Vom „Kommunismus der Sachen“ zur „Anti-Moderne“

Robert Kurz‘ unvollendete Aufhebungsbewegung

von Gerhard Hanloser

Die Krisis-Gruppe – der ideelle theoretische Gesamtlinke der 90er Jahre

Das Denken und Theoretisieren der deutschsprachigen Linken wurde entscheidend von der Nürnberger Krisis-Gruppe und namentlich vom langjährigen konkret-Autoren Robert Kurz geprägt. Auch in die Milieus der bundesrepublikanischen Linken, die nicht viel von der Krisentheorie der Krisis-Gruppe hielten oder auch generell die blauen Bände scheuten, zog ein Krisis-Jargon ein, der von „Wertvergesellschaftung“ und „Wertkritik“ erzählte, in seiner Kritik am Kapitalismus aber mehr idealistisch-weberianisch als marxistisch argumentierte. Auch die Habitus-Form, nun ganz neue Erkenntnisse zu präsentieren und sich allen möglichen „unaufgehobenen“ Vorläuferbewegungen überlegen zu fühlen, teilten etliche Linke mit der Krisis-Gruppe.

Die theoretischen Schriften der Krisis-Gruppe stellten Versuche dar nach dem offensichtlichen Bankrott der sozialistischen Ideologie und Praxis, eine radikale Kritik des Bestehenden zu erneuern. 1991 brachte Robert Kurz eine fulminante Schrift heraus, Der Kollaps der Modernisierung, die der Gemeinde konsternierter Linker erklärte, dass der Realsozialismus eine einzige, unvermeidbare Modernisierungsdiktatur war, die keineswegs jenseits der kapitalistischen Logik angesiedelt war. Kurz konnte aber der Linken auch prophezeien: der Realsozialismus ist untergegangen – als nächstes ist der Kapitalismus dran. Letztere These war gewagt und die Erkenntnis vom Sozialismus als Modernisierungsdiktatur keineswegs neu, sondern unter linkskommunistischen, libertären und rätekommunistischen Publizisten und Aktivisten schon länger bekannt. Umso lauter musste Kurz diese Erkenntnis marktschreierisch verkaufen. Auch bei der Suche nach positiven Bezugspunkten war Robert Kurz reichlich spät dran, um so lauter gab er die Ergebnisse seines Suchprozesses bekannt: Arbeitszeitverkürzung wurde längst als Instrument der Arbeitsverdichtung durchschaut, da schrieb sie sich Robert Kurz auf die Fahne; die letzten besetzten Häuser wurden geräumt, legalisierten sich oder gingen an internen Widersprüchen zu Grunde, da meine Robert Kurz im Hausbesetzen könne man den „Ware-Geld-Nexus“ auflösen; und die Neuen Sozialen Bewegungen erkannten Linksradikale schon länger als so klassenübergreifende wie bürgerliche Bewegungen, da kokettiert Kurz mit ihnen und wähnte sich damit dem einst selbst vertretenen „Arbeiterbewegungsmarxismus“ haushoch überlegen.

Als Robert Kurz Ende der trüben 90er Jahre im Schwarzbuch Kapitalismus an die Sozialrevolten des 18. und 19. Jahrhunderts, an die Maschinenstürmer, erinnerte, legte er dabei eine Naivität im Abfeiern dieser „emanzipatorischen Sozialrevolten“ an den Tag, die weder bei autonomen, sozialrevolutionären, noch gewerkschaftsoppositionellen Publizisten und Historiker anzutreffen war, als diese bereits Anfang der 80er die Geschichte der Maschinenstürmer untersuchten.

Aber Kurz war, nachdem es mit dem 1991 prognostizierten automatischen Zusammenbruch des Kapitalismus nicht so richtig klappen mochte, auf der Suche nach echten, sympathischen Feinden des Kapitalismus – die „verhausschweinte“ Arbeiterklasse, wie Kurz redundant von sich gab, durfte das freilich nicht sein, nicht nur aus Gründen des alten ML- Stallgeruchs, sondern auch weil die Linke schon immer auf der Suche nach dem reinen, vom schändlichen Kapitalismus unbeleckten Subjekt war.

Welche Gegner?

Heutzutage scheint es so, als habe der Kapitalismus nur noch unsympathische Feinde: Islamisten, religiöse Tugendwächter, war lords. Und noch mehr scheint es einigen, sie seien es, weil sie so unbeleckt vom Kapitalismus wären. Übersehen wird gerne, dass genau diese Konfigurationen integraler Bestandteil des krisenhaften Zustands des weltweiten Kapitalismus sind. Die mörderischen Banden sind also nicht die Gegner des Kapitalismus, sondern lediglich Konkurrenten in der Ausgestaltung der Überbauformation des ganzen Schlamassels. Antideutsche Linke, auf ihrem langen Marsch des Abschieds von der Linken, wollen jedoch in diesen Tendenzen des kapitalistischen Weltsystems das größere Übel entdecken und klammern sich verstärkt nach dem 11. September 2001 verzweifelt-aggressiv an die Hegemonialmacht USA, die die Feinde „unserer“ offenen Gesellschaft gefälligst in Zaum halten soll.

Um diese Angstreaktion gegenüber sich selbst und der linken Gemeinde gleichsam zu rationalisieren wie zu legitimieren, sucht nun diese Szene nach linker, am besten marxistischer Begründung ihres Bekenntnisses zum Westen. Fündig werden sie bei geschichtsphilosophischen Einsprengseln in Marx‘ Schriften. Hier trumpft nun Kurz auf und überführt diese Linke einer mörderischen westlichen Geschichtsphilosophie, die über Leichen geht. Der Nürnberger Krisentheoretiker Robert Kurz hat so einen weiteren Abgesang verfasst: nun auf die pseudo-aufklärerische antideutsche Linke und ihre Ideologie vom freien, konsumistischen Westen, den es gegen die Invasion der (antisemitischen) Barbaren zu schützen gilt. Robert Kurz stimmt in seinem jüngsten Abgesang auf die Antideutschen eine Tonlage an, die sich angenehm abhebt von den mit Verbalinjurien gespickten, aber dennoch verständlichen Wutanfällen, die ihn nach dem 11. September und rund um den Golfkrieg angesichts des Elends der deutschen Linken überkamen und die in der publizistischen Linken dafür sorgten, dass er zur persona non grata wurde.

