Die schöne neue Welt von Professor Hörmann

von Peter Fleissner

(ursprünglich erschienen in: Volksstimme, Juni 2011, S. 51-54)

Im Oktober des vergangenen Jahres veröffentlichte der online-Standard ein Interview mit Professor Franz Hörmann vom Institut für Unternehmensrechnung der Wirtschaftsuniversität Wien, das bei ökonomisch Interessierten ziemliche Wellen schlug. Zog der Titel „Banken schaffen Geld aus Luft“ schon die Aufmerksamkeit der LeserInnen auf sich, waren die weiteren Aussagen über den Bankensektor noch provozierender. „Das Vertrauen ist … von den Banken systematisch missbraucht worden. Es gibt ein systemisches Betrugsmodell einer Institution, der in unserem Wirtschaftssystem das Monopol zur Geldschöpfung über Kredite eingeräumt wird.“ sagte Hörmann. Ein Satz mit diesem Inhalt klang für mich durchaus sympathisch und entsprach der Stimmung in der Bevölkerung, die durch die Bankenkrise verunsichert worden war. Mittlerweile hat Professor Hörmann gemeinsam mit seinem Kollegen Otmar Pregetter ein Buch verfasst, dessen Titel „Das Ende des Geldes“ die bisherigen Aufreger fortsetzt. Es beginnt mit den denkwürdigen Sätzen: „Es könnte sein, dass zu dem Zeitpunkt, da Sie dieses Werk in Händen halten, einiges bereits hoffnungslos veraltet ist, z.B. weil Spanien, Großbritannien oder gar die USA bankrott sind bzw. sie ihren Bankrott öffentlich eingestanden haben.“ Zwar schießen sich die Medien und Rating-Agenturen, welche die Kreditwürdigkeit einer Institution einschätzen, derzeit auf Griechenland als Kandidaten für einen Staatsbankrott ein, aber der Sachverhalt wird korrekt gesehen, dass nicht nur Unternehmen, sondern auch Staaten Pleite gehen können. Die meisten Fach-ÖkonomInnen hätten bisher für die Länder der Europäischen Union einen Staatsbankrott für unmöglich gehalten. Sie müssen nun umlernen. Die noch immer nicht beendete, sondern nur verlagerte Finanzkrise wird ihnen noch weitere Gelegenheit geben, ihre Vorstellungen von der Wirtschaft zu verbessern.

Zeitgeistig?

Der Beginn des Buches machte mich neugierig, da schon in der Einleitung zu lesen war, dass eine alternative Gesellschaft angeboten wird, die „Gesellschaft nach dem Schuldgeldsystem“, die das bisherige System ablösen würde. Hier begann meine erste Irritation, da sich von den mehr als 200 Seiten des Buches nur 15 mit dieser Alternative beschäftigten. Der Gerechtigkeit halber muss erwähnt werden, dass Hörmann/Pregetter einen Folgeband mit dem Titel „Geldlos – demokratisch – glücklich. Leben in der Wissensgesellschaft“  in Aussicht stellen, wo die fehlenden Details nachgebracht werden sollen. Die Autoren verweisen auf Initiativen, wie das Venusprojekt, die Zeitgeist- und EURO-WEG-Bewegung (WEG = Wert-Erhaltungs-Geld),[1] die ähnliche Inhalte verfolgen wie die beiden Autoren. Letztere sieht laut Hörmann vor, dass jeder Mensch als Geburtsrecht ein Konto mit einer Geldsumme erhält, die für Ausbildung oder Konsum etc. verwendet werden kann. Es gilt das Konzept „Jedem nach seinen Bedürfnissen – jeder nach seinen Fähigkeiten.“ Ihnen, liebe LeserIn, werden diese Sätze vielleicht nicht ganz unbekannt sein. Sie stammen aus Marx‘ „Kritik am Gothaer Programm“ aus dem Jahr 1875, in der er seine Vorstellungen über eine kommunistische Gesellschaft entwickelte. Bei Marx war allerdings die Reihenfolge der beiden Sätze im Zitat umgekehrt: Zuerst sollen die Fähigkeiten eingesetzt werden, also eine Leistung für die Gesellschaft erbracht werden, dann sind auch die Mittel vorhanden, um die Bedürfnisse zu befriedigen.

