Zur immanenten Kritik am Wert-Abspaltungstheorem

2. Teil

Streifzüge 43/2008

von Fritjof Bönold

Theorieebenen

Scholz geht nicht nur von der Ebene der Form, sondern noch von drei weiteren analytischen Ebenen der Geschlechterdifferenz aus. Hier lehnt sie sich vermutlich bei Knapp (1992) an. Anstelle einer methodologischen Begründung dieser Ebenen am Gegenstand verfährt sie aber nur behauptend. Sie stellt fest, dass es diese Ebenen gibt und ordnet ihnen verschiedene, ihrer Ansicht nach erkenntnisfördernde, erfolgreiche Studien zu. Wie ist diese Dreiheit begründet? Wie bei Knapp, die in ihrer Beschreibung von Macht und Herrschaft im Geschlechterverhältnis (1992, S. 295f. ) noch von fünf Ebenen ausging, bleibt das Verhältnis, die Systematik und Ausformulierung der Ebenen weitgehend offen. So mag die methodologische Behauptung, diese theoretischen Ebenen seien eigenständig, zwar vielleicht „begrüßenswert“ erscheinen. Begründet wird dies aber nur negativ, mit dem Hinweis darauf, dass das Basis-Überbau-Denken gescheitert sei (in Anlehnung an Becker-Schmidt: vgl. Scholz (2000), S. 24f. , 100f. , 112f. und 174f. ). Scholz widerspricht sich allerdings selbst, wenn sie einerseits von einer Unabhängigkeit der Ebenen ausgeht (vgl. Scholz (2000), S. 19, 76, 112 und 182), andererseits aber in ihrer Verwilderungs-These von der materiellen Ebene (globalisierter Weltmarkt, polit-ökonomische Krise) her die kulturell-symbolische wie auch die psychologische Ebene begründet. So schreibt sie etwa: „(D)ie Produktivkraftentwicklung und die Marktdynamik … bewirken, dass Frauen sich ein gutes Stück von ihrer traditionellen Rolle entfernen und ihnen eine schon immer dagewesene , doppelte Vergesellschaftung‘ mit den entsprechenden Widersprüchlichkeiten im Zuge von Individualisierungstendenzen zu Bewusstsein kommt.“ (Scholz (2000), S. 119; s. a. S. 123ff. zu Leitbildern (symbolische Ordnung), insbesondere dem „Ein-Geschlecht-Modell“ bzw. dem „postmodernen Flexi-Subjekt“; zur sozialpsychologischen Ebene vgl. S. 123f. , s. a. Scholz (1995a, 1995b)).

Scholz geht für die Postmoderne von gewaltigen Veränderungen im Geschlechterverhältnis aus: „Es haben schon längst , Realdekonstruktionen‘ des Zwei-Geschlechter-Verhältnissses stattgefunden“ (2000, S. 147). Dies hat aber keine Auswirkungen auf ihre methodischen Ausführungen: Das Verhältnis der Ebenen zueinander bleibt davon unberührt. Zu ihrem Postulat, ihre Methode habe sich nach dem Gegenstand zu richten, steht das im Widerspruch (2000, S. 180).

