Theologie der Gallerte

Materialien gegen das Irrewerden am Irresein. Zum Fetisch

von Franz Schandl

„Die Theologie ist Gespensterglaube. Die gemeine Theologie hat aber ihre Gespenster in der sinnlichen Imagination, die spekulative Theologie in der unsinnlichen Abstraktion.“
(Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums)

„Die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt.“
(Karl Marx, Das Kapital I)

„Der Fetischcharakter der Ware ist nicht bloß Schleier sondern Imperativ.“
(Theodor W. Adorno, Drei Studien zu Hegel)

„Frei sind die Dinge: unfrei ist der Mensch.“
(Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen I)

Bisher habe ich mich ja erfolgreich davor gedrückt. Nicht weil es mich nicht interessierte, sondern weil es mich zu sehr faszinierte, ich aber davon ausgehe, dass man an diesem Thema nur scheitern kann. Die Rekapitulation der Fetischproblematik kommt meist einer Kapitulation gleich. Der Gegenstand, so er überhaupt einer ist, entzieht sich dem Betrachter wie eine Gallerte. Wenn er hingreifen will, flutscht ihm das Objekt immer wieder durch die Finger. Der verrückten Ökonomie folgt bestenfalls eine entrückte Kritik. Lässt man sich darauf ein, gerät man flugs in die Innereien des Werts. Rein kommt man ja noch, aber wie kommt man wieder raus? Schnell landet man in der Exegese. Leicht verfällt man in einen hermetischen Jargon oder huldigt einer marxistischen Scholastik. Doch wenn die Redaktion der Streifzüge solche Schwerpunkte beschließt, bin ich in der Pflicht und erfülle sie mit Neigung.

Im Fetischismus zeigen sich deutlicher als an anderen Fragen die Grenzen der Erkenntnis und der Kritik. Nicht wenige ziehen daraus den Schluss, dass je dunkler darüber gesprochen wird, desto gehaltvoller die Analysen ausfallen. Unwissen und Ignoranz des Publikums gelten dann als ein Zeichen der eigenen Qualität. Theorie wird dabei zu einer Art Geheimwissenschaft sich selbst auswählender Priester. Viele Beiträge zum Fetischismus lesen sich ja tatsächlich wie verschlüsselte Kassiber. Das Ritual gleicht einem Kontratanz um einen heiligen Gral bürgerlicher Vergesellschaftung. Im Forschungsfeld des Fetischismus tummeln sich nicht wenige esoterische Magier.

Zweierlei Fetischismen

Natürlich ist es nicht einfach, ein Dechiffrierungsprogramm des Werts zu fahren, auf dass es auch alle begreifen, sind sie nur guten Willens. In der frühen Arbeiterbewegung hielt man Marxens Überlegungen für eine Marotte des Alten, mit der sich kein Klassenkampf machen ließe. Immanent gedacht, war das nicht falsch. Nicht wenigen erscheint wohl gleich Eugen von Böhm-Bawerk das Marx’sche Fetischkapitel als reiner „Hokus-Pokus“. Auch Hartmut Böhme tut in seinem Wälzer geradewegs so, als hätte Marx den Fetischismus von Ware und Geld selbst erfunden. (Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg 2006, S. 320) Böhme etwa meint allen Ernstes, dass Marx in seiner Analyse der Ware behaupte, dass „der Fetischismus den Dingwert pervertiert“ (S. 229). Man glaubt es kaum. Da wird aus dem Kritiker des Werts ein Vertreter des richtigen Werts, der gegen dessen Pervertierungen kämpft. Den Begriff „Dingwert“ gibt es bei Marx überhaupt nicht. Lediglich ein „Wertding“ gibt es. Aber das nur nebenbei. Der Missverständnisse sind viele.

Der Fetischismus hat etwas Langlebiges. Er ist vor Ware und Wert, Geld und Arbeit in die Welt gekommen. So vermittelt er den Eindruck, als habe es ihn schon immer gegeben. Jener ist also zweifellos von größerer ontologischer Härte als die angeführten Formprinzipien. Die relative Ablösung der Menschen aus den reinen Zwängen der ersten Natur korrespondierte mit der Entfaltung fetischistischer Vorstellungen und Praxen. Das Begeistigen der Welt und die Begeisterung für den Fetischismus dürften miteinander entstanden sein. Dabei handelt es sich um eine Überhöhung des Beschränkten durch diverse Absolutierungen. Religionen etwa waren wohl ursprünglich Systematisierungen originärer Fetischpraxen. Nun wurden sie kanonisiert und galten – zumindest in den monotheistischen Varianten – als nicht mehr hintergehbar.

Fetischismus verdeutlicht Begeisterung im wahrsten Sinne des Wortes. Doch es ist keine schlichte Begeisterung, sondern eine immens aufgeladene, eine, die sich nicht bloß fixiert, sondern auch fixiert bleibt. Und eine, die die Projektion stets als ihre Umkehrung wahrnimmt: Nicht ich entzünde das Objekt, das Objekt entzündet mich.

