Ein glückliches, freies, faschistisches Österreich

Wer etwas über den Austrofaschismus wissen will, wird um diesen Band nicht herumkommen

von Franz Schandl

Mangelnde Entschlossenheit konnte man den Austrofaschisten nicht vorwerfen. Christlichsozialen und Heimwehren ging es um „die Reinigung der politischen Luft von den Giftgasen, welche marxistische und Parteiwirtschaft erzeugt haben, die Herstellung der wahren Demokratie durch Befreiung von der Parteiendiktatur“ (S. 16). Den Parlamentarismus hielt man schlicht für erledigt. Es galt, ihn zu beerdigen. Als sich einige Sozialdemokraten im Februar 1934 wehrten, war es schon zu spät. Das in den Vormonaten verschobene Kräfteverhältnis ließ ihnen nicht den Funken einer Chance. Die Christlichsozialen machten Tempo bis hin zur eigenen Selbstauflösung, stand doch eine radikale Überwindung der Parteiform auf der Agenda.

Das Verhältnis der Christlichsozialen zur Sozialdemokratie wird von Emmerich Tálos, emeritierter Professor für Staatswissenschaften in Wien, als eines von Aktion und Reaktion beschrieben. Die SdAP war außerstande wirklich zu handeln. Die „realpolitische Defensivstrategie“ (S. 36) führte geradewegs in die Niederlage. Der Widerstand erschöpfte sich in verbalen Noten. Das Zaudern der Sozialdemokratie, ihre Angebote, noch weitere Zugeständnisse zu machen, führten keineswegs zur Mäßigung des Gegners. Im Gegenteil, schon 1929 gelang es den reaktionären Kräften, eine Verfassungsreform durchzudrücken, die markante Änderungen Richtung autoritärer Staat setzte. Die Vaterländischen erkannten, dass die Sozialdemokratie unfähig und unwillens sei, sie zu stoppen. Es galt diese Gelegenheit wahrzunehmen. Engelbert Dollfuß und die Seinen wussten, was sie wollten, Otto Bauer und die Seinen wussten weder, was sie wollten, noch, was sie konnten. So demoralisierten sie ihre Anhänger. Die Entschiedenheit war ganz auf einer Seite.

Forsch auch die Vorgangsweise. Alleine 1934 wurden über 30.000 Personen verhaftet, die Todesstrafe wurde wieder eingeführt, ja selbst das Standrecht kam zur Anwendung. An die 15.000 dürfte die Zahl der hauptsächlich in Wöllersdorf Angehaltenen gewesen sein. Die Verwendung des Begriffs „Konzentrationslager“ war übrigens per Gesetz verboten. Der Begriff der „Anhaltung“ als „eine vorbeugende Form des Freiheitsentzuges“ (S. 286), ist, um nur ein Beispiel zu nennen, äußerst fein herausgearbeitet.

Die Faschisierung des Landes schritt hurtig voran. Denunziationspflicht, Todesstrafe, Standrecht, Anhaltelager, Instrumentalisierung von Heer und Polizei, Demonstrationsverbot, Ausschaltung jedweder Opposition – die neuen Herren ließen sich nicht lumpen. Das Auftreten war keineswegs verschämt, klar und großspurig wurde benannt, was man wollte. Ernst Rüdiger Starhemberg etwa kündigte an, dass er nicht rasten werde, „bis das Endziel, ein glückliches, freies, faschistisches Österreich, Wirklichkeit geworden ist“ (S. 194). Die Exekutive bemächtigte sich der Legislative, der neue Bundestag sollte nichts mehr zu parlieren haben, sondern einfach parieren, d.h. Regierungsvorlagen absegnen. Für politische Repräsentanten galt „der Modus autoritärer Berufung der jeweils zuständigen Instanzen“ (S. 557).

Arbeit, Deutschtum, Christentum, Privateigentum kennzeichneten Dollfuß‘ ständische Ideologie (S. 69ff.): „Wir sind deutsch, so selbstverständlich deutsch, dass es uns überflüssig vorkommt, dies eigens zu betonen“ (S. 72), sagte Handelsminister Guido Jakoncig. Auch die Kirche assistierte. Kardinal Innitzer ließ im April 1933 wissen: „Hinter eine solche Regierung müssen wir uns geschlossen stellen.“ (S. 242) Der Papst rechtfertige 1934 gar die „heilsame Härte“ (S. 247). Die katholische Kirche war ein zentraler Stützpfeiler des Systems.