Die folgende Kritik an Kurz will ihn als radikalen Theoretiker ernst nehmen, seinen antideutschen Gegnern kann diese Ehre jedoch nicht mehr zuteil werden. Im Gegensatz zu Kurz haben die Antideutschen um die Gruppe ISF und die Zeitschrift bahamas mitsamt ihrem racket-haften Anhang die Seite gewechselt – das ist nicht schön, aber so ist es.

Ihnen stehen nach eigenem Bekunden der Merkur und Die Welt näher als der Rätekommunismus und Reclaim the streets. Bei allen politischen Unterschieden zwischen antideutscher und robert-kurzscher Ideologie gibt es aber auch deutlich Überschneidungen. Vergessen ist mittlerweile, dass der Lieblingsbegriff der antideutschen Szene, der nonsens-Begriff des „strukturellen Antisemitismus“ zuerst von Robert Kurz und der Krisis-Gruppe in Umlauf gebracht wurde. Mittels dieses Begriffs konnten alle ideologischen Formen von Kritik und Räsonieren über den Kapitalismus, beispielsweise eine ablehnende Bewertung des Finanzkapitals oder das Hoffen auf die regulierende Macht des Staates, als „strukturell antisemitisch“ erklärt werden. Die Antideutschen ebenso wie Robert Kurz wirkten dabei mit, den Antisemitismus-Begriff inhaltlich zu entleeren und zu einer beliebig einsetzbaren Chiffre zu degradieren, die nichts erklärt, nur moralisch verdammt.

Geschichtsphilosophie und ML

Kurz weist den Antideutschen nach, dass sie die „bürgerliche Geschichtsphilosophie eines kruden Fortschritts-Determinismus“ vertreten. Und tatsächlich: Wenn Antideutsche die US-amerikanischen Kriege als großen Fortschrittsbringer feiern, argumentieren sie bloß oberflächlich betrachtet wie Traditionsmarxisten – denn sie tun es auf unkritische Weise und ohne an einer Aufhebungs- also Revolutionsperspektive festzuhalten. Die Geschichtsphilosophie der Antideutschen ähnelt so auch in pikanter Wiese den frühen, traditionsmarxistischen Ausführungen der Krisis-Gruppe und von Robert Kurz selbst und doch gibt es einen Unterschied ums Ganze: Kurz ging es immer um radikale Umwälzung, auch wenn er die verändernde Praxis der Menschen als quantité négligeable ansah. Die Antideutschen halten dagegen von beidem nichts und umso mehr am Bestehenden fest. Doch um eine wirklich aufhebende Kritik der linken Theoriemisere zu betreiben, gilt es, das Erbe des ML wirklich zu überwinden, nicht bloß wie Kurz, es abstrakt zu verwerfen. Eine Kritik der antideutschen mörderischen Geschichtsphilosophie müsste im Falle von Kurz mit einer Selbstkritik der Krisis-Geschichtsphilosophie verbunden sein. Denn auch wenn in den jüngsten Verlautbarungen von Robert Kurz dem Fortschritt, der Aufklärung, der Vernunft, den Produktivkräften eine harsche Absage erteilt wird, um ein Projekt der gespenstisch klingenden „Gegen-Moderne“ hochzuhalten, lohnt es sich, auf frühere Veröffentlichungen der Krisis-Gruppe und von Robert Kurz zurückzublicken.

Identität und linke Biographie

Es ist ein beliebtes linkes Spiel, auf die Vergangenheit linker Personen einzugehen, um im großen Gestus der Enttarnung dem Kontrahenten nachzuweisen, er sei immer noch der gleiche (wahlwiese: ) Stalinist, Leninist, Maoist, Spontaneist geblieben. Wer so verfährt, hält an der Identitätslogik fest. „Einmal Maoist, immer Maoist“, dieses Spielchen lässt sich in der publizistischen Linken zur Besinnungslosigkeit durchnudeln, haben doch viele Publizisten einen K-Gruppen-Hintergrund. Mit dieser Verfahrensweise wird jedoch auch verschleiert, dass die meisten inhaltlichen Bekundungen der publizistischen Linken keinesfalls einer statischen Ideologieproduktion gehorchen, sondern auf teilweise unnachvollziehbare Weise frühere theoretische Fehler durch Überkompensation wettzumachen gedenken. So finden sich bei den antideutschen Publizisten und ihren Jüngern nicht selten welche, die Anfang der 90er Jahre noch in den trüben Gewässern des Antiimperialismus herumschipperten. Besonders unangenehm ist eine Diskussion mit Antideutschen deshalb, weil sie ihre eigene mao-stalinistische, antiimperialistische oder dumpf-autonome Vergangenheit bekämpfen und jeder Kontrahent von ihnen in diese Rolle gepresst wird, damit die schräge antideutsche Vergangenheitsbewältigung auch gelingen mag.

Auch bei Robert Kurz finden sich solche unüberlegten, man könnte auch sagen: unaufgehobenen, Reaktionsweisen. Zwischen starrem Objektivismus und diealistischem Subjektivismus hat Robert Kurz in seiner über 10 Jahren währenden Publikationsarbeit bereits jeden Aggregatzustand linken Denkens durchgemacht. Dabei lassen sich die Sprünge und Veränderungen der Kurzschen Kritik durchaus als sympathische Suchbewegung nach einer Theorie der Befreiung werten, auch wenn diese objektiv in Teufels Küche führte.

