Sex, Politik und Sitte

Unterfütterungen zur Causa Clinton. Eine Zurüstung

von Franz Schandl

Der Fall Clinton beweist einmal mehr: Sex ist im öffentlichen Sektor allgegenwärtig. Wie darüber heute geredet wird, ist allerdings unerträglich. Daß darüber aber gesprochen werden soll, ist unabdingbar.

Die mediale Berichterstattung liest sich dann so: „Hat er oder hat er nicht? Paula Jones an den Hintern gefaßt und seine Hosen runtergelassen. Sich von Monica Lewinsky mit oralen Sex beglücken lassen. Kathleen Willeys Hand an seinen Penis gedrückt. Bill Clinton streitet alles ab.“ (Kurier, 22. März 1998) Zumindest tat er das, bis letzte Woche.

Daß manche Frauen das alles so brühwarm und offen erzählen, ist aber nicht nur auf Gekränktheit oder Rache zurückführen, sondern läßt durchaus auch handfeste Geldinteressen vermuten. Das hat freilich seine Tücken, wenngleich sofort auch betont werden muß, daß ohne solche monetäre „Zuschüsse“ aus meist obskuren Kanälen die meisten Frauen sich die gerichtliche Auseinandersetzung gar nicht leisten könnten.

Weiters ist es in der Öffentlichkeit vorerst einmal fast unmöglich, zu überprüfen, ob eine Behauptung wahr ist oder nicht, ob etwa eine Belästigung stattgefunden hat oder ob sie herbeigelogen wird. Die medialen Cocktails aus Wahrheit, Halbwahrheit und Unwahrheit werden für das Publikum immer gefinkelter, undurchschaubarer. Kriterium ist doch stets, ob etwas stimmig ist, nicht, ob etwas stimmt. Die Identifizierung des Publizierten ist für den medialen Konsumenten alles andere als eine einfache Angelegenheit. Instrumentarien zur Differenzierung sind nicht vorhanden. Es darf geglaubt werden, oder auch nicht.

Wo sich Menschen treffen, treten sie zueinander in Beziehung, mitunter auch in eine sehr intime. Das ist nicht ungewöhnlich, ungewöhnlich ist bloß, daß es einerseits bewußt verschwiegen werden muß oder andererseits lediglich als Affäre in der Öffentlichkeit auftreten kann. Vertuschung und Skandal sind so die äußerst einseitige Erscheinungsweisen des Alltäglichen.

Schon im Jänner mußten Lewinsky als auch Clinton von allen guten Geistern verlassen sein, als sie ihre Beziehung trotz eindeutiger Indizienlage abstritten. Der Präsident und sein Beraterstab lagen völlig daneben, als sie meinten, es sei immer noch wie zu Kennedys Zeiten möglich, diverse Verhältnisse auf der Gerüchte-Ebene zu belassen und einfach auszusitzen. Nichts irriger als das. Im kulturindustriellen Zeitalter gilt immer stärker: Indiskretion ist die Vorstufe der Publikation. „Nie zögert die Gesellschaft, die Geheimnisse, in deren Irrationalität ihre eigene sich verschanzt, auf dem Markt auszubieten, sobald verdrückte Lust am Verbotenen dem Kapital in der Sphäre der Publizität neue Investitionschancen gewährt.“ (Adorno)

Was man da oberflächlicherweise Amerikanisierung nennt, ist nichts anderes als die kulturindustrielle Vermarktung ursprünglich der Verwertung nicht direkt zugängiger Zonen. Diese Schranken werden heute niedergerissen und der Welt medialer Geschäfte ausgeliefert. Daß auch das Private verkaufbar ist, ohne daß dessen Privateigentümer noch ein Wort mitzureden hätte, demonstriert sicher eine der allerletzten Pointen warenförmiger Gesellschaftlichkeit.

Ertapptes Schlitzohr

Wann immer Billy-Boy ertappt wird, spielt der Schlitzohrige den Blauäugigen und erzählt irgendwelche wilde Geschichten. Marihuana habe er zwar geraucht, aber nicht inhaliert; dem Vietnamkrieg habe er sich zwar entzogen, aber deswegen sei er kein Wehrdienstverweigerer; Frau Lewinsky habe er zwar beigewohnt, aber nicht so richtig, mehr oral als vaginal. Gleichzeitig desavouiert Clinton damit durchwegs oppositionelle Haltungen: Den Kriegsdienst verweigern, Marihuana rauchen, Sex haben, das alles ist ja an sich nichts Übles. Übel wird es erst, wenn es jenseits des großen Teiches als direkt übertragener Hollywoodschinken wider Vaterland, Familie und Gott inszeniert wird. Und doppelt übel wird es, wenn Clinton da mitspielt, sich zum bußfertigen Sünder macht, der alles nicht so gemeint haben will, und via TV um Vergebung bittet.

