Stümper gegen Versager

Rezension von: Kurt Bauer, Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934.

von Franz Schandl

Am 25. Juli 1934 versuchten die Nazis Österreich in Besitz zu nehmen. Vorerst erfolglos.

Rezension von: Kurt Bauer, Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934. Residenz Verlag, Wien 2014, 303 S., € 24,90

Sommer 1934. Die Sozialdemokratie war geschlagen, das Parlament ausgeschaltet. Was nun tobte, das war das Gefecht Faschisten gegen Faschisten, wobei jedoch die Nazis im Gegensatz zu den Vaterländischen keinen Kompromiss suchten. Zweifellos, die Austrofaschisten mochten die Nationalsozialisten mehr als die Nationalsozialisten die Austrofaschisten. Die braune Flanke der christlichsozialen Faschisten war stets offen. Im Prinzip wollte man sich mit den Nazis arrangieren und machte ihnen nicht selten Avancen. Führende Exponenten der Vaterländischen Front unterhielten intensive Kontakte zu den Nazis. Engelbert Dollfuß, der Bundeskanzler, traf sich im Juli 1934 mit Ignaz Seyß-Inquart, Hitlers späterem Reichsstatthalter, oder mit Hermann Neubacher, dem nachmaligen nationalsozialistischen Bürgermeister von Wien. Als Dollfuß vorab von den Putschabsichten unterrichtet wurde, soll er: „Lassen Sie mich in Ruh’, ich habe den Nazis nichts getan“ (S. 26), gesagt haben. Das war nicht falsch. Der braune Spuk wurde nicht offensiv bekämpft, sondern nur deshalb, weil dessen aggressive Politik der Anschläge nicht einfach hingenommen werden konnte.

Der Plan war denkbar einfach: das Bundeskanzleramt überfallen, die Regierung festnehmen, zum Rücktritt zwingen, den Rundfunk besetzen – nazitreue Truppenteile erledigen dann den Rest. Dollfuß und die Seinen wollte man „in allen Ehren kalt stellen“. (S. 202). Österreich sollte dieser Tage auch noch nicht angeschlossen, sondern gleichgeschaltet werden. Anton Rintelen, der ehemalige christlichsoziale Landeshauptmann der Steiermark und mehrmalige Minister war als Kanzler von Hitlers Gnaden vorgesehen. Die zentrale Figur der Aktion war der ehrgeizige Rudolf Weydenhammer, ein führender Industrieller aus München, wohnhaft am Starnberger See und auch nach 1945 eine beachtliche Nummer. „Befehlsgemäß“ (S. 15) wollte er den Putsch leiten, fuhr am 23. Juli nach Wien, um die letzten Vorbereitungen der dafür vorgesehenen SS-Standarte 89 selbst zu überwachen.

Der Staatsstreich selbst stand aber unter keinem guten Stern. Zuerst wurde die Ministerratssitzung vom 24. auf den 25. Juli verschoben, und dann folgte eine Panne der nächsten. Noch am 24. Juli wurde der Plan von Johann Dobler, einem involvierten Polizisten und NSDAP-Mitglied, verraten, wohl weil er kalte Füße bekommen hatte. Anderntags passierte, wie Kurt Bauer schreibt, gar folgendes: „Der militärische Leiter Fridolin Glass, der vor Ort im Bundeskanzleramt die Befehle geben sollte, versäumte die Abfahrt der Kolonne. Die Putschisten waren, als sie das Kanzleramt besetzten, führerlos.“ (S. 50)

Außerdem sollte neben dem eigentlichen Putsch noch eine weitere Operation der Nazis laufen. Die ebenfalls in Wien ansässige SS-Standarte 11, wollte den Bundeskanzler mit einer Handgranate am Michaelerplatz ermorden, wusste allerdings zu diesem Zeitpunkt nichts von den Plänen der SS-Standarte 89. Wie umgekehrt. Indes waren beide Vorhaben der Regierung schon bekannt. Dies alles trug freilich mehr zu Verwechslungen und Verwirrungen bei als zu entschiedenem Einschreiten.

Dass unter solchen Voraussetzungen überhaupt das Kanzleramt besetzt werden konnte, der Staatsstreich also nicht schon im Vorfeld verunglückte oder verhindert wurde, ist darauf zurückzuführen, dass die austrofaschistische Staatsmacht sich noch dümmer anstellte als die Nazi-Terroristen. So waren die Versager letztlich den Stümpern unterlegen. Nicht einmal die massiven Eingangstore des Bundeskanzleramts wurden geschlossen. Das taten erst die Nazis, als sie drinnen gewesen sind. Hineinzukommen war jedenfalls kinderleicht. Die regierungstreuen Polizisten und Wachleute in der Umgebung wurden entwaffnet und gefangen genommen. Von den anwesenden Sicherheitsleuten wurden die uniformierten Eindringlinge vorerst als Verstärkung wahrgenommen, waren doch auch absurde Gerüchte über einen sozialdemokratischen Anschlag in die Welt gestreut worden. Alles hatte in diesen Stunden einen surreale Note bekommen. Da liefen mehrere Filme ab, und zwar in einer Realität diverser Kollisionen. Trotzdem sollte man sich mit Häme zurückhalten. Auch wenn es ein Putsch der Dilettanten gewesen sein mag, die Tragik im Allgemeinen war um vieles größer als die Komik im Besonderen. Der Zug Richtung Faschismus war abgefahren. Einige Jahre später, im März 1938, machte ja dann die dosierte Variante der rasenden Platz.