Apologetische Geschichtsphilosophie, die Kurz nun bei den Antideutschen zu Recht, aber falsch in Grund und Boden kritisieren will, ließ sich so auch nicht zu knapp in seinen eigenen Schriften finden. Bis zum Schwarzbuch Kapitalismus zeichnete sich die Krisis-Gruppe und ihr Vordenker Robert Kurz durch eine Geschichtsphilosophie aus, die sich in den Termini des „noch nicht“ und „nicht mehr“ ausdrückte: Radikale Kritik, Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse und Kommunismus seien erst jetzt möglich, so Kurz am deutlichsten im Kollaps der Modernisierung von 1991, die historischen Versuche der Überwindung des Kapitalismus mußten notwendigerweise scheitern: Arbeiterbewegung und Linksradikalismus – alles eine bloße Modernisierungsbewegung, die die kategoriale Kritik noch nicht leisten konnte und diese notwendigerweise verfehlt hatte. Bis 1991 war nämlich eine Durchsetzungsphase der abstrakten Arbeit angesagt, erst dann (und dieser Zeitpunkt fällt immer genau mit dem Publizieren der Krisis-Erkenntnis zusammen) ist eine radikale Veränderung möglich. Bis dahin war alle Geschichte notwenig. Den Moment der Veränderung versucht die Krisis-Gruppe obendrein in einer Krisentheorie zu fundieren, die auf der recht einfachen Überlegung fußt, daß dem Kapital die produktive Arbeit ausgeht aufgrund der Zunahme von Technologien und dem Herauskürzen der lebendigen Arbeit aus dem Produktionsprozeß. Vor diesem Hintergrund wurde von einer finalen Endkrise des Kapitalismus ausgegangen; ein Kapitalismus, der sich ganz von selbst abschafft, aber davor noch – welch frohe Botschaft – einen „Kommunismus der Sachen“ geschaffen hat. Abermals: Die Produktivkräfte werdens richten.

Kapitalismus und Faschismus

In früheren Veröffentlichungen mußte die Krisis-Gruppe auch den Nationalsozialismus und Auschwitz in die Logik einer linearen „Durchsetzungsgeschichte“ pressen. Auch in der Geschichtsphilosophie von Kurz machte einmal die Barbarei in der Geschichte Sinn, denn sie hatte ja eine fortschrittliche Funktion. Wohingegen die im Jahr 1993 herrschende Barbarei keinen Sinn mehr machte, weil – wie die krisis qua Krisentheorie bewiesen hat – der ganze Laden hic et nunc an sein Ende gekommen sei. 1993 brachte Kurz in der Aufsatzsammlung Rosemaries Babies. Die Demokratie und ihre Rechtsradikalen diese halsbrecherische Geschichtsmetaphysik auf den Punkt: „Die Barbarei in der Modernisierung läßt sich nirgendwo rechtfertigen. Der Unterschied ist nur der, daß in der Vergangenheit aus den barbarischen Schüben immer wieder die Momente des Zivilisatorischen im positiven Sinne hervorgehen konnten; die doppelgesichtige Moderne besaß trotz ihrer mörderischen Durchsetzungsgeschichte immer noch Spielraum für die ‚zivilisatorische Mission des Kapitals‘ (Marx). Immerhin ist doch sogar der Nationalsozialismus durch die zivile Marktwirtschaftdemokratie der BRD abgelöst worden, in der nach den ungeheuren Leiden und Verbrechen die Ernte der fordistischen Prosperität in jenem kurzen Sommer der Nachkriegszeit eingefahren werden konnte. Damit ist es jetzt für immer vorbei.“ Kurz erklärte seinen Lesern hier die geschichtsphilosophische Bedeutung von Auschwitz: Die Produktivkraftentfaltung konnte hinterher weitergehen, es gab immerhin (! ) Kühlschränke und TV für die Deutschen im Postfaschismus. Zwischen Auschwitz und Treblinka tat sich so noch ein „Spielraum“ für die „zivilisatorische Mission des Kapitals“ auf.

Im Schwarzbuch Kapitalismus verzichtete Kurz auf solche Behauptungen. Zwar will er nach wie vor den Nationalsozialismus und Auschwitz in den Strom einer linear gedachten Modernisierungsgeschichte eingeordnet wissen, dies jedoch nicht mehr in apologetischer Absicht. Der Blick war nicht mehr leninistisch nach vorn gerichtet, sondern eher wie Walter Benjamins Engel der Geschichte nach hinten, auf die Trümmer und Leiden, die der Fortschritt produziert hat. Der NS war im Schwarzbuch Kapitalismus nicht nur Stufe, Schub und Übergang, sondern barbarische Spitze einer Katastrophengeschichte. Kurz versuchte das Besondere am Nationalsozialismus und an der „negativen Fabrik Auschwitz“ festzuhalten, ohne die allgemeine kapitalistische Grundlage, auf der sich der Nationalsozialismus entwickelte, in Vergessenheit treten zu lassen. Diese im Kern richtige Überlegung war dann auch denjenigen ein Dorn im Auge, die mit der Behauptung der Einmaligkeit von Auschwitz von nun an über den Kapitalismus schweigen wollen oder unverbindliche und sich äußerliche Kategorien aufstellen wollen: auf der einen Seite Kapitalismuskritik, auf der anderen Kritik des NS. So vermochte beispielsweise der reform-antideutsche Publizist Günter Jacob in konkret vom April 2000 nur noch moralisch die Besonderheit und das absolut Böse von Auschwitz gegen einen Rückbezug des NS auf den krisenhaften Kapitalismus hochzuhalten.

Heutzutage verfallen die Hardcore-Antideutschen mehr und mehr darauf, „normalen Kapitalismus“ und „Deutschland“ als sich äußerliche Prinzipien in der Geschichte zu fixieren. Für sie gibt es sogar eine „deutsche Produktionsweise“, die dem Kapitalismus in der Hinsicht „entsprungen“ ist, dass sie eine andere, nicht-kapitalistische Ordnung darstellt. Der Zweck der Übung ist klar und wird in der „Antideutschen Ideologie“ von Kurz auch prägnant auf den Punkt gebracht: auf gut bürgerlich-antifaschistisch wird der Kapitalismus affirmiert.

