Critical employment studies

Gedanken zur Abwertung Arbeitsloser

von Martin Schroeder

 

Arbeitslosigkeit ist ein strukturelles Problem. Dennoch werden insbesondere Langzeitarbeitslose geächtet. Folgendes erörtert, auf welche Privilegien Arbeitende vertrauen können und warum kein Grundeinkommen vor der Diskriminierung rettet.

 „Arbeitslose erleiden mit dem Lohnausfall zugleich die Sanktion des Marktes: dass eine unverkäufliche Arbeitskraft, wie jede brachliegende Ware, ihre Bestimmung verfehlt. Durch noch so gutes Zureden kann man ihnen das Gefühl ihrer Minderwertigkeit nicht ganz nehmen. Sie wissen, dass der Markt kein Gott ist – und empfinden doch anders.“ So konstatierte der Philosoph und Theologe Christoph Türcke die Situation von Arbeitslosen. Schwer ist es, Empfindungen nachzuvollziehen, doch sind diese in Bezug auf den Arbeitsmarkt keine bloß individuellen und persönlichen, wie es nicht nur Amtsberaterinnen Arbeitslosen gern einreden möchten. Ein wesentlicher Teil gesellschaftlicher Beziehungen konstituiert sich über den Markt, die Ware, die Arbeitskraft, die Ware, den Markt – den teuflischen Zirkel. Aus diesem Verwertungskreislauf als Produzent herauszufallen, hat nicht nur Konsequenzen auf die Wahl der Wohnung und anderer Produkte. Es wäre eine Persönlichkeitsspaltung nötig, um diese, durch die Arbeitslosigkeit erlittene, Unwertigkeit der Ware Arbeitskraft nicht auf die eigene Person zu beziehen. Ist doch jedes Produkt, selbst eine Massenware, authentisch und einzigartig. Das Individuum bestimmt sich auf dem Markt zu bestimmtem Gebrauch – der Kellner kellnert, die Managerin managt und Arbeitslose sind arbeitsuchend. Sie suchen ihre Bestimmung.

Das Abstraktum Arbeitsmarkt tritt spätestens mit der Arbeitssuche so unmittelbar und doch so unfassbar in den Alltag, dass der Markt als schicksalhaft erscheint. Aber auch die, die einen guten Job hat, sagt: Ich habe Glück gehabt. Es hatten sich über hundert beworben. Viel Glück bei der Jobsuche, wünscht uns die Verwandtschaft nach einem Studium. Eigentlich haben wir uns schon während des Studiums gekümmert, um einen Job. Am besten unbefristet und in einer sicheren Branche. Ein sicherer Job eben, sicher vor den uneinschätzbaren Kapriolen des Marktes. Ob er gut ist, ist erst einmal drittrangig.

Denn arbeitslos werden heißt zumeist minderwertig werden. Langzeitarbeitslosigkeit heißt: In den Müll geworfen werden, unbrauchbar für die große Marktgesellschaft. Was für ein Haltbarkeitsdatum hat eine ungenutzte Arbeitskraft? Wie fühlt es sich an, nicht oder nur schlecht verkäuflich zu sein; aussortiert zu werden, an den Stadt- oder den Rand der ernstzunehmenden, heißt hoch kapitalisierten, Welt verbannt zu sein; als unbrauchbar, unnütz und überflüssig? Die Soziologen Zygmunt Bauman oder Loïc Wacquandt haben diesen Prozess drastisch beschrieben. Klassismus wütet, gern in Verbindung mit Rassismus, Kriminalisierung, Grenzen und Gefängnissen, um die Norm der arbeitsamen, vermeintlich sicheren Leben aufrechtzuerhalten. Wer was leistet, soll sich auch was leisten können, riefen Parteien 2017 zur (Wahl-)Urne. Dies heißt auch: Wer nichts leistet, zumindest nichts, was entlohnt wird, soll sich auch nichts leisten.

