Bockelmann!

von Franz Schandl

Von tok-tok zu tik-tak – Aufdrängung einer ultimativen Feiertagslektüre

Wer jetzt noch ein gutes Buch braucht, sei’s zur eigenen Erbauung oder als Geschenk für andere, dem und der kann geholfen werden, folgt eins nur den nächsten Zeilen. Zweifellos, hervorragende Bände sind rar. Und wenn dann doch solche erscheinen, kann es schon vorkommen, dass sie untergehen, einfach kaum Beachtung finden. So geschehen bei Eske Bockelmanns „Im Takt des Geldes“. Indes ist das wohl eines der wichtigsten theoretischen Werke, die in den letzten Jahren veröffentlicht worden sind. Würde man mich fragen, ob mir ein besseres einfiele, müsste ich passen.

Natürlich kann das hier keine Buchbesprechung sein, sondern nur eine heiße Empfehlung. Eine seriöse Auseinandersetzung würde das Maß dieser Kolumne sprengen. Eine Rezension würde mich sowieso ins doppelt unleistbare Parallelbuch hineintreiben. Was interessiert, das ist der kühne Wurf, den der Autor auf sich genommen hat und den er unbeirrt durchhält. Wie kommen wir dazu, so zu hören wie wir hören, fragt er. Und behauptet nicht weniger, als dass unser Taktrhythmus keinem angeborenen Empfinden folgt, sondern vielmehr Folge des Geldes sei und sich mit der Geldwirtschaft durchsetzte. Wie Bestimmtes (Gebrauchswert) und Unbestimmtes (Geld) sich tauschen, so wechseln sich auch Betontes und Unbetontes in Versen und Takten ab. Über diesen Zusammenhang und seine Entfaltung geht es auf 500 absolut spannenden Seiten.

Bockelmann macht uns das Vertraute unvertraut. Hören mag eine natürliche Beschaffenheit sein, aber wie wir hören und es erfassen, das folgt gesellschaftlichen Kriterien. Noch bevor wir das tok-tok wahrnehmen, synthetisieren wir es in ein tik-tak. Wir wissen es nicht, aber wir tun es. Der Takt ist nichts ewig Vorgegebenes, er ist eine abstrakte und leere, aber doch strikt normierte Einheit, die gefüllt werden muss. Der Takt ergibt sich nicht alleine dadurch, dass etwa Musik in der Zeit abläuft. Ein Rhythmus muss nicht nach Takten gehen, auch wenn wir alles auf den Taktrhythmus zurichten wollen und dementsprechend hören.

Da stochert einer in den Tiefen der sinnlichen Gewissheit, wie es selten in dieser Entschiedenheit und in dieser Konsequenz getan wurde. Es ist eine insistierende Abhandlung, die methodisch immer wieder zu den zentralen Theoremen zurückkehrt und diese stets mit neuen Aspekten anreichert. Was am Anfang Hypothese gewesen ist, verdichtet sich über eine atemberaubende Beweisführung zu einer überzeugenden Aussage. Marxologie und Adorniterei sind seine Sache aber nicht. Auch nicht der obligat wissenschaftliche Jargon. Da hält sich einer wirklich abseits linker Trampelpfade. Er trumpft auch nicht mit einem voluminösen Literaturverzeichnis und zigtausend Fußnoten auf. Das scheint ihm nicht notwendig und er hat es auch nicht nötig. Selbstbewusst, selbstverspielt, ja durchaus selbstverliebt präsentiert sich dieser Bockelmann, sowohl in seinen Gedanken als auch seiner Sprache. Aber kann das ein Vorwurf sein? Zu einem Vorwurf kann es doch nur werden, wenn für das alles kein Grund bestünde.

Da hat sich einer unabhängig von diversen Schulen und Lehren entwickelt und man kann nur sagen, es ist ihm gut bekommen. „Im Takt des Geldes“ ist ein eigenständiges Werk. Es ist erfrischend in seiner Klarheit und ebenso in seiner Lesbarkeit. Hell auch dort, wo eins des Autors Gedanken nicht mehr nachvollziehen kann oder will. Im Prinzip kann der Band voraussetzungslos gelesen werden, wenngleich philologische und musikalische Vorbildung die Lektüre erleichtern. Aber hier sich etwas Wissen anzueignen, kann sowieso niemandem schaden. Bockelmann hat ein paradigmatisches, aber kein hermetisches Werk vorgelegt. Das Selbstverständliche wird am behandelten Gegenstand so unverständlich, dass es eine Freude ist. Es wäre also an der Zeit, dass dies auch auffällt. Gesellschaftskritik auf der Höhe der Zeit muss durch dieses Buch durch. Wer es noch nicht hat, hat es zu haben: Eske Bockelmann, Im Takt des Geldes. Zur Genese des modernen Denkens, zu Klampen!