Doch wie sieht Robert Kurz das Verhältnis von bürgerlicher Gesellschaft und NS-Faschismus? Wurde im Schwarbuch Kapitalismus bereits eine Gradlinigkeit skizziert, die Kurz seiner Katastrophengeschichte des Kapitalismus unterstellt, so wird in seinen jüngsten Veröffentlichungen dagegen alles zu einem grauen Brei. Aufklärung und Gegen-Aufklärung, Fortschritt und Regression – alles eins. Dabei wäre es in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus und Nationalsozialismus gerade von Bedeutung aufzuzeigen, dass die Regulation des Kapitalverhältnisses durch die Krise von 1929 an eine Grenze stieß und nur über den so kapitalismusbewahrenden, wie scheinrevolutionären Charakter des NS in anderer, aber der kapitalistischen Krisenhaftigkeit nicht entkommenden Form bewerkstelligt werden sollte. Der Kapitalismus ist mit Freiheit, Gleichheit, Eigentum nicht das Gegenprinzip zur totalen Volksgemeinschaft des NS, er ist aber auch nicht schlicht und ergreifend das Gleiche, sondern bringt die faschistische Formierung in dem Moment hervor, wo er sich selbst auf der bisherigen Grundlage nicht mehr reproduzieren kann. Er muss sich in dem Maße terroristisch radikalisieren, wie eine liberale Handhabung der Krise versperrt ist.

Kategorie, Empirie und Geschichte

Kurz weist in der „Antideutschen Ideologie“ darauf hin, wie die Antideutschen an der Empirie vorbei argumentieren und vom Verlauf der realen Geschichte nichts wissen wollen. Die reale Geschichte dient als formbares Material, um die Kategorien zu unterfüttern. Das lässt sich am besten bei den antideutschen Nahost-Experten der Jungle World beobachten: Es kostet Thomas Uwer und von der Osten-Sacken einige Mühe, die Fakten über den Irak ihren am laufenden Meter produzierten Fehleinschätzungen anzupassen. Sartre kritisierte diese Methode, die Empirie der Theorie nachzuordnen, bereits beim orthodoxen Marxismus: „die Analyse besteht einzig und alleine darin, sich der Details zu entledigen, die Bedeutung bestimmter Ereignisse zu übertreiben, die Tatsachen zu entstellen und sogar welche zu erfinden, um hinter ihnen, als ihre Substanz, unveränderliche und fetischisierte ’synthetische Begriffe‘ wiederzufinden“.

Die Budapester Metro war im Kopf von Rákosi, dem Generalsekretär der Partei der Arbeit, wirklich; wenn der Untergrund von Budapest nicht erlaubte, sie zu bauen, dann war eben dieser Boden konterrevolutionär. Das von den USA herbeigeführte irakische 1789 war im bellizistischen Kopf von Uwer und von der Osten-Sacken wirklich, wenn sich jetzt im Irak die bürgerliche Gesellschaft nicht so einfach durchsetzen kann, gilt es um so mehr Daumen für die USA zu drücken, damit die Bürgergesellschaft doch noch real werde.

Doch auch bei der Krisis-Gruppe lässt sich diese Methode finden. Einer dieser ’synthetischen Begriffe‘ der krisis-Gruppe ist der der Warenform, die sich in der Geschichte umfassend ausgebreitet hat. Diese elementare Grundform der kapitalistischen Gesellschaft wurde, so verkündete Kurz noch 1989 in der Marxistischen Kritik, dem publizistischen Vorläufer der krisis, durch den Klassenkampf selbst auf den Weg gebracht. Klassenkampf war demnach für Kurz stromlinienförmig in die Durchsetzungsgeschichte der Warenform eingepaßt. Die heftigen Klassenkonflikte im 19. Jahrhundert seien nicht etwa gegen den Kapitalismus gerichtet gewesen, sondern hätten diesen lediglich auf den Weg gebracht. Der Marxismus und sein Klassenbegriff sind, so Kurz, einer Täuschung aufgesessen. „Dieser falsche Schein konnte nur entstehen, solange die ‚Arbeiterklasse‘ innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht als offizielles Konkurrenzsubjekt anerkannt war, solange sie noch gegen den halbfeudalen Staat und/oder gegen mächtige Einzelkapitale ihre ‚Koalitionsfreiheit‘, überhaupt ihre ‚Rechte‘ als warenförmiges soziales Subjekt geltend machen und durchsetzen mußte“. In der Wirklichkeit war es aber gerade anders herum: Die der Arbeiterklasse zugestandenen Rechte wie die Koalitionsfreiheit waren gravierende Verstöße gegen die Warenförmigkeit der Arbeit.

Doch im Kollaps der Modernisierung ging Kurz noch weiter. Hier war es auf einmal die Konkurrenz, die noch Vernunft und Sinn in die ganze kapitalistische Modernisierungsgeschichte hineinbrachte. „Marx hat das positive, fortschrittliche, emanzipatorische Moment der Konkurrenz nie verkannt und als ‚zivilisatorische Mission des Kapitals‘ bezeichnet“ – steht’s in der bahamas oder im Kollaps? Tatsächlich in letzterem.

Statt nur das antideutsche „Konkurrenzsubjekt“ zu verfluchen, wie es Kurz heutzutage beliebt, wäre eine Auseinandersetzung mit den Thesen Polanyis angebrachter, mit denen man zumindest verstehen könnte, dass gerade das Ausschalten der puren Konkurrenz und der reinen Marktlogik die „zivilisatorische Mission von Staat und Kapital“ war. Gegen Polanyi und seine keynesianischen und linksgewerkschaftlichen Freunde müsste aber auch festgehalten werden, dass genau diese vom Staat (teilweise mit, teilweise gegen das Kapital) aufgebauten Strukturen jenseits des puren Marktes einzig zum Zweck errichtet wurden, dass der ganze Laden nicht zusammenbricht oder von unten abgeräumt wird.

