Hauptsache Kanzler

Hundert Tage Gusenbauer. Trotz aller Fehlschläge und Fehltritte ist der Regierungschef bei guter Laune.

von Franz Schandl

Dass wir eine neue Regierung haben, ist zwar aufgefallen, obwohl das gar nicht hätte auffallen müssen. Rot-Schwarz macht dort weiter, wo Schwarz-Blau-Orange aufgehört hat. Auch die als soziale Errungenschaft gepriesene Grundsicherung ist alles andere als ein arbeitsloses Grundeinkommen, sondern will (ähnlich Hartz IV) die Empfänger dazu anhalten, jede gemeinnützige Arbeit anzunehmen. Die Schnittmenge Schwarz bestimmt Inhalt und Tempo. Schüssels Nachfolger als ÖVP-Chef, der nunmehrige Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer hat seinen Koalitionspartner fest im Griff. „Gusenbauer ist Kanzler und Molterer regiert“, fasste der Chefkommentator der Tagezeitung Kurier, Peter Rabl, dieser Tage den etwas seltsamen Zustand treffend zusammen. Zweifellos: Was gehen soll, bestimmt die SPÖ, was geht, die ÖVP.

Eine Richtlinienkompetenz des Regierungschefs gibt es in Österreich ja nicht, daher ist de facto der Finanzminister, so er keine Vertrauensperson des Kanzlers ist, der eigentlich mächtige Mann im Kabinett. Via Budget entscheidet Molterer nun, was sein darf. Stand der graue Mechaniker der Macht bisher im Schatten Wolfgang Schüssels, so blühte der oberösterreichische Bauernsohn in den letzten Wochen regelrecht auf. So einfach hätte er sich das wahrscheinlich gar nicht vorgestellt, vor allem nicht nach diesem fürchterlichen Wahldebakel, das die christlichsoziale ÖVP im Oktober erlitten hatte. „Die ÖVP ist Motor der Regierungsarbeit“, sagt der neue ÖVP-Chef selbstbewusst. Die Volkspartei wirkt überhaupt nicht angeschlagen, ihre herben Verluste hat sie wegverhandelt. Die Amtsübergabe von Schüssel auf Molterer ging völlig reibungslos über die Bühne. Der Altkanzler selbst wird seiner Partei als Klubobmann im Parlament erhalten bleiben. Die Volkspartei, und das stellte sie dieser Tage auf ihrem Parteitag auch penetrant zur Schau, ist rundum zufrieden. Sie hat sich gut stimuliert. Das nächste Mal möchte sie wieder Erste werden.

Aber auch Alfred Gusenbauer strahlt. Trotz aller Fehlschläge und Fehlstarts, ist er dort angekommen, wo er hinwollte. Regelrecht locker, ja fröhlich wirkt der in Amt und Würden gekommene SP-Vorsitzende. Nachtragend ist Gusenbauer zweifellos wirklich nicht. „Es ist ja ein Treppenwitz der Geschichte, dass zum Beispiel der Herr Lopatka, der über mich vor einem Jahr Ungeheuerliches gesagt hat, heute mein Staatssekretär ist“, sagt er. Der Treppenwitz beginnt freilich schon vorher, und er kennzeichnet eine Politik, wo Hauen und Stechen nahtlos in Eintracht und Kumpanei übergehen. Diese Ungeheuerlichkeit hat bloß zwei Seiten.

Dass der SP-Chef als Umfaller gilt, regt ihn keineswegs auf. So sei die Politik eben, hält er lapidar fest. Hauptsache Kanzler, scheint sich der Kanzler zu denken, der nicht müde wird, allen zu erzählen, dass er diesen Berufswunsch schon in der Sandkiste hegte. Nun, da er am Ziel ist, muss er bisher wohl das Richtige getan haben. Oder? Geht es darum, das Regierungsmitglied mit den schlechtesten Sympathiewerten zu ermitteln, gewinnt stets der Kanzler. Aber das macht ihm nichts aus. Den Kanzlermalus trägt er stolz vor sich her, so als könnte es nur noch besser werden. Alfred Gusenbauer lässt sich die Laune durch nichts verderben. Denn das Charisma, so teilte er einst mit, sei Folge des Amtes. Es wird ihn also im Laufe der Zeit überkommen und allen anderen einleuchten.

Nicht nur die Koalitionsverhandlungen endeten in einem Debakel für die Sozialdemokraten. Fettnäpfchen und Niederlagen pflastern Gusenbauers Weg. So verwechselt er unlängst den portugiesischen EU-Kommissionspräsidenten Barroso mit dem italienischen Rotwein Barolo; ein ander Mal will er mit dem serbischen Ministerpräsidenten über eine Lösung im Kosovo handelseins geworden sein, was dieser prompt dementieren lässt. Auch der nächste Fehlschlag zeichnet sich bereits ab: Der Ausstieg aus dem Ankauf der Eurofighter wird sich als nicht machbar erweisen. Trotz offensichtlichen Schmiergeldzahlungen, windigen politischen Entscheidungen und dubiosen Vergabepraktiken, die allesamt in den Verantwortungsbereich der Vorgängerregierung fallen. Neben der ÖVP schreit auch die Industrie auf, drohen ihr doch bei Nichtrealisierung des Kaufs die fetten Kompensationsgeschäfte zu entgehen. Also wird gekauft werden müssen. Skandal hin, Skandal her. Und das Motto dieser Regierung lautet sowieso: Wenn die ÖVP nicht will, nutzt das gar nix.

Trotz aller Übungen in Harmonie werden die Regierungsparteien des Streitens nicht müde. Indes soll daraus nicht geschlossen werden, dass diese Koalition nicht hält. Sie wird schon deswegen halten, weil beide Parteien sich den Ausstieg nicht leisten können. Was man seitens der SPÖ zu hören bekommt, sind gelegentliche Verbalausritte. Auch der Landesparteitag der Wiener Sozialdemokraten am letzten Wochenende war voll davon. Bürgermeister Michael Häupl warnte die ÖVP allen Ernstes damit, dass sie die SPÖ noch kennen lernen werde. Das ist nach den letzten Erfahrungen allerdings alles andere als eine Drohung.

Poltern für die Basis ersetzt so die mangelnde Kraft des Politischen. Parteitage gleichen Entlastungsgerinnen für den gestauten Frust angeschlagener Gemüter. Anders als beim Parteichef hält sich die Zufriedenheit der SPÖ aber in engen Grenzen. Zwar steht man geschlossen hinter dem Kanzler, vermag jedoch vor lauter Unmut das Sticheln gegen Gusenbauer nicht zu lassen. Gerade in den Tagen, als diesem ständig vorgeworfen wurde, seine Wahlversprechen gebrochen zu haben, starteten die Wiener Sozialdemokraten ihre Frühjahrskampagne mit dem gehaltvollen Titel „Wien hält, was es verspricht“. Das ist nun hingegen wirklich eine Drohung. Noch dazu eine hinterfotzige.

Aus: „Freitag“, 27. April 2007