Kulinarisches Intermezzo

Trotz mageren Resultaten hält sich der Misserfolg von Österreichs EU-Präsidentschaft in Grenzen

„Freitag“ 30.6.06

von Franz Schandl, Wien

Bereits zu Beginn der österreichischen EU-Präsidentschaft zeichnete sich ab, dass in Wien eher an ein Aussitzen gedacht war. Insofern hat die österreichische EU-Präsidentschaft durchaus gehalten, was sie unausgesprochen versprochen hat: Wenig. Wichtige Fragen wurden einfach weitergereicht. Dafür gab es Pseudobeschlüsse in der Art, dass man sich etwa puncto Aufnahmekriterien neuer Mitglieder dahingehend verständigte, dass man sich über Aufnahmekriterien neuer Mitglieder einigen soll. Und Wolfgang Schüssel wäre nicht Wolfgang Schüssel, würde er Probleme nicht einfach wegtricksen. In einem Interview für die Wiener Tageszeitung „Die Presse“ sagt er: „Ich glaube, dass die Türkei einen anderen Status haben wird, auch wenn das dann Mitgliedschaft heißt.“ Wie wird die Türkei Mitglied, ohne es zu sein? – so und nicht anders stellte der Ratspräsident und österreichische Kanzler die Frage. Entweder und oder? Formell ja, reell nein, mit dieser Zauberformel will er alle zufrieden stellen. Dass sich die Türkei mit einer Mitgliedschaft zweiter Klasse abfinden wird, ist aber ausgeschlossen.

Freilich hat Schüssel Recht, wenn er betreffend Verfassung sagt: „Die EU kann ohne neuen Vertrag leben.“ Man macht einfach weiter wie bisher. Das allseits beschworene „Liberalisierungsgebot“ marodiert mit und ohne. Die negativen Voten in Frankreich und den Niederlanden haben da nichts geändert. Die Differenz liegt hier auch mehr im mentalen Bereich: Es macht nämlich einen Unterschied, ob man die Verhältnisse bloß anerkennt oder ob man diesen auch einen positiven Bescheid ausstellt. Nichts anderes wollte der Verfassungsentwurf durch sein marktradikales Credo den Europäern abnötigen.

Was die soziale Sicherheit im EU-Raum betrifft, ist man, sieht man von PR-Schlagworten wie „Flexicurity“ einmal ab, völlig blank. Dort, wo die Kommission aktiv wird, sind bloß weitere Verschlechterungen zu befürchten. Man denke an die bloß unwesentlich abgemilderte Dienstleistungsrichtlinie. So kommt es schon heute vor, dass ostdeutsche Busunternehmen Wiener Schüler nach Florenz transportieren. Wo der Preis den Ausschlag gibt, verflüchtigt sich zusehends jedes andere Kriterium. Die vielen leeren Kilometer mögen sich anderswo zu Buche schlagen. Wen interessieren die Schäden der Umwelt oder die sinnlose Beanspruchung von Infrastruktur oder gar die Strapazen der Autobuslenker? Entscheidend sind die unmittelbaren Kosten, mögen die Folgen sein, wie sie wollen. So lehrt es das Einmaleins der Marktwirtschaft, das absolut blind ist für alles, was im Kostenkosmos der BWL nicht aufscheint. Man darf also gespannt sein, welche absurden Konsequenzen die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie noch mit sich bringen wird.

Auch wenn die Auftriebe der Politprominenz anderes suggerieren, ist die Ratlosigkeit offensichtlich. Aber ist die Entschlossenheit in solcher Lage nicht ein größeres Übel als die Unentschlossenheit? Kann nicht auch konstatiert werden, dass ein mageres Ergebnis besser ist als ein dickes Konzept neuer Zumutungen? So betrachtet hält sich der Misserfolg in Grenzen.

„Viel Folklore, ausgezeichnete Mehlspeisen, perfekte Organisation“, bilanzierte etwa „Die Presse“ das letzte Halbjahr. Dem ist wohl zuzustimmen. Da wurde einiges aufgetischt. Das Tröpferl hat gemundet, das Papperl hat geschmeckt und auch das Rahmenprogramm war nicht zu verachten. Nicht wenige werden jetzt traurig sein, wenn dieses kulinarische Intermezzo zu Ende ist. Die oftmals gestellte Frage „Wohin geht Europa? “ wurde in Wien ostentativ mit „Jetzt gemma mal was essen! “ beantwortet.

Um vieles schlimmer als die Ergebnislosigkeit ist die Ereignislosigkeit. Für die ist zu sorgen, und für die wurde gesorgt. Da schadete weder das dürftige EU-Lateinamerika-Treffen im Mai noch der Wien-Auftritt des US-amerikanischen Präsidenten George Bush im Juni. Abgefeiert wurde der von Bush zu Guantanamo getätigte Satz: „Ich möchte, dass das weg ist“. Dass es sich dabei um alles andere als die Ankündigung eines Vorhabens handelt, nämlich bloß um eine folgenlose Floskel, die wohl zuvor auf diplomatischer Ebene abgesprochen wurde, störte nicht. Diese Gipfelspiele in Wien waren Labsal für das einheimische Gemüt. Mehr als drei Viertel der Österreicher sind stolz auf die EU-Präsidentschaft. Das ist sehr viel, wenn man bedenkt wie EU-skeptisch die Bevölkerung hierzulande ist. Man spürte jedenfalls die Bedeutung, die man gar nicht hat. Dank sei Schüssel!

Für einen dürfte sich die Inszenierung daher rechnen. Beurteilt man die EU-Präsidentschaft aus der Perspektive von Schüssels politischen Ambitionen, dann ist sie gut gelaufen. Was bis vor einigen Monaten noch kaum jemand für möglich gehalten hätte, ist nun wieder in Reichweite: das Kanzleramt nach den Wahlen im Herbst. Allerdings helfen SPÖ und ÖGB durch Ungeschicklichkeiten und den nicht enden wollenden Krimi um die gewerkschaftseigene BAWAG tatkräftig mit. Aber wer Glück hat, hat solche Gegner.