 

Eins ging einst auf den Arbeitsmarkt

Sicher, ich bin nicht reduziert auf die Arbeitslosigkeit. Sicher kann ich es verschweigen, verbergen oder mich selbst in einen Auf- oder Umwertungsprozess, in eine weitere Weiterbildung stecken. Vielleicht kann ich in Arbeit kommen und etwas werden. Doch ohne die Arbeitskraft zu verkaufen, sind wir ausgeschlossen vom Markt der Produzenten. Vielleicht sorgen wir für eine Familie oder einen arbeitenden Ehepartner oder beides. Wenn wir jedoch erwachsen sind, gar schon „Berufserfahrung“, also eine Bestimmung haben, können wir nicht nicht arbeiten, ohne die ganze Gewalt dieses Ausschlusses zu erfahren.

Was als Übergang zwischen zwei Jobs noch erstrebte Freizeit sein kann, ist mit der Unverkäuflichkeit der Arbeitskraft keine Wahl mehr. Die Arbeitslosigkeit beraubt uns der Möglichkeit, vor der falschen Notwendigkeit der Ökonomie zu fliehen und uns einen gesellschaftlichen Wert beizumessen. Denn die Möglichkeit der Arbeitenden, in ihre Verwertung fliehen zu können, ist – neben dem Konsum – die Macht und die Freiheit, die den Individuen in einer Arbeitsgesellschaft bleibt. Arbeitslose haben diese Macht und diese Freiheit verloren.

Frei wirst du nur mit und durch andere. Freiheit ist relativ und verweist immer auf Gesellschaft. Die Freiheit der bürgerlichen Gesellschaft, sagt der Materialist, ist die Freiheit, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, so du keine Produktionsmittel hast. Die Lohnarbeit ist also die Instanz, die dich freisetzt. Arbeit wird damit zur Bedingung der Möglichkeit von Freiheit. Ein eigentümlicher Widerspruch. Die Arbeit als etwas Vermitteltes, selbst in der Freiberuflichkeit Aufgezwungenes, soll uns Freiheit geben?

Die Arbeit als Lohnarbeit folgt nicht nur einer ökonomischen Logik. Sie löst auch die Religion ab. Und obwohl wir wissen, dass der Markt kein Gott, kein Schicksal ist, fühlen wir uns überflüssig, wenn wir nicht mehr als Produzenten am Marktgeschehen teilhaben. Es ist dies unseren eigenen Wertmaßstäben zuzurechnen. Eine Ware, die wir kaufen, schätzen wir aufgrund ihres Gebrauchswertes: Das Essen schmeckt, der Bohrer funktioniert, die Frisur sieht gut aus. Wenn unsere Arbeitskraft nicht nachgefragt wird, wissen wir: Sie ist unbrauchbar. Leider sind damit wir selbst unbrauchbar in einer Arbeitsgesellschaft. Die Wertmaßstäbe, die wir an Produkte anlegen, legen wir an uns selbst an. Die Wahrheit der Ware wird im Kapitalismus zu unserer.

Keine noch so feine Erzählung des glücklichen Arbeitslosen wird uns retten, solange der Wert unserer Arbeitskraft analog dem Warenwert gemessen wird. Dass dieser Wert zum Gutteil ein metaphysischer ist, wie die Marx’sche Dialektik auseinanderlegt, rettet nicht, da dieser Wert eben zum anderen Teil einer ist, der den Gebrauch bestimmt – die Schönheit, die Funktionalität, den Geschmack oder unsere Bestimmung als Arbeitskraft. Auseinanderdividieren lässt sich der Wertmaßstab real nicht: Tausch- und Gebrauchswert sind in der Ware vereint, zu der das Individuum als Arbeitskraft reduziert ist. Die Anrufung der Unverletzlichkeit des Menschen mit dem Hinweis auf seine Schönheit und Nützlichkeit, also die Anrufung seines Gebrauchswertes, hilft nicht, wenn dieser Wert nicht in Wert gesetzt, also auf dem Arbeitsmarkt getauscht werden kann.