Den Gebrauchswertfetischismen liegt allen eine Art Anbetung zugrunde. Fixierung und Hingabe werden aktiv gestaltet oder zumindest still zelebriert. Es ist eine außergewöhnliche Betätigung in einer außergewöhnlichen Sphäre. Wenn der Fetisch als Fetisch signifikant ist, sich dieser Bezeichnung also nicht wie der Warenfetisch und seine Kumpane erfolgreich entziehen kann, dann ist Auslieferung letztlich auch eine benennbare, verfügbare, regulierbare. Dieser Gebrauchswertfetischismus der Dinge, Symbole, Rituale, Götter ist anderer Natur als jener, der direkt an den Metamorphosen der Verwertung hängt. Die Auslieferung ist dort noch relativ, nicht absolut wie bei Ware und Geld. Gebrauchswertfetischisten würde auch nie einfallen, etwas zu fetischisieren, was sie nicht kennen, das ist außerhalb ihrer Welt. Der Tauschwertfetischist zögert da keine Sekunde, nicht weil er so schnell ist, sondern weil seine Reflexe darauf eingestellt sind.

Fetischismen, die auf dem Wert resp. Tauschwert beruhen, bedürfen keines Objekts im eigentlichen Sinne. Sie sind auf etwas fixiert, ohne sich fixieren zu müssen. Die Fixierung wird hier rein synthetisch durch die Handlungen vollzogen (Arbeit, Kauf, Vertrag etc.). Das Heilige hat sich nicht verflüchtigt, weil es sich völlig im Weltlichen aufgelöst hat. In den Metamorphosen des Kapitals ist die Transzendenz nichts Äußeres (z.B. ein Gott), sondern liegt in der Immanenz der Geschäfte und Praxen selbst. Dieser Fetisch erscheint überhaupt nicht oktroyiert, er kommt nicht hinzu, er ist schon da. Er verfügt über keine eigene Sphäre, denn er sitzt in allen gesellschaftlichen Bereichen und Sektoren. Dass wir nicht tauschen und handeln, nicht einkaufen und verkaufen, nicht Geld verdienen und ausgeben, nicht arbeiten und arbeiten lassen, kein Parlament wählen, keine Rechtsverträge abschließen, keine Staaten oder Nationen bilden, das alles scheint völlig abwegig zu sein. Man ist Fetischist, auch wenn man gegen das Geld oder gegen den Tausch ist. Da herrscht eine Begierde, die jeder zu haben hat.

Tauschwertfetischisten unterläuft die Fetischisierung, während Gebrauchswertfetischisten offen darauf setzen. Sie handeln beide, aber dem jeweiligen Handeln liegen unterschiedliche Bezüge zugrunde. Der Warenfetisch und sein ganzer Kosmos entfalteter Formen (Wert, Geld, Kapital, Zins, Recht, Staat, Nation) ist ein Fetischismus sui generis. Ja es stellt sich sogar die Frage, ob die Verwendung des gleichen Terminus nicht eher in die Irre führt, als etwas schlüssig zu klären. So vereinigt der Überbegriff in sich doch mehr, als möglicherweise eine seriöse Kategorie aushält. Die Vermengung völlig unterschiedlicher Fetischbildung bringt einiges durcheinander, man lese bloß Hartmut Böhme. Auch eine feinere Differenzierung von Fetisch, Fetischisierung und Fetischismus, wie sie in unserem Essay manchmal anklingt, wäre wohl erforderlich.

Synthese und Reflex

Der Gebrauchswert ist das existenzielle Ergebnis konkreter Arbeit. Der Wert hingegen ist die essenzielle Darstellung abstrakter Arbeit. Der Tauschwert ist die Form des Werts auf der Zirkulationsebene, wie dieser sich am Markt realisiert. Abstrakte Arbeit ist nicht Wert, sie schafft Wert. Wert ist Resultat lebendiger Arbeit als toter (= vergegenständlichter) im Produkt. Wert steckt im Produkt, weil abstrakte Arbeit im Produktionsprozess hineingesteckt wurde. Wert ist das Phantom abstrakter Arbeit, sie ist drinnen und auch nicht. Sie ist da, selbst wenn sie schon fort(gegangen) ist. Der Wert ist die Hinterlassenschaft abstrakter Arbeit, die sich nun am Markt realisieren muss, um als solche nicht nur gültig zu sein, sondern ebenso gültig gewesen zu sein.

Zweifellos gibt es ganz unterschiedliche Ebenen, wenn wir von den Ausformungen des Fetischismus sprechen. Der Waren- und Geldfetisch unterscheidet sich eben von den anderen, weil er seinen Trägern weitgehend unbewusst bleibt. Sie wenden ihn entschieden an, aber sie begreifen nicht, was sie dabei tun. Die Leute sollen wissen, wie es geht, alles andere braucht sie nicht zu interessieren. Betriebsanleitungen sind zu studieren. Das reicht. Wir vollziehen blind, erfüllen unsere Pflicht und fühlen uns dabei sogar mündig. Das, was wir unablässig tun, ist das, wovon wir am wenigsten verstehen, und das, obwohl wir alles kapiert haben. Aufmerksamkeit kapriziert sich auf die einzunehmende Funktion, wir sind nicht reflektiert, sondern reflexiv.