Nun stammelt er also: „Ich hatte eine Beziehung zu Miss Lewinsky, die nicht angemessen (=inappropriate) war. Das war falsch. Das ist ein eklatanter Einschätzungsfehler und ein persönliches Versagen meinerseits, für das ich allein zur Gänze verantwortlich bin“. Abgesehen davon, daß nicht klar wird, was falsch gewesen sein soll, die Unangemessenheit oder die Beziehung, man beachte die elendigliche Wortwahl. Bill Clinton sagt in einem windschiefen Geständnis halt ein paar Standardsätzchen auf, die, obwohl sie nichts treffen doch einiges über den Aufsager sagen: Nichts wird reflektiert, alles wird zurechtgerückt.

Es gibt zwei Unarten der Heldenverehrung. Einmal ist es die Identifikation mit einer Person, zu der man meint aufschauen zu müssen, sie ist einem entrückt. Das andere Mal hingegen findet man sich in den Verhaltensweisen des Promis wieder. Man erkennt sich an ihr verdeutlicht. Sowohl das Vorbild als auch das Abbild sind Ausdruck fetischisierter Bezüglichkeit zu sogenannten Persönlichkeiten. Letzteres erklärt auch, warum Clinton unmittelbar nach dem Geständnis populärer gewesen ist als je zuvor. Dieser Präsident, das fühlt jeder Durchschnittsamerikaner, ist einer von uns. Schützen wir ihn!

Status und Phallus

Die Läufigkeit des amerikanischen Frauenhelden inszeniert sich in permanenter Anmache. Selbstbewußtsein bemißt sich an der koitalen Außenfrequenz. Seine hervorgeholte Eichel, das ist schon ein oraler Imperativ. Billy-Boy stellt es so an (oder es sich zumindest so vor): Mister President verfügt. Punkt. Camille Paglia meint wohl nicht zu Unrecht, daß für Bill Clinton „die Welt voller Frauen jeglichen Alters ist, die bereit sind, einen geilen Präsidenten jederzeit zu befriedigen.“ (Profil 13/98)

Wer ständig Abwechslung braucht, demonstriert damit nichts anderes als die Belanglosigkeit seiner selbst. Er kann sich auf Dauer nicht ausdrücken, sondern nur en passant entladen. Der Heißhunger auf Frauen verdeutlicht mehr die Angst vor ihnen als die Lust auf sie. Objekte sollen nicht als Subjekte angenommen werden, sondern gleich Waren konsumiert werden. Das ist praktisch und bequem.

Das sexuelle Ansehen eines Mannes wächst, wenn er außerhalb des Ehebetts vorstellbar ist. Auch in kleinen linken Gruppen nehmen koitale Bereitschaft und Möglichkeit mit der inneren und äußeren Relevanz einzelner Protagonisten zu. Und diese muß gar nicht real, sondern kann auch bloß zusammenphantasiert sein.

Macht macht geil. Jeder Mann weiß, daß mit dem Status der Phallus wächst. Womit natürlich noch nicht gesagt ist, daß damit automatisch etwas angestellt werden wird. Die Politik, vor allem die Spitzenpolitik wuchert von unterschiedlichsten Bettgeschichten, die vor allem im psychodynamischen Bereich manchmal mehr erklären können als anderweitige Muster. Natürlich können diese von uns absichtlich nicht Affären genannten Verhältnisse nicht allesamt auf männliche Neigung und weibliche Fügung zurückgeführt werden. Insgesamt aber zementieren sie männliche Dominanz, eben weil die diesbezüglichen Beziehungen von Männern und Frauen noch immer geschlechtsspezifisch sanktioniert werden.

Frauenrollen

Mit auch ein Grund, warum die meisten Politikerehen so im Arsch sind, meist entattraktivierte Frauen zu Hause sitzen, Kind und Kegel hüten, dem Mann den Alltagskram abnehmen, der Form halber gelegentlich Auftritte an der Seite der Gatten absolvieren. Es handelt sich dabei um Frauen, die zwar nicht in der Politik sind, aber von ihr täglich mitgenommen werden. Die Männer bedienen sich währenddessen anderweitig. Das geht schneller, ist weniger mühsam, und nicht durch den Alltag überfrachtet. Fast sex eben.

