„Haltet den Dieb!“

Copyleft again

Streifzüge 32/2004

von Stefan Meretz

Copyleft provoziert, na endlich. Wie ist dieses Phänomen zu fassen, zu begreifen, das es ja eigentlich nicht geben kann, nicht geben darf? Zwei JuristInnen bemühen sich das Copyleft in ihr Gedankengebäude einzubauen – der eine (Noll 2004) mit „antikritischer“ Intention1, die andere (Haarmann 2004) mit „kritischer“2, in ihrem argumentativen Kern beide jedoch ähnlich. Beide sind ganz und gar unglücklich darüber, dass ich das Phänomen Copyleft als „genialen Hack“ (Meretz 2004) gekennzeichnet habe – der eine, weil er die „permanente Enteignung der Werkschaffenden“ (N 21) befestigt, ja perpetuiert sieht, die andere, weil doch „die Struktur der gesellschaftlichen Vermittlung im Wertverhältnis lediglich“ (H 198) nachgebildet werde. Zwei Kritiken von entgegengesetzten Polen? Keineswegs, wie sich zeigen wird.

1. Hypostasierung eines Phänomens zur „Theorie“

Es ist zu viel der Ehre, wenn mein Versuch, den Prozess der Herausbildung und globalen Etablierung des Copyleft zu begreifen, zum „Copyleft-Konzept“ (N 20) bzw. „Copyleft-Theorie“ (H 187) überhöht wird und ich daselbst zum „prononciertesten Vertreter der Copyleft-Lehre“ (H 184) ernannt werde. Auf diese Weise „geadelt“, werden flugs realer Prozess und Theorie des vorgeblichen „Lehrmeisters“ verwechselt, so als ob der „Lehrmeister“ die Praxis hervorgerufen hätte, also gewissermaßen für sie verantwortlich wäre. Das funktioniert noch immer wie gehabt: Personalisierung eines Problems oder eines Phänomens; Ummünzen der Analyse des widersprüchlichen Prozesses in ein absichtsvolles Sollen; Kritik des Sollens – und (abge-)fertig(t). Das Begreifen eines widersprüchlichen Realprozesses wird ersetzt durch ein theoretisch kaschiertes Sich-vom-Leib-Halten des Problems selbst. Die Herausforderung „Copyleft“ wird nicht angenommen.

Beide AutorInnen schaffen es nicht, die gesellschaftstheoretische und personale Ebene zu trennen. Angemessen wäre, die massenhaften realen Entwertungsprozesse und das gleichzeitige Aufkommen des Copyleft als theoretisch-analytische Herausforderung im Informationskapitalismus zu begreifen – anstatt das Copyleft theoretisch zu hypostasieren und in seiner Wirkung zu mythisieren. So entsteht eine völlig unfruchtbare Gegenüberstellung von angeblicher „Copyleft-Theorie“ hier und betroffener Klientel dort. Die Einschätzung wird dabei beiderseits aus Klientel-Sicht getroffen: Copyleft sei nur „die emanzipatorisch bemäntelte Perpetuierung eines gesellschaftlichen Missstandes“ (N 21), als „Appell“ an die „Hingabe von Immaterialgütern“ bloß „grob fahrlässig“ (H 199) usw. Von der durchaus nachvollziehbaren Angst um die individuelle Reproduktion der Klientel wird jedoch ebenso „wortreich“ (N 21) auf ein vermutetes dahinter liegendes „Copyleft-Konzept“ geschlossen, das zu verwerfen sei. Ebenso wie jedoch der Zerfall des Kapitalismus und die damit einhergehende zunehmende Prekarisierung der Immaterialgüter-ProduzentInnen nicht einfach zu „verwerfen“ ist, kann das „Copyleft“ als eine Erscheinungsform im Informationskapitalismus nicht „verworfen“ werden. Theoretisch interessant hingegen ist die Frage, ob es sich beim „Copyleft“ um eine Zerfallsform des sich zersetzenden Kapitalismus handelt oder um eine spezifische Reaktion auf neue immanente Entwicklungen, die einen Freiraum jenseits der Wertform eröffnen. Kritikabel wäre mithin meine Analyse inklusive der von mir beobachteten Entwicklungstendenzen und neuen Möglichkeiten, nicht aber das „Copyleft“ schlechthin, da dieses ein bloßes „Schutzrecht“ ist und keine „Emanzipation“ anstrebt (s. u. ).