Beim Waren- und beim Geldfetisch wissen die Fetischdiener gar nicht mehr, dass sie Diener sind. Geld und Ware halten sie für schlichte Lebensmittel. Nur Übertreibungen erscheinen ihnen als fetischistisch. An den Formgesetzen des Tauschens und Arbeitens, des Kaufens und Verkaufens, da hegen sie keinen Zweifel, selbst wenn sie kein Bekenntnis ablegen. Das muss auch nicht unbedingt sein. Unterwerfung ist jenseits ihrer Wahrnehmung. Gerade das zeichnet den Fetischcharakter der Ware aus, macht ihn zu einem einzigartigen Phänomen. Mit dem Warenfetischismus ist somit nicht der Konsum- oder der Markenfetischismus gemeint – das sind lediglich okkulte Gebrauchswertfetischismen –, sondern die jeder Ware innewohnende Verkehrung, die Verzauberung abstraktifizierter Arbeitsquanta zu gesellschaftlichen Dingen, Wertdingen.

In diesem Beitrag ist jedenfalls nur von den Fetischen die Rede, die von der Wertvergesellschaftung konstituiert sind (Ware, Tausch, Geld, Kapital, Arbeit, Staat, Recht, Politik, Nation), also vom bürgerlichen Universum im engeren Sinne. Nicht ist die Rede von den Alltagsfetischismen, die allesamt auf Gebrauchswerte bezogen sind. Der Wert wiederum herrscht nicht bloß in der Ökonomie, er sitzt in allen Sphären, im Alltag, in der Politik, in der Ideologie. Er ist nichts Äußeres, sondern innerer Modus bürgerlichen Daseins. Im Waren-, Geld- und Kapitalfetisch betritt der Fetisch ein neues Terrain oder besser umgekehrt das neue Terrain verleibt sich den alten Fetischismus ein und transformiert ihn in seinem Sinne. Erstmals bezieht er sich auf keinen wie immer gearteten Gebrauchswert. Nicht ein konkreter Gegenstand, ein bestimmtes Symbol oder eine göttliche Imagination ist sein Ziel, sondern er konzentriert sich auf die realabstraktive Form, die Wertform.

„In diesem Fetischismus einer Vergesellschaftung der toten Dinge statt der lebendigen Menschen selbst, der das Wesen des ‚automatischen Subjekts‘ ausmacht, stellt sich ein Verhältnis von Form und substantiellem Inhalt her, das sowohl real als auch phantasmagorisch ist. Die konkrete menschliche Tätigkeit in der Umformung der Naturstoffe bleibt ungesellschaftlich und partikular (‚betriebswirtschaftlich‘), obwohl sie von vornherein nicht autark, sondern auf einen Zusammenhang allseitiger und wechselseitiger Abhängigkeit ausgerichtet ist. Die erst sekundäre Vergesellschaftung über den Markt macht zweierlei notwendig: Erstens wird die produktive Tätigkeit jeder konkreten Bestimmung entkleidet, also abstraktifiziert zur puren ‚Verausgabung von Nerv, Muskel, Hirn‘ (Marx) und erst dadurch zur abstrakten ‚Arbeit‘, um die qualitativ verschiedenen Tätigkeiten und Güter im Äquivalententausch kommensurabel zu machen; zweitens erscheint diese abstraktifizierte Verausgabung von menschlich-gesellschaftlicher Energie (in der durch den jeweiligen Produktivitätsstandard gültigen Quantifizierung) nunmehr, obwohl sie als realer Prozess bereits vergangen ist, als gesellschaftliche Eigenschaft und Substanz der Produkte – die wiederum durch die ausgesonderte ‚allgemeine Ware‘ des Geldes ihren Ausdruck in der Form des Geldpreises erhält.“ (Robert Kurz, Marx 2000, Der Stellenwert einer totgesagten Theorie für das 21. Jahrhundert, Weg und Ziel, 2/1999, S. 12)

Wir produzieren also Waren, d.h. für den Kauf bestimmte Produkte. Wir denken diese Waren nicht als gesonderte Form, ja wir denken gar nicht, wir handeln schlicht mit ihnen und durch sie. Wir verstehen nicht, was wir da tun, aber wir verstehen jede Menge, wie wir das anzustellen haben. Die Ware ist jedoch nur möglich als zerstörtes Gut, indem Nutzung bloß durch den Tausch ermöglicht oder verunmöglicht wird. Der Gebrauchswert ist in der Ware dem Wert untergeordnet.

Die Ware ist nicht real, weil Waren einfach reale Gegenstände sind (die sie als Gebrauchswerte auch durchaus sein können), die Waren sind real durch ihre stete Setzung als wertförmig vergleichbare Gallerten der Produktion in der Zirkulation. Da sich die Ware im Tausch realisiert, muss sie real sein, da sie sich – so der fetischisierte Glaube – ansonsten nicht realisieren könnte. Lebensmittel werden als Waren halluziniert, weil sie Wert besitzen. In dieser irren Welt funktioniert das Modell, weil alle in ihm verkehren und es betätigend bestätigen. Es regiert wahrlich ein tautologisches Realszenario.

Man mag das mit Alfred Sohn-Rethel Realabstraktion nennen. Es handelt sich dabei um eine Abstraktion, die sich aus der Handlung ergibt. Sie ist nicht Denken, sondern dem Denken vorausgesetzt. Es wird also synthetisch abstrahiert, nicht analytisch. Die Abstraktion entspricht der gängigen Alltagspraxis, nicht irgendeinem spezifischen Gedanken oder gar einer elaborierten Theorie. Diese Synthese tritt als Reflex auf, nicht als Reflexion. Und dieser meint, er sei Instinkt und Natur. Ohne Frage. Die Ausprägung eines Geschäftssinns erscheint nicht nur als Notwendigkeit des Kapitals, sondern als eine sinnliche Gewissheit der Welt.