Das alles ist Gegenstand keiner Analyse und keiner Debatte. Nur manchmal kommt es ganz oberflächlich zur Erscheinung, dann etwa, wenn zwei Ministergattinnen in kurzer Abfolge Selbstmord verüben, oder wenn wie im Fall des österreichischen Bundespräsidenten Klestil die Ehefrau das doppelbödige Spiel nicht mehr mitspielen will und sich von ihrem Mann trennt. Aber auch was dann folgt, ist nicht mehr als die sensationslüsterne Aufarbeitung des Einzelfalles, seine Darstellung als isolierter Akt.

Hillary Clinton, und damit sind wir wieder beim eigentlichen Thema, verkörpert einen anderen (wir würden meinen, moderneren) Typus. Sie bewältigt bisher ihren Part mit seltsamer Bravour. Die erfolgreiche Karriere-Anwältin hat die patriarchal-kapitalistische Werteordnung selbst so in sich eingesogen, daß sie ihr nicht nur zur zweiten Haut, sondern zum Panzer geworden ist. Ohne Bill wäre sie aber nicht Präsidentin. Das ist sie zwar nicht, aber erst sie füllt es aus, das Amt. Wenn Norman Mailer gar recht hat, daß Hillary Clinton die erste weibliche Präsidentin in den USA werden möchte, dann muß sie gerade jetzt nicht nur zu ihrem Mann stehen, sondern auch selbst ihren Mann stehen, was immer da auf sie zukommt. Dahingehend ist sie auf der Höhe der Zeit. Hillary Clinton ist kalt und berechnend. Und das ist hier gar nicht primär als Vorwurf zu verstehen, läßt das System den Frauen von Amtsträgern doch nur die (sich nicht unbedingt ausschließenden) Möglichkeiten des Leidens und des Mitmachens.

Da die Clintons immer wie ein Herz und eine Seele auftreten, fragt es sich sogleich, ob dies nicht Inszenierung ist, die Basis der Beziehung nicht ganz woanders liegt. Eine solche Sichtweise unterstützt auch Christa Müller, selbst Ehefrau eines Politikers, und zwar von Oskar Lafontaine: „Ob es langjährige interne Absprachen gibt, die es ihr ermöglichen, sich so stark zu verhalten, wissen wir natürlich nicht. Ich nehme es aber an.“ (Cosmopolitan 6/98) Dem Wesen nach dürfte es sich bei den Clintons vornehmlich um eine Karrieregemeinschaft handeln, die aber auch schon durch gar nichts zu erschüttern ist. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß Hillary mehr über die Stümperhaftigkeit der Billy-Boy-Affären empört ist als über diese selbst.

Konservativ oder liberal?

Vergessen werden sollte aber auch nicht der politische Richtungsstreit. Es ist ein rechtes, bigottes und fanatisiertes Segment der amerikanischen Gesellschaft, das seine Schleusen öffnet, und den Präsidenten im Kotmeer von Sitte und Moral ertränken will. Sonderermittler Kenneth Starr, Protestant und Republikaner, wirkt verbissen wie der österreichische Pornojäger Humer. Bill Clinton soll erwischt, überführt und erlegt werden, da wird vor nichts Halt gemacht. Daneben grasen Betschwestern vor dem Weißen Haus, reißen Fernsehprediger und Werbefritzen ordinäre Witze, werden besamte Kleider der Justiz übergeben. Clintons Gegner wirken nicht nur unsympathischer als er selbst, sie sind es auch. Sie sind die wahren Triebtäter. Clinton ist gegen sie lediglich ein auf Anmache trainierter Liberaler.

Daraus folgt nun, daß man einerseits den erzkonservativen Attacken auf die Clintons nirgendwo Tribut zollen darf, andererseits aber selbst eine Kritik an den chauvinistischen Macken solcher Typen entwickeln muß, die sich aber nicht in den engen Maschen einer sexual correctness verfängt. Das ist schwieriger als die Vorgabe. Sie meint, daß Clinton anhand dieser Geschichte nicht gestürzt werden dürfte, andererseits aber auch entlang dieses Falles eine substantielle Kritik des gesellschaftlichen Sexismus geleistet werden müßte. Denn in Wahrheit ist Billy-Boy doch „nur“ das Abziehbild eines durchschnittlichen amerikanischen Sexisten, mit dem freilich beträchtlichen Unterschied, daß jener seine Positionen (Präsident und früher Gouverneur) großzügig ausnutzen kann und wohl gezielt auszunutzen versteht.

