Koalitionäres Ringelspiel

Zwar haben SPÖ und ÖVP sich geeinigt, sich zu einigen, doch in der Zwischenzeit streiten sie heftig weiter

„Freitag“ 16.12.06

von Franz Schandl

Nachdem die ÖVP sich anfangs zierte, sitzt sie seit einigen Wochen wieder am Koalitionstisch. Mitte November hatte die Partei Wolfgang Schüssels endlich zur Kenntnis genommen, dass sie sich nicht verweigern darf, ansonsten sie im Falle von Neuwahlen abgestraft werden würde. Daher, und aus keinem anderen Grund, haben sich die Christlichsozialen entschlossen, die Gespräche mit den Sozialdemokraten aufzunehmen. Seither wechseln Eintracht und Zwietracht wie das Wetter. Gelegentlich werden die Töne schriller, dann ist wieder Händchen-Halten angesagt. Gestichelt wird permanent. Insgesamt bewegt sich wenig. Und wenn, dann gleicht es einem Ringelspiel im Prater. Egal wie schnell es sich dreht, früher oder später ist man wieder zum Ausgangspunkt zurückgekehrt.

Die Kombattanten wider Willen machen zwar auf Inhalt und Sachlichkeit, doch außer auf der Ebene der Überschriften, Marke „Mehr Sicherheit“ oder „Weniger Zuwanderung“, ist bisher wenig zu vernehmen gewesen. Inzwischen lösen sich freilich die Wahlversprechen der SPÖ ins Nichts auf: Aus dem Kauf der Eurofighter wird man nicht aussteigen können, weil die Strafzahlungen zu hoch wären. Aber auch die Abschaffung der Studiengebühren dürfte sich kaum durchsetzen lassen. Dafür hat man sich bei der Grundsicherung auf einen Vorschlag verständigt, der erstens nur schrittweise bis 2010 eingeführt werden soll, den zweitens aber niemand, weder Bund, Länder noch Gemeinden finanzieren wollen. Jetzt möchte man Rentner mit hohen Bezügen zu einer Solidarabgabe verpflichten, doch da sind nicht nur die mitgliederstarken Pensionistenverbände dagegen, sondern ebenso die „Beamtenpartei“ ÖVP. Man sieht: Eine Verständigung ist keine Einigung. Kommentiert die SPÖ Ergebnisse, dementiert die ÖVP sie postwendend. Indes ist die vorgeschlagene Variante sowieso kein richtungsweisendes Modell, eher Hartz mit Herz. Sie ist weiterhin an den „Arbeitsbereitschaft“ genannten Arbeitszwang gekoppelt, ist mit 725 Euro monatlich nicht allzu hoch dotiert und basiert ausschließlich auf Umgruppierungen bei den Sozialausgaben. Es steht daher zu befürchten, dass mit der Einführung differenziertere Leistungen gekappt oder gekürzt werden.

Im koalitionären Derby matcht man mal miteinander, mal gegeneinander, zumeist aber wild durcheinander. Bei den Verhandlungen geht es primär darum, den anderen den Schwarzen Peter anzudrehen. Eine Einigung ist nicht in Sicht, da mag die SPÖ noch so aufs Tempo drücken, die ÖVP hat keine Eile. Was Gerhard Schröder versucht hat, das dürfte Schüssel ein Stück weiter treiben. Im Kanzleramt überwintern, das wär schon was. Wenn man bedenkt, dass eine Legislaturperiode höchstens 48 Monate dauert, dann hat der abgewählte VP-Obmann bereits 5 Prozent der neuen Amtszeit erfolgreich absolviert. Vielleicht werden es noch 10. Als Dritter ist er Kanzler geworden und auch als Wahlverlierer denkt er nicht daran, zu gehen. Vielleicht bleibt er der Regierung überhaupt erhalten. Mal schauen.

Außer Schüssel ist da noch einer, der bleiben will, ja sogar vorhat, nicht nur auf den Klatschseiten Nummer Eins zu sein, sondern in der Regierung Nummer Zwei zu werden: Karl-Heinz Grasser, kurz KHG genannt. Bisher galt der parteilose (ursprünglich aus der alten Haider-FPÖ kommende) Finanzminister für die SPÖ als völlig inakzeptabel. Gerade deswegen dürfte die Volkspartei ihn forcieren. Einige Tage war er sogar als quer einsteigender ÖVP-Chef im Gespräch gewesen, das ist nach einigen innerparteilichen Entsetzensschreien allerdings wieder passé. Was man dem Land, der Regierung und der SPÖ zumuten kann, das will man der eigenen Partei denn doch nicht aufhalsen. Die SPÖ hingegen wird Grasser schlucken müssen, sei’s als Minister oder gar als Vizekanzler. De facto hat die Volkspartei den Sozialdemokraten den Posten des Finanzministers (den traditionellerweise die Kanzlerpartei stellt) bereits abverhandelt.

Was Schröder nicht glückte, dürfte Schüssel gelingen, was Scharping nicht durfte, dass schafft Grasser spielend. Will man einem deutschen Publikum das Phänomen KHG erklären, dann am besten wohl so: Scharping, aber jünger, adretter, schriller, abgedrehter, durchgeknallter, vor allem aber ein Tornado der Peinlichkeiten, kurzum: absolut medienkompatibel. Dass Grasser eine Zielscheibe der beiden angelaufenen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ist, schwächt ihn keineswegs, er gehört zur seltenen Spezies der Affäreanfälligen, aber doch Skandalresistenten. Zweifellos, es ist viel lustiger, als es lustig ist.

Und Alfred Gusenbauer? Der SP-Chef wird schon noch Kanzler werden, aber er wird dieses Amt nicht als strahlender Sieger, sondern als durchgebeutelter und müder Verhandler antreten. Keine gute Voraussetzung. Genervt bis resigniert wirkt daher auch dessen bezeichnende Frage, die hierzulande allen Tatsächlichkeiten zum Trotz keine bloß rhetorische ist: „Also können wir uns einmal darauf einigen, dass es in Österreich am 1. Oktober Wahlen gegeben hat? “ – Nun denn, das sehen nicht alle so. Vielleicht wäre es besser gewesen, die SPÖ hätte ein Minderheitenkabinett gewagt und gegebenenfalls Neuwahlen riskiert.