Die Arbeit, unverklärt

AUGUSTIN Nr. 171, Dezember 1/05

von Maria Wölflingseder

Maria Wölflingseder, Pädagogin und Redakteurin der Theorie-Zeitschrift „Streifzüge“, fiel sowohl bei der Armutskonferenz als auch kürzlich beim Wiener Erwerbslosenkongress durch ihre Debattenbeiträge wider die ideologische Verklärung der Arbeit auf. Ihre Kritik des Arbeitsethos, das den Menschen mit aller Gewalt eingebläut wurde, stößt insbesondere bei KämpferInnen für die Vollbeschäftigung auf Widerspruch. Im Folgenden eine Kurzfassung ihrer Polemik gegen das Prinzip Arbeit.

Roboten kommt von rob. Und rob heißt Sklave…

In einem Gedicht von Erich Kästner heißt es: „Geschichten, welche im Geschichtsbuch fehlen, sind immer die, um die sich alles dreht.“

Bevor wir einstimmen in den Chor, der immerzu „Arbeit, Arbeit, Arbeit! “ ruft, sollten wir uns kundig machen. Wer ein Wörterbuch aufschlägt, in dem die Herkunft der Wörter erklärt wird, und in Büchern stöbert, die der Geschichte der „Arbeit“ nachgehen, wird Einiges finden, das unser sklavisches Verhältnis zur „Arbeit“ erhellt.

„Arbeit“ hängt mit einem germanischen Verb zusammen, das „verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein“ bedeutet, noch im Mittelhochdeutschen meint es „Mühsal“, „Plage“, „unwürdige Tätigkeit“. Dem englischen „labour“ liegt das lateinische „labor“ zugrunde: „Leid“, „Mühsal“, „Anstrengung“. Das französische „travailler“ oder das spanische „trabajo“ leitet sich aus dem lateinischen „tripalium“ ab: eine Art Joch, das zur Folter und Bestrafung von Sklaven und anderen Unfreien eingesetzt wurde. Auch das russische „robota“, kommt aus dem altslawischen „rob“, das „Sklave“, „Knecht“ heißt.

„Die Moral der Arbeit ist eine Sklavenmoral, und in der modernen Welt bedarf es keiner Sklaverei mehr“, sagte der englische Wissenschaftler und Nobelpreisträger Bertrand Russel.

Bis zur Antike gab es den Begriff „Arbeit“ überhaupt nicht. Das Wort „Arbeit“ entstand erst als Bezeichnung einer fremdbestimmten Tätigkeit unter Aufsicht und Befehl von anderen Personen. Davor gab es nur Bezeichnungen für die konkreten Tätigkeiten, aber keine Abstraktion, wie das Wort „Arbeit“, die die Verausgabung von Arbeitskraft bedeutet, deren Ziel, deren Inhalt dem Ausführenden gleichgültig ist. Das war z. B. die Fronarbeit, heute ist es die Lohnarbeit, also irgendeine Tätigkeit, um Geld zu verdienen.

Arbeitsethos brachial eingebläut

Während in vorkapitalistischen Zeiten die Arbeit als notwendiges Übel angesehen wurde, war der Beginn der Neuzeit der Anfang der ideologischen Verklärung der Arbeit.

Sie wurde nun zur „anthropologischen Konstante“, also als dem Menschen angeboren, erhoben. Mit aller nur erdenklichen brachialen Gewalt wurde den Menschen das Arbeitsprinzip, das Arbeitsethos eingebläut. Es dauerte Jahrhunderte, um den Menschen ihren eigenen Rhythmus der Tätigkeiten und die Feiertage – die in Europa rund ein Drittel des Jahres, in Spanien gar fünf Monate ausmachten – zu verbieten und sie zum maschinengleichen Arbeiten in den Fabriken zu zwingen.

Interessant ist folgende Entwicklung, an der die Kapitulation des Widerstandes abzulesen ist.

Der ersten Generation von Fabriksarbeitern wurde die Bedeutung von Zeit eingebläut: Niemand lebte damals „nach der Uhr“. Die Menschen mussten sich einem fremden Kommando, einem fremden Takt unterwerfen. Die heutige Gleichsetzung von Zeit mit Geld hatte begonnen. Die zweite Generation kämpfte für den Zehn-Stunden-Tag. Die Menschen wurden ja gezwungen bis zu 16 Stunden zu schuften. Die dritte Generation schließlich hatte die Kategorien der Fabriksherrn akzeptiert und verlangte nur mehr einen Überstundenzuschlag. Heute ist es in den industriell entwickelten Ländern gar nicht mehr notwendig, Zwang auszuüben, er wurde gänzlich verinnerlicht. Er wurde zur „zweiten Natur“ des Menschen. Burn-out und Arbeitssucht sind zu einem nie gekannten Problem geworden. 40- bis 50-Jährige sterben an Herzinfarkt und Gehirnschlag.

Warum das Fließband erfunden wurde

Erhellend ist auch, den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Kapitalismus und der Entwicklung der Feuerwaffen zu sehen. Die Destruktivkraft, die beiden innewohnt, verquickte sich auf fatale Art. Nach der Erfindung des Schießpulvers und der Gründung von Heeren wurde, um diese zu unterhalten, die Steuerlast drastisch erhöht. Was wiederum einen Anstieg der Arbeitslast zur Folge hatte. Es wurde erkannt, dass die Geld- und Warenform besser als die herkömmlichen Feudalbeziehungen dazu taugte, Heere und die neuen Vernichtungstechnologien zu organisieren. Auch heute stehen vier Fünftel der gesamten naturwissenschaftlichen und technischen Forschung im Dienst des Militärs. Die meisten High-Tech-Produkte sind Nebenprodukte der Kriegstechnologie.

Die Maschine, das Fließband wurden nicht erfunden zur Erleichterung menschlicher Mühe und nicht zum besseren Umgang mit der Natur, sondern um schneller aus Geld immer mehr Geld zu machen. Jede menschliche Tätigkeit wird seither danach bemessen, ob sie Geld bringt, ob sie finanziell verwertbar ist. Der Mensch stellt nicht Produkte her, die sinnvoll sind (schadstofffreie Nahrung, langlebige und ökoverträgliche Gebrauchsgegenstände) sondern v. a. solche, die sich am besten zu Geld machen lassen. Der Kapitalismus hat also in mehrfacher Weise mehr mit Tod als mit Leben zu tun. Etwas für Zombies, nicht für Menschen.


Literatur

Ludwig Unruh: Hauptsache Arbeit? Zum Verhältnis von Arbeit und menschlicher Emanzipation, 56 S. , 4 Euro, nur beim Herausgeber: Syndikat A, Bismarckstraße 41a, D- 47443 Moers, www.syndikat-a.de

Erich Ribolits: Die Arbeit hoch? Berufspädagogische Streitschrift wider die Totalverzweckung des Menschen im Post-Fordismus, vergriffen; im Netz auf www.streifzuege.org/str_autor_ribolits_arbeit-hoch_inhalt.html

Gerhard Senft (Hg. ): Verweilen im Augenblick. Texte zum Lob der Faulheit, gegen Arbeitsethos und Leistungszwang.

Manifest gegen die Arbeit, Krisis, 50 S. , bei der Zeitschrift „Streifzüge“, 3,50 Euro, auch online: www.streifzuege.org