Die sogenannte Reservearmee der Industrie ist ein Müllhaufen, aus dem hin und wieder jemand recycelt wird. Ein Müllhaufen, mit dem sich niemand gern auseinandersetzen will. Die Mülltrennung passiert polizeistaatlich geographisch an der Grenze im Mittelmeer und klassistisch biopolitisch in der Gesellschaft. Dagegen eine politische Organisation gegen die Zumutungen der Sozialleistungsgesetzgebung anzusetzen, ist verdienstvoll, jedoch zum Scheitern verurteilt. Während Flüchtende immer noch auf ihre potentielle Arbeitskraft verweisen und sich unter dem Kriterium der Teilhabe organisieren können, ist die Teilhabe von Langzeitarbeitslosen als solche von vornherein ein Widerspruch in sich. Müll lässt sich nur in Abfallcontainern organisieren. Nötig wäre, die Abfallproduktion zu vermeiden. Doch wie soll dies gelingen, ohne das Wertesystem, das auf der produktiven, Wert schaffenden Arbeit beruht, zu stürzen?

Die wesentlich übergreifende Anerkennungsstruktur der Gegenwart ist die der Arbeitenden, um die herum sich Verschiedenes gruppieren darf. Die arbeitende Gegenwart ist die Grundlage für Freiheit und Leben. Diese scheint nicht mehr von der Hegemonie, von der Macht der Zustimmung einer Mehrheit abhängig, sondern ist schlicht übliche herrschende Praxis. Ich geh was Gutes kaufen, nicht was Schlechtes. Das ist nicht der politischen Mehrheit, sondern einer Selbstverständlichkeit geschuldet. Der Ausschluss unbrauchbarer Arbeitskräfte ist die Norm.

Versuche, aus den Arbeitsmarktbezügen auszubrechen, gelingen nur teilweise: sogenannte Parallelgesellschaften, Kommunen, Groß- und Kleinprojekte, Container- oder Klaugemeinschaften versuchen, der Verschwörung der Marktgläubigen zu entfliehen. Und werden als kollektive Marke wieder vom Verwertungszwang eingeholt. Wenn sich Individuen in anders wertende Kollektive begeben, muss sich in Folge dann das Kollektiv auf dem Markt rechtfertigen. There’s no way out. Sympathisch ist es zweifellos, wenn antikapitalistisch eingestellte Kollektive ihre Existenz begründen – gesellschaftlich werden sie aber als ein weiteres Angebot begriffen, das seinen Wert rechtfertigen muss. Was individuell als Ausweg erscheint, verschiebt den Zwang zur Arbeit ins Kollektive und lässt diese Kollektive daran zu oft zugrunde gehen. Wie findest du Bündnis Y oder Projekt X? So oder so: Hauptsache, es scheint uns nützlich, brauchbar, gut und schön.

 

Arbeitslager, unverortbar

Jede noch so sinnlose Arbeit ist sinnvoller als keine Arbeit. Weil sie vergesellschaftet. Weil sie uns, wie nichts anderes, einen Status und Wert zuerkennen kann. Uns dem Müllhaufen enthebt, der täglich neu von der arbeitswütigen Gesellschaft aufgehäuft wird. Nur wenige Statusmeldungen können es mit der einer Lohnarbeit aufnehmen – nämlich die, welche unmittelbar mit ihr verknüpft sind. Dazu gehören: (a) Kinder, in deren Ausbildung investiert wird, damit sie später rechnen bzw. sich rechnen können; (b) Studierende, aus den gleichen Motiven wie (a); (c) Hausmänner und -frauen, die für die Kinder und den – oft geehelichten – Teil arbeiten, der arbeitet; und (d) Rentner, weil sie gearbeitet haben und für die Kinder sorgen.