2. „Copyleft ist doch nix anderes als Copyright“

Was soll es auch sonst sein? Copyleft basiert auf dem Copyright, untergräbt aber gleichzeitig seine Exklusionsabsicht. Das habe ich deutlich geschrieben. Da gibt es also nichts zu „entlarven“, etwa in der Form: „, Copyleft‘ setzt aufs bürgerliche Recht nicht weniger als , Copyright'“ (N 20) oder: „Rechtsform (wird) gegen Rechtsform gewendet (… ), um sie schlussendlich aufrecht zu erhalten“ (H 189). Ich stelle fest, dass unter den Bedingungen der „verkehrten“ Rechtsform Copyleft ein Freiraum aufgetan wurde, der neue Möglichkeiten der Schaffung von Reichtum jenseits der Wertform bietet. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Auf dem „nicht weniger“ insistiere ich allerdings, denn es ermöglicht einen Einblick in Praxen gesellschaftlicher Produktion jenseits der Warenform, die es unter Nutzung von Hightech-Produktionsmittel sonst nicht gibt. 3 Was das weiter bedeutet, wohin das führen kann und welche Kämpfe damit ins Blickfeld rücken, sind weitere Fragen, die im engeren Sinne nichts mehr mit dem Thema „Copyleft“ zu tun haben. Alle Interpretationen, die das Copyleft selbst bereits mit einer freien, „nicht-warenförmigen Gesellschaft“ (H 189) gleichsetzen, sind irrige und unsinnige Zuschreibungen. Copyleft wurde aus der Not geboren, ist in seiner Wirkung jedoch frappierend. Eine „Abschiednahme“ (N 20) vom Copyright wird es nur zusammen mit dem Copyleft geben. Noch weiter auf den Boden der Tatsachen geholt, ist Copyleft eine historische Zufälligkeit, die gleichwohl „ganz gut im Trend“ (N 20) liegt. Was aber kennzeichnet den „Trend“, was bedeutet das für die Zukunft der Warenproduktion? Fragen, die ungestellt bleiben.

Verstört fragt sich Noll, ob denn die „Copyleft-Apostel“ bei Verletzung des Copyleft klagen würden, wo sie doch eigentlich gegen das Copyright seien? Ja, ganz sicher werden sie das tun, und sie tun es bereits (erfolgreich). Darin besteht ja der „geniale Hack“: Die Mittel der Rechtsinstitute werden benutzt, um sie gegen die Exklusionsintention des Copyright zu wenden. Damit wird die (Rechts-)Form gestärkt, aber der Inhalt, der (Exklusions-)Sinn unterminiert. Eine interessante Frage ist, was passieren wird, wenn diese Praxis massenweise um sich greift, wenn aus Gründen der immanenten Funktionslogik der Verwertung immer mehr Inhalte freigestellt werden müssen, um damit überhaupt noch Verwertung sichern zu können. So werden die von Eric Raymond vorgeschlagenen „Geschäftsmodelle“ (Raymond 2001) durchaus genutzt. Auch AutorInnen haben festgestellt, dass sie mehr Bücher verkaufen können, wenn der Inhalt zugleich frei gegeben wird. Usw. – Wie weit geht das? Wird der Staat irgendwann intervenieren? Interessante, aber dennoch bloß „immanente“ Fragen.

3. „Keine Wertform = Verschenken“

Eine beliebter, weil im gängigen Denken fest verwurzelter Kurzschluss lautet: frei = kostenlos. Und etwas kostenlos hergeben nennt man bekanntermaßen „verschenken“: Schön blöd, wer so was tut. Das sei doch „freiwillige Selbstenteignung von Autoren“ (Kurz 2004a).

Nun gibt es zwei Absichten, gegen diesen Denk-Kurzschluss anzugehen: Die einen wollen partout klarstellen, dass das „frei“ etwa bei „Freier Software“ keinesfalls „kostenlos“, sondern „freie Verfügung“ bedeutet. Es sei durchaus erlaubt und ist etwa in der bekanntesten Lizenz GPL explizit geregelt, dass das freie Produkt etwas kosten darf. Das besagt auch die „klassische Klarstellung“ von Richard Stallman: „Think of free speech, not free beer“ (Williams 2002). Absicht ist, ein „Geschäft“ mit Freier Software ausdrücklich zu ermöglichen. Hier hinein gehört etwa auch die marketingstrategische „Umbenennung“ von „Freier Software“ in „Open Source Software“ von 1998 durch die „Business-Fraktion“ um Eric Raymond. Es soll klar werden: Open Source und Business ist kein Widerspruch.