Die Vaterländische Front sollte als politische Monopolorganisation des Systems verankert werden. (S. 150) „Neben der V.F. ist niemand berechtigt Politik zu machen“ (S. 152), liest man im Informationsdienst der Organisation. Die VF ist der einzige Träger der politischen Willensbildung im Staate“, heißt es in § 1 des VF-Gesetzes, man verstand sich als „Staatsbewegung“, der alle zugehörig sein durften, die sich zu „Österreich als ihrem deutschen Vaterland“ (S. 152) bekennen. Diese Heimatideologie ging stets von der „deutschen Sendung Österreichs“ aus. (S. 554)

Missliebige Autoren und deren Bücher wurden verboten. Faktisch aufgehoben wurde auch die Freiheit der Medien (S. 428). Ehrensenate der Pressekammer waren zuständig für die „Überwachung der Moral der Presse“ (S. 428). Gleichschaltung war das Ziel. Kritik am Staat und an den Staatsorganen wurde untersagt (S. 295). Im öffentlichen Dienst verlangte man „vaterländische Gesinnungstreue“ (S. 186). Ausbürgerungen ließen auch Anwartschaften aus der österreichischen Sozialversicherung (Renten) verfallen. Verbotenen Parteien wurde das Vermögen entzogen. (S. 298f.)

„Überhitlern“

Der Nationalsozialismus sei zu schlagen, „indem wir ihn ,überhitlern’“ (S. 38), ließ ein Abgeordneter wissen, und Dollfuß meinte, es gelte, dass „wir das, was die Nazis versprechen und in Deutschland getan haben (…) selber machen“ (S. 38). Ganz so schlimm ist es unmittelbar nicht gekommen, aber alleine schon die Ankündigung, ausgerechnet die NSDAP übertrumpfen zu wollen, demonstriert den mentalen Ansatz der Vaterländischen.

So gab es zwar keine Gesetze, die sich explizit gegen Juden richteten, doch der Antisemitismus war stets vorhanden. „Christen, kauft bei Christen!“ (S. 483), lautete ein Slogan, von dem jeder wusste, wie er zu verstehen sei. So gab es kaum noch Juden in öffentlichen Körperschaften, in der Vaterländischen Front wurden sie allenfalls geduldet. „Die Juden müssen dabei immer noch recht dankbar sein, dass man sie bei uns vor den Methoden Hitlerdeutschlands bewahrt“ (S. 485), stellte man auf einer Führertagung der von Kurt Schussnig gegründeten Ostmärkischen Sturmscharen (OSS) fest.

Zweifellos war der Austrofaschismus fähig, Gefolgschaft zu mobilisieren, allerdings konnte er diese Massenbasis nach seiner Machtübernahme kaum ausweiten (S. 438). Mithilfe der Sozialen Arbeitsgemeinschaft (SAG) sollten ehemalige Sozialdemokraten in die Volksgemeinschaft eingebunden werden. Man wollte die „braven, verführten Arbeiter“ heimholen (S. 345). Dieses Vorhaben kam freilich über die Deklamation kaum hinaus (S. 352). Tatsächlich konnte die Arbeiterschaft nie in den Austrofaschismus integriert werden. Die restriktive Sozialpolitik trug hier wohl auch ihren Teil dazu bei. Die Sozialausgaben des Staates sanken laut Tálos von 23,5% (1933) auf 17,2% (1937) (S. 375). Arbeitsrecht und Arbeiterschutz, alles unterlag einer Beschneidung, Kollektivverträge konnten unterlaufen werden, ohne dass dies Sanktionen nach sich zog. Arme wurden schikaniert, die Bekämpfung „arbeitsscheuer Bettler“ (S. 378) stand auf der Tagesordnung, sogar „Bettlerlager“ wurden eingerichtet. (S. 377)

Der laut Eigendefinition „sozialste Staat der Welt“ (S. 379), kam vielen seiner Insassen ganz anders vor. Der Glaube an eine wirtschaftliche Besserung, der ging in den Jahren des Ständestaats völlig verloren. Selbst innerhalb der Funktionäre der VF machte sich Pessimismus breit (S. 454). Heinrich Gleissner, der nicht nur von 1934-1938, sondern ebenso von 1945-1971 Landeshauptmann von Oberösterreich gewesen ist, brachte es auf den Punkt: „Wir sind eine schwache Mehrheit mit starker Opposition, auf schmaler Wirtschaftsbasis.“ (S. 467) Die Austrofaschisten wurden bald von einem treibenden Faktor zur getriebenen Variable.

Die Durchsetzungskraft gegenüber den erstarkenden Nationalsozialisten war zusehends im Schwinden begriffen. Auch das „Kabinett der Versöhnung“ (S. 533), das Mitte Februar 1938 nach dem Berchtesgadener Abkommen gebildet wurde, vermochte Schussnig vor Hitler nicht mehr zu retten. „Dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich konnte ein sich im Inneren auflösender, vom Nationalsozialismus auf verschiedenen Ebenen des Herrschaftssystems durchdrungener, von außen durch die deutsche Regierung unter massiven Druck gesetzter Austrofaschismus nichts mehr entgegensetzen (…)“ (S. 535-536), schreibt der Autor.

