Einfach umwerfend!

WENN EINE ARBEITSLOS IST, KANN SIE WAS ERZÄHLEN

Streifzüge 1/2003

von Maria Wölflingseder

Aus dem Spiegel blickt mir ein Zombie entgegen. Ein völlig verquollenes rotes Gesicht, das sich wie ein Reibeisen anfühlt. Meine legendären großen blauen Augen, meine Stupsnase sind buchstäblich im Lymph-Stausee ertrunken. Was, wenn dieses Aussehen nicht mehr verschwindet? Als ob ich nicht schon genug Horrorvisionen hätte!

Ich habe begonnen, meine Neurodermitis Immunsystem stimulierend behandeln zu lassen. Meine Erlebnisse als Arbeitslose, die ich mir nicht in den kühnsten (Alp)Träumen hätte zusammenphantasieren können, bescherten mir diese Hautkrankheit. Während des Winters sind Arme, Beine und die rechte Hand mitunter stark in juckende und gerötete Mitleidenschaft gezogen. So ergeht’s mir, die ich mit Hautproblemen ungefähr so viel Erfahrung hatte wie im Fassadenklettern – nun aber könnte ich problemlos Wände hochgehen. Von keinem Vorgesetzten, von keiner Lehrperson, auch von keinem Arbeitsmarktservice( AMS)-Betreuer Ende der 80er Jahren wurde ich jemals so feindselig behandelt, als Schuldige, als Renitente, die zur Räson gebracht werden muss, die gegängelt werden darf. Meine jetzigen AMSBetreuerInnen und KursleiterInnen brachten diese Premiere bravourös über die Bühne, ich könnte mir keine überzeugteren Akteure vorstellen. Umwerfend! Es zog dem zeitlebens gewieften wie umtriebigen Wesen zum ersten Mal buchstäblich den Boden unter Füßen weg: über Wochen hinweg immer wieder nie gekannte Schwindelzustände.

Der Schock über den Schock: Warum habe ich darüber noch nirgends gehört oder gelesen? Ich kann doch nicht die erste sein, der solche Behandlung zuteil wird. Üben sich alle in Blinde Kuh?

Wie in einer „totalen Institution“

Habe ich im AMS-Roulette besonderes Pech mit meiner Betreuung oder hat die Willkür System? Andere bekommen über 1.090 Euro Arbeitslosengeld und werden angemessen behandelt. Ich 450 und als Draufgabe eine Behandlung, die frappant an jene in „totalen Institutionen“ erinnert. Beim ersten Termin am AMS wurde nichts mit mir geredet, nur eine Drohung ausgesprochen: „Sie haben noch keinen neuen Job, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: eine Umschulung Richtung Computer (damals wurden alle AkademikerInnen – ob dazu geeignet oder nicht – in Web-Design-Kurse gesteckt) oder Richtung Wirtschaft, sonst geht’s nur bergab! “ Was einen beim nächsten AMS-Termin erwartet, weiß man nie. Eine Arbeitslose „hat dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen“ (deshalb darf sie auch nicht ins Ausland fahren), sie hat fulltime Job zu suchen oder Kurse zu besuchen. „Eigentlich sind wir Leibeigene des Staates“. 1

Oftmalige Vorladungen, Listen mit Bewerbungen vorlegen, vorstellen gehen zu völlig unpassenden Stellen, darüber Bestätigungen vorlegen. Bewerbungen als Selbstzweck, der endlos und rund um die Uhr betrieben werden kann – wie Lotterie Spielen, verbunden mit denselben Hoffnungsphantasien, die trotz oder gerade nach der 250. Bewerbung zur Halluzination ausarten können.

Willkür scheint Programm zu sein. Zwei Arbeitslose in derselben Situation werden völlig konträr behandelt: Eine Ärztin und ein Arzt wollen nach dem Turnus eine Ausbildung zum Amtsarzt machen. Sie dauert einige Monate lang, einige Stunden pro Tag. Ihm wird dies erlaubt, ohne dass das Arbeitslosengeld gestrichen wird, ihr untersagt. Oder eine Frau, die nach Deutschland auswanderte: Sie war vor ihrer Übersiedlung einen Monat arbeitslos, in dem sie mit Kursen eingedeckt wurde. Die Hoffnung, dass da noch Zeit für all ihre unzähligen mit einer Auswanderung verbundenen Behörden- Rennereien bliebe, konnte sie sich abschminken. Die Liste solcher Beispiele ist lange. Ein Muster fällt jedoch auf: Oft bekommen Arbeitslose nicht die Kurse, die sie wollen, während andere, die sie nicht brauchen oder wollen, dazu gezwungen werden. Ich wurde gemeinsam mit hundert anderen AkademikerInnen zum Wirtschaftsförderungsinstitut vorgeladen, um einen Eignungstest für einen dreimonatigen Wirtschaftskurs zu machen – darunter viele AkademikerInnen, die ein abgeschlossenes Universitäts-Wirtschaftsstudium hatten!