Fetisch als „Instinkt“

„Der ‚Warenfetisch‘ ist vielmehr ‚dechiffrierbar‘ auf einer ‚menschlichen Basis‘: nämlich als Einheit von besonderem und allgemeinem Gebrauchswert, besonderem und allgemeinem Produkt, besonderer und allgemeiner Arbeit – somit von Individuellem und Überindividuellem, Sinnlichem und Übersinnlichem.“ (Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik, Freiburg im Breisgau 1997, S. 325, vgl. MEW 13, S. 33f.) Alle Gebrauchswerte haben gemeinsam, als Werte resp. Tauschwerte ausgedrückt zu werden. Das ist ihr vom Fetisch vorbestimmtes Schicksal, das sie zu erfüllen haben oder an dem sie scheitern werden.

Wenn Gebrauchswert auch Tauschwert sein soll, heißt das, jener genügt sich nicht mehr selbst, ist sich nicht mehr selbst gleich, sondern (auch) etwas anderes als er selbst. Der Gebrauchswert steht dann nicht für sich, sondern als Tauschwert für andere Gebrauchswerte. In der Ware wird dies Wirklichkeit. Und nur in der Ware. Diese Täuschung ist konstitutiv für die Ware, Grundlage des Tauschs: Das eine ist ebenso das andere, weil das eine im anderen ausgedrückt werden kann, ja muss. Der Gegenstand ist somit nicht mit sich selbst identisch, sondern auch mit allen anderen identisch, die den gleichen Kriterien folgen. Alles wird tauschbar.

„Bei der Verkehrung, die bereits die einzelne Ware auszeichnet, wird das Konkrete zum bloßen Träger des Abstrakten“, schreibt Anselm Jappe (Die Abenteuer der Ware, Münster 2005, S. 33). „Für Marx ist der Fetischismus nicht nur eine verkehrte Darstellung der Wirklichkeit, sondern auch eine Verkehrung der Wirklichkeit selbst.“ (Ebenda, S. 30) „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, dass sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge.“ (MEW 23, S. 86) Es ist die dingliche Form der Ware, die die gesellschaftlichen Prozesse verbirgt.

„Die Wertform des Arbeitsprodukts und die Wertbeziehungen, die im Austausch (Kauf und Verkauf) der Arbeitsprodukte als Ware hervortreten und bei entwickelter Warenproduktion auch schon über ihre Herstellung oder Nichtherstellung entscheiden, drücken keine Eigenschaften oder Beziehungen von Dingen, sondern, unter dinglicher Hülle versteckt, gesellschaftliche Beziehungen der bei ihrer Produktion in bestimmter Weise zusammenwirkenden Menschen aus.“ (Karl Korsch, Karl Marx [1938], Reinbek bei Hamburg 1981, S. 224) Das Mysterium liegt wohl darin, dass aus lebendiger Arbeit tote geworden ist, dass man den Gegenständen nicht Arbeit und Arbeitskraft ansieht, sondern nur noch das fertige Produkt eines Dinges bestaunt. „Der Produktionsprozess erlischt in der Ware. Dass in ihrer Herstellung Arbeitskraft verausgabt worden ist, erscheint jetzt als dingliche Eigenschaft der Ware, dass sie Wert besitzt.“ (MEW 24, S. 385)

„Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es. Es steht daher dem Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe.“ (MEW 23, S. 88) Sie tun etwas, wovon sie nichts wissen, mit einer Selbstverständlichkeit der Alleskönner. Sie ignorieren den Vorgang, weil sie ganz auf das Resultat fixiert sind. Wenn die Warenbesitzer handeln, wissen sie zwar nicht, was sie tun, aber sie wissen, was sie zu tun haben. Sie erledigen ihren Fetischdienst. Der Wert der Dinge scheint ihnen als Eigenschaft der Dinge vorgegeben, aber eben nicht als Folge abstrakter Arbeit, die in alle Waren eingegangen ist und in ihnen steckt. Der synthetische Vollzug des Fetischdiensts erscheint instinktartig, er ist für sie naturgegeben. Es ist eine Fetischisierung, von der sie gemeinhin nicht einmal ahnen, dass sie eine sein könnte.

„Sie [die Produzenten] sind in Verhältnisse gesetzt, die ihren mind bestimmen, ohne dass sie es zu wissen brauchen. Jeder kann Geld brauchen, ohne zu wissen, was Geld ist. Die ökonomischen Kategorien spiegeln sich im Bewusstsein sehr verkehrt ab.“ (MEW 26.3, S. 163) Jeder weiß, was Geld ist, und doch versteht es keiner. Das macht freilich nichts, solange es irgendwie funktioniert. Der Wert ist nicht verständlich, aber alle verstehen ihn zu betätigen; der Wert ist auch nicht wirklich, aber alle verstehen ihn realitätstüchtig zu verwenden. Die Mystifikationen werden ganz reell. Es gibt sie, weil wir uns danach richten. „Dass ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis sich als ein außer den Individuen vorhandener Gegenstand und die bestimmten Beziehungen, die sie im Produktionsprozess ihres gesellschaftlichen Lebens eingehen, sich als spezifische Eigenschaften eines Dings darstellen, diese Verkehrung und nicht eingebildete, sondern prosaisch reelle Mystifikation charakterisiert alle gesellschaftlichen Formen der Tauschwert setzenden Arbeit. Im Geld erscheint sie nur frappanter als in der Ware.“ (MEW 13, S. 34f.) Es ist daher auch so, dass „das Geld nicht Produkt der Reflexion oder der Verabredung ist, sondern instinktartig im Austauschprozess gebildet wird“ (MEW 13, S. 35). Dieser „Wareninstinkt“ versteht sich als Natur der Menschen. Das Ontische kann nur ontologisch gedacht werden.