Wie schon Becker-Schmidt und Knapp rekurriert das Wert-Abspaltungstheorem, um die Ebene „sozio-psychischer Verhältnisse“ zu begreifen, begrifflich auf die Psychoanalyse in der Lesart der Kritischen Theorie (z. B. Scholz (2000), S. 109, 111 oder 121). Der Begriff des „gesellschaftlichen Unbewussten“ der Wert-Abspaltung im Sinne eines „Unterbauphänomens“ (Scholz und Becker-Schmidt) folgt einer binären Logik von Bewusstsein und Unbewusstem, wird allerdings wieder nicht weiter geklärt. Bei Scholz hätte man dies eventuell doch vermuten wollen, da sie ja mit dem Begriff der Abspaltung die Psychoanalyse auf den ersten Blick sogar auf der Ebene der gesellschaftlichen Form zu Ehren kommen lässt. Dies ist aber nur Schein und kann auch nur zum Teil erfolgreich sein. Aus meiner Sicht haben weder das Theorem der doppelten Vergesellschaftung noch das der Wert-Abspaltung wirkliche Begriffe der „Mitte“ bzw. Vermittlung entwickelt und können daher nicht anders, als parallele (drei, fünf oder … ) Theorieebenen aufzulisten (vgl. Bönold (2003), S. 412-444). Die Theorien zeigen allerdings die historisch-gesellschaftliche Fundierung des Problems am Auseinanderfallen von übermächtiger Gesellschaftlichkeit und frei-unterworfenem Individuum in der bürgerlichen Gesellschaft. Zwar liegt in den Rekursen von Scholz und Becker-Schmidt/Knapp auf Freuds Theorie des Unbewussten meines Erachtens eine gesellschaftskritische Potenz (weil sie die Illusion der Autonomie des Subjekts relativiert), doch steht eine Vermittlung zur „Wert-Abspaltung“ bzw. zum „Herrschaftsgefüge“ (Becker-Schmidt) letztlich noch aus (s. dazu Bösch (1998, 2000). Andere psychologische Theorien werden von Scholz übrigens übergangen oder stillschweigend vorausgesetzt, wie bei Chodorow das Lernen am Modell. Die Auseinandersetzung mit der kognitiv-strukturellen Theorie, den Ansätzen der „Informationsverarbeitung“, mit der Handlungs- und Kulturpsychologie sowie mit der Empirie und den Modellen der Sozialpsychologie etc. unterbleibt. Gleichwohl behauptet Scholz, dass „nur mit einem psychoanalytischen Instrumentarium (der sozialpsychologischen Dimension, F. B. ) beizukommen ist“ (2000, S. 19).

Wie gesagt, das Ziel einer begrifflichen Vermittlung ist bei Scholz nur implizit. Sie setzt eine theoretische Vermittlung der Formebene mit anderen Theorieebenen zwar inhaltlich immer wieder voraus, sieht diese Vermittlung aber begrifflich als letztlich nicht durchführbar. Bei Robert Kurz findet sich allerdings ein solcher Übergang zumindest im Ansatz formuliert, nämlich der Übergang von Arbeit zur Sphärendifferenzierung der Moderne: „Aber die warenproduzierende , Arbeit‘ ist auch noch in einem zweiten Sinne , real abstrakt‘, den Marx keineswegs systematisch entwickelt hat: nämlich in ihrer Existenz als eine ausdifferenzierte Sphäre, die getrennt ist von anderen Sphären … Die Entfaltung und schließlich Entfesselung der Formabstraktion in der Moderne ist … nur möglich dadurch, dass die , Arbeit‘ als diese getrennte, , real abstrakte‘ Sphäre ausdifferenziert wird, vom übrigen Lebensprozess getrennt wird; dass der warenproduzierende Mensch also nicht nur von der sinnlichen Qualität seiner Gegenstände, sondern in und hinsichtlich der , Arbeit‘ auch gleichzeitig von den anderen Lebensmomenten , absieht‘ (abstrahiert), die zu funktionalen Sphären jenseits der , Arbeit‘ geronnen sind. Und diese Trennung liegt überhaupt der modernen , Sphärentrennung‘ insgesamt, jener , Ausdifferenzierung‘ moderner Gesellschaften zugrunde, von der in der Soziologie und Systemtheorie dauernd (und natürlich affirmativ) die Rede ist.“ (Kurz 1995, S. 113 an Polanyi anschließend, auf den meines Wissens der Begriff der herausgelösten Ökonomie zurückgeht; s. a. Kurz (1992), S. 123ff. ).

Diese Aussagen wären weiter begrifflich auszuarbeiten (was bisher meines Wissens nicht geschehen ist), sollen die Andeutungen nicht reine Behauptung bleiben. Zur Voraussetzung hätte dies aber einen Begriff des sozialen Raums, der die Strukturierung des materiell-physikalischen Raums einschließt: „Sphären“ sind schließlich zunächst nur ein sprachliches Bild für gesellschaftliche Handlungsstrukturen bzw. Vergesellschaftungsweisen. Ähnliche Fragen stellen sich für die Übergänge zu den Theorieebenen der symbolisch-diskursiven Ordnung („patriarchales Zivilisationsmodell“) und der Sozialpsychologie („psychogenetischer Unterbau“, „Sozialisation“).

Ich sehe es zudem als einen logischen Widerspruch an, wenn sich Scholz einerseits für die diskursive Ebene auf Studien wie die von Laqueur (1992) bezieht, die mit Foucault argumentieren; andererseits aber für die sozialpsychologische Ebene sich auf die Psychoanalyse in Gestalt der Objektbeziehungstheorie von Chodorow (1985) bezieht. Beide Ansätze schließen sich z. B. hinsichtlich der Subjektvorstellung aus.