Der ganze Kurs-Zirkus – ein potemkinsches Dorf: die einen – sonst Arbeitslosen – schulen die anderen Arbeitslosen. Bis vor kurzem wurde von PolitikerInnen und seitens des AMS stets behauptet, Arbeitslose seien minderqualifiziert oder hätten die falsche Ausbildung. Ich wurde aber meist mit der Begründung überqualifiziert abgelehnt. Aus- und Weiterbildung, Umschulung ein Allheilmittel gegen Arbeitslosigkeit – oder doch eher eine Möglichkeit Geld zu machen für die einen und ein Auf-Trab-Halten der anderen. Das Wirtschaftsförderungsinstitut wirbt mit dem Slogan „Du wirst, was Du lernst.“ Vor allem Ausbildungen im Gesundheits- und Wellness-Bereich stehen hoch im Kurs. Jeder kann irgendwelche Phantasie-Zertifikate ausstellen, mit denen die – nicht zu knapp – Zahlenden meist nicht viel anfangen können. Konsumentenschutzeinrichtungen warnen davor.

500 Arbeitslose und ein (Fernseh)Prediger

Gleich zu Beginn der Arbeitslosigkeit wurde ich schriftlich zu einem „Bewerbungs- Impulstag“ ins Messe-Kongresszentrum im Wiener Prater vorgeladen. Im Brief steht zuoberst in riesigen Lettern „Vorschreibung eines Kontrolltermins gem. § 49 ALVG“ und unten die Rechtsmittelbelehrung: Bei Versäumnis des Kontrolltermins, also bei nicht Erscheinen zum Bewerbungs-Impulstag, kann es zur Streichung des Arbeitslosengeldes bis zu 62 Tagen kommen. Im beiliegenden Prospekt klingt der Zwang zur Teilnahme so: „Wir lassen Sie nicht allein bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. (… ) Weitere unterstützende Seminare sind vorgesehen. Sie können effizient und erfolgreich starten! Die Themen des Tages: Sie entdecken die eigenen Stärken als Kapital auf dem Arbeitsmarkt. Marktanalyse leicht gemacht – verdeckte Jobs suchen und finden. Formulieren und erreichen Sie Ihr Ziel – Selbstmotivation kann jede/r lernen. Körpersprache und Persönlichkeitsstil optimal einsetzen. Selbstvertrauen und Überzeugungskraft gewinnen – Erfolg beginnt im Kopf. Tipps und wertvolle Hinweise, damit Bewerben Freude macht. Unterlagen gestalten, Gehalt sicher verhandeln, Alter argumentieren. „

Fünfhundert Arbeitslose – vom Hilfsarbeiter bis zur Akademikerin – sitzen zwei Coaches gegenüber. Wir werden belehrt, dass es keine Verlierer gibt, nur welche, die aufgeben. Dass es um nichts weniger als um unseren Traumjob geht, um den Traum unseres Lebens. Arbeit soll ja Spaß machen. Jeder kann seinen Traumjob bekommen, man braucht nur von der Schattenseite in die Lichtseite treten. Und „lächle mehr als andere“, das hat schon Götz von Berlichingen gesagt. Dass Frauen nichts Rotes zum Vorstellungsgespräch anziehen sollen, weil dies eine Kampffarbe sei; und auch nichts Handgestricktes, keine Tracht (außer man stellt sich in einem Trachtengeschäft vor) und nichts mit Rüschen, dies signalisiere Bequemlichkeit und Trägheit. Dass es für die Rocklänge ganz einfache Vorschriften gäbe – zwischen eine Handbreit überm Knie und eine Handbreit unterm Knie. Dass für Männer ab einer Gehaltsvorstellung über 25.000 Schilling (1.800 Euro) brutto Krawattenzwang bestehe und dass weiße Socken noch immer die Todsünde Nummer eins seien. Zu guter Letzt, dass du nirgends als Bittsteller aufzutreten brauchst, du hast ja etwas zu bieten, du verkaufst ja deine Stärken und Fähigkeiten. Dann brauchst du nur noch deine einzelnen konkreten Planungsschritte festlegen und verwirklichen. So ist der Traumjob sicher – schließlich gibt es ja eine Million offene Stellen pro Jahr.

