Vorgeburtlich verdrahtet

Alte Biologismen im neuro-hippen Look

von Petra Ziegler

Geschlechtsspezifische Zuordnungen à la weiblich/intuitiv/emphatisch/irrational und männlich/analytisch/individualistisch/systematisierend haben (wieder) Konjunktur. Neuerdings neurowissenschaftlich „untermauert“.

War es im 17. Jahrhundert noch die zu „zarte Beschaffenheit der Gehirnfasern“ beim weiblichen Geschlecht, die den französischen Philosophen Nicolas Malebranche vermelden ließ, „alles Abstrakte ist ihnen unbegreiflich“, so gelten heute etwa ein unterschiedlich ausgebautes Corpus callosum (das ist der die Hemisphären verbindende Faserbalken), ein Mehr oder Weniger an weißer Substanz (steht in Zusammenhang mit beschleunigter Kommunikation zwischen einzelnen Gehirnregionen), eine eher laterale oder bilaterale Arbeitsweise und diverse abweichende Aktivierungsmuster in einzelnen Hirnarealen bei der Lösung bestimmter Aufgaben als ursächlich für „angeborene“ Unterschiede im Verhalten, Fühlen und Denken von Frauen und Männern.

Persönlichkeitsmerkmale aus tatsächlichen, vermuteten oder bloß behaupteten hirn- oder sonst physiognomischen Merkmalen abzuleiten hat traurig-schaurige Tradition. Ob nun das Verhältnis Schädellänge zu Schädelumfang, ein durchschnittlich geringeres Gehirngewicht oder allerhand absonderliche Vorstellungen über die weibliche Physiologie herangezogen wurden, um Personengruppen auf bestimmte Zuständigkeitsbereiche zu verweisen, ihnen intellektuelle Unterlegenheit zu konstatieren oder die Fähigkeit zur Mitgestaltung des Gemeinwesens überhaupt abzusprechen, das Gehirn war, so die Medizinhistorikerin Ruth Bleier „immer wieder der Kampfplatz, auf dem die Kontroversen um Geschlechts- und Rassenunterschiede ausgetragen wurden“. Mit Verweis auf wissenschaftliche Autorität wurde und wird nur zu gerne argumentiert, geht es darum, aufzuzeigen, was „Frauen zu Frauen“ und „Männer zu Männern“ macht und sie auf „ihre jeweiligen Plätze“ zu verweisen.
Einmal mehr werden in nicht wenigen populärwissenschaftlichen Publikationen jüngeren Datums „Tabus gebrochen“, um gestützt auf die „neuesten Methoden in der Gehirnforschung“ eine imaginierte Phalanx politisch korrekter Gleichheitsfanatismen aufzubrechen. Damit wird aufgeräumt, und wir werden aufgeklärt über die „wahre Natur von Männern und Frauen“, „typisch weibliche Gehirnschaltkreise für Brutpflege und Fürsorge“ und warum ein Mann nicht anders kann und „ungeduldig wird, wenn eine Frau zu lange redet“.

Neurosexismus und Neurononsense nennt dergleichen die Neurowissenschaftlerin Cordelia Fine in ihrem 2010 erschienenen Buch „Delusions of Gender. The Real Science behind Sex Differences. How Our Minds, Society, and Neurosexism Create Difference“. (Deutschsprachige Ausgabe unter dem – nicht ganz treffenden – Titel „Die Geschlechterlüge. Die Macht der Vorurteile über Mann und Frau“, 2012 bei Klett-Cotta. Aus dem Englischen von Susanne Held.) Die Autorin kämpft sich tapfer durch die einschlägigen Verkaufsschlager rund um ihr Fachgebiet, als da, unter einer Vielzahl anderer, wären: Das weibliche Gehirn (Louann Brezendine), Frauen denken anders, Männer auch (Simon Baron-Cohen), Brain-Sex – Der wahre Unterschied zwischen Mann und Frau (Anne Moir, David Jessel), Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus (John Gray), Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht  einparken (Allan und Barbara Pease).