Karl Marx’ Resümee: „Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion. Aller Mystizismus der Warenwelt, all der Zauber und Spuk, welcher Arbeitsprodukte auf Grundlage der Warenproduktion umnebelt, verschwindet daher sofort, sobald wir zu andren Produktionsformen flüchten.“ (MEW 23, S. 90)

Realillusion und Labyrinth

„Der Fetisch ist eine Realillusion“, schreibt John Holloway. „Die Überwindung der Fetischisierung bedeutet, die Trennung von Tun und Getanem aufzuheben.“ (Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen, Münster 2002, S. 90) „Fetischismus ist ein Prozess der Fetischisierung“, sagt er (S. 108), der Fetisch muss aktiv hergestellt werden, damit er als stets vorhanden und sich allmächtig erweist.

Die Macht, der wir ausgeliefert sind, ist eine, die wir selbst erzeugen. Der Fetisch ist keine objektive Kraft, sondern eine verobjektivierte Aufladung, die aber als objektive Kraft wirkt. Seine Potenz ist ausschließlich eine von sich ausliefernden Subjekten, die diese Unterwerfung im Schlaf beherrschen. Wir können nicht anders, weil wir permanent so handeln, als ob wir nicht anders könnten. Und für diese Welt stimmt das auch. Solange wir an sie glauben oder besser uns an ihren Modus halten, bewegen wir uns richtig im Falschen und füttern mit all unseren Handlungen die tautologische Wertverwertung. Der objektivierte Zwang ist nichts ohne die Arbeit der Subjekte für ihn. Sie ist die Alltagserfahrung, die sich wiederum betätigend bestätigt. Wir leben nicht unser Leben, sondern wir sind das Personal einer Matrix. Unsere tägliche Anästhesie gib uns heute.

Natürlich stellt sich der Fetischismus nicht durch den Fetisch her, sondern durch die Fetischisierung. Indes, Fetischisierung ist keine Aktion, die wir einfach tun oder lassen könnten, ja sie ist nicht einmal eine Aktivität, sondern Reaktivität eines absurden Daseins. So erscheint sie als eine unmittelbare und stets notwendige Reproduktion des Lebens und nicht als dessen Usurpation. Wie sollen nun aber die Leute mit etwas aufhören, von dem sie gar nicht wissen, dass sie es tun? Sich Aktivitäten abzugewöhnen ist zweifellos leichter als Reflexen nicht mehr zu entsprechen. – Hm. Man spürt es direkt, bei jeder Formulierung und bei jeder Korrektur, der Autor ist vorerst im Labyrinth gelandet.

Schein als Meditation

Machen wir eine Pause und betrachten wir einen Geldschein. Welche Kraft hat er? Nun, er hat die Energie, die wir ihm verleihen. Die Kraft zu kaufen, sprechen wir ihm zu und als Verkäufer und Käufer halten wir uns daran, akzeptieren diese Potenz als seine. Wir wissen, was wir gar nicht zu denken brauchen. Unsere Zueignungen sind Folge und Resultat des Fetischs, den wir uns angeeignet haben. Ohne ihn geht nichts. Unsere Kraft ist unsere Kaufkraft, unser Vermögen unser Geldvermögen. So leben wir und so erleben wir uns.

Der Geldschein vor uns ist eben kein Fetzen Papier, auch wenn er nichts anderes ist. Er ist das zentrale Mittel, das Medium unseres Daseins. Er erst macht möglich, was wir auch so bewerkstelligen könnten, aber ohne Dienst am Fetisch uns nicht zugestehen dürfen, da es weder obligat noch zulässig ist, ohne seinen Beistand über unsere Leistungen und Produkte frei zu verfügen.

Derweil, der Fetisch ist, was die Produktion betrifft, nicht nötig – er ist kein Rohstoff, kein Werkzeug, keine Tätigkeit, keine Fertigkeit; er ist auch nicht nötig zur Distribution – er ist kein Lastkraftwagen, keine Lagerhalle, keine Logistik; er ist auch nicht nötig zur Konsumtion – er ist keine Speise, kein Getränk, kein Gusto, kein Genießen, keine Geselligkeit. – Wozu also?

Trotzdem beherrscht dieses Nichts alles. Trotzdem sitzt dieses Nichts tief in uns, ist nicht aufgesetzt, sondern unablösbar, eingebettet, verhaftet allen Erlebnissen wie Ergebnissen. Der Fetisch ist nichts, aber er kann alles: Er baut Gebäude und Straßen, erntet Felder und Gärten, transportiert Kühlschränke und Waschmaschinen, montiert Heizungen und WC-Anlagen, pflegt Alte und versorgt Kinder. Ohne Fetisch ginge das doch alles nicht! – Oder?