Die Trainerin, eine knackige, gestandene Frau, der Trainer, ein großer, dicker, sanfter Selfmademan, vom Automechaniker übern evangelischen Theologen zum Unternehmensberater mit Managementausbildung, hat seine Anleihen zweifelsohne bei amerikanischen Fernsehpredigern genommen.

Eine Einlage bot der Auftritt eines Bundesheer-Vertreters. Er umwarb Frauen, aber nur jene bis 34, die hätten beim Heer keine üblen Berufsaussichten. Unter den unzähligen Infotischen – von mehreren Leiharbeits-Firmen bis zum esoterischen Management-Büchersortiment – dominierte bei weitem jener des Bundesheeres.

Folgende Bücher wurden uns wärmstens empfohlen: Von Joseph Murphy, dem Urgroßvater des positiven Denkens, „Werde reich und glücklich. Entdecke Deine unendlichen Kräfte“. Von Chris Lohner, ehemalige Fernsehsprecherin und Österreichische-Bundesbahn-Bahnhofs- Stimme, „Keiner liebt mich so wie ich. Oder die Kunst in Harmonie zu leben“ und „Keine Lust auf Frust, keine Zeit für Neid“. Von Ute Ehrhardt „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin“. Und dann war da noch etwas über spirituelle Intelligenz.

Gary Lux, abgehalfterter Schlagersänger, hat einen Song für diesen Tag komponiert. Ganglien verklebend schallte es in den Pausen über die Lautsprecher: „Geboren in diese Welt von Leidenschaft und Geld, scheint manches Ziel oft unerreichbar fern. Du fragst dich nach dem Sinn von Ehrgeiz und Gewinn und zweifelst an dir selbst nur allzu gern. Doch irgendwo in jedem von uns lebt ein kleiner Traum, der unaufhörlich nach Erfüllung brennt, und irgendwo in jedem von uns gibt es diese Kraft, die unsichtbar das Schicksal für uns lenkt. Mach was draus, geh hinaus, steh einfach zu dir selbst, übe dich in Zuversicht, bis du den Weg erkennst. Es kann so einfach und so wunderbar sein auf dieser Welt, drum mach was draus und denk nicht ans Geld. Das Leben ist ein Spiel mit unbekanntem Ziel, die Würfel hältst du selbst in Deiner Hand. Oft kommt ein schlechter Zug, man denkt, es ist genug, doch nur wer durchhält, wird am Schluss erkannt. (… )“

Einer der fünfhundert Mitzumotivierenden ist ein guter Bekannter aus engagierten linken Kreisen. Während andere von Gehirnwäsche munkelten, war sein einziger Kommentar: „Nach meiner Mediator- Ausbildung mache ich auch Arbeitslosen- Kurse.“ Da erübrigt sich zu fragen, warum nichts an die Öffentlichkeit dringt über diesen staatlich zwangsverordneten und finanzierten Aberwitz. Alles, was Arbeit/Arbeitslose/Arbeitslosigkeit betrifft, scheint besonders anfällig für kollektive Verdrängung.

Ich und lebensuntüchtig? Hör ich da die Hühner lachen?

Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was mich da als 42jährige Geisteswissenschaftlerin anno 2000 am Arbeitsmarkt und beim AMS erwartet. Ich war allen Ernstes überzeugt, wieder irgendeinen Brotjob zu finden, nachdem die Zeitschrift „Weg und Ziel“ eingestellt worden war. 2 Und all meine Freunde, Bekannten und Verwandten waren offenbar derselben Meinung. Als ich dennoch keinen Job fand, lernte ich alle meine Lieben völlig neu kennen. „Aber Du mit Deinen vielen Erfahrungen und Beziehungen, wenn Du nichts findest! „, konterten sie meine (bis dato über 250) erfolglosen Bewerbungen. Obwohl jeder weiß, wie hoch sie ist und dass sie nie wieder verschwinden wird, wird Arbeitslosigkeit dem Einzelnen gegenüber geleugnet, versucht, sie exemplarisch abzuwehren: Der je konkrete, einzelne Arbeitslose „muss“ wieder einen Job finden. Freunde und Bekannte untermauern das Unbedingte mit (meist völlig illusorischen) Ratschlägen und Tipps. Etwas anderes können sie auch nicht tun; das Konkurrenzverhältnis schläft nie, es ist immer und überall. Wie das Karnickel vor der Schlange sitzen sie vor mir, ihrer eigenen personifizierten Angst vor Arbeitslo- sigkeit. Ich bin in erster Linie Arbeitslose, alles, was ich zuvor noch alles machte, ist kein Thema mehr – zuerst brauchst du einen Job, dann kannst du anderes machen. Das wäre ja noch schöner, wenn Arbeitslose sich nun in Ruhe der Literatur, dem Gedichte Schreiben oder was weiß ich widmen könnten.