Was sie findet, ist nicht nur ihr ein Ärgernis: nicht selten mangelhaftes Grundmaterial, voreilige Spekulationen bei dürrer Faktenlage, die zahlreichen Wissenslücken werden recht beliebig mit alten Stereotypen gefüllt.

Angesichts der Widersprüchlichkeit der vorliegenden Forschungsergebnisse kritisiert Fine vor allem die vorgebliche Eindeutigkeit in den populärwissenschaftlichen Darstellungen und die „Unverfrorenheit, mit der Daten überinterpretiert und Fehlinformationen verbreitet werden“ (Fine, S. 368).

Blobology

Knallig-bunte Darstellungen weiblicher und männlicher Gehirne führen uns die jeweilige „Andersartigkeit“ regelrecht vor Augen. Positronen-Emissions-Tomographie und funktionelle Magnetresonanztomographie bringen bislang Verborgenes an die Oberfläche. „Ersichtlich“ wird dabei so allerhand. Etwa die unterschiedliche Fleckenausbildung bei Süchtigen und Nichtsüchtigen, bei Konservativen und Progressiven, bei Links- und Rechtshändern, Optimisten und Pessimisten, bei Männern und Frauen. Dank angewandter „Kleckskunde“ erfreuen uns beinahe täglich Meldungen mit erfrischenden neuen Erkenntnissen über das menschliche Wesen. Brain Imaging lässt „Lustzentren rot pulsieren“ oder das Angstzentrum blau anlaufen, lässt uns „in Echtzeit beobachten“, was sich in unseren Köpfen abspielt, wenn wir mit Fotos von Schokoladekuchen, von Hillary Clinton, einer neuen Produktaufmachung oder den schmerzverzerrten Gesichtern Nahestehender konfrontiert werden, wenn Probanden mit den Fingern einen Rhythmus mitklopfen oder dreidimensionale Objekte drehen, – was immer so an Versuchsdesign einfällt. „Objektivitätsmaschinen“ (Jan Slaby) gleich bringen die Hightech-Scanner mentale Vorgänge „ans Licht“.

Anders gesagt, die computergestützt generierten Darstellungen erwecken einen durchaus irreführenden Eindruck. Sie haben die „verführerische Suggestivkraft einer wahrheitsgetreuen Abbildung“ (Felix Hasler: Neuromythologie – Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung, S. 43), die digitalen Hirnbilder versprechen nichts weniger als einen „Blick ins lebende und arbeitende Gehirn“. „Sie sind bunt, sie wirken überaus lebendig und sie vermitteln Eindeutigkeit. Ein roter Fleck im linken Hirnlappen impliziert demnach beispielsweise, dass genau an dieser Stelle das Sprachareal liege und es bei Frauen anders ausgebildet sei als bei Männern“, bestätigt die Biologin und Wissenschaftsforscherin Sigrid Schmitz im FORUM Wissenschaft das Faszinosum der bildgebenden Verfahren. Damit „wird suggeriert, es sei gelungen, die spezifischen Hirnvorgänge sichtbar zu machen, die einer ganz bestimmten Bewusstseinserfahrung zugrunde liegen.“ (Hasler, S. 49)

Das Verfahren stützt sich auf Indizien. Gemäß der Annahme, erhöhte neuronale Aktivität zeige sich in gesteigertem Verbrauch von Sauerstoff, handelt es sich bei den Tomographiebildern um „anschaulich aufbereitete grafische Darstellungen der statistischen Verteilung von zeitabhängigem Blutfluss und Sauerstoffbedarf im Gehirn“ (ebd., S. 43). Die bunten Flächen stehen, mit den Worten von Cordelia Fine, „für eine statistische Signifikanz am Ende eines komplizierten, über mehrere Stadien laufenden Analyseprozesses“, der „einen breiten Spielraum für falsche Befunde“ offen lässt.

Untersuchungen mit Hirnscannern müssen aufgrund äußerst hoher Kosten mit eher bescheidenen Stichproben auskommen, oft mit Gruppen von lediglich zehn bis maximal zwanzig Versuchspersonen. Fine verweist auf eine entsprechend große Anzahl von Zufallsresultaten und Scheinkorrelationen. Eine vergleichende Analyse der Daten wird schon durch die kaum überschaubare Zahl unterschiedlicher Berechungsverfahren erschwert. Asymmetrien tauchen auf oder verschwinden, je nachdem welche statistische Schwelle bei der Berechnung von Gruppenbildern eingestellt wird (vgl. Schmitz).