Andere hingegen – so vor allem Debatten im Oekonux-Projekt – wollen klarstellen, dass Emanzipation nichts mit „Verschenken“ zu tun hat, weil „Verschenken“ nichts an der Produktionsweise ändern würde. 4 Solche „Geschenke“ sind zudem als „Freeware“ oder „kostenlose Warenproben“ durchaus schon lange bekannt. Die Kritik, es ginge beim Copyleft bloß um die „Abschaffung der Zirkulationssphäre“ (H 188) – Verschenken als Verzicht auf den Verkauf – geht daher völlig fehl. Es geht darum, dass Software nicht mehr als Ware produziert wird und nicht darum, dass eine „Ware Freie Software“ hernach „verschenkt“ wird. Diese Tatsache ist jedoch nicht absichtsvoll bei der Konzipierung des Copyleft ausgedacht worden, sondern gewissermaßen „Nebeneffekt“ der besonderen Produktionsform Freier Software, die auf Selbstentfaltung und Selbstorganisation beruht. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn bei traditionalistischen KritikerInnen „die Klappe fällt“, weil Pulverdampf und Kampf-Rhetorik fehlen oder weil eben nicht „die Enteignung (… ) der großen Verwertungsmonopole (… ) auf dem Programm steht“ (N 20). Im handgreiflichen Sinne scheint es zu stimmen: „Dem Kapitalismus wird damit nicht das Geringste weggenommen.“ (Kurz 2004a). Im ökonomischen Sinne ist aber auch das falsch. 5

Es handelt sich eben nicht um einen Konflikt innerhalb einer Produktionsweise, sondern zwischen der alten arbeits- und wertförmigen Produktionsweise und einer Produktionsweise jenseits der Wertform, deren allerfrühste Anfänge wir anhand des widersprüchlichen, aber praktischen Beispiels der Freien Software langsam denken können. Das ist die These, um die gestritten werden sollte. Damit ist weder gesagt, dass es „die Freie Software“ oder „das Copyleft“ ist, was die „nicht-warenförmige Gesellschaft“ (H 189) erschafft, noch dass das, was sichtbar ist, bereits eine entfaltete Form darstellt. Das Copyleft stellt in diesem Zusammenhang einzig eine befördernde, historisch zufällige Randbedingung dar, die ihre Wirksamkeit nicht zufällig auch erst mit der Entwicklung weiterer technologischer Bedingungen entfalten konnte. Damit ist keinesfalls – als weitere beliebte Zuschreibung – einem historischen Determinismus das Wort geredet (ein anderes Thema).

4. Freigeben statt Verschenken

Es war ein Fehler von mir, das Wörtchen „verschenken“ – wenn auch nur in indirekter Paraphrasierung einer falschen Zuschreibung – zu verwenden. Was mir glasklar erscheint, ist für andere alles andere als klar: „Wer Copyleft sagt, will (… ) kein Geld.“ (N 20). Aha. Warum nur gibt es doch ganz offensichtlich Zehntausende, die ihre Werke freiwillig einem Copyleft unterstellen und „kein Geld“ wollen? Vom Standpunkt des bürgerlichen Rechtssubjekts ist das „völlig verrückt“. Warum wird „verschenkt“? Weil es sich offensichtlich bei der Freigabe eben nicht um ein Verschenken handelt, weil Verschenken und Freigeben nicht das Gleiche ist, genauso wie Preis und Wert nicht das Gleiche ist! Freigeben bedeutet nicht notwendig „entpreisen“, sehr wohl aber „entwerten“.