Täglich beweist er uns, was er alles kann und dass wir ohne ihn nichts können. Vor solcher Macht muss man sich verneigen. Tief bückt man sich und erweist ihm die Ehre, indem man fast alles über ihn und nicht ohne ihn erledigt. – Warum?

Indirekte Vergesellschaftung

Fetischismus meint nicht: Wie dienen und bedienen wir einander und damit auch uns selbst?, sondern Wie dienen und bedienen wir ein Drittes?. Erst darüber kann das, was wir voneinander brauchen, was wir herstellen und leisten, überhaupt vermittelt werden. Fetischdienst bedeutet, dass alle Wege über diesen Götzen zu führen haben. Wir beziehen uns nicht auf uns, sondern wir beziehen uns auf uns via!

Was wir für die anderen haben oder von ihnen wollen, das geben und nehmen wir nicht unmittelbar, nein, wir überlassen es zwischenförmlich einer äußeren Instanz (die doch das innerste Wesen unserer Charaktermaske ist), damit es dort beurteilt und genehmigt, vor allem aber der Wert realisiert wird. Erst anschließend darf es zum Empfänger, der den Tauschwert in Form des Geldes in der Höhe des Preises zu entrichten hat. Dieses Dritte, das uns innere Äußere ist die Form der gesellschaftlichen Kommunikation selbst. Wir denken und fühlen in ihr. Käufer und Verkäufer wissen nicht, dass sie sich auf Ware und Geld kaprizieren, auch wenn sie das stündlich tun. Es ist ihnen ganz so, als atmeten sie Luft oder als tränken sie Wasser.

Da wir alle dem Fetisch huldigen, sind wir uns alle gleichgültig. Sämtliche Besonderheiten und Bedürfnisse sind lächerlich gegen die Kaufkraft genannte Energie des Werts. Wir verkaufen dem das Produkt und die Leistung, der sie zahlen kann. Das ist unser Kriterium. Es ist ganz unabhängig von Bedürfnissen und Lebensnotwendigkeiten. Davon wollen die Leute vielleicht als Menschen wissen, als Warenbesitzer ist ihnen das völlig egal. Das haben sie zu ignorieren. Das geht sie als Warenhüter nichts an. Dass darin die eigentliche Verrücktheit liegt, das kann den bürgerlichen Subjekten keine Sekunde kommen. Wie denn auch, ist ihre Konstitution doch auf der Grundlage von Wert und Tausch zustande gekommen.

Wer einem Hungernden Brot nur gegen Geld gibt, ist doch kein Irrer, oder? Wer Korn und Butter, Obst und Fleisch in den Müll kippt, ist doch kein Irrer, sondern kalkuliert bloß die Preise, die sonst in den Keller fahren würden. Und so weiter, und so fort. Derweil ist es doch vielmehr irre, Menschen verhungern zu lassen und Lebensmittel absichtlich zu vernichten. Und ist es nicht ebenfalls verrückt, Verträge abschließen zu müssen, um überhaupt Sicherheiten zu erlangen? Was hindert uns daran, sich einfach ohne Vertrag zu vertragen? Blöde Fragen sind das, wo doch klar ist, dass ohne die Fetischisierung des Vertragens durch einen Vertrag wir uns nie und nimmer vertragen würden.

Nicht Menschen erkennen sich an, sondern Geld- und Warensubjekte nehmen sich wahr. Die Ideologie sagt uns stets, dass wir, die selbstbestimmten Verfüger, über das Verfügte verfügen, nicht dass die Verfügung über das Verfügte die Verfüger bestimmt, das muss erst Ideologiekritik leisten. Das bürgerliche Subjekt trägt vor sich her das Postulat des freien Willens, es hält sich tatsächlich für ein selbstbestimmtes Individuum, wo es doch gerade dieses nicht ist. Das ist einer der Grundirrtümer von Demokratie und Kapitalismus.

Fetischismus bedeutet, dass Menschen sich nicht selbst akzeptieren, sondern dinglicher oder symbolischer Konstrukte bedürfen, um miteinander und auch zu sich selbst in Beziehung treten zu können. Ihre Anerkennung erfolgt nicht direkt, von Du zu Du, sondern durch die von jenen objektiv oktroyierten wie subjektiv realisierten Formen. Menschen schätzen nicht Menschen, sondern Verkäufer und Käufer schätzen Werte oder profaner: Kosten. Im bürgerlichen Geschäft haben jene als Charaktermasken des Kapitals aufzutreten und entsprechend zu handeln. Der Fetisch muss bedient werden. Und fetischistisch ist alles, was sich auf die Waren- und Geldform bezieht. Wir denken den Wert nicht mit, wir denken im Wert.

Projektion und Umkehrung

Wir haben es zu wissen: Gott ist keine Spekulation, sondern gegeben, die Ware ist kein besonderes Gut, sondern von ewiger Gültigkeit, dass sie mit Wert ausgestattet ist, ist eine natürliche Eigenschaft. Geld entspringt demnach aus den Dingen selbst, nicht aus den Produktions- und Zirkulationsverhältnissen, unter denen Waren und Dienstleistungen hergestellt und angeboten werden.