Die Quelle des Zitats wird von Hörmann/Pregetter zeitgeistig verschwiegen. Man könnte ihnen zugutehalten, dass dies nach dem Motto geschah, besser nicht mit dem Kommunismus in einem Boot gesehen zu werden, damit sie nicht den weit verbreiteten Vorurteilen ausgesetzt sind. Marx als Quelle gilt – so scheint es – in den Medien, denen die Menschenrechte angeblich heilig sind, immer noch als anrüchig. Andererseits muss man sich fragen,  ob Zitieren ohne Quellenangabe – auch wenn dabei unangenehme Wahrheiten zutage kommen – ein gutes Vorbild für die Studierenden darstellt und eine saubere Grundlage für eine zukünftige Gesellschaft abgibt. Unterm Strich ist es mir dennoch lieber, die Autoren benützen das Zitat, als dass sie es verschweigen, weil es eine richtige Orientierung bietet.

Das Leben auf der Insel

Hörmann/Pregetter zeichnen folgendes Bild von der Krise der letzten Jahre. Sie sagen – und da stimme ich voll zu -, die Krise ist keine punktuelle, sondern eine Systemkrise. Schuld sind nicht die Entscheidungen und Handlungen von einzelnen Menschen mit ihren persönlichen Interessen, sondern Schuld ist das Geldsystem, denn das Geldsystem mit seiner Zinseszinslogik zwingt die Menschen dazu, einander die Zinsen abzujagen, mit der sie ihre Kredite bedienen müssen. Die Institution, die dabei die zentrale Rolle spielt, sind die Banken, die ein „Betrugssystem“ darstellen würden. Anhand des Beispiels einer Insel, auf der Geld unbekannt ist, erläutern die Autoren, was sie darunter verstehen. Durch einen Banker wird Geld von außen auf die Insel gebracht. Er verleiht an alle Wirtschaftstreibenden 100 Goldstücke gegen einen Zinssatz von sagen wir 10 Prozent. Nun wird es für die Inselmenschen leichter, miteinander Handel zu treiben. Aber am Ende müssen sie das Geld mit Zinsen zurückzahlen, und das geht nur, indem sie einander die Zinsen abjagen. Die Autoren möchten damit den Zwang zur Konkurrenz erklären, der durch das Bankensystem entsteht, und dass „der Mensch dem Menschen ein Wolf“ (homo homini lupus est) ist.

Aber sehen wir genauer hin. Das Beispiel hält leider nicht, was es verspricht, denn es würde bedeuten, dass die Bank nie mehr Goldstücke zurückbekommen könnte als sie an Krediten vergeben hat. Das würde bedeuten, dass der Banker keinen Gewinn erzielen könnte. Dies entspricht weder der Erfahrung der letzten Jahrhunderte noch dürfte es im Sinn der Welterklärung von Hörmann/Pregetter liegen. Ihr Beispiel geht sozusagen nach hinten los.

Was schafft Reichtum?

Tatsache ist, dass die Banken in der kapitalistischen Wirklichkeit unter Normalbedingungen durchaus Zinsen und Gewinne einfahren, sogar jetzt liegen die neuesten Gewinndaten der österreichischen Banken in Milliardenhöhe. Woher kommt denn der Überschuss, den sie einfahren? Hörmann/Pregetter würden sagen, das geht nur, wenn zusätzlich Geld aus dem Nichts geschöpft wurde. Sie abstrahieren in ihrem Buch aber von der materiellen Seite der Wirtschaft, von der Produktion von Waren durch die Arbeit der Menschen. Erst dann macht Geld aus Ausdruck des Wertes der Waren Sinn. Andererseits gibt es keine Waren ohne Arbeit, was den einfachen Schluss zulässt, ohne Arbeit der Menschen kein Geld.

Die Marxsche Werttheorie hat sich mit diesen Fragen detailliert beschäftigt und wartet mit einer besseren Erklärung auf: Nur die Arbeit bietet die kontinuierliche Möglichkeit der Werterzeugung und Wertvermehrung. Marx hat für diesen Prozess eine Formel gefunden, in der er den zentralen Zusammenhang zwischen Waren und Geld kurz darstellt. Die Unternehmer verwandeln Geld G, das sie vielleicht von einer Bank erhalten haben, in Waren W, die sie am Markt kaufen. Diese Waren bestehen aus zwei verschiedenen Arten, aus stofflichen Dingen und aus der Ware Arbeitskraft. In der Fabrik werden durch Anwendung von Arbeit in Kombination mit den anderen Waren neue Waren W‘ erzeugt, deren Wert höher ist als der Geldbetrag G, mit dem die Produktionsmittel eingekauft wurden. Über den Markt kann der Unternehmer – wenn alles gut geht – durch Verkauf der Waren W‘ diesen höheren Geldbetrag G‘ einnehmen. Marx schreibt dafür einfach