Sich der Frage zu nähern, warum jemand individuell ein Produkt freigibt, würde voraussetzen, sich ernsthaft mit der Entstehungsweise Freier Software zu befassen – also mit jenen ausgeblendeten Produktionsformen jenseits der Ware. Freigeben ist hier ein für alle NutzerInnen und alle ProduzentInnen individuell förderlicher Akt. Es nutzt mir, obgleich nicht monetär, dennoch substanziell für die Herstellung des Produkts. Mehr noch: Freigabe ist Produktionsbedingung geworden: Ohne Freigabe, ohne Beteiligung vieler anderer an der Herstellung, ohne massenhafte Nutzung und Feedback keine Qualität. Es gibt, wenn man es kybernetisch formulieren möchte, eine positive Rückkopplung. Dabei verschwimmen zusehends die Grenzen zwischen KonsumentInnen und ProduzentInnen: Jede qualifizierte Rückmeldung ist bereits Teil des produktiven Prozesses, und der/die erste NutzerIn ist der/die ProduzentIn selbst. Bei dem im Oekonux-Projekt gängigen Satz, wonach „die individuelle Entfaltung die Voraussetzung für die Entfaltung aller ist und umgekehrt“ ist also mitnichten ein „kategorischer Imperativ“ (H 188) formuliert, sondern eine begriffliche Verdichtung der analysierten realen Entwicklungsdynamik in Freien Software-Projekten, die diesen Begriff gar nicht kennen, weil sie eines solchen äußerlichen Imperativs auch gar nicht bedürfen. Es handelt sich um pure Denunziation, wenn diesem vorgeblichen „kategorischen Imperativ“ eine unentbehrliche Notwendigkeit „analog zur bürgerlichen Vernunftethik zur Verhinderung des bereits immanent angelegten Destruktionspotentials“ zugeschrieben wird.

5. Von Knappheit wird geschwiegen

Ein Kernpunkt meiner Argumentation wird systematisch ausgeblendet: Copyleft richtet sich gegen das Knappheits-Paradigma der Waren-Ökonomie. 6 Das ist mir völlig unverständlich, ermöglicht diese Einschätzung doch erst den politökonomisch-analytischen Zugriff auf das neue Thema. Stattdessen verbleiben beide JuristInnen auf der Zirkulationsebene, sozusagen auf der Ebene ihrer Klientel, die angeblich von „Copyleft-Befürwortern (… ) aufgefordert werden, ihr Produkt auch in der Wertsphäre einfach zu , verschenken'“ (H 193). Nun ist es zutreffend, dass unknappe Güter nicht als Ware taugen, somit also auch nicht verkaufbar sind – obwohl das Copyleft niemanden am Verkauf hindert. Entscheidend aber ist, dass sie niemals Waren gewesen sind, sondern als Nicht-Waren auf die Welt kamen, weil sie – im Falle Freier Software – nur aufgrund ihrer Nützlichkeit hergestellt wurden und nicht, um als „Waren“ in eine Zirkulation einzugehen, aus der sie schließlich als „Mehr-Geld“ wieder in die Produktion zurückkehren oder als „Revenue“ verzehrt werden.

Ich mutmaße, dass das Faktum der partiellen Zersetzung der Knappheitsbedingung der Waren-Ökonomie ausgeblendet wird, um sich nicht mit der Produktion befassen zu müssen. Alle produzierten „Dinge“ müssen Waren sein, die nur „verschenkt“ werden können, weil sie Waren sind. Und umgekehrt: Was „verschenkt“ wird, muss wohl Ware sein. – So die den Argumentationen unterliegende Logik. Das ist nicht kritisch und schon gar nicht wertkritisch. Das Diktum, Reichtum jenseits der Wertform sei „unter der globalen Herrschaft des Wertgesetzes nicht zu haben“ (N 21), entspricht der wohl bekannten betriebswirtschaftlichen Denkweise, nach der Reichtum nur aus Verwertung hervorgeht, wonach also nicht aus Verwertung Hervorgegangenes nicht Reichtum sein kann – von der „wertlosen“ Freien Software bis zur „vom Wert abgespaltenen Sphäre“ der Reproduktionstätigkeiten (vgl. Scholz 2000). 7 Wenn Reichtum Wert und umgekehrt nur Wert Reichtum ist, dann macht es „Sinn“, wenn u. a. JuristInnen für ihre Klientel um die Verteilung streiten. Was aber, wenn es hier zu einem Auseinanderfallen von Wertform und Wertsubstanz kommt? Was Noll mit dem Begriff des „gesellschaftlichen Missstandes“ nur als „Schwächung einer Rechtsposition“ (21) sehen kann, ist keine vordergründig politisch-rechtliche Frage, sondern eine objektive Entwicklung des Schwindens von Wertsubstanz (vgl. dazu Lohoff 2002, Meretz 2003). Als Klientel-VerteidigerInnen müssen Noll, Haarmann und Co die Form gegen den Inhalt verteidigen, als AnalytikerInnen könnten sie sich davon absetzen.