Genderwahn

„Neurowissenschaftler, die nur ein einzelnes Exemplar vor sich haben, können nicht angeben, ob es  sich um ein männliches oder ein weibliches Gehirn handelt.“ (Fine, S. 269) Nicht einmal die gewöhnlich als gesichert präsentierte unterschiedliche Spezialisierung des weiblichen resp. männlichen Gehirns bei der Sprachverarbeitung lässt sich anhand von Meta-Analysen bestätigen. Zusammenfassende Studien aus 2004 und 2008 lassen „keine signifikanten Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Lateralisierung der Sprachfunktion“ (ebd., S. 227) erkennen. Fines Fachkollege Mikkel Walentin hält nach eingehender Untersuchung vorliegender Dokumentationen die zugrundeliegende Behauptung eines größeren weiblichen Corpus callosum überhaupt für einen Mythos (ebd., S. 229).

Vielfach postulierte „fundamentale“ Unterschiede schrumpfen auf ein recht bescheidenes Maß. Der weibliche Vorsprung beim Erkennen „nonverbaler Gefühlsausdrücke“ etwa liegt bei 54 Prozent überdurchschnittlichem Abschneiden gegenüber 46 Prozent bei den männlichen Teilnehmern (ebd., S. 259). Das sollte Letztere nicht unbedingt zu Gefühlsanalphabeten prädestinieren.

Insgesamt fällt auf, dass lediglich Unterschiede – und die noch stark übertrieben – ausposaunt werden. Ergebnisse, die keine Differenzen nachweisen, fallen sprichwörtlich unter den Tisch, zumindest finden sie keinen Weg in die Populärmedien. Dass die Variabilität innerhalb der Geschlechtergruppen in aller Regel höher ist als die zwischen ihnen, bleibt ebenfalls vielfach unerwähnt (vgl. Schmitz).

Zu all dem kommt: Selbstbild und soziale Erwartungshaltungen beeinflussen die Versuchspersonen massiv. Dabei zeigen auch augenscheinliche Nebensächlichkeiten in der Anlage des Experiments Wirkung. Bei Versuchen, ihre mathematische Begabung zu überprüfen, schnitten Frauen besser oder schlechter ab, je nachdem ob sie während der Testeingangsphase den durchaus subtilen Hinweis bekamen, der Test diene der Beantwortung der Frage, warum einige Menschen in Mathematik besser seien als andere. Offenbar ausreichend, um ein Phänomen namens Stereotyp-Bedrohung zum Vorschein zu bringen. Das Wissen um das verbreitete Vorurteil „Frauen haben weniger mathematisches Talent“, und das gleichzeitig bewusst gemachte „Frau-Sein“ (etwa durch Ankreuzen des Feldes „weiblich“ im Fragebogen) verbinden sich zu einer self-fulfilling prophecy.

Etikettierungen

Neurobiologie – das müsse doch einleuchten – sei nunmal Schicksal. Ungläubige bekommen als quasi ultimativen Trumpf entweder irgendwas mit Rhesusaffen oder folgenden gerne zitierten Fall entgegengehalten: Kleines Mädchen bekommt von seinen Eltern ein Feuerwehrauto anstelle einer Puppe. Und prompt wird die Kleine, das Auto in den Armen wiegend und tröstend: „Keine Sorge, kleines Auto, alles wird gut“, ertappt. Mädchen-Gehirne seien eben „mit charakteristischen Impulsen ausgestattet“, Mädchen als Mädchen „strukturiert“. „Ihr Gehirn ist bereits bei der Geburt unterschiedlich (von dem der Jungen, Anm.), und aus diesem Gehirn stammen Impulse, Wertvorstellungen und die gesamte Wahrnehmung der Realität.“ (Brizendine, S. 32)

Ebenso scheint die Evolution die Oberstübchen der Mädels mit einer Vorliebe für pinkfarbenen Tüll ausgestattet zu haben. Und dagegen, so der mit Bedauern oder einer nicht geringen Portion Häme servierte Kommentar, helfen alle gutgemeinten Versuche nicht, den Nachwuchs genderneutral aufzuziehen.

