Protest ohne Kontrolle. Horizont Audimax am „Runden Tisch“

von Andreas Exner

Nein, sie sei nicht gewählt, sie vertrete nicht die Besetzenden. Es gäbe da eine Liste, wo sich alle, die für Medienkontakte da sein wollten und sich das zutrauten, eintragen könnten. Und so sei sie auch dazu gekommen, nun im ORF zu sitzen.

Sagt Isabella Weiss. Die wirkt, wie von einem andern Stern. Am Runden Tisch in der ZIB2 vom 30. Oktober. Das Thema: Studierendenproteste. Der Stern von Weiss ist gut. Ein guter Stern, in der Tat, er bietet Diskussionsraum, Schlafplatz und Partysaal für viele. Die da leben, einfach so. Weil’s richtig ist dort. Hier und Jetzt.

Man solle die Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen, lautet eine falsche Weisheit. Man soll sie durchaus nach ihrem Äußeren beurteilen, und zwar kritisch, meine ich. Ein Blick in die Runde an dem Tisch zum Beispiel zeigte: einen TU-Rektor Skalicky, feist-paternalistisch, den smarten Hahn, die zur Funktion erstarrte ÖGB-Vizechefin Sabine Oberhauser, einen blassen “Bildungsexperten” namens Michael Landertshammer, WKO.

Und wie in scharfem Kontrast, licht gegen grau: Sigrid Maurer und Isabella Weiss gegen den Rest der Runde.

Ein Zufall hatte Weiss ins Studio gebracht. Dennoch brachte sie die Aura des Protests schon in ihrer Erscheinung auf den Punkt. Drückte ihr Blick etwas von der Wut aus, die im Widerstand nolens volens liegt? War ihre simple Erklärung, warum sie in der Runde saß, Spiegelbild der ebenso simplen Tatsache, dass die Uni am Arsch ist und es so nicht weitergehen kann, punktum, ya basta? Und dann spricht eben jemand, nicht für andere, sondern als eine wie andere für sich sprechen würden, säßen sie am Runden Tisch im ORF. War ihre Geradlinigkeit Geradlinigkeit der Menge, die sich nicht mehr verarschen lässt, sondern beginnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen? Wir wissen es nicht, aber wir meinen das jedenfalls so ganz dezidiert.

Auf andere Weise war Sigrid Maurer präsent. Und zwar durch ihre unprätentiöse Art, sich weder klein reden zu lassen, noch auftrumpfen zu wollen, was die Rolle der ÖH bei den Protesten angeht. Also, um es mit einem Wort zu sagen: indem sie Intelligenz verkörperte. Eine kollektive Intelligenz, die zugleich Vernunft ist.

“Es ist ein ganz wichtiges Element von diesem Protest, dass er von der Basis kommt und dass nicht eine führende Kraft vorn steht.”

– sagte die ÖH-Vorsitzende im Standard-Interview vom 30. Oktober. Ja, es erstaunt, wie sehr eine politische Funktionärin, die Maurer ist, nicht nur versteht, sondern vielmehr ganz selbstverständlich respektiert, dass die Protestierenden sich ihre Form als eine Menge selbst geben wollen. Und, mehr noch: dies als wesentliches Element ihrer Dynamik begreift und anerkennt, ja, umsichtig unterstützt.

Umgekehrt kann man an Sigrid Maurer und den Reaktionen, die sie auslöst, deutlich erkennen, wie sehr die Proteste gegen den Strich der üblichen Demokratie, der zwangsweisen Repräsentation des Nicht-Repräsentierbaren, eigentlich gehen. Da wundert sich etwa der Standard-Journalist und bohrt unverdrossen nach: Frau Maurer, die ÖH verliert doch an Relevanz, an Macht, die Studierenden tun doch was sie wollen. Oder, der Journalist formuliert es etwas nobler:

“Offenbar hat sich der Protest verselbstständigt. Viele Studenten sind der Ansicht, dass sie die ÖH als politische Vertretung gar nicht mehr brauchen.”