Arbeitslose, und tun sie noch so wertvolle Dinge für die Gesellschaft, können im Gegensatz zu (a) bis (d) und den Lohnarbeitenden nicht in diese integriert werden. Sie können an der Freiheit, die angeblich für alle gilt, nicht teilhaben. Denn diese Freiheit ist nur die Freiheit, die Arbeit hinzuwerfen. Arbeitslose sind vom Schicksal, das die Arbeit den Arbeitenden bereitet, ausgeschlossen. Sie dienen keinem. Wir dienen Deutschland, unserem Chef oder dem Kontostand – sie dienen niemandem. Im doppelten Sinne. Niemandem etwas geben, niemandem sich unterwerfen, löst Arbeitslose los – los aus den realen und gefühlten Sozialbezügen. Die Rationalisierung der Welt vor ein paar Jahrhunderten hat diese Welt nicht vom Glauben an eine höhere Macht befreit. Nein, diese Macht – nenn sie Markt oder Schicksal, nenn sie, wie immer du willst – ist sehr präsent. Wir dienen ihr gern, denn sie gibt uns die Macht, unser Leben zu verarbeiten.

Diejenigen, deren Wirken die Arbeit nicht bestimmt, sind Ungläubige. Kein noch so starkes Mühen um Arbeit kann sie in den seligen Kreis derer holen, die praktizieren, die der Arbeit dienen. Langzeitarbeitslose sind Aussätzige, an deren Krankheit niemand sich anstecken möchte. Sie können zwar wollen, doch sie können nicht können. Sie können nicht zur Gemeinschaft derer gehören, die dem Marktgott dienen – denn dies geht nur praktisch, auf die bestimmte produktive Weise, durch Geld anerkannte Wertschaffung. Das Selbst, das nur sich selber dient, verschwindet unintegrierbar im Müll.

Von den Rändern lässt sich auf die Normalität schließen. Der Einschluss in die Arbeitslosigkeit ist der Ausschluss aus der schaffenden Gesellschaft. Die Unentrinnbarkeit des Ausschlusses zeigt, wie wesentlich die belohnte Arbeit Gesellschaft herstellt. Weil mit der Arbeitslosigkeit der Selbstwert bis hin zum Unwert absinken kann. Weil erst mit der Arbeit sich das Individuum einen Wert zuzuerkennen in der Lage ist. Dies ist der Druck, der auf allen Arbeitenden lastet – morgen schon könntet ihr unnütz sein. Morgen könntet ihr eure Arbeit verlieren und damit das, was euch die Freiheit gibt zu sagen: Ich werfe meine Arbeit hin! Ich kündige! Ich mach da nicht mehr mit! Genau dies können aber nur die sagen, die arbeiten. Es ist wesentlicher Teil ihrer Freiheit, so etwas zu sagen und zu denken – es jedoch nie zu vollziehen.

Bei der Selbstentwertung von Arbeitslosen handelt es sich nicht einfach um ein Minderwertigkeitsgefühl oder einen Minderwertigkeitskomplex. Natürlich leidet das arbeitslose Individuum, die Ursache des Leids liegt aber außerhalb seiner, da es keine Möglichkeit hat, allein der Wertlosigkeit zu entrinnen.

Empfinden denn nicht die meisten einen Trennungsschmerz, wenn sie sich von geschätztem oder lieb gewonnenem Besitz endgültig verabschieden? Die ausgesonderte, auf den Müll geworfene Ware fühlt nichts, denken wir. Schmerz zeigt die entstandenen empathischen Beziehungen zwischen dem Nutzer und dem warenförmigen Objekt. Eine Beziehung, die wenig warenförmig und ersetzbar scheint, wenn wir sie in unser Herz oder in unser Bett lassen – wie etwa einen Plüschbären. Wenig verwunderlich, da wir uns selbst in unserer Umwelt spiegeln und in den Dingen einen Teil von uns zu erkennen glauben. Beziehungen zu Menschen wie zu Dingen sind nicht einseitig. Was empfinden  also die aus dem Arbeitsmarkt Geworfenen? Es könnte die andere Seite dieses Trennungsschmerzes sein, die die aussortierten Waren empfinden, wenn sie empathisch mit ihren Nutzern wären. Sie wollen nützlich sein, in Beziehung zu ihren Nutzern.