Produktivkräfte

Beim AEG-Chef Walter Rathenau, der den kriegswirtschaftlichen staatlichen Dirigismus sozialistisch verbrämte, hieß es: „Wir sind doch schon im Kommunismus halb drin“. Bei Kurz, der diesen Satz 1999 im Schwarzbuch Kapitalismus als Beispiel eines imperialistischen Produktivkraftfetischismus zitiert, hieß es 1991 im Kollaps der Modernisierung: „Die Menschheit ist damit konfrontiert, daß sie durch die selbstgeschaffenen Produktivkräfte hinter ihrem Rücken auf der inhaltlich-stofflichen und ‚technischen‘ Ebene kommunistisch vergesellschaftet wurde.“ Richtig geklappt hat es mit dem hinterrücks eingeführten Kommunismus nicht, auch Robert Kurz hat das mehr oder minder bewusst wahrgenommen. Die Vergesellschaftungspotenz des Kapitalismus nimmt weltweit ab. Angesichts dieser Situation glauben antideutsche Modernisierungstheoretiker, dass das Vergesellschaften nicht von hinten, sondern von oben zu kommen hat: mittels B-52 und Protektoraten. Alles Schlechte kommt bei ihnen ohnehin von unten. Jeglicher kritische Gehalt, den selbst der orthodoxe Leninismus des Robert Kurz von ยด91 noch für sich beanspruchen wollte, ist somit suspendiert.

Die Antideutschen nehmen allerdings weit realistischer als Kurz im Jahre 1991 die Desintegration des weltweiten Kapitalismus wahr. Was dies bei ihnen auslöst ist nicht Geschichtsoptimismus, sondern Angst. Die Angst der Intergrationswilligen führte immer schon zu Aggressivität. Nur so lässt sich erklären, dass die Antideutschen auf die pazifizierende Funktion des aktuellen Hegemons des kapitalistischen Weltsystems hoffen. In ihrer aggressiven Verzweiflung bejahen sie die Entwicklung der Produktivkräfte in ihrer Form als offensichtliche Destruktionskräfte: die Bombe und den Krieg.

Außerdem affirmieren sie Konkurrenz und Warenfetischismus, als Momente, um das Individuum aus unmündigen Verhältnissen herauszuführen. Dass genau die kapitalistische Produktivkraftentwicklung, die sie abfeiern wollen, auf Weltebene eine schmale Elite von Trägern des General Intellect hervorbringt und ein Heer von Ausgestoßenen und Ausgespuckten, die sich zusehens von fundamentalistischen Eliten auf himmlische Versprechungen vertrösten lassen, müssen die Kapitalismusaffirmativen dabei verdrängen. Der dem westlich-metropolitanen Flaneur begegnende Warenfetisch mag auch nur dort ankommen, wo tatsächlich Produkte mit der Chance auf Realisierung ihres Werts hingelangen, und Konkurrenz ist nicht das Versprechen auf ein bisserl mehr Wahlmöglichkeiten in einer Gesellschaft der fröhlichen einfachen Warenproduzenten, sondern entscheidet auf dem Weltmarkt nun einmal über Prosperität oder Abgehängt-Sein ganzer Regionen. Aber auch das ist kein Argument, das Antideutsche überzeugen mag, wähnen sie sich doch in dieser Hinsicht auf der sicheren Seite.

Nach dem 11. September radikalisierte sich diese Haltung und mit den Ideologien vom Kampf gegen die Barbarei schöpfte dieser Teil der „Linken“ aus dem Arsenal westlicher Legitimationsstrategien, um schließlich in der offenen Apologie des Bestehenden zu landen.

Fortschritt

Auch die beste Kritik an den Antideutschen, die Kurz freilich nicht liefert, wird diese Szene keineswegs überzeugen können, die Gedanken sind nun mal nicht frei. Wollen die Antideutschen, idealistisch gestimmt, noch so sehr, dass das Bewußtsein das Sein bestimmt, so werden gerade sie in besonderem Maße von den naturwüchsigen Ideologien des aktuellen Kapitalismus übermannt. Der Zustand des Kapitalismus spiegelt sich in unbewusster Weise im Denken der Antideutschen wider. Der Appell an ihr (falsches) Bewusstsein verhallt ungehört. Die antideutsche Szene wird so mehr oder weniger an ihrer eigenen Gang-Struktur zu Grunde gehen, in der jede Abweichung von der reinen Lehre sanktioniert wird und man sich schon über die Frage, an welchem Tag man welche Fahnen schwenken darf, in die Haare kriegt.

Positiv ist zu vermerken, dass Robert Kurz sich die Antideutschen und ihre Ideologieproduktion vornimmt, um einen alternativen Entwurf kritischer Theorie zu liefern. Doch genau darin scheitert er. In der Ablehnung seiner antideutschen Gegenspieler bleibt Kurz noch den falschen Dichotomien verhaftet, macht tabula rasa, wo eine neue Anstrengung des Begriffs notwendig wäre. So verfällt Kurz dem Reflex, sämtliche Begriffe, die die Antideutschen für sich pachten, dem historischen Orkus zu übergeben.

Sehen sich die Antideutschen einer Geschichtsphilosophie verpflichtet, wonach den „rückständigen“ und „vor-modern“ behaupteten Länder die Aufklärung durch die US-G. I. s zu bringen sei, macht Kurz gleich ganz Schluss mit der Dialektik der Aufklärung und des Fortschritts. Er zieht generell gegen die „Aufklärungs-Ideologie“ zu Feld, gibt sich nicht die Mühe, einen kritischen Vernunftsbegriff gegen den Begriff der instrumentellen Vernunft abzuheben. Stattdessen bemüht er den reichlich vagen Begriff einer „emanzipatorischen Anti-Moderne“, den es nun stark zu machen gelte.