Ein Freund, noch dazu ein ganz besonderer – seines Zeichens Psychologe und Psychotherapeut, äußerte ganz nonchalant, ob es nicht doch eine Frage der Lebenstüchtigkeit sei, einen Job zu haben oder sich selbst einen zu schaffen. Ich höre die Hühner lachen, und trotzdem sitzt diese Ohrfeige! Reflektiertheit schützt nicht vor Schmach. Umso schmerzvoller, wenn sie von Freunden kommt. Der Arbeitslose ist niemand. Deshalb kannst du auch nicht Recht haben. Deshalb bist du schuld, unzufrieden und krank, kurz eine unbeliebte Zeitgenossin! Recht haben die, die dem allherrschenden Wahnsinn kein kritisches Wörtchen entgegenstellen. Ach du plattgewalzter Krisengipfel, da musste ich erst arbeitslos werden, damit ich sehe, wohin es die meisten Freunde und ehemaligen MitstreiterInnen getrieben hat (auch wenn sie sich noch immer als „links“ bezeichnen).

Der einzige „Fortschritt“ heute nach drei Jahren: Nun wo bereits die 30jährigen gut ausgebildeten Erfolgreichen en masse arbeitslos sind, ist die Haltung mir gegenüber etwas gnädiger geworden. Nur wenige brachten es von Anfang an auf den Punkt: „Tja, mit Losern will heute niemand etwas zu tun haben. „

No money – only woman and cry

Was meine Situation verschärft: die Höhe meines Arbeitslosengeldes, 15 Euro pro Tag. Ich hatte nur 20 Wochenstunden angestellt gearbeitet und als freiberufliche Wissenschaftlerin. Diese 450 Euro sind gerade mal die Miete für meine 60m2-Wohnung. Eine Freundin aus Sozialakademie-Zeiten – sie arbeitet als Sozialarbeiterin – im vollsten Brustton der Überzeugung: wenn mein Arbeitslosengeld so niedrig sei, bekomme ich sicher vom Sozialreferat Unterstützung. Wer sich dort mal hineingetraut hat, weiß, warum viele die Brücke bevorzugen, nur Sozialarbeiter wissen es offenbar nicht. Die behördliche Vorgabe lautet offenbar: loswerden, wer loszuwerden ist. Eigentlich ist jede Unterstützung ohnehin nur eine Ermessenssache. Die Methoden, AntragstellerInnen erst gar nicht vor zu lassen, sind vielfältig. Ich schaffte es erst beim dritten Mal. Zuerst schickten sie mich auf ein anderes – nicht zuständiges – Amt. Welche Unterlagen ich brauchte, wurde mir erst nach und nach mitgeteilt. Schließlich war ich mit der Begründung, ich hätte ja 20.000 Schilling (1.450 Euro) Abfertigung bekommen, schnell wieder vor der Tür. Im Gegensatz zu jenen am AMS sprechen die Menschen am Sozialreferat miteinander. Sie haben nichts mehr zu verlieren. Von den Beamten werden sie wie Un-Menschen behandelt. Während der stundenlangen Wartezeit kamen mir zahlreiche Berichte über Schikanen zu Ohren, – fassungslos, mit geballter Wut im Bauch, hätte ich am liebsten das Büro des Chefs der Wiener Sozialreferate gestürmt. Ich kenne ihn aus den Tagen des gemeinsamen Engagements Ende der 70er Jahre, als der gute Mann ach so revolutionär war! Er ist immer so empathisch und nett, dass einem die Spucke wegbleibt. Unter seiner Führung wurde mittlerweile tatsächlich begonnen, die Sozialreferate zu reformieren. Und der Erfolg? Es ist nicht besser geworden. Man bekommt z. B. nur mehr ganz selten überhaupt einen Termin. Unglaublich: nun ist „SOS-Mitmensch“ damit beschäftigt, die Menschen vor dieser Einrichtung in Schutz zu nehmen und nach dem Rechten zu sehen.

