Krisenpolitik in der Falle

Verschulden bis zum Bankrott oder Sparen bis zur Depression? Angeschlagene Industriestaaten haben allenfalls die Wahl zwischen Pest und Cholera

von Tomasz Konicz

Wieder einmal hat eine Ratingagentur Spaniens Kreditwürdigkeit herabgestuft. Diesmal war es Fitch, die Madrid zu Wochenanfang die Bestnote »AAA« aberkannte. Die Begründung ließ aufhorchen: Aufgrund der drastischen Sparprogramme, mit denen die Regierung die hohe Neuverschuldung senken wolle, drohe der spanischen Volkswirtschaft ein weiterer konjunktureller Abschwung, so Fitch. Bereits vor rund einem Monat hatte Standard & Poor’s (S&P) die Bonität Spaniens in zwei Schritten auf die drittbeste Note »AA« gesenkt. S&P begründete dies jedoch mit der exorbitanten Kreditaufnahme des Landes. Die Regierung müsse »weitere Sparmaßnahmen ergreifen«, um die Verschuldungsdynamik in den Griff zu bekommen, zitierte Spiegel online die Ratingagentur Ende April. Ähnliche Forderungen nach einem umfassenden Sparprogramm erhob auch Brüssel im Rahmen des 750 Milliarden Euro umfassenden »Rettungsschirmes« für die Euro-Zone. Spaniens Regierende folgten diesen Weisungen. Nun sieht sich Madrid jedoch mit der von Fitch formulierten Kritik konfrontiert, dadurch die Wirtschaftserholung abzuwürgen.

Die Herangehensweise der Ratingagenturen spiegelt eine fundamentale Aporie – einen unlösbaren Widerspruch – kapitalistischer Krisenpolitik wider, die im Endeffekt nur die Wahl zwischen zwei Verlaufsformen hat. Die Politik kann einerseits die Staatsverschuldung immer höher treiben, um durch Konjunkturprogramme den wirtschaftlichen Absturz zu verhindern. Dieser Ansatz, der zumeist mit einer expansiven Geldpolitik einhergeht, führt letzten Endes zu Inflation oder Staatsbankrott. Andererseits können Regierungen versuchen, die staatlichen Schuldenberge durch drakonische Kürzungen abzubauen. Dies jedoch bewirkt einen ökonomischen Einbruch, der auch zu erheblicher Verelendung in der betroffenen Gesellschaft führt. Fazit: Ein Brechen der Krisendynamik ist mit dem Politikinstrumentarium, das den Regierungen der kapitalistischen Staaten zur Verfügung steht, nicht möglich.

Dies wurde auch am 27. Mai bei einem Treffen zwischen dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble und seinem US-amerikanischen Amtskollegen Timothy Geithner deutlich. Während in Washington weiterhin auf schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme gesetzt wird, will Berlin vor allem knallhart »sparen«. So forderte Lawrence Summers, Wirtschaftsberater von Barack Obama, jüngst den US-Kongreß auf, einem weiteren Konjunkturpaket zuzustimmen. Dies soll diesmal einen Umfang von 200 Milliarden US-Dollar haben. »Die Anfrage des Weißen Hauses ist ein faktisches Eingeständnis, daß die Ökonomie bereits an Auftrieb verliert und später im Jahr stagnieren könnte«, da die stimulierenden Effekte des ersten Konjunkturpaketes von 800 Milliarden US-Dollar bereits »verblassen«, kommentierte dies der britische Telegraph. Den USA fällt die Weiterführung ihrer Verschuldungsstrategie umso leichter, da sie derzeit aufgrund der Krise in der Euro-Zone als ein »sicherer Hafen« des Weltfinanzsystems gelten – und einen enormen Zufluß an Finanzinvestitionen verzeichnen können. So hat sich der Absatz langfristiger US-Anleihen und -Aktien an ausländische Investoren von 47,1 Milliarden US-Dollar im Februar 2010 auf 140,5 Milliarden im März 2010 rund verdreifacht. Den meisten Staaten der südlichen Peripherie der Euro-Zone, die unter einer steigenden Zinslast leiden, steht aber diese Option gar nicht mehr offen.

»Die große Herausforderung ist es, einen Teufelskreis zu verhindern, in dem eine Krise im öffentlichen Sektor erneut zu krisenhaften Entwicklungen in den Finanz- und Immobiliensektoren der Volkswirtschaft führt«, verkündete kürzlich Österreichs Notenbankchef Ewald Nowotny. Sein italienischer Amtskollege Mario Draghi sprach sich für eine internationale Koordination der Haushaltskonsolidierung aus, um die Wirtschaftserholung nicht abzuwürgen. Ähnlich argumentierte Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao, der einen generellen Ausstieg aus Konjunkturprogrammen als »verfrüht« bezeichnete. Diesen Äußerungen liegt das Eingeständnis zugrunde, daß das kapitalistische Weltsystem ohne fortdauernde Verschuldung (Konjunkturprogramme) nicht mehr reproduktionsfähig ist.

Welche verheerende Folgen die nun europaweit aufgelegten Sparprogramme nach sich ziehen können, sieht man an Lettland. Die Baltenrepublik mußte Ende 2008 mit einem Notkredit von 7,5 Milliarden Euro durch EU und Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Staatsbankrott »gerettet« werden. Im Gegenzug verpflichtete sich Riga, das wohl schärfste »Sparprogramm« der bisherigen Krisengeschichte umzusetzen. Das verursachte im vergangenen Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von unglaublichen 18 Prozent. Und auch in diesem Jahr wird die lettische Ökonomie schrumpfen, voraussichtlich um 3,5 Prozent. Die amtliche Arbeitslosenquote belief sich im April auf 22,5 Prozent (März: 22,3 Prozent).

Rabiate »Sparprogramme« können bei anhaltender Rezession zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale führen. Sinkende Steuereinnahmen unterlaufen die ursprünglichen Sparziele, der beabsichtigte Schuldenabbau wird unmöglich. Bei Lettland ist es bereits fraglich, ob die Rückzahlung des IWF-Kredits ab 2012 überhaupt möglich sein wird. »Ausgehend von heutigen Berechnungen – sollte es zu keiner starken Verbesserung der Wirtschaftssituation kommen – werden wir nicht imstande sein, mit der Tilgung des Kredits zu beginnen. Wir werden einfach kein Geld in der Kasse haben«, zitierte die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti Miroslaw Mitrofanow, Mitglied der Kommission für Haushalt und Finanzen des lettischen Parlaments.

aus: Junge Welt, 3. Juni 2010