(Anti-)Methode

Die Frage der Vermittlung allgemeiner Begriffe zu anderen Ebenen der Theorie besitzt auf der Rückseite eine weitere Dimension, nämlich wie wir überhaupt zu wesentlichen Bestimmungen kommen (können), also die methodische Frage. Der methodische Rahmen von Scholz orientiert sich an Adorno und reklamiert ein „spekulativ-philosophisches Denken“ (2000, S. 176) der Kritik gesellschaftlicher Totalität. Auch hier sehe ich offene Fragen; zwei seien hier nur angedeutet.

Die Bestimmung der Totalität als Wert-Abspaltung ist nach Scholz immer in ihrer identitätslogischen Beschränktheit und historischen Vorläufigkeit kenntlich zu machen. Insofern drängt sich (ihr) die Frage auf, wie der Zusammenhang zwischen „Nicht-Identischem“ (Adorno) und der „weiblichen“ Abspaltung zu verstehen ist. Bei Scholz findet sich bloß die Auskunft, diese seien „nicht gleichbedeutend“ (2000, S. 175), und sie fährt fort mit der Behauptung: „(N)ichtsdestotrotz ist sie (die Abspaltung, F. B. ) so allerdings die Grundvoraussetzung, dass das Kontingente, das nicht unter den Begriff Subsumierbare, aber auch das Leibliche und Lebensweltliche in den dominierenden Sphären und Denkströmungen der , männlichen Moderne‘, in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik usw. weithin unbeachtet blieb.“ (2000, S. 175; siehe auch Kurz (1992, S. 125) zum Verhältnis zu Adornos Begriff des unverdinglichten Rests sowie die Kritik von Behrens (2001)).

Weiter fragt sich, ob der Rückbezug auf Adornos Kritik der Identitätslogik und die damit zusammenhängende Kritik eines unhistorischen, autonomen Erkenntnissubjekts mit dem Subjektbegriff der krisis-Gruppe vermittelbar ist. Nach meiner Lesart Adornos möchte dieser die Subjekt-Objekt-Dichotomie nicht negieren, sondern die Dominanz des Subjekts bzw. die Hierarchie zum Objekt beseitigen. So heißt es beispielsweise in der Negativen Dialektik (1966): „Aber der kritische Gedanke möchte nicht dem Objekt den verwaisten Thron des Subjekts verschaffen, auf dem das Objekt nichts wäre als ein Götze, sondern die Hierarchie beseitigen … Die Einsicht in die Vermitteltheit des Denkens durch die Objektivität negiert nicht das Denken und die objektiven Gesetze, durch die es Denken ist“ (S. 182). Kurz (1993) hat jedoch nicht allein für die Beschränkung der Subjekt-Position (im Sinne einer über ihre historische Vorläufigkeit aufgeklärte Aufklärung) votiert, sondern für eine anzustrebende Aufhebung des Gegensatzes von Subjekt und Objekt. Und schließlich ist auch nach der besonderen Erkenntnis- bzw. Kritikposition der krisis-Gruppe gegenüber der Wissenschaft zu fragen, und weshalb Letztere grundsätzlich nicht zu einer Kritik der Wert-Abspaltung in der Lage sein soll.

Abspaltung

Die Wesensbestimmung von Wert wird im Begriff der Wert-Abspaltung ins Verhältnis zu einer Nicht-Bestimmung gesetzt, da mit Abspaltung keine Wesensbestimmung im Sinne einer begrifflich-inhaltlichen, relationalen oder funktionalen Bestimmung vorgenommen, eine Bestimmung ja vielmehr generell als unmöglich angesehen wird. Behandelt man nun aber „Abspaltung“ trotzdem als einen Begriff (und will man ihn diskutieren, bleibt nichts anderes übrig), dann sehe ich folgende Probleme:

Das Verhältnis von Wert und Abspaltung bleibt unklar, weil der Prozess der Abspaltung (in der Psychoanalyse) etwas voraussetzt, das abspaltet und dabei dem abgespaltenen Weiblichen nur Objektstatus zuerkennt. Dies widerspricht (logisch) der Gleichursprünglichkeits-Annahme und unterstellt letztlich ein , gutes, ursprüngliches‘ Subjekt, das zu heilen wäre. Welchen Status hat dann eigentlich noch das Abgespaltene? Geht dann nicht die gesamte historische Dynamik allein vom Wert aus?

