Tea Party: Extremismus der Mitte

Der Haushaltsstreit in den USA illustriert den zunehmenden Einfluss rechtsextremer Kräfte innerhalb der Republikanischen Partei

Tomasz Konicz

Der haushaltspolitische Super-GAU konnte in Washington abermals in allerletzter Minute abgewendet werden. Hunderttausende von Staatsangestellten mussten am 17. Oktober wieder an ihren Arbeitsplätzen erscheinen, nachdem das amerikanische Repräsentantenhaus mit 285 zu 144 Stimmen für einen Kompromissvorschlag stimmte, der den wochenlangen Streit zwischen Republikanern und Demokraten um die Anhebung der Schuldenobergrenze beendete (Krise aufgeschoben: Kompromiss im US-Haushaltsstreit).

Die neue Regelung ermöglicht es der US-Regierung, die Defizitbildung bis zum 7. Februar weiter zu betreiben, während zugleich eine paritätisch besetzte Kommission des Abgeordnetenhauses und Senats bis Mitte Dezember einen Kompromissvorschlag für den laufenden Staatshaushalt ausloten soll. Sollte diese Kommission keinen tragfähigen Vorschlag ausarbeiten können, bei dem sowohl die demokratischen Forderungen nach Steuererhöhungen wie das Beharren der Republikaner auf Haushaltskürzungen berücksichtigt würde, droht eine Wiederholung dieses haushaltspolitischen Kräftemessens schon im Januar (Die amerikanische Lösung heißt vertagen).

Dieser Aufschub des Dauerstreits zwischen Republikanern und Demokraten wird von politischen Kommentatoren gemeinhin als ein Sieg von Präsident Barack Obama gewertet, der den Erpressungsversuchen der extremen Rechten innerhalb der republikanischen Partei kaum nachgab. Die Republikaner hatten weitgehende Einschnitte in das wichtigste innenpolitische Projekt Obamas, in die bereits 2009 unter heftigen Auseinandersetzungen verabschiedete Gesundheitsreform gefordert (Die verscherbelte Gesundheitsreform). Nun musste John Boehner, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, das Scheitern dieser aggressiven Erpressungsstrategie in einer rechtspopulistischen Radioshow eingestehen: „Wir haben gut gekämpft – und verloren.“

Es stellt sich nur die Frage, ob es „die Republikaner“ als eine einigermaßen geschlossene politische Formation noch überhaupt gibt, da der jüngste Haushaltsstreit enorme ideologische Verwerfungen in der Partei offenlegte. Traditionell sind bei den Republikanern vor allem diejenigen Kräfte tonangebend gewesen, die sich auf eine rücksichtslose Vertretung der Interessen von Wirtschaftskonzernen und der reichen Oberschicht konzentrieren. Doch in den vergangenen Jahren gewann die extreme Rechte immer mehr an Einfluss Amerikas rechtsextremer Mainstream. Symptomatisch für diesen Rechtsumschwung ist das Abstimmungsverhalten dieser Rechtspartei bei dem jüngsten Haushaltskompromiss: Nur 87 republikanische Abgeordnete folgten ihrem Sprecher Boehner und stimmten für die Anhebung der Schuldengrenze – die Mehrheit der Partei verweigerte sich der „moderaten“ Parteiführung.

Das sich abzeichnende Schisma in der US-Rechten belegt eine jüngst veröffentlichte Umfrage des Pew Research Center. Demnach sank die „positive Einschätzung“ der rechtsextremen Tea-Party-Bewegung bei gemäßigten Republikanern von 46 Prozent im Juni auf nur noch 27 Prozent. Auch die Zustimmungswerte des neuen Shootingstars der extremen amerikanischen Rechten, des texanischen Senators Ted Cruz, verschlechterten sich innerhalb des gemäßigten republikanischen Lagers: Vor vier Monaten beurteilten nur 16 Prozent dessen Arbeit negativ, nun sind es schon 31 Prozent. Bei der Anhängerschaft der Tea-Party scheint sich Ted Cruz hingegen als neue Führungsfigur zu etablieren. Rund 74 Prozent der extremen Rechten beurteilt die Politik des texanischen Senators, der den Kampf der Rechten gegen Obamas Gesundheitsreform beim jüngsten Haushaltsstreit anführte, positiv, vor vier Monaten waren es nur 47 Prozent.

