Irgendwer-irgendwo-irgendwann

Die USA überlegen den atomaren Erstschlag

von Franz Schandl

Kaum in den Medien, war die Botschaft auch schon wieder vom Tisch. Indes war diese Ankündigung doch die wichtigste Verkündigung der letzten Woche. Die Vereinigten Staaten von Amerika erwägen den atomaren Erstschlag. Die offensive Drohung mit dem Erstschlag ist ein Tabubruch sui generis. Absolut barbarisch, noch barbarischer als der Bau der Bombe selbst. Es verdeutlicht den Übergang von der Abschreckung zum Schrecken. Die größten Terroristen sind jene, die solches andenken und im Zweifelsfalle auch ausführen. Zweifellos gibt es Wahnsinnigere als Bush oder Rumsfeld, aber kaum jemanden, der auf solch einem Waffenarsenal sitzt. Wenn es sein muss, hauen die die Welt zusammen. Sie wissen zwar nicht, was sie sagen, aber sie sagen es aus Überzeugung.

Was könnte da wo bombardiert werden? Afghanistan oder Hamburg, das Westjordanland oder gar Chicago? Die Terroristen sind doch überall. Selbst die saudischen Prinzen, die bevorrechteten Freunde und Geschäftspartner der USA, müssen nun wohl zittern, ist doch gerade ihr Land die größte Brutstätte islamistischen Terrors. Durchgeknallte Dokumente einiger Moslemfanatiker können da als Vorwand dienen. Sie zu finden wird nicht schwierig sein und notfalls kann man sie auch erfinden. So wie die Massenvernichtungswaffen des Irak. Aber zweifellos, Saddam hätte sie irgendwann bauen können. Auch Castro oder Chavez könnten irgendwo was Hinterhältiges vorbereiten. Irgendwie muss man sich wehren, bevor es zu spät ist. Keine Verdächtigung, die sich nicht via Medienindustrie zur Hysterie aufblasen ließe.

Sollte tatsächlich die Atombombe fallen, dann wird das weder dem Terrorismus schaden noch die Zivilisation fördern. Im Gegenteil, solche Akte werden zur weiteren Barbarisierung des Planeten beitragen und zu einer noch nie da gewesenen Welle der Gewalt führen. Am allerwenigsten erschüttert diese Drohung übrigens potenzielle Selbstmordattentäter, im Gegenteil, das geilt diese nur auf, steigert doch die Atombombe das Selbstwertgefühl und damit sicherlich auch die Zahl der im Jenseits wartenden Jungfrauen. Todessehnsüchtig sind freilich nicht nur jene, sondern auch ein Staat, der seine Interventionen „Enduring freedom“ und „Infinite justice“ benennt. So läuft es auf die freiheitliche Pointe hinaus: Allen ist alles egal.

Das Unwesen der größten kapitalistischen Staatsmacht, der USA, ist jedenfalls keine Projektion ihrer Kritiker, es ist blutiger Ernst. Dass Nagasaki, der Korea- oder der Vietnamkrieg stattgefunden haben, ist keine Halluzination, sondern furchtbare Tatsache, die nur blindwütige Parteigänger des Okzidents als Verteidigung der Freiheit verkaufen können. Inhaltliche Debatten über die Rolle der US-Politik werden hierzulande allerdings erschwert bis verunmöglicht durch den Antiamerikanismus. Nicht nur vom reellen, sonders zusehends auch vom eingebildeten. Das ist zweifellos ein doppeltes Ärgernis. Letzterer führt dazu, jede Kritik an den USA in eine Debatte über den Antiamerikanismus zu transformieren. Die liberale Journaille (inklusive exlinkem Appendix) versteht sich virtuos auf diese Technik. Da wird dann nicht mehr über die Atombombe gesprochen, sondern allen Kritikern Ressentiments unterstellt. Da reicht es oft aus, wenn Nazis ebenfalls gegen amerikanische Atombomben auftreten, flugs wird man einer Querfront zugerechnet. Wenn Faschisten sich gegen die USA wenden, legitimiert das doch nicht deren Politik. Das alles ist aber zu kompliziert für die Freiheitskämpfer im Reich der einfachen Feindbilder. Chic ist es hingegen US-amerikanische Invasionen zu befürworten.

Das primäre Problem ist nicht, dass Deutschland zu antiamerikanisch ist, sondern dass es zu proamerikanisch ist. Die Deutschen gehören seit dem Kalten Krieg zu den treuesten Vasallen der antikommunistischen Totalitaristen aus Übersee. Die anti-antiamerikanische Hysterisierung ist einmal mehr der Versuch, aus Kritikern des Kapitalismus Befürworter zu machen. Der Antiamerikanismus ist ein Übel. Der Proamerikanismus ebenso. Manchmal sogar ein größeres.