In Betracht gezogen, wie sehr manchen ihr Auto als Familienmitglied gilt, erscheint das kindliche Agieren allerdings ohnehin nur folgerichtig. Überhaupt ist die gesamte „Versuchsanordnung“ nur in wenigen Aspekten beeinflussbar.

Genderspezifische Zuschreibungen finden sich bereits in den Erwartungshaltungen an die noch nicht einmal gezeugte Nachkommenschaft. Ist das Geschlecht des Babys bekannt, werden dessen Bewegungen im Mutterleib unterschiedlich gedeutet, der Tonfall gegenüber dem Ungeborenen ändert sich. Eben erst auf der Welt bildet die immerhin rückläufige Rosa/Blau-Einteilung (das zarte Blau war übrigens ursprünglich für die Mädchen reserviert) nur den offensichtlichsten Teil einer frühen „Kategorisierung“. Die deutlichen Gendermarkierungen (nicht nur) im Dress-Code von Babys und Kleinkindern kamen nebenbei bemerkt erst auf, nachdem sich im Lauf des 19. Jahrhunderts bei den pädagogisch Befassten die Auffassung breitmachte, dass Geschlechterrollen durchaus erst gelehrt werden müssten. Alsdann galt es, den Sprösslingen ihre Geschlechtszugehörigkeit und das dementsprechende Verhalten möglichst früh und unmissverständlich aufzuzeigen. Die permanente Präsenz von Genderverweisen in deren (unserer) Umwelt lässt keinen Zweifel an der Bedeutung dieses Unterschieds und geben von Beginn an Orientierung darüber, welche Attribute zu einer Frau respektive einem Mann gehören. Fine schmückt ihre Ausführungen mit recht hübschen Anekdoten über den jeweiligen Erkenntnisstand der kleinen „Genderdetektive“ („Einen Penis hat jeder; aber Haarspangen tragen nur Mädchen.“).

Allzu freie Rollenauslegung wird sowohl vom gleichaltrigen wie auch vom erwachsenen Umfeld mit mehr oder weniger Unverständnis bis Ablehnung sanktioniert. Dabei verläuft die „ordnungsgemäße“ Zurichtung bei Buben meist noch um einiges regider. Ein weiblicher Wildfang, eine „wilde Henne“ (selbst hier darf der Hinweis auf die „eigentliche“ Zugehörigkeit nicht fehlen), kann schon eher auf schmunzelnde Anerkennung hoffen.

Was sich darüberhinaus bei diversen Untersuchungen über frühkindliche Präferenzen niederschlägt und die Ergebnisse nicht wenig verzerrt: die (unbewussten) genderspezifischen Erwartungen prägen die mütterliche bzw. väterliche Wahrnehmung von den Gefühlen, aber auch Fähigkeiten eines Kindes. Entsprechend dem Geschlecht der Babys neigen auch nahe Bezugspersonen dazu, deren motorische Leistungen zu unter- oder zu überschätzen, oder sie reagieren mehr oder weniger einfühlsam auf Veränderungen in deren Gesichtsausdruck (vgl. Fine, S. 314ff.).

Einmal eingeimpft, und wir sind zweifellos alle Geimpfte, wirken diese „stereotypischen Genderassoziationen“ auch in durchaus reflexionsfähigen Menschen nach, sie „bleiben aktivierbar und bereit, die entsprechenden Details des Selbstbilds mit Leben zu füllen, wenn der soziale Kontext die Genderidentität in den Vordergrund rückt.“ (Fine, S. 361)

