit Tieren nicht machen sollen? Das zu Ende überlegt, ist freilich das Ende. Aber heißt dann nicht Leben Töten? – Ja, wir werden nicht darum herumkommen, geschweige denn darüber hinwegkommen.

Menschen sind zweifellos Tiere, aber sind Menschen und Tiere auch Pflanzen? Die Schranke zur Pflanze ist letztlich ebenso willkürlich wie die zum Tier. Wenn wir etwa die Zelle als gemeinsamen Baustein des Lebens akzeptieren, dann wird es eng. Kriterien der Exklusion wie Inklusion lassen sich allemal finden. Natürlich kann man sagen, Tiere sind uns viel anverwandter als Pflanzen, Schweine schauen uns viel ähnlicher als Linsen. Das Tier ist anders, aber doch nicht ganz anders, vor allem aber gibt es Tiere, die sind gar nicht viel anders. Gattungskategorial gedacht sind dann Säugetiere höher als etwa Hülsenfrüchte. Nur wie kommen wir eigentlich dazu, Pflanzen so niedrig einzustufen? Warum sollen wir sie akkurat essen resp. an Tiere verfüttern dürfen? Warum maßen wir uns das an? Ganz einfach: Wir stellen uns da gar keine Fragen, wir nutzen sie, indem wir Pflanzen an Tiere verfüttern resp. sie selbst essen. Vegetarier und Veganer noch mehr als Fleischesser.

Doch selbst wenn Menschen keine Pflanzen sind, dürfen jene dann zweckmäßig gegen diese vorgehen, sie als bloßes Mittel betrachten? Man kann das nicht positiv begründen. Der Hunger ist ja kein analytisches Argument, sondern eine empirische Tatsache, die wir freilich weder negieren noch verharmlosen wollen. Je länger wir darüber nachdenken, desto irrer wird es. Zweifellos, die Verwandtschaft zwischen Menschen und Pflanzen ist eine sehr weite. Aber warum sollte gerade ein Verwandtschaftsgrad entscheidend sein? „Liebe deinen Nächsten und töte den Übernächsten“ kann ja auch nicht der Weisheit letzte Frohbotschaft sein. Je genauer wir schauen, desto mehr beginnt zu wanken.

Aber sind das nicht Luxusgedanken von Luxusgeschöpfen in ihrer Luxuswelt? Auch das ist nicht falsch und wohl der Hauptgrund, warum überhaupt solche Überlegungen an Position gewinnen. Es ist aber ein Luxus, den wir uns leisten und hinter den wir nicht zurückfallen sollten. Unsere Betrachtungen laufen auch nicht zwangsweise auf Verbote hinaus, aber stets auf die Pointe zu, dass wir angehalten sind zu begreifen, was wir tun, wer wir sind und was wir essen.

In aller Rigorosität ist die Frage zu stellen: Wer ist eins schon, dass es partout nicht gleich verrecken soll, andere und anderes aber schon? Hier regiert ja immer noch die Gewalt des Zugriffs, der Stärkere frisst die Schwächeren, der Schnellere die Langsameren, der Vifere die Dümmeren, der Bewaffnete die Unbewaffneten, der Mächtige die Ohnmächtigen. Was nicht unbedingt ein sehr anregendes Modell ist, aber eine derart brutale Erfolgsspur hinterlassen hat, dass dessen Vertreter immer noch und immer wieder unermüdlich behaupten: Der Mensch, der ist so und der isst so. Basta.

Aporetik und Dilemma

Fragen über Fragen türmen sich auf. Ist jedes Ungeziefer Geziefer? Was tun mit Kartoffelkäfern, Salatschnecken und anderen „Schädlingen“? Und mit bissigen Hunden auf der Straße? Und mit BSE? Wie ist das mit der Kammerjägerei? Was dürfen wir und was dürfen sie? Und was geschieht, wenn getan wird, was verboten oder nicht zulässig ist? Oder denken wir an die vielen „hochgezüchteten“ Hausschweine, die es in dieser Form nur gibt, weil wir so viel Schinken verzehren. Welche Perspektive haben sie? Selbst wenn man sie nicht mehr künstlich multipliziert, sondern frei laufen und machen lässt, ist nachzufragen: Was passiert, wenn sie nun ungeschlachtet massenhaft nach einigen Jahren an bösartigen Tumoren erkranken? Pflegen wir sie? Lassen wir sie krepieren? – Also ich will mir beides nicht vorstellen! Die Debatte über diverse Praktikabilitäten ist nicht einfach vom Tisch zu wischen.