Der moderne Mensch will gebraucht werden. Dies resultiert schließlich in einer uneinholbaren Erfahrung eines Verlustes, einer durch nichts aufzuwiegenden Abwesenheit, die wir empfinden, wenn unsere Arbeitskraft als unbrauchbar gilt. Sie trifft tiefer und materieller, als die vielen psychologischen Hilfsangebote der sozialen Träger zu bearbeiten es in der Lage wären. Der Arbeitslose ist nicht zu heilen, außer durch Arbeit. Selbst eine schlechte Arbeit scheint so weit besser, als sich wieder auf dem Markt zu bewerben und übrig zu bleiben und gezeigt zu bekommen, dass du mit all deinen Fähigkeiten dafür, dafür und auch dafür nicht gebraucht wirst.

 

Nenn es Klassismus

Betrachten wir ähnlich gelagerte Formen von Diskriminierung: Wenn gesellschaftliche Gruppen bspw. aus rassistischen Gründen strukturell ausgegrenzt werden, entstehen Verletzungen. Verletzungen durch Diskriminierungen schlagen sich über die Zeit materiell und real nieder: Unter anderem im Verhalten und dem Wissen der Diskriminierten. Manche Gruppen werden erst durch Ausgrenzung erschaffen – historisch und sozial legen gesellschaftliche Ausschlüsse Handlungs- und Denkweisen fest. Es entstehen bestimmte Verhaltensweisen der Ausgegrenzten oder stereotyp Eingeordneten im Umgang mit der Diskriminierung. Irgendwann, schrieb der Autor Rafael Chirbes, ist einem Marokkaner in Spanien nicht mehr klar, ob Leute auf der Straße ihn wegen seiner Hautfarbe scheel ansehen oder ob er sich nur vorstellt, dass Leute auf der Straße ihn wegen seiner Hautfarbe scheel ansehen. Der Effekt des Gefühls der Unzugehörigkeit, der eines Makels, ist in beiden Fällen derselbe. Ähnlich ergeht es Arbeitslosen. Durch das Wissen um ihren Makel, ihre Arbeitskraft nicht verkauft zu haben, fühlen sie sich minderwertig, egal ob sie als faul beschimpft werden oder ihnen gut zugeredet wird. Keine Politik und keine Lobby verteidigt Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil wird die Zugehörigkeit zu Lohnarbeit von Medien, Politik oder Verwandtschaft stets wiederholt oder als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Niemand verteidigt Entlassungen als etwas Gelingendes oder Befreiendes. Wer nicht arbeitet oder arbeiten kann, wird zum Problem gemacht. Dabei kann es unter dem Stand technischer Entwicklung nicht nur keine planetarische Vollbeschäftigung geben. Tatsächliche Vollbeschäftigung wäre auch eine ökologische und soziale Katastrophe. Trotzdem darf nur faul und müßig sein, wer sich zuvor ordentlich verwertet hat.

Bei den meisten Formen der Diskriminierung ist der Forschung inzwischen bewusst, dass das Problem bei denen liegt, die diskriminieren, und nicht bei denen, die diskriminiert werden. Warum scheint es in Bezug auf Klassismus und Arbeitslosigkeit selbst progressiven Geistern fern, die Arbeitstätigkeit und Normerfüllung als solches als Problem zu begreifen? Verwunderlich, dass engagierte Wissenschaften unter diesem vielseitig diskriminatorischen Regime noch keine „critical employment studies“ begründet haben. Warum bewerben sich Menschen um einen Arbeitsplatz? Wieso verachten Arbeitende Nicht-Arbeitende? Wie kommt es, das Menschen lieber für wenig Lohn und fremdbestimmt überflüssige Arbeiten erledigen, als sich fröhlich streitend effektiv zu organisieren? Wieso wird gearbeitet, damit andere arbeiten können? Die bewusstlose Selbstverständlichkeit von Arbeit als ein ausschließendes, zerstörerisches und verblendetes Privileg infrage zu stellen, ist bitter nötig. Ein Markt, der Arbeitskräfte für wert oder unwert befindet, muss abgeschafft werden. Und gerade Arbeitende sollten daran arbeiten, denn sie verursachen dieses Problem.

