MAHLE – Stuttgart, Rosario und anderswo

Brief aus Cordoba (Argentinien), 20. Mai 2009

von Dora de la Vega

Während der letzten Wochen habe ich deshalb fast zwei Tage im Bus verbracht, über 2000 Km hinterlegt, viel zu wenig geschlafen und verschiedene spannende Sitzungen in drei Provinzen beigewohnt. Was da raus kommt, werden wir in den nächsten Monaten sehen. Auf jedem Fall ist hier viel geschehen, sowohl auf nationaler als auch lateinamerikanischer Ebene.

Politisch polarisiert sich die Situation zwischen den zwei kapitalistischen Modellen, die seit jeher abwechselnd die Regierung übernehmen, d.h. zwischen Konservativen und Sozialdemokraten – sei es in der populistischen oder der lauen IS-Variante. Weil die Konservativen nie eine regierungsfähige Partei werden konnten, waren sie historisch auf die Militär-Putschisten angewiesen. Aber die Wirkung der großen politischen Veränderungen in Venezuela, Bolivien und Ecuador haben auch die hiesige parteipolitische Landschaft miteinbezogen, vor allem weil die neu gegründeten Institutionen wie UNASUR, Banco del Sur, ALBA einen anderen Weg als die tradierte Abhängigkeit von USA versuchen, sowohl im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik als auch bei der Krisenbewältigung der Konflikte in der Region.

Die bürgerlichen Parteien wurden ebenfalls dadurch kräftig umgeschüttelt und gespaltet, so dass ihre jeweiligen rechten und „progressiven“ Flügel dabei sind, neue Bündnisse zu schließen, die dahin führt , dass die Rechten deutlicher als zuvor zusammenrücken und sich als Alternative für die nächsten Parlamentswahlen in Juni präsentieren. Sie kritisieren außenpolitisch die „Isolierung“ Argentiniens (gemeint ist eine gewisse Distanz zu IWF) und innenpolitisch die „zu große Intervention des Staates“ in der Ökonomie. Sie versprechen mehr „Sicherheit“ für die Bürger, gemeint ist logo Verstärkung der Repressionsapparate, keineswegs die Sicherheit eines würdigen Lebens. Auf der anderen Seite stehen die s.g. „Progressiven“, für die die kapitalistischen Verhältnisse nicht in Frage gestellt werden dürfen, sondern bloß die Zunahme der Armut und treten deshalb für eine „Umverteilung des Reichtums“ ein, ohne die Grundstruktur der gesellschaftlichen Verhältnisse anzutasten. Weiter links sind wir, zwar wahlmäßig in unbedeutenden linken Parteien und Grüppchen zersplittert, aber sehr aktiv und präsent in verschiedenen soziopolitischen Initiativen. Die organisatorische Entwicklung ist so unterschiedlich wie kulturell das Land selbst.
Wir wachsen erfreulicher Weise, aber dadurch entstehen neu-alte Diskussionen, die einigen von uns sehr kribbelig machen.

Andererseits haben wir eine riesige Freude gehabt, als es uns über die IG-Metal gelungen ist, die Besetzer der Mahle-Fabrik in Rosario mit den auch in Konflikt stehenden Arbeitern in Alzenau in Verbindung zu bringen. Sie haben ihrerseits eine weitere Verbindung mit anderen Mahle-Betrieben in Europa hergestellt.

Anhang1

Mahle – Rosario / Argentinien

Am 24. April hat die Zulieferfirma der Automobilindustrie Mahle die Schließung des Betriebs in Rosario /Argentinien angekündigt. Die 520 Beschäftigten entschlossen sich daraufhin, den Betrieb (Adresse Presidente Perón 5601 /PLZ 2000 Rosario – Argentinien) zu besetzen.

Mahle Group ist ein multinationales Konzern mit Sitz in Stuttgart und präsentiert sich als einer der 30 größten Zulieferer der Automobilindustrie der Welt. Der Konzern besitzt 7 Betriebe in Brasilien und hat 2007 die Geschäftsbereiche und Fertigungswerke von Dana Industria Ltda. Mahle erworben. Mahle ist somit Zulieferer großer Firmen wie u.a. Volkswagen, Audi, BWM, Toyota, Ford, General Motors in der Region. 50% der Produktion wird nach USA und Europa exportiert. Zwar behauptet MAHLE auf seiner Homepage, der Konzern würde in einem hoch konkurrenzfähigen Markt durch sein modellhaftes Management, Produktenqualität, hochqualifizierte Arbeitskraft und solide Finanzstruktur hervorragen, aber die Realität in Rosario widerspricht völlig dem Selbstbild des Konzerns.

Die Besetzer erklären, dass die Probleme mit Mahle schon vor zwei Jahre, d.h. unmittelbar nach dem Erwerb der Firma seitens Mahle anfingen. Der Betriebsrat weist darauf hin, dass das Unternehmen von Anfang an ein „lügnerisches Krisenmanagement“ einführte: einige Errungenschaften wie u.a. Dienstalterzulage, Vereinheitlichung der Arbeitszeit wurden abgeschafft. Außerdem hat Mahle auf die Entkapitalisierung des Betriebes durch Verlagerung von Abteilungen nach Brasilien hingearbeitet, weil das Kapital eine günstigere Arbeitsflexibilisierung – d.h. stärkere Ausbeutung der Arbeitskraft – durchsetzen konnte.

Angesichts des Konflikts in Rosario haben der Arbeitsminister der Provinz (Carlos Rodriguez), seine Stellvertreterin (Alicia Ciciliani) und der Bürgermeister der Stadt Rosario (Miguel Liefschitz) zusammen mit anderen hohen Amtsträgern den Betrieb besucht und das obligatorische Schlichtungsverfahren angekündigt, und zwar so lange wie es erforderlich sei. Die Besetzer haben ebenfalls erfahren, dass die Regierung diplomatische Verhandlungen mit dem deutschen Unternehmen beabsichtigt.

Anhang2

Flugblatt des europäischen Betriebsrats MAHLE