6. „Beitrag zum Abbau von Schutzrechten“

Nachvollziehbar die größte Sorge von Noll ist der fortschreitende „Abbau rudimentärer Schutzrechte der unmittelbaren Produzenten“ (N 20), deren Vermarktung bzw. die ihrer Produkte gefährdet sei. Copyleft leiste hier weiteren Vorschub. – Das Letztere allerdings ist nicht recht nachvollziehbbar, denn jede und jeder entscheidet für sich, ein Werk unter einer Copyleft-Lizenz zu verbreiten oder nicht. Vor allem aber übersieht Noll den eigentlichen Zweck des Copyleft. Das Copyleft ist nämlich primär aus dem Wunsch nach vergrößertem Schutz entstanden – nicht unmittelbar zur besseren Verwertung, sondern für eine bessere Kooperation. Der Begründer des GNU-Projekts, Richard Stallman, beobachtete Anfang der Siebziger Jahre, dass kreative ProduzentInnen (hier: von Software) zunehmend gezwungen wurden, ihr Produkt geheimzuhalten. Eine beschränkte Kooperation war nur möglich, wenn ein/e TeilnehmerIn sich ebenfalls zur Geheimhaltung gegenüber allen anderen verpflichtete (per NDA: non-disclosure agreement). Diese kommunikative Exklusionslogik war für die kooperativ arbeiteten Software-EntwicklerInnen extrem schädlich – gerade angesichts der zunehmenden Monopolisierung des Software-Wissens durch große Konzerne. Die Erfindung des Copyleft auf Basis des Copyright war ein Akt des Widerstands. Es schützte die EntwicklerInnen vor Exklusion und bewahrte ihre Kooperationsmöglichkeiten.

Das Wirkprinzip des Coypleft ist eines der Inklusionslogik – jede dazukommende ProduzentIn vergrößert automatisch den Pool der Möglichkeiten für alle – ist vergleichbar mit anderen „Netzwerk-Effekten“ (Kelly 1999). Am Anfang ist der Pool noch klein, sodass es einer wirklich hohen Überzeugung und Motivation bedarf um teilzunehmen. Das GNU-Projekt war anfangs angesichts der selbst gestellten gigantischen Aufgabe – Schaffung eines freien Betriebssystems – verschwindend klein. Der „Netzwerk-Effekt“ war noch unbekannt, und so blieb auch das GNU-Projekt bei sehr traditionellen Entwicklungsmethoden, wie sie dem damaligen Verständnis von Informatik als Ingenieurwissenschaft entsprachen. Erst Linus Torvalds erahnte die neuen Möglichkeiten des Internet für die Kooperation im globalen Netz. 8 So kam er schnell zu dem Entschluss, den neuen Betriebssystem-Kern „Linux“ der bekanntesten Copyleft-Lizenz zu unterstellen: „Linux unter die GPL zu nehmen, war das Beste, was ich je getan habe.“ (Interview mit der Tokyo Linux Users Group). Er schuf mit dem „Maintainer-Modell“ eine neue netzbasierte Produktionsform, die in der Folge zu einer Welle von Projektgründungen führte sowie weiteren selbstorganisierten Produktionsformen. Ab 1998 erkannten kommerzielle Software-Produzenten die neuen Chancen – und auch die Risiken, den Zug zu verpassen: Sie wurden gedrängt, vormals proprietäre Software freizugeben oder Freie Software-Projekte zu unterstützen, um ihre Position auf den Märkten halten zu können. Was sich Robert Kurz nur für die Konsumtion von Dienstleistungen vorstellen kann („Einrichtungen, (… ) deren Betrieb im Gebrauch erlischt“9), ist hier für die Produktion Praxis: Eine einmal unter Copyleft freigegebene Software kehrt nicht wieder in die Verwertung zurück, sondern kann bestenfalls „Image-Beiwerk“ zu anderen Leistungen sein – darin wiederum durchaus vergleichbar mit dem örtlichen linken Info-Café, das das „Klima“ für die lokale Ökonomie im Stadtteil verbessern hilft.

