Der Veränderungsagent

von Franz Schandl

„Wir leben in einer VUKA-Zeit. Alles scheint volatil, unsicher, komplex und ambivalent zu sein. Die Herausforderung dabei ist, entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben. Das gilt für jeden und jede von uns. Und das gilt ebenso für die Politik. Um in VUKA-Zeiten nicht im Chaos, im Zynismus oder im Burn-out zu versinken, braucht es unternehmerischen Esprit. Auch und gerade in der Politik. Die Komponisten und Taktgeber, die wir für eine gute gesellschaftliche Weiterentwicklung brauchen, sind politische Entrepreneure. Politische Entrepreneure spüren ihre Mission, sie haben Vision und sie sind tatkräftige Umsetzer. Sie steigen mit dem Mut und dem Enthusiasmus des Pioniers in den Ring, um den Wettbewerb um die besseren politischen Lösungen auszurufen. Es geht um die Entschlossenheit und die Fähigkeit, neue Ideen und Erfindungen in erfolgreiche soziale Innovationen umzusetzen. Dazu braucht es ungestüme Beharrlichkeit, Bereitschaft zum Risiko, Freude am Tun und das Feuer der sachlichen Leidenschaft.“

Dieser Text findet sich auf der Homepage des Matthias Strolz, und er dürfte durchaus wiedergeben wie der Chef der pinken NEOS – Das Neue Österreich, so tickt. Die angehäuften Reizwörter stammen allesamt aus einem wirtschaftlichen Erleuchtungsseminar: Mission, Vision, Risiko, Enthusiasmus, Innvovation. Nichts wird da ausgelassen. Die Kraft der Substantiva ergibt sich nicht aus ihrem Gewicht, sondern speist sich aus dem Glauben des ökonomifizierten Publikums, das sich in diesem Vokabular der Erfolgreichen wiedererkennen will und entsprechend wählt. Ebenso nicht zu überlesen, ist das esoterische Flair der Phrasen: VUKA-Zeit, da hört man im Hintergrund einen Wassermann plätschern, der da kommen soll, obwohl es doch sternzeichenmäßig bloß ein alter schwarzer Fisch ist, der hier in neuer Schale posiert.

Strolz selbst bewegte sich jahrelang im Umfeld der Volkspartei, war Mitarbeiter im ÖVP-Parlamentsclub, zuletzt Berater der glücklosen ÖVP-Spitzenkandidatin Christine Marek bei der Wiener Gemeinderatswahl 2010. Seine Stellvertreterin Beate Meinl-Reisinger war übrigens deren Büroleiterin. Die NEOS sind Fleisch vom Fleisch der ÖVP, personell wie ideell. Sie sind eine kleine wirtschaftsliberale Schachtel, die sich pinkifiziert hat, sodass pfiffig erscheint, was abgestanden ist.

Schnelllebigkeit

Österreichs Parteiensystem ist im Umbruch. Anders als in Deutschland setzten sich in Österreich nicht noch einmal die Kräfte der Kontinuität durch, sondern ein Bruch folgt dem nächsten. Über einen Mangel an Schnelllebigkeit und Turbulenz kann man sich nicht beschweren. Kaum wird eine Sternschnuppe entdeckt, ist sie schon wieder abgestürzt. Frank Stronach etwa, dessen Team in absehbarer Zeit Geschichte gewesen sein wird.

Es ist kein Jahr her, da wusste niemand was von den NEOS oder von Strolz, da dachte man eher noch an den Aufstieg der Piraten. Die waren zwar hierzulande nicht so stark wie in Deutschland, aber durchaus rege und bereits in einige Gemeinderäte (Innsbruck, Graz) eingezogen. Der Newcomer der Saison ist aber nicht irgendein Pirat und auch nicht Frank Stronach, sondern der 1973 in Vorarlberg geborene Matthias Strolz. Der Organisations- und Politikberater ist ganz ein Produkt der modernen Marketing- und Coaching-Zone. So will er er auch als Moderator in eine erweiterte rot-schwarze Koalition einsteigen und diese auf Vordermann bringen.