G – W – W‘ – G‘

Der letzte Tausch in der Formel W‘ – G‘ kann nur dann funktionieren, wenn die Nachfrager Geld in der nötigen Höhe zur Verfügung haben. Hier bin ich mit Hörmann/Pregetter einig. Es wird nicht in Abrede gestellt, dass Geld geschöpft wird (entweder direkt von den Banken oder durch Maßnahmen der Nationalbank, die sie herunterspielen) und dass Kredite gegeben werden, aber die Werterhöhung kommt nicht aus dem Geld selbst. Würde nur das Geld im Verhältnis zu den Waren vermehrt werden, würde sich über kurz oder lang der Preis der Waren (der ungleich dem Wert ist) verteuern. Es wäre also Inflation die Folge, was man auch an den Spekulationsblasen bei Häusern, Erdöl, Rohstoffen und Nahrungsmitteln ablesen kann.

Nach der Marxschen Theorie des Mehrwerts, der den Unterschied zwischen dem Wert der Waren vor der Produktion (W) und danach (W‘) zum Ausdruck bringt, wäre es unter normalen Bedingungen durchaus möglich, Zinsen aus diesem Unterschied an die Bank zu zahlen und den Kredit zu bedienen, solange sie nicht zu hoch sind und der Mehrwert nicht zu klein ist. Von dort könnten im Prinzip die Zinszahlungen genommen werden, ohne dass vernichtende Konkurrenz die Folge sein muss wie aus dem Insel-Beispiel der Autoren geschlossen wird.

Der Gegenwert des Geldes

Eine weitere Schlussfolgerung lässt sich aus der Marxschen Theorie ableiten. Hörmann und Pregetter meinen, dass durch die Abschaffung des Goldstandards (der bedeutet hat, dass die Sparer das Recht und die reale Möglichkeit besitzen, auf Wunsch ihre Einlagen, die sie vielleicht in Papiergeld geleistet haben, in Gold ausbezahlt zu bekommen) der Gegenwert des Papiergeldes nur noch in Schulden auf zukünftige Steuereinnahmen bestehen würde. Wieder beziehen sie sich nicht auf die dahinterliegende Fähigkeit der Menschen eines Landes, durch Arbeit Reichtum zu schaffen. Diese Fähigkeit war und ist noch immer – Goldstandard hin oder her – der eigentliche Gegenwert unseres Papiergeldes oder auch des Geldes, das als sogenanntes Giralgeld auf den Konten der Banken liegt.

Damit sind meiner Meinung nach die Ideen der Autoren für eine künftige Gestaltung unserer Wirtschaft nicht entkräftet. Im Gegenteil, sie legen intuitiv den Finger auf die richtigen Stellen. Geldgier, Korruption und Betrug sind systemische Bestandteile unseres kapitalistischen Systems. Das Konkurrenzmotiv, das sich nicht nur in den ökonomischen Verhältnissen zwischen Unternehmen breit macht, sondern auch Folgen für alle Menschen und deren Verhalten hat, das eine Ellenbogengesellschaft erzeugt, die nicht in der wechselseitigen Unterstützung der Menschen, sondern in der umfassenden wechselseitigen Gegnerschaft das Heil sucht, ist eine weitere systemische Eigenschaft unseres alltäglichen Lebens geworden.

Auch wenn die Autoren einen unzutreffenden Mechanismus zur Erklärung der Krise heranziehen, stimme ich mit ihren Schlussfolgerungen überein, dass den Banken das Recht auf Geldschöpfung entzogen werden müsste und dass sie den allgemeinen Interessen der Menschen untergeordnet werden müssen, z.B. zur Finanzierung eines Grundeinkommens, dessen materieller Inhalt allerdings erarbeitet werden muss und nicht durch sogenanntes Fiat Money vom Himmel fallen wird. Der Bankensektor darf nicht von Profitinteressen geleitet sein, denn dann wird der Spekulation und einer immer ungleicheren Einkommens- und Vermögensverteilung Tür und Tor geöffnet. Eine nächste Finanzkrise wird die Folge sein, die ohne radikale Maßnahmen ein noch größeres Ausmaß annehmen wird als die derzeitige.

 


[1] Siehe www.thevenusproject.com/; http://www.zeitgeist-movement.at/;