Flugblatt der Streifzüge

Aus Anlass der Demonstration „Flüchtlinge willkommen!“ am 3. Oktober in Wien

Auf diesem Planeten wächst die Zahl der Migranten. Was natürlich der globalen Ordnung ein vernichtendes Zeugnis ausstellt, sagt dies doch, dass immer mehr Menschen von dort, wo sie sind, weg müssen oder weg wollen, weil sie sich woanders ein besseres Leben versprechen. Leute, die benachteiligt sind, wollen sich ihren Teil holen. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass Migration die Funktion erfüllt, billigere Arbeitskräfte verfügbar zu machen. Staatliche Migrationspolitik will stets Aktiva als Profite internalisieren und die Passiva der Kosten externalisieren.

Was in der Debatte verschwiegen wird, ist, dass es sich um einen Ressourcentransfer von weniger entwickelten Gebieten in die Zentren handelt. Es ist umgekehrte Entwicklungshilfe, die hier stattfindet. Vergessen wird immer, dass Emigration einen Aderlass für jene Länder darstellt. Bringt man diesen Aspekt zur Sprache, wird man schnell verdächtigt zu meinen, dass jeder und jede bleiben soll, wo er oder sie ist. Um das geht es nicht. Es geht darum, dass – ganz banal – alle auf dieser Erde gut versorgt sind, weder aus politischen noch ökonomischen Gründen irgendwohin getrieben werden. Dass sie bleiben können, wo sie sind und dass sie sich niederlassen können, wo sie wollen. Der Liberalismus hingegen ist nicht freizügig, er koppelt das Recht des freien Raums an die Verwertbarkeit der Person.

„Ausländer rein!“ ist so die gefinkeltste Variante von „Ausländer raus!“

Westliche Politik ist auf einem Punkt angelangt, wo fast jeder Schlag sich als Fehlschlag erweist. Den Nahen und Mittleren Osten oder auch Nordafrika hat man unter kräftiger europäischer Beihilfe nicht befreit, sondern destabilisiert und brutalisiert. Und mit dem IS ist eine weggetretene, aber selbstbewusste Kraft auf den Plan getreten, gegen die herkömmliche Mittel wenig ausrichten.

Politik scheint abgedankt zu haben. Dafür hat man in den Schleppern das Böse ausgemacht, das es fortan zu erledigen gilt. Freilich verwechselt man da permanent eUrsache und Folge. Schlepperei ist nicht der Fluchtgrund, sondern das Fluchtmittel. An ihr werden bloß Symptome bekämpft. Wenn es legal nicht möglich ist, hierher zu kommen, dann muss man es illegal versuchen. Nichts anderes geschieht. Solange Schutzsuchenden aus Kriegsgebieten keine legale Möglichkeit zur Einreise offen steht, sind sie auf Fluchthelfer angewiesen.

Die Schlepper sind lediglich die letzten Erfüllungsgehilfen des globalen Gesamtirrsinns. Ihre wirtschaftliche Basis ist das fortschreitende Elend dieser Welt.

Keine Mauern und keine Gitter, keine Hürden und kein Stacheldraht, keine Meere und keine Heere werden die Flüchtlinge unter den gegebenen Umständen aufhalten. Auch keine Massenabschiebungen. Wer nichts mehr zu verlieren hat als sein eigenes Leben, wird dieses einsetzen. Solange dieser Planet so verfasst ist, wie das aktuell der Fall ist, wird die Völkerwanderung vielleicht zu bremsen, aber sicher nicht aufzuhalten sein.

Was allerdings sich erhöht, sind die Wanderungskosten, die Fluchthilfe wird teurer. Je mehr Staaten Menschen illegalisieren, desto krimineller wird das Fluchtwesen werden, desto kriminellere Elemente werden sich in diesem Geschäftszweig etablieren. Es kann gar nicht anders sein. Je höher die Strafen, desto größer die Verbrechen. Nicht die Schlepper genannten Fluchthelfer illegalisieren die Menschen. Dass Menschen ge-schmuggelt werden müssen, ist Folge staatlicher Gesetze.

Der Staat erzeugt den Schmuggler.

Fluchthilfe ist zu einer Dienstleistung geworden. Der Transportgehilfe kann so ein guter sein wie ein schlechter, wie eben der Tischler auch ein guter und ein schlechter sein kann. Dass es bei den Schleppern vielleicht mehr schlechte gibt, hängt mit ihrer Kriminalisierung zusammen. Je mehr man sie kriminalisiert, desto krimineller werden sie. Ihr Risiko ist groß, und das wollen sie, wie jeder „vernünftige“ Unternehmer, an ihre Kunden, die Flüchtlinge, weiterreichen. Das Problem der Flüchtlinge ist nur, dass sie, ungleich anderen Kunden, eine mangelhafte Dienstleistung bei Gericht und Konsumtenschutz nicht einklagen können, weil sie Unbürger sind – staatlich nicht zu-gelassen, nicht Mensch, sondern Flüchtling und Schübling.

Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass eine Forderung nach Öffnung der Grenzen ganz irreal ist und im Kapitalismus nicht verwirklicht werden kann. Genau so ist es. Aber was sagt dies anderes, als dass die Herrschaft des Kapitals – und zwar immer dringlicher – beseitigt werden muss. Jeder Realismus, der sich hingegen auf Re-gelungen und Quoten einläßt, diskriminiert konkrete Menschen im Namen von Staat und Nation. Der Gedanke, dass der Mensch erst Mensch sein darf, wenn ihn ein Staat als Bürger für zulässig erklärt, ist eine Zumutung sondergleichen.

Nicht „Alle Grenzen auf“ ist die Forderung, sondern „Alle Grenzen weg“.

Es gilt, Verhältnisse zu schaffen, wo niemand auswandern muss, aber alle hin- und herziehen können, wie sie wollen; wo die Herkunft zu nichts zwingt und die Abkunft nichts besagt, wo es keine Zugehörigkeiten mehr gibt, die aus irgendeiner nationalen Geworfenheit herrühren. Mit Staat und Kapital ist das nicht zu haben.

(Aus Streifzüge-Beiträgen über Fremde, Migranten, Flüchtlinge)

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