Gleich der grünen Konkurrenz sind die NEOS eine Partei der urbanen Modernisierungsgewinner, ungleich der Ökopartei versuchen sie aber nicht einen Spagat aus „sozial“ und „liberal“ hinzukriegen. So ist es den NEOS tatsächlich termingerecht gelungen, sowohl in den Reihen der ÖVP als auch der Grünen zu wildern, das kleine liberale Stammpublikum für sich zu mobilisieren und auch noch das Team Stronach abzuräumen. Da konnten welche Stimmen sammeln, denen man das in dieser Größenordnung nicht zugetraut hätte. Aber man soll auch nicht übertreiben, ihr Ergebnis ist eines in der Höhe der dezimierten FDP.

Wirtschaftskompetenz

Selbst dass das Wort NEOS (zufällig?) mit „neoliberal“ zu assoziieren ist, störte nicht. Der haltlose Glaube an den Markt und seine Segnungen spukt in nicht wenigen Köpfen. „Die Wirtschaft ist ein dynamisches Lebewesen“, visionierte Strolz in der ORF-Pressestunde vom 13. Oktober. Das Credo geht wohl so: Nicht die Wirtschaft soll was von den Menschen verstehen, sondern die Menschen was von der Wirtschaft. Politiker sind inkompetent, Wirtschaftskapitäne hingegen kompetent. Eigenartigerweise wird die ökonomische Krise mehr der Politik zugeschrieben als der Wirtschaft.

Strolz wünscht sich folgendes: „Politiker sind Geburtshelfer des Neuen. Ein Politiker muss sich in seinem Selbstverständnis als Veränderungsagent verstehen.“ Also, das Neue kommt nicht aus oder von den Menschen, die angesprochenen Politiker sind lediglich dazu da, Trends zu erkennen und zu befördern. Frei ist der Wettbewerb der Affirmatiker. Die Frage, die sich stellt, ist also nicht: Was will ich?, sondern Was habe ich zu wollen? Das legen auch Begriffe wie „systemische Profis“ und „Change Agents“ nahe. Es geht bloß ums Know how: „Politiker agieren in diesem Netzwerk als Ingenieure.“ Und natürlich fehlt auch nicht ein kräftiger Schuss Sozialdarwinismus: „Survival of the fittest im Sinne der Evolutionstheorie gilt auch für Organisationen: Überleben werden jene, die sich am besten der sich verändernden Welt anpassen beziehungsweise diese integrieren.“ Wenn er könnte, wie er müsste, würde der PR-Jargon verkünden: Die Mission der Vision ist die Innovation der Evolution.

Nicht zuletzt ist wohl auch deswegen die Vierprozent-Hürde übersprungen worden, weil Frank Stronach mit seinem unermüdlichen Wirtschaftsgelaber den Boden aufbereitet hat, dann aber im Wahlkampf als senil und debil über den Bildschirm gekommen ist. Der Geldgeber der NEOS, der Kärntner Bauunternehmer Hans-Peter Haselsteiner, der gleich dem Spitzendkandidaten im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielte, konnte sich als seriöser Unternehmer präsentieren, noch dazu als einer, der gerade Sätze spricht und nicht als unflätiger Grobian auffällt. Da half auch Stronachs sinngemäßer Einwand nicht, er sei der mit dem Weltkonzern, der andere nur ein kleiner Baumeister.

„Alles wird gut. Immer wieder“, prophezeit Strolz. Das stimmt genauso wie das Gegenteil. Über den vordergründigen Reklameeffekt hinaus hat diese Aussage keinen Gehalt. Sie predigt schlicht das positive Denken, auch das ist nichts NEONeues, sondern politischer Usus. Schauen wir also, wie volatil sich die NEOS gestalten. Entscheidend wird sein, wie sie bei den Gemeinderatswahlen in Wien im Jahr 2015 abschneiden. Kommen sie dort nicht rein, dann dürften sie auch wieder weg sein. So ist das in VUKA-Zeiten.