7. „Copyleft nimmt den Werkschaffenden die Butter vom Brot“

Mit dem Copyleft scheint sich die Bedrohung für die Werkschaffenden verstärkt zu haben. Es geht „ums Brot der Urheberinnen und Urheber“ (N 21). Copyleft führe „nicht nur in den bürgerlichen Tod (Insolvenz), sondern – bei fortschreitender Prekarisierung – womöglich direkt auf den Friedhof“ (H 199). Wir verlassen hier also die Ebene der gesellschaftstheoretischen Analyse und betreten die individuelle Ebene der juristischen Klientel. Die Frage, wie je ich mich verhalten kann und sollte, ist eine völlig eigenständige. Zunächst einmal gilt es, die objektive Entwicklung zu begreifen. Hierbei muss ich die Tatsachen zur Kenntnis nehmen, ob sie mir gefallen oder nicht. Aus Klientel-Sicht wird das Copyleft als Zumutung empfunden, anstatt es analytisch als historische Widerspiegelung einer objektiven Entwicklung zu begreifen. Erst auf Grundlage einer verständigen Analyse kann überlegt werden, was im jeweils einzelnen Fall sinnvoll zu tun ist.

Niemand zwingt eine Autorin oder einen Autor eines kreativen Werkes dieses dem Copyleft zu unterstellen. So kann es im Fall der kollektiven Software-Entwicklung Sinn machen (hier ist das Copyleft ja auch entstanden), während die einzelnen JournalistInnen um die Vergütung der medialen Mehrfachnutzung der eigenen Artikel kämpfen müssen. Wikipedia wiederum ist nur deswegen so erfolgreich10, weil es das Projekt verstanden hat, das Copyleft für den „Netzwerk-Effekt“ konsequent zu nutzen. Aber auch individuell kann es einen Marketing-Vorteil darstellen, den Inhalt des eigenen Buches zum Download freizugeben, um für eine höhere Verbreitung zu sorgen, die sich letztlich auch in einem überproportionalen Verkauf des Druckwerkes auszahlt. Usw. – Hier ist nicht der Ort einer Marketing-Beratung.

Beteiligung an freier, (meist) kollektiver Produktion und individueller Einsatz von Arbeitskraft auf dem Markt zur eigenen Reproduktion, oder kürzer: Selbstentfaltung und Selbstverwertung bilden einen unauflösbaren Widerspruch. Das ist so. Das bekommen wir weder wegdiskutiert noch ist es sinnvoll, den Widerspruch theorieförmig in eine Richtung aufzulösen, sondern damit ist praktisch und theoretisch umzugehen.

Das ist jedoch nicht die Ebene, die mich wirklich interessiert – auch wenn ich mich persönlich aus guten Gründen entschieden habe, alle meine Werke frei zu geben. Mich interessieren die neuen Entwicklungen des Informationskapitalismus, die neue Möglichkeiten bieten, eben genau das ansatzweise (keimförmig) zu entwickeln, was mit dem Begriff der „Gegenvermittlung“ auch Petra Haarmann (H199) vorzuschweben scheint: Eine neue Art und Weise der gesellschaftlichen Re-/Produktion des Lebens jenseits der Wertform. Solche neuen Formen kommen nicht aus dem Nichts, und sie werden auch nicht „mit einem Schlag“ da sein, sondern sie müssen notwendig bereits im Alten entstehen – natürlich immer begrenzt, immer auch „falsch“, immer auch prekär, unausgegoren, widersprüchlich. Solche Widerspüche gilt es jedoch aufzusuchen und nicht zu meiden, gilt es theoretisch zu begreifen und nicht mittels „bewährter“ Theorieformen wegzudeuten.


Anmerkungen

1 Referenz auf Noll (2004) im Folgenden abgekürzt mit „N“ und nachfolgender Seitenangabe.

2 Referenz auf Haarmann (2004) im Folgenden abgekürzt mit „H“ und nachfolgender Seitenangabe. Auf das im Artikel diskutierte Thema der „Vermittelheit vs. Unmittelbarkeit“ kann ich an dieser Stelle nicht eingehen. Auch editorische Fehler und unzutreffende Unterstellungen seien ausgeklammert.

3 Ich habe hier die Bewegung Freier Software im Blick, die aus verschiedenen Gründen nicht umstandslos vergleichbar ist mit etwa der Lage von einzelnen Autorinnen und Autoren etc. In einer differenzierten Betrachtung muss auch noch einmal unterschieden werden zwischen „Einfach Freier Software“ (Freiheit des Produkts) und „Doppelt Freier Software“ (Freiheit der Produktion). Interessant ist vor allem Letzteres.