Die Vaterländische Front war mitunter auch ein riesiger Intrigantenstadel, wo keiner dem anderen so recht über den Weg traute und persönliche Gelüste und Absichten oft höher standen als politische Motive. Man denke an die dubiose Rolle von Innenminister Emil Fey, der erst vor einigen Tagen sein Amt als Vizekanzler verloren hatte und sich dementsprechend degradiert fühlte. Der Minister hatte noch eine Rechnung mit Dollfuß offen. Jedenfalls gab er nur unvollständige Informationen weiter. Ob Fey, „den vom Nationalsozialismus ideologisch so gut wie nichts trennte“ (S. 99), auf einen Posten unter den Nazis spekulierte oder sich als Retter des Vaterlands inszenieren wollte oder gar beides, wer kann das schon wissen?

Die Ereignisse im Kanzleramt sind nicht mehr genau zu rekonstruieren. So ist nicht auszuschließen, dass Dollfuß sich tatsächlich wehrte oder die Angreifer sich ihrerseits von ihm angegriffen fühlten. Auf jeden Fall dürfte eine unglückliche Verkettung zu des Kanzlers Tod geführt haben. Engelbert Dollfuß sollte nicht umgebracht werden, aber irgendwie geschah es dann doch, dass ihn zwei unplatzierte Schüsse getroffen haben, wobei einer letztlich tödlich gewesen ist. Bauers Schluss ist nachvollziehbar: „Bei nüchterner Betrachtung des Tathergangs und der weiter damit zusammenhängenden Umstände spricht allerdings nichts dafür, dass Dollfuß vorsätzlich ermordet wurde.“ (S. 86)

Wie der Titel des Buches postuliert, legt sich der Autor darauf fest, dass Hitler nicht nur vom Putsch wusste, sondern ihn dezidiert in Auftrag gegeben hatte. Hitler war „Inspirator und Befehlsgeber“ (S. 164). Vor allem Goebbels Tagebücher, deren Veröffentlichung erst 2006 abgeschlossen wurde, legen das nahe. Dessen Notizen vermerken zum 24. Juli: „Sonntag: bei Führer General v. Hammersteins Nachfolger, Gen. v. Reichenau, dann Pfeffer, Habicht, Reschny. Österreichische Frage. Ob es gelingt? Ich bin sehr skeptisch.“ (S. 193) Kurt Bauer jedenfalls ist überzeugt: „Es ist ohne jeden Zweifel Hitlers Putsch! Seine Untergebenen haben ab Sommer 1933 laufend Putschpläne an ihn herangetragen. In der zweiten Junihälfte 1934 schien ihm der passende Zeitpunkt gekommen. Deshalb ordnete er die Durchführung des Putsches an. Anders gesagt: Hitler befahl ihn.“ (S. 245.)

Zu diesem riskanten Manöver mit ungewissem Ausgang hatte Hitler sich laut Bauer auch deswegen entschlossen, weil er zu Unrecht meinte, Mussolini habe ihm beim Zusammentreffen in Venedig grünes Licht gegeben. Nach der gescheiterten Aktion versuchte Hitler jedenfalls alle Spuren zu verwischen. Betont wurde nunmehr die Eigenmächtigkeit der Unterläufel. „Hitler musste jedes Interesse daran haben, in keiner Weise mit dem blutigen Putschversuch im Nachbarland und dem Tod des Bundeskanzlers Dollfuß in Zusammenhang gebracht zu werden.“ (S. 237)

Der Band ist gründlich recherchiert, ohne uns mit einem Zwei-Etagenbuch zu ärgern. Alle Belege und Verweise werden im Anmerkungsapparat akribisch angeführt. Die getätigten Aussagen und Schlüsse sind in hohem Grade plausibel. Was an diesem Buch gefällt, ist, dass es belletristische wie wissenschaftliche Vorgaben erfüllt, ohne dass sich diese massiv in die Quere kommen. Bauer schreibt anschaulich und kurzweilig, formuliert prägnant wie amüsant. Ein kriminalistisches Gespür ist dem Autor nicht abzusprechen. Selbst wo die Passagen zu Untersuchungsprotokollen geraten, bleibt es spannend. Etwas kleinlich erscheinen jedoch die wenigen Seiten, wo Bauer noch einmal seine Kritik an der forschenden Kollegenschaft (insbesondere Gerhard Jagschitz) ausbreitet. Implizit sind diese Differenzen im ganzen Buch zugegen, dass Bauer hier noch mal explizit nachtreten muss, hätte er nicht nötig gehabt.

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