Die Projektion alleine jedoch macht noch keinen Fetischismus. Fetischistisch wird die Projektion erst, wenn diese nicht als solche, sondern umgekehrt das Projektierte als Projektor wahrgenommen wird, wenn sich also die Projektion an das und im Resultat verliert und es nunmehr so scheint, als sei dieses der Ausgangspunkt. Der Fetischismus ist eine Fiktion, in der sich die Fiktionalisierung umkehrt: Nicht wir erschaffen sie am Objekt, sondern das Objekt erzeugt sie an uns. Wir korrumpieren uns selbst, indem wir die Magie nicht als unsere Kraft, sondern als eine äußere Instanz setzen, freilich als eine geschmeidige und schlüssige Größe, deren Attraktion wir uns einfach nicht entziehen können. Aktiv und Passiv geraten nicht nur durcheinander, sie sind nicht mehr richtig ausnehmbar. Auch dahingehend macht die Rede vom „automatischen Subjekt“ (Marx) durchaus Sinn. Entsprungen unserer Phantasie, scheint der Fetischismus geradewegs umgekehrt in diese gesprungen zu sein. Wir können uns nicht vorstellen, dass wir uns das vorstellen. Aber ebenso: Wir können uns nicht vorstellen, dass wir uns das nicht vorstellen.

Was haben Waren gemeinsam? Doch nicht, dass sie Dinge sind, ja nicht einmal Gebrauchsgegenstände, sondern dass sich in ihnen menschliche Arbeit kristallisiert. Abstrakte Arbeit ist es, die sie alle auszeichnet und vergleichbar macht. In den Waren werden letztlich menschliche Verhältnisse gleichgesetzt, nicht dingliche Eigenschaften. Die Ware ist kein krudes Ding, keine profane Sache, die Ware ist ein gesellschaftliches Verhältnis, dem keins auskommen kann. Jedes bewegt sich als solches in ihr. Wir schaffen und realisieren Wert, somit Ware. Fast alle Begehrlichkeiten kleiden sich in ihrer Form oder werden zumindest in irgendeiner Weise von ihr berührt. Wir denken in dieser Form. Wir sind diese Form.

Was falsch ist, ist auch richtig: Nicht wir beherrschen Fetische, nein, die Fetische beherrschen uns. Wir liefern uns ihnen nicht bewusst aus, aber wir sind ausgeliefert. Und in dem von uns besprochenen Fall, ohne es zu wissen, ja ohne es zu ahnen. Obzwar der Fetischist den Fetisch kreiert, betätigt er sich in diesem Prozess nur als dessen Kreatur. Er verwirklicht alles, aber nimmt nichts wahr, er ist Meister einer Technik, von dessen Programm er keine Vorstellung hat, dessen Register er aber als Praktiker und Experte zu bedienen versteht.

Die Dinge haben nichts, was wir ihnen nicht geben. Wir sind es, die mit unseren Projektionen die Gegenstände erschüttern, doch im Fetischismus erscheint es so, als erschütterten die Dinge uns. Der Waren- und Geldfetischismus ist eine projektive Leistung, die aber dem Projektor, soweit überhaupt, als konstitutive Leistung des Objekts erscheint. Im Fetischismus werden Absender und Adressat permanent vertauscht. Wäre das nicht der Fall, würde sich das Problem gar nicht als elementares stellen, sondern lediglich eine Debatte über Suggestionskräfte und ihre Potenzen, ihre Schwierigkeiten und Grenzen auslösen. Keine Spur davon.

Verzauberung als Säkularisierung

Das Abgefeimte des Kapitalfetischs ist nun dessen verwegene Unterstellung, dass in ihm und durch ihn und mit ihm die Vernunft in die Welt gekommen sei. So prahlt die bürgerliche Welt mit einem Vorurteil, das fast alle glauben: Rational, das sind wir, irrational, das sind die anderen. Selbst wenn Letzteres in vielen Fällen (historisch wie aktuell) stimmt, heißt das noch lange nicht, dass die Selbsteinschätzung nicht ebenso irr ist, ja in ihrer Wirkmächtigkeit sogar noch irrer als alles andere. Der moderne Rationalismus ist selbst als eine Variante des Irrationalismus zu entziffern, nicht als der Schritt aus diesem heraus, wie alle Apologeten der Aufklärung dies verheißen. Womit nicht gesagt werden soll, dass der richtige Rationalismus erst anstünde. Das Ziel ist, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, nicht, eine Welt auf Ratio und Rationen aufzubauen.

Dass gerade die kapitalistische Rationalität das dichteste Netzwerk der Verzauberung sein soll, das darf nicht sein. Wir leben doch nicht im Mittelalter, wo alle an den vorgegebenen Gott glauben und seinen irdischen Handlanger gehorchen mussten. Und doch, wir leben in diesem. Die Profanisierung Gottes in der praktischen Vernunft des Werts ist dessen Fortsetzung, nicht dessen Überwindung. Keine These ist wohl so falsch wie die Max Weber’sche von der „Entzauberung der Welt“. Der Zauber wurde bloß transformiert, aber dieser Zauber ist mächtiger als alle seine Vorgänger.