Wer mit der antideutschen Ideologie sich auseinandersetzt, sollte sich zumindest mit der „deutschen Ideologie“ von Marx und Engels auseinandersetzen. Hier wird nämlich keine Geschichtsphilosophie präsentiert, sondern eine kritische Geschichtstheorie. Weder die Antideutschen noch Kurz wollen diese zur Kenntnis nehmen. Die von Marx und Engels angenommene Tendenz zur Klassenbildung und Produktivkraftentwicklung und der daraus resultierende Möglichkeit einer umfassenden sozialen Revolution, die keine bloß politische, also bürgerliche ist, wird von den Antideutschen stillschweigend gestrichen. Marx sprach von Fortschritt im emphatischen Sinne nur unter der Voraussetzung und angesichts der Möglichkeit der Revolution. Die antideutschen Ideologen behaupten das Ende der Möglichkeit von Revolution, „Kommunismus“ ist in diesen Kreisen nur noch eine hohle Phrase, reine Reminiszenz. Die Antideutschen wollen am Kapitalismus festhalten, der für Marx als Moment der geschichtlichen Entwicklung nicht schon an sich bewahrenswert war, sondern nur die Voraussetzung einer wirklichen Versöhnung darstellt, indem er erstmal die Emanzipation von unmittelbarer Herrschaft durchsetzt. Marx lehnte die alten Gesellschaften mit ihren Archaismen nicht deswegen ab, weil er die Verdinglichungen und moderneren Fetischformen des Kapitalismus auf Dauer stellen wollte, sondern weil er die Bedingungen der Möglichkeit eines Bruchs mit den kapitalistischen Verhältnissen untersuchen wollte. Der Bruch, die Revolution und die Konstitution eines „wahren Gemeinwesens“ lag Marx aber so sehr am Herzen – teilweise auch gegen sein eigenes evolutionistisches Denken -, dass er gegen Ende seines Lebens selbst mit der Möglichkeit einer unmittelbaren Revolution in Russland und dem Überspringen einer bürgerlich-kapitalistischen Phase kokettierte.

Dagegen ist das antideutsche Insistieren auf Entwicklung und Fortschritt nur Ausdruck ihrer bürgerlichen Ideologie. Kurz fordert dagegen den Bruch mit den als barbarisch erkannten Verhältnissen, der – soviel hat der Theoretiker eingesehen – nicht mittels eines Selbstläufers des „Kommunismus der Sachen“ zu bewerkstelligen ist. Doch diese Erkenntnis führt bei ihm dazu, jede Diskussion um die materielle Voraussetzung und Möglichkeit von Kommunismus abzuwehren. Außerdem ist Kurz jeglicher Rekurs auf Klassenbildung und Klassenkampf verdächtig. So wird aus seiner Kritik jedoch eine Mischung aus vor-kantianischem Idealismus und Romantik.

Desintegrierter Kapitalismus

Antideutsche Irak-Experten begründeten ihren Bellizismus damit, dass sich im US-verwalteten Irak doch endlich bürgerliche Verhältnisse, freie Wahlen, die Entwicklung einer Zivilgesellschaft, der citoyen gegenüber den als vormodern verstandenen Verhältnissen unter Saddam Hussein durchsetzen könnten.

Nur der Bürger, und die Antideutschen sind eben Bürger im Zustand der Krise, kann die Verhältnisse so von den Füßen auf den Kopf stellen. Denn der bürgerliche Fortschritt, das Fortschreiten und sich Ausbreiten bürgerlicher Rechtsformen beispielsweise, mag auch bloß vor dem Hintergrund einer gelungenen Durchsetzung des Kapitalismus als Vergesellschaftungsmodell funktionieren. Außerdem entwickelt sich dieser Überbau immer im Handgemenge mit dem Klassenkampf, mit politischen und sozialen Ansprüchen, die es zu befriedigen oder zu unterdrücken gilt.

Der Kapitalismus als Vergesellschaftungsmodell ist heutzutage weniger denn je funktionstüchtig. Er hat seine integrierende Funktion verloren, obwohl alles „innen“ ist und es kein „Außen“ mehr gibt. Das ist auch der entscheidende Unterschied zur Phase des Keynesianismus und Fordismus, die noch alles zum „Innen“ machen konnte. Die Roosevelt-Administration steht ab den vierziger Jahren für einen solchen Gleichklang von zukunftsweisendem sozialen Entwicklungsversprechen und bürgerlicher Emanzipation – Linksradikale sollten dabei jedoch nicht vergessen, dass auch diese ausbeuterische Ordnung nur über Krieg und das Abschleifen der letzten Reste von Arbeitermilitanz möglich war. Auch sollte man sich bewußt machen, dass gegen diese reformistisch-keynesianische Inklusion der Arbeitermassen in die politische Ökonomie – und damit ihre relative Machtstellung – die neoliberale Konterrevolution ab Anfang der 70er vorging, um dieses Machtverhältnis umzukehren und die Arbeiterinnen und Arbeiter wieder verstärkt zu einer abhängigen Größe zu machen.

Nichts ist besser für die Arbeiterinnen und Arbeiter geworden, und für das Kapital auch nur scheinbar. Der Kapitalismus ist in einer tiefen Systemkrise. Der aktuelle Kapitalismus, der gerne „Neoliberalismus“ genannt wird, ist gut im Zersetzen, er ist aber keine schaffende Kraft. Produziert er im Inneren seiner Hegemonialmacht den großen Stromausfall, so kann er den Rändern des Weltsystems nichts mehr offerieren. So gesehen ist der Islamismus Ausdruck der Unfähigkeit des kapitalistischen Weltsystems integrativ zu wirken, er ist eine barbarische Antwort auf die totale Weltmarktintegration, die nicht sozial integriert, sondern sozialen Ausschluß bedeutet. Die Politik der USA dagegen ist Ausdruck davon, dass der Hegemon lediglich militärisch auf die Krise des Weltsystems antworten kann. Die Möglichkeit eines positiven Angebots von Vergesellschaftung wie sie Japan und Deutschland nach 1945 mit Konsumismus, Integration in die „freie, westliche Welt“ und Antikommunismus, der Dritten Welt dagegen mit formaler Entkolonisierung gemacht wurde, steht heutzutage überhaupt nicht zur Debatte. In den alten Metropolen wird ein Programm der systematischen Verarmung gefahren, und die postkolonialen Staaten, die sich zuweilen in failed states verwandeln, dürfen zwischen Rekolonisierung oder schlichtem Vergessen-Werden und Warlordisierung wählen.

Die Antideutschen wollen nun diesen zusehend verzweifelten, falschen und kompensatorischen Bemühungen der USA und ihrer westlichen Verbündeten, der Krise Herr zu werden, noch letzte Reste einer Vernunft zusprechen, die sich schon lange auf dieser Ebene verflüchtigt hat. Wo nicht mehr integriert werden kann, muss ausgegrenzt und stillgestellt werden. Dies ist die aktuelle Logik des Kapitalismus, der die Antideutschen folgen wollen. Damit sind sie nolens volens unkritisch geworden und artikulieren die bürgerliche Angst im Kapitalismus, die sie mittels militaristischer „Bomber Harris“-, USA- und IDF-Kraftmeierei überkompensieren. Natürlich ist der antideutsche Bürger vor diesem Hintergrund auch rassistisch.

