Schönheit

von Lorenz Glatz

Er „war keineswegs unempfindlich für Schönheit; er empfand sie im Gegenteil so tief, dass der Gegensatz dieser Welt der Schönheit zu jener, in der er lebte, und zu der Arbeit, die er selbst zu leisten hatte, ihn schmerzlich traf, sooft er sich seiner bewusst wurde.“ (G. Ellert, Das blaue Pferd, S.33) Ich war ganze vierzehn Jahre alt, als ich das las. Es gibt in meinem Leben immer wieder einmal ein „Das kommt mir nicht aus dem Sinn“. Es mag jahrelang verschütt gehen, aber es kommt wieder. Weil es mich eben trifft.

Die Erkenntnis, dass ich jenes Gefühl teile, dass mein Leben weit hinter dem zurückbleibt, ja dem widerspricht, was ich als Schönheit erahne, hat sich in mein Gedächtnis eingefurcht. Was ich so durchlebe, übersteigt von Zeit zu Zeit sowieso das, was ich eigentlich aushalte, aber das ist vermutlich recht weit verbreitet, auch wenn eins das oft nicht wahrhaben will und sich das Unerträgliche schönredet. Mag sein, dass ich wehleidig bin, aber zu wenig bescheiden für die herrschenden Verhältnisse bin ich immer geblieben.

Gottseidank kommt und bleibt da immer auch Schönes, sonst würd ich ja schlapp machen. Aber von dem Ganzen, Umgreifenden, „Schönheit“, von dem ich irgendwie weiß, ist das, bin ich, sind wir schmerzlich weit weg. Von dieser Schönheit Worte zu machen, bleibt weit hinter dem zurück, was es in mir ist, ein Traum, eine Art verrückte Erinnerung an eine Zukunft, die ich suche. In der unser freies, chaotisches Leben nicht an den Messlatten der Herrschaft gestutzt, gestreckt, verstümmelt und bewertet wird, sondern in freier Entfaltung schöne Gestalt annimmt. (Eine miese Übersetzung!)

Ich hasse mich nicht, aber ich glaube andererseits nicht, dass ich bei allem Unsinn, den ich schon verzapft habe, von mir je wie ein Fan von seinem Star gedacht und gesprochen habe. (Heute wird das angeblich für jedes Bewerbungsgespräch trainiert.) Und an mein gutes Leben zu glauben, so nach der Masche, dass ich noch immer viel besser drauf und dran bin als die Loser rundum, auch das habe ich nie allzu lang durchgehalten. Solchen doch recht erbärmlichen Illusionen ist immer meine „Fiktion“ von Schönheit in die Quere gekommen.

Die sinnlichste Bedeutung von lateinisch fictio ist die „künstliche Gestaltung durch streichelnde Berührung“. Davon ist nur die Vorstellung im heutigen Wort geblieben, aber im Falle der Schönheit auch das Begehren nach ihr, von der ich, von der wir nicht auf ewig getrennt sein sollen.

Da schlägt sie durch, die judäochristliche Ketzersehnsucht nach dem Millennium der Befreiung, das den ewigen Kreislauf des Elends der Weltgeschichte brechen und der Utopie Platz schaffen soll. Die antreibt zu den rabenschwarzen Gedanken der Kritik und ihr zugleich den bunten Horizont ihrer Bewegung setzt – und dem Leben die Aussicht öffnet auf Schönheit. Die ihm zusteht.