Tod eines Rasenden

Jörg Haider. Letzte Ausfahrt Bärental

von Franz Schandl

Es war wohl ein Abgang ganz in seinem Sinn. Nur er selbst vermochte sich so zu Fall bringen. Der, der politisch nicht umzubringen gewesen ist, wurde in voller Fahrt von einem Betonpfeiler und einem Hydranten gestoppt. Es muss ein furchtbarer Knall gewesen sein, als der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider mit überhöhter Geschwindigkeit (140 statt 70kmh) auf dem Weg zu seinen Gütern ins Bärental auf der Landstraße sein Ende gefunden hat. Zweifellos ist Jörg Haider so Auto gefahren wie er Politik betreiben hat: rücksichtslos, schneidig, volles Tempo. Verfolgen, Überholen, Zerschellen. So ist er abgetreten wie er aufgetreten ist, laut und schnell.

Interessanter als der Unfalltod des Jörg Haider ist die Selbstinszenierung, die folgt. Es ist jenseitige Regie, im wahrsten Sinne des Wortes. Diese ergibt sich urwüchsig, ganz ohne Drehbuch übernehmen Politik, Medien, Sport, vor allem aber das Publikum ihren Part, und singen dem Landeshauptmann ein Ständchen, das nicht bloß von Respekt und Ehrfurcht zeugt, sondern auch von großer Zuneigung. So wie er wären viele gern gewesen, zweifelsfrei, auch wenn sie es nicht zugeben.

Fassungslos macht weniger der Tod – der ist in gewisser Hinsicht sehr banal, froh muss man nur sein, dass niemand sonst zu Schaden gekommen ist -, fassungslos macht das unheimliche Kollektiv der trauernden österreichische Seele. Zu untersuchen wäre diese tiefsitzende emotionale Zusammengehörigkeit, die hier ausgelöst wurde. Kaum ein Ereignis hat Österreich, von Kärnten ganz zu schweigen, mehr erschüttert als dieser Tod eines Rasenden. Die Zeichen stehen auf Götterdämmerung und Heldenlied, die Wörter werden maßlos. „Die Sonne ist vom Himmel gefallen“, meinte Haiders Stellvertreter im Land, Gerhard Dörfler, es sei wie ein „Weltuntergang“, klagte auch Haiders Nachfolger als BZÖ-Chef, der 27jährige Stefan Petzner.

Eine Mischung aus Schnulze und Mythos bemächtigt sich der Unendlichkeit mentaler Armut und findet ihr Ziel fortan im Überirdischen. Haider ist nun ein Schutzengel, der selbstverständlich in den Himmel gekommen, weiterhin über seinem Land wacht. Oder wie es ein Leserbrief aus Klagenfurt in der Kronen Zeitung unmissverständlich ausdrückt: „Herr Landeshauptmann, Sie waren für eine Überraschung gut, aber dies war die größte Überraschung, die Sie uns bereitet haben. Ich hoffe, Sie werden da oben ihr Land nicht vergessen. Kärnten wird Sie nicht vergessen! Mach’s gut, Jörg! “

Es waren nicht die alten Nazis (die ihm zweifellos zuliefen), die ihn groß machten, sondern diverse Leute aus allen sozialen Milieus, insbesondere auch viele Junge. Für nicht wenige war es schwer, sich seiner Faszination zu entziehen, für viele wirkte er wie ein Hypnotiseur. Das zeigte auch der letzte Nationalratswahlkampf. Da war er wieder voll eingestiegen und in seinem Metier. Er verstand es mehr abzudecken, als seinen Feinden lieb gewesen ist. Schamlos, aber mit viel Charme bewegte sich Haider durch die Szenerie. Was viele Gegner nie wahrhaben wollten, ist, dass er mehr geliebt als gefürchtet gewesen ist.

Langweilig war er ja nie und auch alles andere als ein Hinterwäldler, den nur Dorfdeppen wählen. Gerissen war er, schlagfertig, mit einigem Sachwissen ausgestattet und mit vielen Wassern gewaschen, instinktsicher sowieso. Die große Orgel der Ressentiments bediente er wie kein anderer. Und er kannte viele Nummern, nie schien ihm das Programm auszugehen. Es ist auch nicht so, dass Haider nur Show gemacht hat, im Gegenteil, für die Anliegen, so wird es glaubwürdig kolportiert, da war er schon da. Er vermittelte sich geschickt als der Kumpel von nebenan, kümmerte sich auch um Kleinigkeiten, grüßte freundlich und hatte ein tolles Personengedächtnis.

Gar manches ist gespenstisch. Von noch nicht entfernten Plakaten des letzten Wahlgangs lächelt immer noch Jörg Haider. Die Unfallsstelle ist inzwischen zum Wallfahrtsort geworden. Das Begräbnis soll in ein Stadion verlegt werden. Es wird wohl der größte Alpenpopevent aller Zeiten werden. Wahrlich, man müsste die Strukturen und Grundhaltungen genauer anschauen, die solche Begeisterungen ermöglichen, ja hervorrufen, treffen sie nur auf das richtige Subjekt und dieses auf eine entsprechend formierte Bevölkerung. Kärnten und Haider, das war eine Symbiose, die wohl im Frühjahr 2009 mit einem fulminanten Wahlsieg Haiders einen neuen Höhepunkt gefunden hätte. Selbst die absolute Mehrheit wäre für das BZÖ denkbar gewesen. Aber vielleicht affichiert die Orangenpartei nächstes Jahr einen Toten. Auszuschließen ist hier rein gar nichts.

Freitag, 17.10.08