Das Verhältnis von Wert/Männlichkeit zu Abspaltung/Weiblichkeit ist nach Scholz primär eines der Unterordnung der „Frau“. Der gemeinsame Versuch einer Glückssuche in Sexualität, Intimität, Eltern- und Partnerschaft sowie das Gefühl der Freiheit im Privaten, das von beiden Geschlechtern gelebt wird, gehen aber in der Darstellung von Scholz unter. Hier darf freilich nicht übersehen werden, dass es sich nicht um ein harmonisches und gegenseitiges Ergänzungsverhältnis handelt, sondern hier auch eine widersprüchliche Hierarchie zwischen Menschen begründet liegt. In eine Person hinein verlagert stellt es sich als widersprüchliche Dimension der doppelten Vergesellschaftung dar, insbesondere für viele Frauen. Diese „Ambivalenz“ (Becker-Schmidt) betrachtet Scholz auf sozialpsychologischer Ebene nicht, obwohl sie doch „die doppelte Vergesellschaftung von Frauen“ (Becker-Schmidt) eingesteht. Scholz gerät so in die Nähe von einfachen Repressionstheorien, was ihre Verwendung des Patriarchatsbegriffs noch unterstützt.

Das Wort Wert-Abspaltung unterstellt einerseits ein zeitliches Nacheinander (erst Wert, dann Abspaltung davon). Dies suggeriert auch die Metapher der Abspaltung als Schatten des Wertverhältnisses. Sie wirft die Frage auf, woher das Licht fällt, das den Wert erstrahlen und die Abspaltung dunkel werden lässt. Üblicherweise wird die Aufklärung mit dem Bild des Lichts gleichgesetzt, was allerdings hier nicht gemeint sein kann, da Scholz die Aufklärung als einen Prozess der durch die Wertform bedingten Öffentlichkeit behandelt (vgl. 1992, S. 33f. ). Auch eine Art räumliches Verhältnis wird nahegelegt (aus dem Männlichen heraus wird das Weibliche abgespalten): „Die Wert-Abspaltung impliziert auch ein spezifisches sozio-psychisches Verhältnis: Bestimmte minderbewertete Eigenschaften, Haltungen, Gefühle (Sinnlichkeit, Charakter- und Verstandesschwäche, Passivität u. ä. ) werden im warenproduzierenden Patriarchat der Frau zugeschrieben, in sie hineinprojiziert, vom männlichen, modernen Subjekt abgespalten. Umgekehrt haben sich auch Frauen in der Geschichte des warenproduzierenden Patriarchats nicht selten selber in derartigen Zuordnungen erkannt“(2000, S. 109f. ). Die von Scholz solcherart fortgeschriebene psychoanalytische Terminologie wird hier zudem auf bewusste Momente („erkannt“) ausgedehnt, was weitere Fragen eröffnet, die allerdings übergangen werden. Dies wiederum setzt eine ursprüngliche Ganzheitsvorstellung voraus. Eine solche Vorstellung (Adam, der ganze Mensch, Androgynie, die Libido… ) kann aber vom Theorem nicht angezielt sein. Hier wird offenbar unbemerkt „das“ psychoanalytische Menschenbild fortgeschrieben.

Bei Scholz fehlt bisher eine Explikation des Begriffs der Abspaltung im Sinne der psychoanalytischen und der feministischen Diskussionen. Der Rekurs auf „die“ Psychoanalyse bleibt zudem unklar, weil „die Psychoanalyse“ selber nur selten und dann nur am Rande von „Abspaltung“ spricht. Eher wäre hier der Begriff der Abjektion (lat. abiectus: niedrig, gemein, verworfen) angesprochen, bei Freud angedeutet und von Kristeva und Butler verwendet, wo er allerdings auch einen quasi-ontologischen Charakter erhält, wenn damit gemeint ist, dass das Ich über das Verworfene mit seinen Grenzen und Ängsten konfrontiert wird und so der Narzissmus gestört wird. Der Rekurs auf den Feminismus ist jedenfalls unklar, weil der Begriff auch dort nur randständig auftaucht, nicht zentral ist. (Beispielsweise findet er sich nicht im Lexikon Geschlechterforschung von R. Kroll oder in Einführungsbüchern. Auf typische Art verwendet den Begriff etwa Hauser (1987), S. 46. )