Die Moral des Kulturpessimisten und des Konkurrenzsubjekts

Das ist alles hinlänglich bekannt, man muss nur ein paar Erklärungen antideutscher Sekten lesen, um das deutlich herauszulesen. Kurz‘ Buch liefert dafür nochmals passende Beispiele und Kopfschütteln provozierende Erklärungen antideutscher Autoren, er verpasst dies aber auf den oben skizzierten Verlauf der kapitalistischen Ordnung zu beziehen. Auch einige Kritiken der „Diskursstrategien“ der Antideutschen werden von Kurz sehr klar benannt: zum Beispiel die Verwechslung von Kritik mit Denunziation, die faktenresistente Ideologieproduktion in diesen Kreisen und das bloße Assoziieren, statt Analysen vorzulegen. Andere Diskursstrategien muss Kurz übersehen, weil sie teilweise auch die seinen sind: das Moralisieren und das Skandalisieren. Moralisieren die Antideutschen mit ihrem verselbstständigten Hinweis auf Auschwitz und den Antisemitismus, mit denen besonders deutsche Linke, die in den wenigsten Fällen auf eine glanzvolle Familiengeschichte und Biographie zurückblicken können, eingeschüchtert werden können, so fährt Kurz mit bewegungslinken Skandalgeschützen auf und weiß dem „weißen Mann“ als Ausweg aus der Verstrickung das mehr als vage und arg konstruiert erscheinende wertkritisch-feministische „Abspaltungstheorem“ anzubieten. Der Wert ist der Mann, der Antideutsche ist der weiße Mann – wenn es doch nur so einfach wäre…

Dem Kapitalismus eine „weibliche“, abgespaltene Dimension zur Seite zu stellen, verdunkelt nur das eigentliche Problem: Das Kapital ist geschlechtsneutral und kennt für seine Zwecke zunehmend kein Geschlecht mehr, die ihm unterworfenen Subjekte jedoch sehr wohl.

Das „Weibliche“ an sich ist kein Ausweg aus der kapitalistischen Totalität, es ist auch nicht abgespalten, sondern findet sich mal als geschlechtsübergreifend gedachte, abrufbare Eigenschaft der Selbstverwertung, mal als den Frauen zugewiesener und nicht selten von ihnen selbst eingeklagter Archaismus wieder. Als Emanzipationstheorie nützt die Wertabspaltungstheorie nicht.

Neben dieser halbgaren Rettungsphilosophie verleiht auch das Insistieren auf eine „Anti-Moderne“ den Ausführungen von Kurz einen merkwürdig anmutenden Konservativismus.

Für den hedonistischen Sozialisationstypus der Postmoderne war die geschichtspessimistische Katastrophengeschichte, die Kurz präsentiert, schon immer ein gefundenes Fressen. ‚Mehr Plastik, weniger kulturkritisches Gejammer‘, forderte so bereits der Popjournalist Dietrich Diedrichsen in einer Schwarzbuch-Rezension in der jungle World (15/2000) „Blind bleibt Kurz systematisch für den ‚Traum von einer Sache‘ (Marx an Ruge), der zu Marx‘ Zeiten in religiöser Mystifikation und ’sich selbst unklarem Bewußtsein‘, heute aber, wie blind und begrifflos auch immer, in den Bildern und Narrativen der Konsumkultur schlummert, verdreht und verkehrt, aber eben an nicht unwesentlichen Stellen funktional verankert. Die Forderung müßte doch eigentlich heißen, diesen als von heute lebenden Personen tatsächlich geträumten Traum ans Licht des Tages zu bringen, also die Versprechen der Warenwelt zu verwirklichen, statt sich vor ihr in Holz und Wald zurückzuziehen.“ Diedrichsen reflektiert auf das Pop-Spektakel, als das der Kapitalismus außerhalb des Produktionsprozesses auf der Zirkulationspäre in den Metropolen erscheint.

Auf der gleichen zirkulationsfixierten Ebene argumentieren die Antideutschen, doch wo es Diedrichsen noch um die Verwirklichung der Träume geht, meinen sie, diese seien doch schon lebbar. Liberté toujours – und zwar hier und jetzt! Was gäbe es für die Antideutschen an der kapitalistischen brave new world noch auszusetzen, existierten bloß die Hohmänner und Islamisten nicht?

Zuweilen gibt man sich ja flotten Konsumententräumen hin, die lediglich im umgangssprachlichen Verständnis „materialistisch“ sind: Wer würde nicht lieber in New York flanieren, als in Bagdad zu darben, wer würde sich nicht lieber mit Fanta erfrischen, anstatt vor der Fathwa zu fliehen?

Damit wird auf einer prinzipiellen Ebene ausgeblendet, dass der Skandal des Kapitalismus darin besteht, eine ungeheure Warensammlung zu produzieren, technologische Sprünge und Konsumversprechungen zu machen, doch aufgrund der Herrschaft des Wertes nicht zulassen zu können, dass sich der Reichtum auch tatsächlich in frei verfügbare Zeit und ein gutes Leben für die Individuen umsetzt. Auf der Ebene des kapitalistischen Weltmarktes bedeutet die Prosperität hier das Sterben bei „Naturkatastrophen“ woanders, die Ölfressergesellschaft da, die Oligarchie dort.

It’s dialectic… !