Neuroplastizität

Von uralten Schaltkreisen, von Programmierung, Strukturiertheit und vorgeburtlicher Verdrahtung ist da die Rede, ein Vokabular, das Fixiertheit, ja Unveränderlichkeit nahelegt. Dabei zeichnet sich unser zerebraler „Apparat“ gerade durch seine faszinierende Wandelbarkeit (und Anpassungsfähigkeit) aus. „Schließlich führt jegliche Form der Einflussnahme auf das Gehirn, sei sie pharmakologischer oder nicht-pharmakologischer Art, zu neuroplastischen Veränderungen. Entgegen früherer Annahmen ist nämlich auch das vollständig entwickelte erwachsene Gehirn noch höchst reaktiv auf Umwelteinflüsse. Neuronale Verschaltungen können sich innerhalb von Minuten nach Stimulation ändern. Auch Sport, eine Psychoanalyse und selbst ein banaler Kinobesuch führen zu neuronalen Veränderungen.“ (Hasler, S. 132)

In einem komplexen Wechselspiel von Biologie und soziokulturellen Beeindruckungen werden die „Bestandteile unserer politischen, sozialen und moralischen Anstrengungen unserer physischen Verfassung buchstäblich einverleibt, inkorporiert“ (vgl. Fine, S. 366). Mit anderen Worten: was uns  in einer geschlechtlich aufgeteilten Welt widerfährt, manifestiert sich sichtbar in unseren Gehirnen. „Hirnbilder von Erwachsenen lassen beide Interpretationen zu: das Gehirn als Ursache oder als Ergebnis des Verhaltens.“ (S. Schmitz)

Fazit

Von den immer wieder hervorgehobenen geschlechtsspezifischen Abweichungen in der Gehirnstruktur, den typisch „männlichen“ und „weiblichen“ Verarbeitungsmustern, bleibt bei genauerer Prüfung nicht viel übrig. Noch weniger haltbar erscheint es, daraus „unveränderliche, hirnphysiologisch grundgelegte psychische Unterschiede“ abzuleiten.

Nachbemerkung

Analytisches Denken, Einfühlungsvermögen, Fantasie, Fürsorglichkeit, kommunikative Kompetenz, Konzentration, Sinnlichkeit, Zuwendung (in alphabetical order) sind als menschliche Fähigkeiten und Eigenschaften zu kultivieren. Sie können nicht delegiert werden, weder an eine bestimmte – vermeintlich besonders prädestinierte – Gruppe noch an einen quasi-separierten Teil innerhalb des fragmentierten bürgerlichen Individuums. (Jedenfalls nicht, ohne dass eins daran zu zerbrechen droht.)

Das führt zur Frage, warum manche die Welt partout voll emotionaler Dusseln und latent orientierungsloser Seelchen sehen wollen?

Nicht einmal für das knirschende kapitalistische Getriebe ist dergleichen noch funktional. Im Kampf um männlichen Machterhalt mag es eher dienlich scheinen. Von vormodernen Vorstellungen von der Frau als unvollständigem, verstümmelten Mann bis zum seit der Aufklärung vorherrschenden bi-polaren Modell stützten die biologisch-medizinischen Konstruktionen von Geschlecht stets auch eine hierarchische Ordnung von „Männlichem“ und „Weiblichem“. Zwar ist innerhalb der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft die männlich bestimmte Sphäre von Öffentlichkeit und Produktion, die sich aus sich heraus nicht reproduzieren kann, notwendig auf das (weiblich eingeschriebene) „Andere“ angewiesen (und vice versa). Die jeweiligen Bereiche waren aber – trotz gegenteiliger Beteuerungen – niemals „gleichwertig“. Daran ändert im Übrigen nichts, dass die darauf basierenden Rollenbilder gewissermaßen von der krisenbestimmten Realität eingeholt wurden.

Das feministische Aufbrechen geschlechtsspezifischer Einengungen ist damit keineswegs geschmälert. Sofern es sich nicht auf Ansprüche innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse beschränkt, wäre dessen Wiedererstarken mehr als wünschenswert. Mit einer weiteren Anpassung an ein im Wesentlichen androzentrisches Gleichheitsideal ist im zwischengeschlechtlichen Verteilungskampf allenfalls noch kurzfristig Terrain zu gewinnen, emanzipatorische Perspektive eröffnet sich daraus jedenfalls keine (mehr).

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