Der Begriff der Abspaltung lässt offen, ob das Weibliche oder etwas als Weibliches abgespalten wird. War das Weibliche schon vorher da oder wird es aus dem Männlichen heraus „geboren“? Die Suggestion einer ursprünglichen Ganzheit legt also, wohl ohne Absicht, nahe, dass Weiblichkeit (und Männlichkeit) schon im Keim vorliegen und sich dann erst entfaltend trennen. Im Anschluss an Ethnomethodologie, Wissenssoziologie und Poststrukturalismus ist aber meines Erachtens der Konstruktcharakter von Männlichkeit und Weiblichkeit zu betonen, das heißt die Gleichzeitigkeit von Be-, Zu- und hierarchischer Festschreibung. Dies ist durchaus auch im Sinne der Kritik von Scholz (vgl. 2000, S. 47f. und 52). Sie stellt berechtigterweise gegen die Ethnomethodologie die „Warum-Frage“, kann aber selber keine Aussagen zum Wie der Interaktion machen. Diese Frage fehlt zudem in ihren drei Theorieebenen. So übergeht sie Reproduktionseffekte der Geschlechterverhältnisse, die durch self-fullfilling prophecies, Geschlechtsschemata-, SkriptBildung usw. entstehen.

Allgemein gesagt steht der Abspaltungsbegriff im Widerspruch zur These der Gleichursprünglichkeit (z. B. Scholz (2000), S. 21 oder 117) von Wert und Abspaltung, weil er Nicht-Gemeintes suggeriert, d. h. in entscheidenden Dimensionen ungeklärt bleiben muss.

Auf den anderen Ebenen des Theorems kommen weitere Probleme hinzu: Das Wort Abspaltung suggeriert für die Sozialpsychologie der Individuen, dass „gegengeschlechtliche Anteile“ quasi „nur zwischenzeitlich“ ins Unbewusste abgeschoben seien oder gar, dass die „Weiblichkeitsanteile“ von Männern noch im Verborgenen wirken. Da die abgespaltenen „Anteile“ noch im Unbewussten liegen, bräuchten diese nur reaktiviert werden. Die Einkörperung der Geschlechterordnung, von der auch Scholz immer wieder spricht, wird mit dem Begriff der Abspaltung nicht erfasst. Auf sozialpsychologischer Ebene wird das Geschlechterverhältnis zu einer Psychologie von Persönlichkeitseigenschaften reduziert. Neben den Körper-Dimensionen fehlen so auch weitgehend Fragen nach den Einstellungen, Haltungen und normativen Orientierungen, zentrale Fragen also, die eine Handlungs- und „Ideologie“-Theorie ausmachen würden.

Die Wert-Abspaltung legt zudem für die sozialpsychologische Ebene komplementäre Geschlechtsstereotypen nahe. Diese Komplementarität existiert aber nach Untersuchungen der Sozialpsychologie nicht – weder für die Fähigkeiten, Eigenschaften und Wahrnehmungsmuster noch für die Selbstbilder und Einstellungen von Personen. Hagemann-White formuliert schon 1984 zusammenfassend: „, Weibliche‘ und , männliche‘ Eigenschaften sind nicht in dem Sinne polare Gegensätze, dass, wer , weiblicher‘ ist, deshalb weniger , männlich‘ wäre: wer weniger aggressiv ist, ist nicht deshalb einfühlsamer oder nachgiebiger.“ (S. 26; s. auch die Kritik durch das Androgynie-Konzept von Bem (1974) und Spence/Helmreich (1980)) Auf den Ebenen der Tätigkeitsformen/Sphären und der symbolischen Ordnung greift der Begriff überhaupt nur metaphorisch.

Es ist also theoretisch sinnvoll, allgemeine Begriffe (so weit wie möglich) auf anderen Theorieebenen zu konkretisieren. Das folgt insbesondere aus den zuletzt genannten Kritikpunkten. Nur so ist meiner Meinung nach eine theoretische wie eingreifende Kritik zu leisten. Abstrakt-leere Begriffe oder Worthülsen wirken dagegen wie Dogmen. Begriffliche Konkretionen sind nötig, will sich „Wert-Abspaltung“ als konkret-allgemein und nicht als „Wertgerede“ (Haug) erweisen. Anliegen dieses Beitrags war, die große Vielzahl offener Probleme deutlich zu machen, die selbstverständlich nicht nur das Wert-Abspaltungstheorem besitzt.