Ärgerlich sind Kurz‘ eigene Versuche, die Kritik am Kapitalismus zu erneuern. Er streicht die von der Kritischen Theorie festgehaltene Möglichkeit eines anderen Vernunftsbegriffs und der Möglichkeiten, die die Entwicklung der Produktivkräfte an sich bereithalten. Dass zum Beispiel Herbert Marcuse einen emphatischen Vernunftsbegriff vertrat, in dem libidinöses Leben vernünftig ist, mag Kurz aus dem Blick geraten. Auch Adorno hat in seinem „Fortschritts“-Aufsatz wie in der mit Horkheimer verfassten „Dialektik der Aufklärung“ keinesfalls technik-, fortschritts-, und aufklärungsfeindlich argumentiert, war sich aber des Technikschleiers und der Herrschaft des fixen Kapitals durchaus bewußt. Hatte Kurz noch im 1991 verfassten Kollaps der Modernisierung ganz geschichtsoptimistisch einen „Kommunismus der Sachen“ propagiert und die Kritische Theorie wegen „abgetakeltem Aufklärungsdenken“ jenseits der materiellen Bestimmungen abgewatscht, so ist nun Kurz viel kulturpessimistischer und unmaterialistischer als die Kritischen Theoretiker es jemals sich erlaubt hätten. Und wie verhält es sich mit dem Marx des Kurz? Kurz will eine marxistische Kritik ohne Reflexion auf Mehrwert und Klassenstruktur, Begriffe, die er lediglich in einer Arbeiterbewegungstradition situiert sieht. Übrig bleibt die modische Neue Deutsche Wertkritik, die bis weit ins antideutsch inspirierte Lager reicht: Man redet von einem abstrakten, subjektlosen Fetischverhältnis, ohne überhaupt angeben zu können, was denn nun scheinbar naturwüchsig von diesen Verhältnissen verschleiert wird: eben die Ausbeutung lebendiger Arbeit und die dafür notwendige Klassenstruktur des Kapitalismus. Nun mag es nicht mehr allzu chic sein, von Klassenstruktur, Mehrwert und Profit zu sprechen, aber entweder man will die Verhältnisse mit Marx kritisieren, dann hilft ein verhackstückter Marx nicht weiter, oder man meint, Marx verabschieden zu müssen, um eine allgemeinere Kritik üben zu können. In dem Sinne ist auch das jüngst von Kurz bekundete Interesse an der Postmoderne und ihrer Subjekt- und Aufklärungskritik konsequent. Robert Kurz wäre dann aber der erste ex-marxistische Postmoderne im konservativen Gewand. Wenigstens mal was Neues.

Und jetzt?

Es bleibt also noch eine Menge zu tun: Es gilt einen Begriff von sozialer Egalität zu verteidigen, den die Antideutschen flott individualistisch gestimmt entsorgen wollen und Kurz als Teil der Aufklärungsideologie abkanzelt. Der Emanzipationsbegriff muss wieder vor dem Hintergrund einer neuen Ideologiekritik reformuliert werden: Wer will sich wohin emanzipieren? Emanzipation war oft genug Befreiung aus herrschaftlichen und ausbeuterischen Verhältnissen, die ihrerseits jedoch nur neue modernisierte Ausbeutungsformen gebiert. Hier gilt es auch den Politiker Marx zu kritisieren, der um 1848 dem Bürgertum doch zu viel zutraute und blind gegenüber der Logik der Revolten und den sozialen Emanzipationsversprechen von unten war. Die Frage der radikalen Umwälzung muss im Rahmen einer materialistischen Untersuchung des Bestehenden gelöst werden, also in der Immanenz. Oder wie Marcuse es formulierte: Die ‚Möglichkeiten‘ müssen sich innerhalb der Reichweite der jeweiligen Gesellschaft befinden. Gegen Negri und Hardt und den Kurz des „Kommunismus der Sachen“ muss allerdings auf den Bruch, auf die Veränderung nicht nur der Form, sondern auch des Inhalts, also auf das Transzendieren im nicht-metaphysischen Sinne insistiert werden. Nie vergessen, nie verzeihen sollte man auch, doch nicht das Nachtrauern und Schönfärben der vergangenen geschlagenen Sozialrevolten, wie es Kurz seit dem „Schwarzbuch Kapitalismus“ beliebte, sondern nur der Aufstand im Hier und Jetzt kann die geschlagenen Schlachten der Vergangenheit rächen. Vor allem müsste es darum gehen, die den Fetischformen verhaftete, wie die sie überschreitende Praxis der Leute im Kapitalismus zu untersuchen. Behaupten Antideutsche, das Kapital sei gottgleiches „automatisches Subjekt“, dessen kalte Logik, Fetischismen und Verdinglichungen sie im Gegensatz zur direkten Herrschaft und dem Zurückgeworfensein vieler Weltgegenden auf unmittelbare Herrschafts- und Ausbeutungsbedingungen als kleineres Übel affirmieren, so raunt Kurz, alles sei ein „subjektloser Fetischzusammenhang“ mit Selbstzweckcharakter. Doch das Kapital folgt nicht einem Selbstzweck (etwa dem „Selbstzweck Arbeit“), sondern dem Zweck der Mehrwertproduktion und des Profits. Als spezifisches Ausbeutungsverhältnis, das in den Formen der formalen Gleichheit und Freiheit die Herrschaft hervorbringt, ist das Kapitalverhältnis ein soziales Verhältnis, das abstrakten Gesetzen, einer scheinbaren Naturwüchsigkeit folgt und sich hinter dem Rücken der Menschen abspielt, es ist aber nicht „subjektlos“. Es braucht vielmehr Träger dieses Verhältnisses (z. B. die Kapitalisten), die jedoch den Sachzwängen dieser Verhältnisse gehorchen müssen und den Fetischformen, die dieses Verhältnis hervorbringt, teilweise erliegen. Die Schwierigkeit einer radikalen Kritik ist nicht nur, die Träger dieses Verhältnisses ins Visier zu nehmen, sondern die Verhältnisse selbst in ihrer Materialität komplett umzuwerfen und neu zu gestalten. Und dies können nur die Produzenten in Angriff nehmen, diejenigen, die in ihrer Leiblichkeit zur Arbeitskraft, zum variablen Kapital degradiert werden: die Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Antideutschen wollen davon nichts mehr wissen, Robert Kurz verbaut sich bislang eine solche Diskussion mit den immergleichen und inhaltsleeren Phraseologien über „warenförmige, subjektlose Fetischverhältnisse“, aus denen nur eine in den „freien Gedanken“ des Kritikers sich generierende „Anti-Moderne“ herausführt.

„Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlasst, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen dieser Praxis. “ (Karl Marx, 8. These über Feuerbach)