Des Neffen Infarkt

Dass es der ÖVP nicht gut geht, das ist schon seit Monaten zu beobachten

Von Franz Schandl

Man gewinnt keine Wahlen, trudelt von einem Skandal in den nächsten und dann bricht auch noch der erst 42jährige Parteivorsitzende unter Atemnot auf der Tiroler Schipiste zusammen und muss per Helikopter ins Spital gebracht werden. Mit seinem beidseitigem Lungeninfarkt lieferte Josef Pröll, Vizekanzler und Finanzminister in der Koalitionsregierung nur den medizinische Befund des politischen Zustands. Vor allem die „Cash-for-Laws“-Affäre, nach der Ernst Strasser , der von Pröll protegierte Delegationsleiter im Europaparlament, zurücktreten musste, hatte die Partei schwer getroffen. Abgeschlagen rangieren die Schwarzen zur Zeit knapp über 20 Prozent, weit hinter SPÖ und FPÖ, die um den ersten Platz matchen.

Prölls Abgang kam zwar überraschend, aber zur Zeit wäre er wohl nur bedingt einsatzfähig und das geht in der Politik nicht, die verbraucht ihre Spitzen rund um die Uhr. Auch größere Flugreisen wären den von Thrombosen Geplagten nicht zuzumuten gewesen. Mit dem Schiff nach China, das geht nicht. So habe er, der in „den letzten drei Jahren alles für die Partei gegeben“ hat, seinen Rücktritt verkündet. In dem Alter mag das doppelt bitter sein.

Politik ist mitunter nicht nur für die Behandelten gefährlich, sondern auch für die Handelnden. Der Input ist inzwischen größer als der Output. Die Intensität spiegelt sich selten in den Resultaten wieder. Das Bohren harter Bretter gleicht immer mehr dem Kratzen an einer Stahlwand. Die Hetze von Termin zu Termin ist unmenschlich, der Zwang zur Omnipräsenz gefährdet das eigene Leben: dessen Qualität sowieso, aber auch dessen Existenz schlechthin.

Wenn in Medien gar von den „mörderischen Ansprüchen des Politikerberufs“ (Salzburger Nachrichten, 14. April 2011, S. 1) gesprochen wird, dann müssten die Alarmglocken läuten und sich sofort jene banale Frage aufdrängen, die nie gestellt wird: Warum erschafft eine Gesellschaft Berufe, die solche Anforderungen stellen? Um Leute umzubringen? In und durch die Politik? Mag sein, aber soll man das wollen? Es muss jedenfalls extrem frustrierend sein, wenn man den ganzen Tag nicht zum Verschnaufen kommt, und zum Schluss nichts erledigt hat, außer sich selbst. Wenn manche Politiker gar ihren 16stündigen Arbeitstag ausloben, dann sprechen hier Verrückte über ein verrücktes System. Aufopferung ist keine Tugend, sondern eine Störung.

Nun streut man Josef Pröll Rosen. Indes, so viel wie er zum Abschied gesagt haben soll, hat er nicht gesagt. Für den Anstand und gegen den Stillstand zu sein, was heißt das schon? „Bringen wir der Politik zukünftig mehr Anerkennung und Respekt entgegen“, meinte der scheidende ÖVP-Chef. Aber warum und weshalb? Wenn Pröll gar das Fehlen von „Aufbruchstimmung und Optimismus“ beklagt, dann stellt sich sofort die Frage, woher die denn kommen sollten. Aus der Politik? Da ist eher Flucht angesagt. Die rege Betriebsamkeit sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier immer weniger um eine gestaltende Kraft handelt. Der Kern ist Verwaltung, der Rest Fiktion. „Wir alle wissen, was eigentlich notwendig wäre“, sagt Pröll und erntet Kopfnicken anstatt Kofschütteln. Originell wäre gewesen: „Eigentlich wissen wir nicht, was zu tun ist.“ Das käme auch der Wahrheit bedeutend näher.

Aber hurtig, es geht weiter. Der Nachfolger ist gekürt, der bisherige Außenminister Michael Spindelegger wird Vizekanzler und Parteichef. Der farblose Nichtanecker ist eine gefällige Gelegenheitslösung. Verbindlich im Ton, entschieden im Ehrgeiz. Nichts Außergewöhnliches, eben eine ÖVP-Karriere. Seine Antrittsrede und die ersten Interviews wirkten wie aus der Coachingzone der politischen Worthülsen. Kaum sagte man ihm zu wenig Kanten nach, wollte er das Profil auch schon schärfen. Alles, was gehört werden sollte, hat er gesagt. Es war die obligate Ansage, eine dieser vielen Reprisen, die bloß verdrossen machen. Natürlich soll diesmal alles ganz anders werden. Tatsächlich wird die ÖVP erneuert werden.

Der Neue brauche völlig freie Hand, verkündet Erwin Pröll, der niederösterreichische Landeshauptmann. Da wäre nachzufragen, ob der Alte, sein eigener Neffe Josef, die nicht hatte. Des Neffen Infarkt wird den Oheim der Partei doch nicht umgestimmt haben. „Die Weichen werden (…) im Parteivorstand gestellt“, sagt der Onkel, der mächtigste Mann und Königsmacher in seiner Partei, ganz kryptisch. Die Härten, die behält er sich wie immer selbst vor.

P.S.:Bezeichnendes Detail am Rande: Gerade am Tag der Inauguration des neuen Parteichefs wird dem steirischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Kasic Lobbyismus vorgeworfen. Na sowas! Der gute Mann soll Inserate eines Sportwettanbieters in seiner lokalen Gratiszeitung „Bezirksrevue“ angenommen haben, obwohl er gleichzeitig Chefverhandler seiner Partei in Sachen Glücksspielabgabe ist. Natürlich versichert der ÖVP-Mann, dass er nicht käuflich sei, anstatt seinen Preis zu nennen. Dass er bisher im zuständigen Ausschuss eine von Grünen und KPÖ betriebene deftige Erhöhung der Glücksspielabgabe verhinderte, hat ausschließlich sachliche Gründe. Sowieso. Aber derlei wird sich kaum verhindern lassen, denn derlei ist naheliegend. Den beschworenen „Befreiungsschlag gegen die Korruption“ wird es nicht geben können. Aber das wäre schon ein anderes Thema.

erschienen (leicht gekürzt) in: der Freitag, Nr. 16, 20. April 2011.