4 Auch das „Schenken“ („Potlasch“) in vor-warenproduzierenden Gesellschaften kann nicht als Analogie herangezogen werden, da anders als im Fall der historischen Analogie bei Freier Software „Hergabe“ und „Entnahme“ vollständig entkoppelt sind. Die Behauptung: „Sicher, er darf nur nehmen, wenn er sich selbst entfaltet und damit die Produktivkraftentwicklung weiter antreibt“ (H 184) ist schlicht falsch. Vgl. Oekonux-Projekt: www.oekonux.de.

5 Kürzlich wurden die „Kosten“ allein des Linux-Kernels auf 612 Mio. Dollar geschätzt, wäre er „traditionell“ hergestellt worden (Wheeler 2004): Diese „Informationsrente“ konnten und können Software-Monopolisten jedenfalls nicht kassieren, da hier eine (dauerhafte) Entwertung stattgefunden hat. Vgl. dazu auch Fußnote 10.

6 Zum Thema „Knappheit“ vgl. die Kolumne „immaterial world“ in dieser Streifzüge-Ausgabe.

7 Warum hat eigentlich noch niemand sozial Sorgende, mehrheitlich Frauen, bezichtigt, ihre Leistungen zu „verschenken“? Warum wird die Forderung nach Entlohnung von „Hausarbeit“, „Beziehungsarbeit“ etc. überhaupt noch kritisiert? Allerdings geht hier der „Trend“ dann doch in die andere Richtung der „Vermarktlichung“.

8 Hierbei ist interessant, dass auch Linus Torvalds den nötigen „Anfangs-Idealismus“ mitbrachte. Zwar gingen dem jungen Linus die moralischen Ansprüche der (kommunistischen/68er) Eltern ziemlich auf die Nerven, trotzdem war es für ihn außerhalb jeder Vorstellung, mit Hilfe von „Linux“ einen „kommerziellen Weg“ zu gehen. Bevor er die GPL für Linux nahm, verwendete er eine explizit „anti-kommerzielle“ Lizenz. Diese hätte jedoch den „Netzwerk-Effekt“ verhindert.

9 Gemeint ist hier vermutlich nicht, dass der Betrieb der Einrichtungen aufhört („erlischt“), sondern dass sie keine Ware zwecks Verkauf herstellen und sich aus anderen Geldquellen speisen. Vgl. Kurz 2004b.

10 Wikipedia ist eine kollektiv erstellte multilinguale (über 100 Sprachen) Online-Enzyklopädie mit einem rasanten Wachstum an Artikeln (derzeit etwa 1,1 Millionen, davon 160.000 deutschsprachige). Vgl. de. wikipedia. org.


Literatur

Haarmann, Petra (2004), Copyright und Copyleft. Vermittlung im Falschen oder falsche Unmittelbarkeit, in: EXIT! 1, S. 184-200.

Kelly, Kevin (1999), NetEconomy. Zehn radikale Strategien für die Wirtschaft der Zukunft, München/Düsseldorf: Econ.

Kurz, Robert (2004a), Aneignung als Kapitulation der Kritik? in: Junge Welt, 06.08.2004.

Kurz, Robert (2004b), Billigrezepte für den sozialen Schnellkochtopf, in: Freitag, 06.08.2004.

Lohoff, Ernst (2002), Die Ware im Zeitalter ihrer arbeitslosen Reproduzierbarkeit. Zur politischen Ökonomie des Informationskapitalismus, in: Streifzüge 3/2002.

Meretz, Stefan (2003), Zur Theorie des Informationskapitalismus. Teil 2: Produktive und unproduktive Arbeit, in: Streifzüge 2/2003.

Meretz, Stefan (2004), What’s Copyleft? Eine kurze politökonomische Betrachtung, in: Streifzüge 30, S. 11.

Noll, Alfred (2004), Copyleft ante portas? Antikritisches zum Urheberrecht und Kritisches zu Stefan Meretz (in Streifzüge 30), in: Streifzüge 31, S. 20-21.

Raymond, Eric (2001), The Cathedral & the Bazaar. Musings on Linux and Open Source by an Accidental Revolutionary, Sebastopol/CA: O’Reilly.

Scholz, Roswitha (2000), Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die Metamorphose des Patriarchats, Bad Honnef: Horlemann.

Williams, Sam (2002), Free as in Freedom. Richard Stallman’s Crusade for Free Software, Sebastopol/CA: O’Reilly.