Er versteht nicht. Versteht nicht, dass ein politisches Gremium wie die ÖH unter glücklichen Umständen, die offenbar eingetreten sind, anders denkt und handelt als die Bundesregierung oder die Gewerkschaft oder sonst eine der üblichen demokratischen Gremien und Institutionen. Auch der Moderator des Runden Tischs versteht nicht, hakt nach, will sich nicht zufrieden geben mit dem Fakt, dass die Proteste im Wesentlichen nicht von Dominanzansprüchen deformiert sind, sondern vielmehr geformt sind von einer Menge, die damit befasst ist, sich selbst zu konstitutieren, als eine soziale Wirkmacht. Genau darin aber liegen die Besonderheit und das besondere Interesse der Proteste. Sie werden vom Raster der Macht und ihres Denkens, ihrer Medien nicht erfasst, nicht begriffen. Sie entkommen ihnen, entgehen der Fahndung nach dem, was sich dingfest, beherrschbar machen lässt.

Der Moderator möchte die Weiss auf den Punkt der Macht hinzwingen: Welche Forderungen gibt es? Wann werden die Studierenden das Audimax verlassen? Ist sie wirklich keine Sprecherin?

Auch die ÖGB-Vizechefin denkt in der Logik der Macht, der Anpassung, der Herrschaft. Sie verkörpert sie, agiert ganz in der Form der Koalition – der widersprüchlich widerwärtigen Mischung aus Kooperation und Konkurrenz mit einem Gegner am Marktplatz der Politik. Und als eine Vertreterin der Disziplinierungsapparatur der Gewerkschaft. Missbilligende Reaktionen erntet sie deshalb von Weiss und Maurer, als sie allen Ernstes vorschlägt, die Industriellenvereinigung möge doch im Verein mit den anderen Sozialpartnern, namentlich der Gewerkschaft, die Studierenden in die von der Wirtschaft nachgefragten Studienrichtungen lenken.

– Man muss schon eine Politikerin sein und Gewerkschafterin alten Schlags dazu, um solchen Unsinn von sich zu geben.

Was bitte soll das für ein Kriterium sein, was die Wirtschaft will, dass Leute studieren? – So wurde das im Wortlaut von Maurer und Weiss nicht gesagt, aber dem Sinn nach. Und hier wieder wird die Befreiung spürbar, die der Potenz nach in den Protesten liegt. Was soll das für ein hirnrissiges Argument gegen die Fortführung der Proteste sein, dass 16.000 Euro am Tag für Ersatzmieten ausgeben werden? Was für ein absurdes Ansinnen, unser Leben nach den Ansprüchen der Wirtschaft ausrichten zu sollen? Was für ein skurriler Zug, Leute vom Studium auszuschließen? Was für eine Zumutung, mit dem Verweis auf “physische Begrenzungen” (Skalicky) suggerieren zu wollen, dass all jene, die Architektur studieren wollen, dies nicht auch können sollen.

Welch Unverstand, welch bodenlose Frechheit.

Nein, es ist ganz klar zu sagen: Wenn eine Debatte über Bildung Jahre lang dauert, dann führen wir sie eben Jahre lang. Und wenn das Audimax dafür ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre besetzt sein muss. Warum nicht? Als Weiss und Maurer das (in ihren Worten) sagen, merkt man, wie es den Moderator, Hahn, wie es alle am Tisch ein wenig krümmt. Das soll, so wundert sich der Moderator ernstlich, die Antwort auf die rhethorisch gemeinte Frage sein, wie lange man denn noch besetzen wolle? Wenn es eigentlich um eine Bildungsdebatte gehe? Wo doch alle wüssten, dass so eine Debatte nicht kurzum zu beenden ist und also die Studierenden folglich noch sehr lange im Audimax nicht nur protestieren, sondern wohnen müssten?

So sehr gegen die Logik des Bestehenden gehen solche Aussagen: Wenn diese Debatte lange braucht, dann braucht sie eben lange. – Und so richtig sind sie. Atemberaubend richtig.

Es waren kleine Momente, einzelne Aspekte, an denen sichtbar wurde: ein Protest ohne Kontrolle; ohne fremde Hierarchie; als Vorgriff auf eine Zukunft, die weit mehr braucht als eine Besetzung, weit mehr brauchen wird als noch ein halbes Jahr; nicht weil es darum ginge, einen Minister zu Zugeständnissen zu zwingen. Sondern weil die Anliegen der Studierenden sich als das eigentliche Anliegen bewusst werden müssen, das Elend der verkauften Existenz zu überwinden.

Nein, warum soll jemand gerade das studieren, was die Wirtschaft will und glaubt zu brauchen?

Wie absurd.

Ursprünglich erschienen auf Social Innovation Network