Je mehr wir durch die Innereien spazieren, desto mannigfaltiger werden die Aporien. Das unendliche Problemfeld scheint direkt geschaffen zu sein für eine Aporetik, wo kaum lösbare Angelegenheiten zur Sprache kommen, was auch bedeutet, dass es leichter und angenehmer ist, in diversen Inkonsequenzen zu verharren als Konsequenzen zu ziehen. Nicht vor der Frage zu kapitulieren, heißt sich ins Nichts zu katapultieren. Das nennt man Dilemma. Und der Dilemmata sind viele. Wobei diese Einsicht nicht als weinerliche Flucht oder gar fatalistische Ergebenheit interpretiert werden darf. Es ist schon einiges dezidiert zu wollen: Weg mit den Tierfabriken, Abschaffung von Tierquälerei und Tierversuchen, radikale Minimierung der Tiertransporte, keine Legebatterien, letztlich Befreiung von Pflanze, Tier und Mensch aus der Verwertung. Solange wir uns jedoch keinem bestimmten Dogma verschreiben, werden wir um gewisse Widersprüche nicht herumkommen.

Es ist dies nun kein Bekenntnis zu Fressen und Gefressenwerden, sondern ein humanistisches Plädoyer für eine sensible Bedachtnahme, die zwar unsere natürlichen Zwänge (und das Essen ist einer, wenn nicht der grundlegende Zwang) ernst nimmt, aber nicht als Freibrief versteht, alles, was uns unterkommt, zu jagen und zu sammeln, zu schlachten und zu fressen. Essen ist so einerseits eine existenzielle Notwendigkeit, andererseits aber ein essenzielles Problem. Allerdings ist das Nichtessen, also das Hungern und das Verhungern, ein noch größeres Problem. Hungernde, ja noch mehr Verhungernde wären ja geradezu der Idealtypus eines sowohl umweltpolitisch als auch tierrechtlich korrekten Menschen. Dessen ökologischer Fußabdruck, er wäre vorbildlich. Diese Logik ist bestechend, aber sie ist durch und durch menschenfeindlich und inakzeptabel, trotz Logik. Was also tun? Was denken? Gar nichts denken und einfach tun, geht ja auch nicht.

Die Setzung „Ich will essen“ ist nicht nur eine Allgemeinheit, sondern eine Gemeinheit sondergleichen. Das Einzige, was wir essen können, sind nämlich Leichen. Das Fressen, das ist stets ein Leichenschmaus. Gute Küche und gepflegtes Speisen, das ist nichts anderes als die kulinarische Ästhetisierung von Leichen. Rezepte sind Anleitungen zur Leichenverarbeitung. Indes ist die Leiche auch kein heiliges Gut. Das Problem ist auch nicht das tote Tier, sondern das zu tötende. Nicht das Tiere-Essen, sondern das Tiere-Schlachten. Dem Toten wird ja auch nichts angetan, nur dem zu Tötenden, also dem Lebenden. Dieser Akt der Hinrichtung stellt uns vor massive ethische Probleme, die nur Ignoranten leugnen können. Das Abendmahl ist allemal freundlicher als der Schlachthof; das Steak, der Tafelspitz, die Rindsuppe sind anheimelnder als die Kuh vor dem Schlachtbolzen. Nur wenn wir das verdrängen, kann es uns schmecken. So verdrängen wir und wünschen uns „Guten Appetit!“.

Kein Schluss

Es geht darum, Menschen und Tieren und Pflanzen ein gutes Leben zu bieten. Eine schöne Frist auf Erden, das hätte schon was. Nahrung gehört da dazu. Leider. Doch unter dem Vorzeichen der Verwertung können Tod und Tötung nicht friktionsfrei diskutiert werden. So muss man vor allem letztere entweder weiterhin tabuisieren und verdrängen, was die Menschen betrifft, resp. bagatellisieren, was die Tiere angeht. Wir stecken ganz schön tief in der Scheiße. Auf festem Grund, da sind wir nie gestanden, das behaupten nur die unzähligen Märchen der Ideologie.

Eine Aufgabe bestünde darin, Valenz in Ambivalenz zu überführen. Wichtig wäre es, allen Lebewesen nicht Gleichgültigkeit oder Wertung, sondern Sorge und Schätzung entgegenzubringen. Das ist nun keine Subordination unter deren Sosein, aber doch eine Betrachtung, die diese nicht bloß als Mittel und Zweck instrumentalisiert, sondern vorerst als Eigenes anerkennt, selbst wenn dieses verändert und aufgelöst, zerstört und verkocht wird. Nicht als Herren der Welt, sondern als Hüter des Daseins wären wir gefragt. Alles nicht so einfach.