Triumph trotz Verlust

Das katastrophale Wahlergebnis der ÖVP bescherte den Wahlverlierern der SPÖ einen überraschenden Wahlerfolg

„Freitag“ 6.10.06

von Franz Schandl

Manchmal strafen die Wähler Meinungsforscher als auch Kommentatoren hart ab. So geschehen am letzten Sonntag. Der große Wahlverlierer heißt Wolfgang Schüssel. Minus 8 Prozentpunkte für die Kanzlerpartei, das war ein herber Schlag, mit dem niemand gerechnet hat. So ist es der SPÖ, die ebenfalls verloren hat, doch noch gelungen, knapp vor Schüssel durchs Ziel zu gehen. Das zweitschlechteste Resultat seit 1945 erscheint nun als großer Triumph des Alfred Gusenbauer. Die Mobilisierung vieler bis zum Wahltag Unentschlossener ist den Sozialdemokraten jedenfalls besser geglückt als der christdemokratischen ÖVP.

Wirft man einen Blick aufs Gesamtergebnis und betrachtet es im historischen Vergleich, dann hat sich freilich weniger getan als angenommen. Vergessen wir nicht, dass Wolfgang Schüssel außer diesen einen Erdrutschsieg vor vier Jahren für seine ÖVP nur Niederlagen eingefahren hat. Die von Haider lukrierten Stimmen konnten nicht gehalten werden, sie sind zum Großteil zu den freiheitlichen Spaltprodukten zurückgekehrt oder haben sich ins Segment der Nichtwähler verabschiedet. Ohne die ÖGB-BAWAG-Affäre wäre das Ergebnis für Schüssel aber noch verheerender gewesen. Doch die Leute waren des Skandals offensichtlich müde, d. h. sie hatten mehr die Schnauze voll als dass sie sich noch an den Anwürfen aufgeilten. Der Schmutzkübelwahlkampf hat den Trend zur Wahlabstinenz noch beschleunigt. Die Wahlbeteiligung liegt nun mit 74 Prozent auf ihrem bisher absoluten Tiefpunkt.

Relevant für das Wahlverhalten waren letztlich andere Kriterien. Nur welche sind das? Und vor allem auch, stimmen die Angaben der Ausgefragten mit ihren Motiven tatsächlich überein? Je mehr man den Wähler durchleuchtet, desto unberechenbarer scheint er zu werden. Entscheidender werden immer mehr die Last-minute-Wähler. Ausschlaggebend ist nicht ein Ensemble von Erkenntnissen und Einschätzungen, sondern von ganz wenigen, aber effizienten Beeindruckungen unmittelbar vor der Stimmabgabe. Es ist wohl davon auszugehen, dass jene in Zukunft zur umworbensten Gruppe aufsteigen. Die Wähler sind – und wer soll’s ihnen verübeln – ein flüchtiger Haufen, die, wenn sie überhaupt noch wählen gehen, einmal dies und einmal das wählen. Kaum einschätzbar, auch nicht von ihnen selbst. Die Fluktuationen (so groß sie auch sein mögen) sollte man daher nicht überbewerten, sie sind Stimmungsumschwünge nicht Bewusstseinsänderungen.

Die wahren Wahlsieger sind einmal mehr die Rechtspopulisten. Zählt man ihre Stimmen zusammen, dann haben FPÖ und BZÖ gemeinsam über 15 Prozent erreicht, während die Haider-FPÖ 2002 lediglich knapp die 10 Prozent-Marke überschritten hatte. Dass die FPÖ die Grünen überholen würde, hat sich in den letzten Wochen vor der Wahl schon abgezeichnet. Heinz-Christian Strache, deren neuer Vorsitzender, hat nicht viel getan: Er hat alles auf die „Ausländer raus“-Karte gesetzt und diese unermüdlich ausgespielt. Ein Mann, eine Kampagne.

„Schweizer verschärfen Ausländerrecht: Auch Österreich braucht Kurswechsel“ ließ der FP-Chef etwa inserieren. Jeder, der sich nicht anlügt, weiß, ein solcher Volkentscheid würde in Österreich zu keinem anderen Resultat als im Nachbarland führen. Freiheitliche Politik ist in dieser Frage mehrheitsfähig. Das soll man keineswegs goutieren, aber dem ist so. Die Verortung solcher Meinungen im politischen Out ist irreführend. Der öffentliche Diskurs über Haider oder Strache ist nach wie vor frei vom Rekurs auf die Gesellschaft, die gerade solche Positionen und Exponate hervorbringt. Wie freiheitliche Ausländerpolitik ausschaut, kann man an der Südküste Europas beobachten. Wohlgemerkt, das betreiben dort keine rechtspopulistischen Bösewichter, sondern EU-konforme Politiker mit einem tadellosen Demokratiezertifikat.

Das von Haider formierte und hinterlassene Potenzial ist nach wie vor vorhanden, es wartet nur darauf, adäquat angesprochen und abgeholt zu werden. Haiders Brut ist trächtig, vermehrt sich trotz Rückschlägen und Spaltungen. Doch obwohl dem BZÖ der Einzug in den Nationalrat geglückt sein dürfte, ist das Kapitel Jörg Haider mehr oder weniger abgeschlossen. Sein Kampf gegen die FPÖ ist verloren, der Prototyp ein Auslaufmodell, das nur noch im südlichen Orangenreservat der Karawanken größeres Gewicht hat. Da ticken die Uhren wahrlich anders. Lag das BZÖ in acht Bundesländern eher bei mageren 2,5 Prozent, so schaffte Haider in Kärnten sagenhafte 25.

Von Wende oder gar Aufbruch ist in Österreich aber wenig zu spüren. Die ÖVP hat zwar verloren, aber Rot-Grün konnte nicht zulegen. Das Plus der Grünen ist äußerst bescheiden ausgefallen. Die oft geäußerte Meinung, „dass diese Regierung heute abgewählt wurde“, stimmt nicht, denn rein arithmetisch verfügt schwarz-blau-orange noch immer über eine (freilich kaum zu realisierende) Mehrheit. Vorausgesetzt das „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) von Haider und seinem politischen Ziehsohn Peter Westenthaler bleibt auch nach Auszählung der Wahlkartenwähler über der Vierprozenthürde. Ist das nicht der Fall, ginge sich sogar Rot-Grün aus, aber das ist reine Spekulation.

Aller Voraussicht nach wird es auch in Österreich zu einer großen Koalition der gegenseitigen Blockaden kommen. Alfred Gusenbauer wird als Bundeskanzler wohl den Merkel machen. Da wird nicht viel weitergehen. Ob dies allerdings schlechter ist als die von liberalen Medien herbeigesehnten Reformen, darf bezweifelt werden, vor allem, wenn man doch wissen muss, dass darunter in den letzten Jahren nichts anderes zu verstehen gewesen ist als eine soziale Konterreform in allen Bereichen.