Betroffenheitsabschlagshonorare

Nach der Flutwelle rollt die Spendenwelle

von Franz Schandl

Eine Welle kommt selten allein. Gegenwärtige erleben wir eine sich auf die Brust schlagende Welle der Spendenbereitschaft. In rasantem Tempo wälzt sich diese durch die westlichen Medien und verbietet jedes Nachfragen. Man möchte ja niemandem das Spenden vermiesen, aber wohin fließt das viele Geld? Verlässt es eigentlich den angestammten Kreislauf? Wenn etwa die Republik Österreich (um ein Beispiel zu nennen) von den veranschlagten 8 Millionen Euro für die Flutopfer die Hälfte für die Tätigkeit des heimischen Militärs veranschlagt, was ist das? Doch nichts anderes als eine sonst kaum durchsetzbare Sonderfinanzierung des Bundesheers durch die Hintertür.

Selbst das, was den Opfern materiell zu gute kommt, ist auch (und wirtschaftlich gesehen primär) eine Finanzspritze für die Katastrophenindustrie des Westens: Pharmakonzerne, Militärs, Hilfsorganisationen, Werbefirmen, Medienmeute, Konzertveranstalter etc. – Ökonomisch betrachtet ist jede Katastrophe Zerstörung von Kapital, sodass anderes Kapital wieder produktiv tätig werden kann. Eine rapide oder gar plötzliche Entwertung von etwas ist eine geradezu tolle Voraussetzung zukünftiger Verwertung. Jede Hilfsaktion ist Bestandteil erwarteter Umwegrentabilitäten. Die Differenz also zwischen dem, was die Spender ehrlich bezwecken und dem, was wirklich abläuft, sollte man sich allerdings vor Augen halten. Das heißt ja nun keineswegs, dass man nichts spenden darf. Unmittelbar kann den Betroffenen nicht anders geholfen werden. Leider.

Was sind überhaupt Spenden? Spenden sind nur dort notwendig, wo die Abhilfe von Not oder Elend keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit ist, sondern speziell organisiert und inszeniert, vor allem aber finanziert werden muss. Das Spendenwesen verdeutlicht, dass jenen, die etwas brauchen, was vorhanden wäre, dieses nicht direkt oder automatisch zukommt, sondern sie nur in dessen Genuss gelangen können, wenn sich jemand anderer ihrer erbarmt. Die Bespendeten sind also vom Wohlwollen der Spender, der Inhaber von Geld und Gut abhängig, ihnen regelrecht ausgeliefert.

Vergessen werden sollte nicht, dass es im Spendenwesen nicht bloß zwei, sondern drei Parteien gibt, die Spender, die Spendenempfänger und die Spendenüberträger, d. h. die zahlreichen Institutionen der Spendenflüsse. Diese haben sich als regelrechtes Gewerbe etabliert, sind eine boomende charity-society. Dort müssen alle Spenden durch, dort wird entschieden, was die Organisatoren selbst einbehalten und wer schlussendlich Nutznießer wird. Bei Spenden geht es nicht ausschließlich um Hilfsbereitschaft und Unterstützung (das ist lediglich eine Dimension und die zielt auf Dankbarkeit! ), sondern um Angewiesenheit, ja Abhängigkeit. Wir bestimmen hier per Überweisung oder Unterlassung wie viele Menschen medizinisch versorgt und wie viele Häuser aufgebaut werden sollen, oder umgekehrt: wie viele umkommen oder obdachlos bleiben.

Spenden dienen als Selbstvergewisserung. Ein gutes Gewissen wird angezeigt. Das ist zwar besser als die reine Gewissenlosigkeit, aber nicht um vieles. Letztlich kauft man sich doch los davon, sich über die Welt und ihre Beschaffenheit Gedanken zu machen. Man leistet sich eine Entschuldigung und hat damit seinen Teil getan. Was die Geldbörsen und Konten verlässt, sind Betroffenheitsabschlagshonorare. Wer stolz darauf ist, Spender zu sein, gibt zu Protokoll, dass an den Grundstrukturen aber auch gar nicht gerüttelt werden soll. Die gönnerhafte Linderung von Not und Elend will diese nicht abschaffen, sondern sich daran erbauen. Das Unglück anderer ist so ideeller Nährstoff eigener Befriedigung.

Aus: Junge Welt, 20. Januar 2004