Ob Arbeitslose ein solches Ansinnen unterstützen können, ist zweifelhaft. Zwar haben sie das spezialisierte Wissen von Betroffenen, viel Erfahrung und meist Strategien im Umgang mit der alltäglichen und strukturellen Diskriminierung. Andererseits sind sie als unverkäufliche Waren oft sehr mit ihrem eigenen Selbstwert befasst. Sei es, dass sie deswegen noch andere ab- und sich selbst aufwerten, sei es, dass sie mit Depressionen und Selbsthass ringen, sei es, dass sie damit beschäftigt sind, Arbeit zu suchen oder von ihr zu träumen. Von all der Zeit, sich mit dem Einsatz für gesellschaftliche Belange nützlich zu machen, um die Diskriminierung der Arbeitenden zu kompensieren, ist da noch gar keine Rede.

 

Einkommen heißt nicht Rauskommen

Dass Arbeitslosigkeit eine, wenn auch prekäre, positive Identität hervorbringt; dass Betroffene sich vernetzen, statt sich pathologisieren zu lassen; dass Arbeitslosigkeit das Selbstbewusstsein stärkt – würde den Beginn eines Kampfes gegen die Plage Lohnarbeit anzeigen. Die „Glücklichen Arbeitslosen“ hatten es mit einer Kampagne und einem Manifest versucht. Daraus hatte sich 2012 schließlich nur ein Buch ergeben – kein Kollektiv, kein Widerstand, keine Antidiskrimierungsstellen. Es kommen nur einige Rufe nach einem Grundeinkommen mit dem Zusatz bedingungslos.

Sicher, es gibt bessere und schlechtere Sozialleistungen. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) wäre möglicherweise eine bessere. Doch die Diskussion darum geht an den wesentlichen Punkten vorbei. An allen nämlich, die oben genannt wurden. Keine Arbeitslose wird nicht abgewertet, nur weil die repressiven Maßnahmen der Arbeitslosenverwaltung eingestellt werden und es ein paar Euro mehr aufs Konto gibt. Wobei Letzteres nicht einmal sicher und die berechenbare Repression der Arbeitslosenverwaltung für manche nichts gegen die moralische Repression der Arbeitenden ist. Der Klassismus gegen Arbeitslose könnte sich mit einem BGE sogar verschärfen, da er dann eines der wenigen Instrumente wäre, Menschen in Arbeit zu zwingen. Aus diesem Grund gehen entsprechende Studien auch davon aus, dass mit einem BGE nicht weniger Menschen arbeiten gehen würden – und verkaufen dies noch als ein Argument für das Grundeinkommen.

Als Problem bleibt die in Wert setzende Arbeit, an der der gesellschaftliche Wert der Individuen bemessen wird. Der Graben zwischen denen, die lohnarbeiten, und denen, die dies nicht tun und keinen gesellschaftlich anerkannten Grund dafür haben, ist groß. Geld mag den Diskriminierten helfen, kann jedoch nur teilweise Diskriminierung abbauen. Wenn wir uns die antiziganistische Hetze der rechten Partei gegen Bettler im reichen Norwegen anschauen, die auf einem Klassismus gegen die nicht-wertschaffende Bevölkerung beruht, wird klar, dass die Vorurteile der „Leistungsträger“ tiefer sitzen.

Statistische Untersuchungen zum Klassismus, zur Abwertung aufgrund von sozialer Herkunft und sozialer Position werden wenn, dann oft nur am Rand von Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sichtbar. Nach der Mitte-Studie 2014 werden langzeitarbeitslose Menschen von über der Hälfte der Bevölkerung in der BRD abgewertet – sogar den als Muslime oder Juden Identifizierten wird weniger Feindschaft entgegengebracht. Solange das Problem in der Art verharmlost wird, dass selbst sich radikal sozial dünkende Initiativen den Arbeitslosen nur die Repression des Staates ersparen und ihnen ein paar Euro mehr zugestehen wollen, wird sich daran auch wenig ändern

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