Dem fadenscheinigen Liberalismus ist jedenfalls nicht zu trauen. Er tut gar so, als sei dies alles, weil privat, der Kritik entzogen. Ein österreichischer Kolumnist, ganz Herr seiner Herrlichkeit, etwa hätte Clinton rückwirkend geraten, seinen Gegnern entschieden über den Mund zu fahren: „Das geht Sie einen Dreck an“. (Kurier, 19. August1998) Derweil ist es doch gerade der Dreck, auf den die Journaille heute so abfährt. Und wo er nicht vorhanden ist, wird er im Eigenbau hergestellt. Seine Wiedergabe ist ihre Aufgabe. Je dreckiger, desto besser.

Wenn der Liberalismus gegen den Konservativismus posaunt, was da privat sei, gehe niemanden etwas an, dann ist das nur richtig, wenn es um die Konkretion der Ereignisse geht, etwa mit wem und wie oft Clinton es getan hat, welche Stellungen er bevorzugt, wie viele Kleider Sperma-Flecken aufweisen etc. Dies alles verdient im Sinne persönlicher Intimität und Integrität Schutz vor öffentlicher Darlegung. Das gilt aber nicht, wenn es um die herrschende Typologie geschlechtlicher Kommunikation im politischen Bereich geht. Diese ist sehr wohl von allgemeinem Interesse.

Das reaktionäre Komplott, das Hillary Clinton immer wieder beschwört, ist bestenfalls eine Halbwahrheit. Der realistischere Teil der Rechten (z. B. die republikanischen Spitzen) ist aktuell gar nicht daran interessiert, Clinton abzuservieren, betreibt dieser doch weitgehend dessen Politik. Es ist viel eher zu befürchten, daß seine Schwächung ihnen nutzt, sie nun meinen, mit einem willfährigen Präsidenten noch leichteres Spiel zu haben. Ein persönlich schwer angeschlagener Präsident, der in internationalen Fragen zwar stets ein Großmaul, aber eher doch ein Zauderer ist – und das ist nicht das Schlechteste! -, könnte sich so leicht unter Druck zu waghalsigen Unternehmungen hinreißen lassen. Potentielle Feinde, die man bombardieren kann, gibt es einige. In Afghansistan, im Sudan, im Irak, in Jugoslawien…..

Ehe und Familie

Clinton hat nun die Flucht nach hinten angetreten. Alte Werte sind angesagt. Doch gibt es hier Rettung? Ehe und Familie sind trotz aller lauten ideologischen Aufmärsche in Zerfall und Zersetzung begriffen, mehr denn je sind sie in eine veritable Krise geraten. Was sich heute inszeniert, ist die allgemeine Simulation des Althergebrachten, die mythologische Anrufung der historischen Form als ontologische Instanz.

Gerade auch das emanzipatorische Druchbrechen der traditionellen Frauenrolle in der Familie ist ein Moment in der Krise ebendieser. Die Subordination von Frau, Kind und Gesinde unter den Mann ist nämlich konstitutiver Bestandteil der patriarchalen Familie, das wußte schon Kant (ยง 23 Metaphysik der Sitten). Die tendenzielle Losbindung der Frau entsorgt nämlich nicht nur die Leine, an der der Mann sie hatte, sondern auch jene, an der sie ihn hatte. Partnerschaftliche Ehe und demokratisierte Familie dramatisieren dahingehend Epiloge in der Auflösung dieser institutionellen Formen.

Die Kritik an Ehe und Familie ist voranzutreiben und zu vertiefen. Der elende Zustand der Insassen ist empirisch evident. Gleichzeitig ist es aber notwendig, keine Illusionen zu wecken, d. h. zu betonen, daß die emotionale Kommunikation auf unabsehbare Zeit auf diese schwindenden und auch schwindelnden Pfade angewiesen sein wird. Viele, die einstens mit voluntaristischen Experimenten jenen Zwangsformen bewußt und schnell den Garaus machen wollten, sind nach deren offensichtlichen Scheitern heute oftmals zu begeisterten Propagandisten von Ehe und Familie geworden.

Wir leben also in prekären Zeiten, in Zeiten, in denen die festen Werte sich immer eiliger entwerten, ohne daß sich unmittelbar Alternativen anbieten. Das Flanieren zwischen verschiedenen Rollen (vom Single über den Freundeskreis zum Verwandtschaftsclan) scheint heute noch die besten Möglichkeiten zur individuellen Reproduktion und Regeneration zu bieten. Jede postmoderne Ideologisierung dieses Übergangszustandes ist aber ebenfalls abzulehnen.