Emmerich Tálos hält dezidiert am Faschismusbegriff fest (S. 585f.), was meint, dass er die Vaterländischen retrospektiv nicht mit dem absolut fragwürdigen Begriff des Rechtsextremismus belegt. Autoritarismus, Repression, Antimarxismus, Rassismus, Militarismus, Sexismus, Nationalismus, Volksgemeinschaft – da war alles vorhanden, was das faschistische Gemüt so begehrte, das ganze Zucht- und Ordnungsprogramm. Typisch für Österreich war aber, dass hier zwei Faschismen um die Macht kämpften: Austrofaschismus und Nationalsozialismus.

Fundiert und diszipliniert

Alles in allem ist das ein sehr verständlich geschriebenes Buch mit durchwegs fundierten Analysen. Präzis und konzis ist dieses Werk, gediegen und unaufgeregt. Die Studie ist äußerst fokussiert, der Verfasser möchte nicht und nicht von seinen konzentrierten Fragestellungen abweichen. Kommen schwadronierende Hobbyhistoriker nie zur Sache, so ist unser Autor immer bei der Sache. Darin liegt eine Stärke. Allerdings hat das auch Nachteile. Tálos leistet viel und erlaubt sich wenig, er ist zu diszipliniert. Die Strenge der Form und die voluminöse Ausarbeitung sind manchmal direkt erdrückend. Ein unterschätzter Wissenschaftler demonstriert seine Kompetenz, allerdings auf eine Weise, die mehr überwältigend als attraktiv ist.

Die Aufarbeitung der Strukturen gelingt besser als die Charakterisierung bestimmter Exponenten. So bleibt etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, die nicht uninteressante Figur des Schriftstellers Rudolf Henz, seine Rolle im Medienwesen vor 1938 (die nach 1945 als Programmdirektor des ORF ihre Fortsetzung gefunden hat) ziemlich blass. Gerne hätte man auch noch mehr über den Charaktertypus der Vaterländischen Kader erfahren. Die autoritäre Persönlichkeit war ja nicht die Ausnahme, sondern die Regel in allen gesellschaftlichen Bereichen und Formationen. Wie sind diese Leute, insbesondere die Austrofaschisten (und noch mehr die Nationalsozialisten) in die Gefangenschaft dieser irren Mentalität geraten? Welche gesellschaftliche Konstellation prägt solche Subjekte? Was trieb sie zu dieser festen Überzeugung?

Die substanzielle Souveränität geht nicht einher mit einer erzählerischen. So fehlt manchmal der Pfeffer der Spannung. Da ist der Autor doch mehr dem Wissenschaftsbetrieb verhaftet, als gut tut. Tálos zu lesen ist harte Arbeit. Es scheint nichts vergessen werden zu dürfen, was unbedingt gesagt werden soll. Und zu sagen ist viel. Und der Indizien sind viele. Da wird es dann mitunter redundant. Gelegentlich staut es sich. Selbst der wohlwollende Leser bleibt manchmal in den Kapiteln hängen.

Auch wenn es nie Geschwätz ist, ist es doch zu viel. Disproportional. Auch kürzen können sollte man können. So erinnert dieses Werk mehr an eine umfangreiche Dokumentation der Materialien als an eine Auswahl der besten Stücke. Dass Tálos bestens Bescheid weiß, glaubt man ihm auch ohne 3398 Fußnoten. Dem untersuchenden Blick wird kein belletristischer Ausflug gestattet. Man sitzt vor einem detailversessenen Untersuchungsprotokoll, das aber ob der Länge auch seine Längen hat. Es ist zwar alles profund und inhaltlich kaum angreifbar, formal wirkt es aber nicht nur geschlossen, sondern geradezu verschlossen. An dieser hermetischen Konstruktion ist der Autor nicht ganz unschuldig. Gegen diese Entkoppelung der Wissenschaft vom Leben hat Tálos nicht nur kein Mittel gefunden, er dürfte es gar nicht probiert haben.

So wird diesem hervorragenden Buch aller Wahrscheinlichkeit nach der größere Publikumserfolg versagt bleiben. Es wird in Seminaren und auf Tagungen zirkulieren, den Tálos gelesen zu haben wird dort Voraussetzung und Standard werden. Aber den engen Distrikt der Akademie dürfte der Band nicht verlassen. Das ist schade. Ungemein schade.

Emmerich Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933-1938
LIT Verlag, Wien 2013, 621 Seiten, Paperback, € 34,90

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