Die These der Säkularisierung ist eine zentrale Schutzbehauptung der Modernisierung und ihrer Bataillone (Aufklärung, Arbeiterbewegung, Liberalismus, Demokratie, Rechtsstaat, Zivilgesellschaft etc.). Sie legt falsche Fährten, um die Spuren zu verwischen. Der Wert braucht kein gesondertes Jenseits mehr, weil das Jenseits längst im Diesseits angekommen ist und hier als Selbstverständlichkeit und nicht als Besonderheit gilt. Das unterscheidet diesen Fetischismus auch von seinen Vorgängerinnen, den Religionen.

Dem Bürgerlichen ist nichts mehr unheilig, weil ihm alles heilig geworden ist. Alles muss den Segen des Geldes haben, was meint, an ihm definiert und differenziert werden. Der auf dem Wert aufbauende Fetischismus verfügt über keine religiöse oder räumliche, zeitliche oder sexuelle oder irgendeine andere Sonderzone. So betrachtet erweist sich die Säkularisierung der Welt als ihr schieres Gegenteil. Papst und Kaiser sind im Bürger eins geworden. Nicht einmal Glaubensfanatiker verbringen so viel Lebenszeit beim Fetischdienst wie die bürgerlichen Subjekte an ihren vom Wert geprägten Geschäften und Erledigungen. Galt es früher den Fetischen zu opfern, so ist nun das ganze Leben dem Fetisch geopfert. Der Großteil unserer Existenz besteht darin, Dienst an Ware und Geld zu versehen.

Nichts ist so diesseits wie dieser jenseitige Fetisch und nichts ist so jenseits wie dieser diesseitige Fetisch. Das Jenseits wurde im Diesseits aufgehoben, so dass sie beide gar nicht mehr als gesonderte Erscheinungen wahrgenommen werden können. Und die, die sich ernsthaft dazu äußeren, wirken oftmals als Sonderlinge. Gemeinhin gilt: Leute die über das Irre irre reden, können nur irre sein. Indes umgekehrt: Leute, die über das Irre nicht irre reden, können nur Irre sein.

Entzauberter Zauber

Es läuft ja immer wieder auf die gleiche Konsequenz raus: Der Warenfetisch und sein Universum vulgo Kapitalismus ist zu entsorgen. Was mit den diversen Fetischen des Alltags geschieht, ist eine Frage konkreter Sichtung und selbstbestimmter Hantierung. Das Spiel könnte demnach der vom Fetischismus befreite Fetisch sein. Die Fetischisierung würde somit lediglich als Varianz des Lebens fungieren, nicht aber als Verstetigung einer Form. Im Prinzip geht es um eine entschiedene Zurichtung der Fetische für individuelle Zwecke. Aber auch jene sind umgehbar und hintergehbar zu machen, die Subordination hat sich zu kehren, die Abhängigkeit ist zu lösen. Die Dinge haben für uns da zu sein, nicht wir für die Dinge. Es darf ja nicht davon ausgegangen werden, dass die Gebrauchswerte im Gegensatz zum Wert tüchtige Gesellen seien. Es gilt sie sehr genau zu inspizieren. Selbstverständlich werden nie alle Pathologien auszuscheiden sein.

Das Problem ist nicht, dass wir magische Bezüge zu Sachen und Personen, zu Verhältnissen oder Eigenschaften entwickeln, das Problem ist, dass diese Beziehungen über uns verfügen und wir ihnen unterworfen sind, ohne dass wir es merken. Wir sind sowohl befangen als auch gefangen. „So leben die Agenten der kapitalistischen Produktion in einer verzauberten Welt, und ihre eignen Beziehungen erscheinen ihnen als Eigenschaften der Dinge, der stofflichen Elemente der Produktion.“ (MEW 26.3, S. 503)

Der Fetischismus hat wenig mit sinnlicher Fülle des Lebens zu schaffen, aber er schafft doch eine Form von Kompensation. Das trifft auf alle Fetischismen zu. Sie vermitteln das kleine Glück im großen Unglück, sie sind die beschränkten Gärten der Lust und in vieler Hinsicht notwendig. Sie den Menschen zu vermiesen oder gar wegzunehmen macht diese nicht glücklicher. Geld zu haben macht zwar auch nicht glücklich, aber in einer Gesellschaft, in der eins Geld haben muss, macht Geld zu haben glücklicher, als kein Geld zu haben. Auch Recht zu haben macht glücklicher, als kein Recht zu haben, und Staatsknete zu erhalten macht glücklicher, als keine zu bekommen. Und bei einem Geschäft abzucashen macht glücklicher, als seine Arbeitskraft nicht verkaufen zu können. Und so weiter, und so fort.

Der glücklicheren Unglücke sind gar viele. „Kein Glück ohne Fetischismus“, hält Theodor W. Adorno in seiner Minima Moralia fest. (GS 4, S. 137) Wie unglücklich muss eine Gesellschaft jedoch sein, für die diese Aussage weitgehend stimmt. Ohne jene Kompensation könnten wir freilich diese Welt nicht ertragen, aber dass wir sie vielleicht gerade deswegen aushalten, hat schon was von einer planetarischen Tragikomödie.

„Die Seligkeit von Betrachtung besteht im entzauberten Zauber. Was aufleuchtet, ist die Versöhnung des Mythos“, schreibt Adorno (GS 4, S. 256). Der Zauber soll nicht verschwinden, sondern in unseren Händen zu liegen kommen. Zauber müsste in der bezaubernden Welt als Zauber gelten und seinen Platz haben. Wir sind die Zauberer!

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