Paparazzi

Journaille im Endstadium

von Franz Schandl

Dagegen war der Rudi Scharping ein Lerchenschiss. Österreichs Finanzminister, Karl-Heinz Grasser (36), werbewirksam als KHG abgekürzt, hat es geschafft. Er ist fast täglich in den Spalten und auf Sendung. Und zwar nicht bloß in Österreich und schon gar nicht wegen seiner neoliberalen Finanzpolitik, sondern aufgrund seiner persönlichen Liebesgeschichten. Sogar der Sprung auf die Titelseite der Bild-Zeitung ist ihm gelungen. Da ist wirklich was los. Als die neue Flamme, Fiona Swarovski, Mitglied der Tiroler Glas- und Kristalldynastie über das Wiener Boulevardmagazin News ihrer Vorgängerin brühwarm mitteilen ließ, KHG sei nun der ihre, fuhr die Ex gleich des Ministers Sportwagen zu Schrott. Dem Corriera della Sera erzählte die Neue dann, dass sie weder eine Hochzeit noch Kinder ausschließe. Seitdem verfolgen Paparazzi Karl-Heinz und Fiona, wo immer sie jetzt auftauchen. Ob auf Capri oder Sardinien, stets macht es Click.

Die absolute Abschaffung der Privatsphäre wurde von Leuten wie Grasser allerdings mitbetrieben. Der aus der Haider-Partei entsprungene Seitenblicke-Bub konnte jahrelang nicht genug an öffentlicher Gefälligkeit bekommen. Zuletzt ließ er sich zu diesem Zweck gar eine private Homepage von der Industriellenvereinigung einrichten und sponsern. Nur wer vorkommt, der ankommt, das hatte er beim Haider gelernt, auch wenn der inzwischen nicht mehr sein Spezi ist und KHG zur ÖVP gewechselt ist. Es geht ums permanente Auffallen. Positiv oder negativ ist da egal, ja vielleicht nicht einmal, da doch letzteres mehr Aufmerksamkeitspotenzial erheischt als ersteres. Wo nichts mehr berühren soll, werden Absonderlichkeiten groß.

Dass KHG sich nun über das Zuviel aufregt, ist verständlich und wiederum auch nicht. Er ist wirklich ein Zauberlehrling, der den Kräften, die er da rief, nicht mehr Herr wird. Persönlich braucht einem der Mann nicht Leid tun, aber gesellschaftlich verdeutlicht seine Geschichte doch die Kloakisierung der Botschaften, zeigt an, wie tief bestimmte kulturindustrielle Instanzen bereits gesunken sind. Wenn sie vermarktbar ist, ist keine Schafzimmergeschichte mehr sicher. Und das ist bei diesem Gespann zweifellos der Fall. Da ist Peeping angesagt. Was noch fehlt, ist die Direktübertragung des Koitus. Aber auch solcherlei werden wir noch serviert bekommen. Es ist bloß eine Frage, welcher Sender sich traut. Zuzutrauen ist es mittlerweile fast allen. Und die Einschaltquoten werden ihnen recht geben. Und die Strafen werden sie locker wegzahlen. Der geschäftlich dimensionierte Imperativ besteht darin, alle Tabus zu brechen. Der Drang nach Öffentlichkeit hat an Schärfe immens gewonnen.

An den Paparazzi demonstriert sich freilich die bürgerliche Journaille in ihrem Endstadium. Dieser magazinierte Voyeurismus ist keine Abirrung, sondern die logische Pointe investigativen Treibens. Der Medienmarkt ist wahrlich der Ort, wo sich diverse Barbarazzi tummeln. Preise für exklusive Fotos sind ziemlich hoch und sie dürften in den nächsten Jahren noch steigen. Die Folge davon ist, dass die Paparazzi stets aggressiver, hinterhältiger und rücksichtsloser werden müssen und die Abwehrstrategien (Bodyguards, Verkleidungen, Abtauchen, juristische Schritte) immer aufwändiger. Das Wechselspiel gleicht einer für alle Beteiligten riskanten Verfolgungsjagd, wobei die ersten realen Unfälle ja schon stattgefunden haben. Stars können lediglich existieren, wenn ihre Fans bedient werden. Es muss Futter für die Projektionen geben. Paparazzi sind die Lieferanten von geilem Fast-Food. Da ist ordentlich viel Catch-Up oben. Der Paparazzo erhält und steigert seinen Marktwert, indem er den Marktwert seines Objekts ausnützt wie fördert, wenn auch gegen dessen unmittelbaren Willen. Am Paparazzo kommt nur als Übertreibung zu sich, was Promis brauchen um Promis zu bleiben. Philosophisch gesprochen schlägt hier das gewollte Quantum in eine ungewollte Qual um.