Adieu, Gusi

von Franz Schandl

Nun ist es also doch passiert. Am Montag kündigte Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) mit einem lautstarken „Es reicht“ die Koalition mit den Sozialdemokraten unter Kanzler Alfred Gusenbauer auf. Letzter Auslöser war ein Schwenk der SPÖ gewesen, mit dem sie der grassierenden EU-Skepsis begegnen will: Künftige Vertragsänderungen, die grundlegende Interessen Österreichs berühren, sollen einer Volksabstimmung unterzogen werden. Mit dieser scheinbaren Haltungsänderung geht die SPÖ allerdings bloß auf Stimmenfang, denn ganz entschieden hält sie fest, dass sie am bereits ratifizierten Vertrag von Lissabon nicht rütteln wolle und für ein Plebiszit sowieso die Zustimmung der christlichsozialen Volkspartei brauchte.

Am Ende war man schon längst gewesen, nun folgte das dezidierte Aus. Vorausgegangen war ein langer Eiertanz der gegenseitigen Blockaden, der das koalitionäre Klima sukzessive verschlechterte, bis man einfach nicht mehr miteinander konnte. Es gab zwar eine gemeinsame Regierung, aber kein gemeinsames Regieren. In den Parteienverhandlungen hatte die ÖVP die SPÖ des öfteren bis auf die Unterhose ausgezogen, und dies so deutlich, dass es jedermann, vom tatsachenresistenten Kanzler einmal abgesehen, auch erkannte.

Was Gusenbauer fehlte, war ein Gespür für die Kompromisse, die er einging, die er aber hartnäckig, ja stur als tolle Ergebnisse präsentierte. Diese offensichtliche Konzilianz gegenüber der Volkspartei konnte er seinen Funktionären nie verklickern. So war stets Feuer am Dach und zuletzt brannte das ganze Parteigebäude. In seiner Performance stolperte er von einer Niederlage in den nächsten Fettnapf. Außenpolitische Erfolge vermochten das nicht auszugleichen. Taktik braucht Geschick und Glück, beides hatte er nicht. In den vergangenen Tagen war er sehr einsam, der Gusi. „Der Kanzler ist ein gebrochener Mann“, schreibt der bekannte Essayist Franz Schuh. Mit nicht einmal zwei Jahren wird Gusenbauer als der Kanzler mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte der Zweiten Republik eingehen.

Weder mit dem Volkskanzler noch mit dem Staatsmann ist es etwas geworden. Vielmehr stand er als Kanzler wie auch als Parteivorsitzender unter Sperrfeuer, ruhige Minuten hatte er keine. Alfred Gusenbauer hatte nichts zu lachen, er lachte aber trotzdem. Und zwar ständig. Bis zum bitteren Schluss dachte er, dass er als letzter lachen werde. Von Feind und Freund umzingelt, musste er sich fast täglich seine Lage schönreden. Bei Sportveranstaltungen ausgepfiffen, bei Wahlen abgestraft, im Umfragenbarometer ganz hinten, das hält kein Politiker auf Dauer aus.

Was hätte auch aus ihm werden sollen? – Vom Partner über den Tisch gezogen, von den Medien lächerlich gemacht, von den Parteifreunden im Stich gelassen. Da nutzte es auch wenig, dass Gusenbauer seit Kreisky der intelligenteste Regierungschef gewesen sein mag, er konnte dies nirgendwo umsetzen. Zum Ende tat er einem nur noch leid, und das ist wohl das Schlimmste, was einem Politiker passieren kann. Doch nicht nur der Kanzler wurde übel zugerichtet, vergessen werden darf auch nicht, dass die SPÖ mental schwer angeschlagen ist. Die persönlichen Beziehungen im Führungsteam sind arg lädiert.

Gusenbauers Nachfolger als SPÖ-Vorsitzender und Kanzlerkandidat, Infrastrukturminister Werner Faymann gilt nicht nur als Pragmatiker, er ist auch der Mann des Boulevards. Insbesondere mit Hans Dichand, dem Chef der „Kronen Zeitung“ pflegt er ein inniges Verhältnis. Auch mit Wolfgang Fellner, dem Herausgeber der Tageszeitung „Österreich“ und des Wochenmagazins „News“ ist Faymann eng befreundet. Das wird zwar kritisiert, aber schaden wird es der SPÖ kaum. Anders als sein Vorgänger vermittelt der neue Vorsitzende, dass er nicht gescheiter ist als die Leute. Das kommt gut an und ist nicht unbedingt falsch. Und Faymann kann mit allen. Er ist so umgänglich, dass er fast schon unumgänglich ist. Ein Aal sei rau gegen ihn, heißt es aus gut informierten Kreisen der SPÖ.

Wie die Wahlen im September ausgehen, ist noch offen. Es könnte sein, dass sich SPÖ und ÖVP zuletzt gegenseitig ausgebremst haben und sich daher bloß die Frage stellt, wer mehr verliert. Eine Alternative zur alten Koalition wird es arithmetisch nur mit den Freiheitlichen geben, die unter Heinz-Christian Strache kräftig zulegen werden. Gerade deswegen ist eine Neuauflage der Großen Koalition nicht auszuschließen. Und wer da vorne ist, ist noch nicht entschieden, auch wenn die ÖVP derzeit in den Meinungsumfragen in Führung liegt. Faymann wirkt unverbraucht und sympathisch, außerdem ist er fescher als Molterer, Gusenbauer oder gar Beck…

für: „Freitag“, 11.7.2008