Ich hatte zuvor noch nie finanzielle Probleme gehabt. Ich war auch nie von den Eltern oder von einem Mann finanziell abhängig – was für mich in den 70er Jahren groß Gewordene selbstverständlich war. Plötzlich tauchte regelmäßig der reiche Mann auf – nein, nicht persönlich, sondern seitens meiner Freunde als (scherzhaft? ) phantasierte Problemlösung.

Von heute auf morgen nicht mehr für mich, für mein finanzielles Auskommen sorgen zu können, stellt alles in Frage. Mich samt und sonders. Unfaßbar, ja ein Phänomen wie jemand, deren Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein stets blühte und gedeihte, wie jemand, die keinen Job braucht, weil sie sonst nicht wüsste, was tun, die keinen Job der Anerkennung wegen braucht, trotzdem plötzlich zum Nichts mutiert und sich selbst verwünscht!

Auch jeder Handgriff, den ich mache oder nicht, ist in Frage gestellt. Lähmung in jeder Hinsicht. Zu wissen, dass es das Geld für dringende Reparaturen, für das Heizungsservice, für die Dinge des täglichen Gebrauchs, geschweige denn für Bücher, für CDs, für Kultur, das Geld um Freunde einzuladen oder für Bahnfahrten einfach nicht gibt, lässt dich am besten im Bett bleiben. Jeder Schritt aus dem Haus ist mit Geld ausgeben verbunden. Nicht zufällig habe ich Neurodermitis, eine Stoffwechselkrankheit. Wo kein Geld fließt, fließt nichts mehr.

Die Muße für all das, was ich immerzu – ohne Salär – gemacht habe – Wissenschaft, Gedichte und Buchbesprechungen schreiben, Kroatisch lernen etc. – wird ausgehungert.

Kein Wunder, dass heute allzu viele Frauen wieder vom Geld ihres Mannes leben, Kinder kriegen, um ihre Arbeitslosigkeit zu kaschieren oder auch um vor unerträglichen Jobs zu flüchten. Kein Wunder, dass in Deutschland die Scheidungsrate plötzlich um 30 Prozent zurückgegangen ist. Frauen würden keinen Job finden und Männer sich die Alimente nicht leisten können. Dass solches auch von betroffenen sich als feministisch bezeichnenden Frauen völlig unreflektiert bleibt, verwundert allerdings.

Nicht nur die Situation von Arbeitslosen wird – auch von diesen selbst – weitgehend geleugnet und verdrängt, sondern vor allem die Ausweglosigkeit der Arbeitsgesellschaft generell. Was für gespenstische Anpassung!

 

Anmerkungen

1 Karl Reitter: „Eigentlich sind wir Leibeigene des Staates“, in: Volksstimme, 29. 6. 2000, Wien. Damals einer der wenigen kritischen Artikel zu diesem Thema. Vgl. auch: Gustav Valentin: Trainingsmaßnahmen sind Abschreckungsmaßnahmen, in: Menschen machen Medien, hg. v. IG-Medien, Nr. 5/6, 2000, Stuttgart. Film- und Theaterschaffende haben immer wieder arbeitslose Zeiten zwischen ihren Engagements. Das Münchner Arbeitsamt drangsaliert diese Berufsgruppe mit demütigenden und beleidigenden Psychospielchen auf Bewerbungsseminaren bzw. versucht sie auf kaufmännische Berufe umzuschulen. Arbeitslosen aus anderen Berufen wird dies erst nach ein bis zwei Jahren Arbeitslosigkeit zuteil, Film- und Theaterschaffenden gleich zu Beginn – egal ob überhaupt Arbeitslosengeld bezogen wird. Manche müssen solche Seminare immer wieder besuchen. Wer nicht erscheint, bekommt eine Sperrfrist des Arbeitslosengeldes. Viele, die sich diesen Schikanen nicht aussetzen wollen, melden sich ab. So wird die Arbeitslosenstatistik geschönt und Geld gespart.

2 Vgl. Maria Wölflingseder, Meine Jahre bei „Weg und Ziel“, in Weg und Ziel, 1/2000. http://contextxxi.mediaweb.at/texte/archiv/wuz0001XVIII.html