Rechtsextreme Teile der Republikanischen Partei sind außer Kontrolle

Die Washington Post wählte jüngst drastische Vergleiche, um diese anhaltende Rechtsentwicklung in der republikanischen Partei zu illustrieren. Die Tea-Party führe regelrechte „Säuberungen“ durch, die an die Ausschaltung oppositioneller Kräfte während der großen stalinistischen Schauprozesse erinnere:

„Genauso wie die Stalinisten und Jakobiner haben die Eiferer der Tea-Party ihre Bewegung gesäubert – nicht durch Exekutionen, aber durch Verbannung all derjenigen Republikaner, die nicht ihren Enthusiasmus für die Verschrottung des Landes teilen, wenn sie die Mehrheit nicht dazu kriegen können, ihren Überzeugungen zu folgen.“

Dieser extremistischen Logik zufolge gebe es heute zwar „weniger, dafür aber bessere Republikaner“, so die Washington Post. Ein offensichtliches Symptom für die anhaltende Rechtsentwicklung besteht in der Distanzierung des rechten Flügels von den früheren Führungsfiguren der Partei, die nun als zu „weich“ und kompromissbereit gelten. Der „harte rechte Kern“ sehe Politiker wie den ehemaligen Präsidenten George W. Bush, den Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney oder den republikanischen Senator McCain als „irritierende Überreste einer leisetreterischen Vergangenheit“. Stattdessen würden nun Gestalten wie Ted Cruz, Rand Paul, Michele Bachmann und die unvermeidliche Sarah Palin dominieren.

Die Auseinandersetzungen zwischen dem Wirtschaftsflügel der Republikaner und den rechten Hardlinern wurden auch an den mehrmaligen Aufforderungen zur Beendigung der rechten Blockadehaltung durch amerikanische Wirtschaftsverbände deutlich. Wichtige Finanziers der Republikaner aus der Wirtschaft wie die U.S. Chamber of Commerce, die National Association of Manufacturers und die National Retail Federation haben ohne Erfolg auf ein Ende des jüngsten Haushaltsstreits gedrängt. Somit befindet sich ein rechtsextremer Teil der republikanischen Partei offensichtlich außer Kontrolle.

Inzwischen deuten einige dieser Wirtschaftsverbände an, bei künftigen Wahlen sogar Konkurrenten der Tea-Party-Politiker zu finanzieren, um so deren Dominanz zu brechen. Die heutigen Republikaner würden nicht mehr „für die Wall Street oder Main Street“ sprechen, sondern den „Ressentiments“ Ausdruck verleihen, die eine verunsicherte weiße Mittelschicht umtreiben, schlussfolgerte die Post.

Kriseniedeologie der zerbrechenden weißen Mittelschicht

Tatsächlich handelt es sich bei der neu aufkommenden Ideologie der extremen amerikanischen Rechten um eine regressive und irrationale Verarbeitung von Krisenängsten, die mit einem zunehmenden Rassismus in der erodierenden weißen US-Mittelsicht angereichert wird. Im Hass auf die als „allmächtig“ empfundene US-Regierung kommt die Ohnmacht zum Vorschein, die angesichts der unkontrollierbaren Krisendynamik und der damit einhergehenden sozialen Verwüstungen viele amerikanische Vorstädte erfasste.

Man will zurück in eine idyllisch ausgemalte Vergangenheit, die es eigentlich nie gab. Den sich beschleunigenden Abstieg der weißen Mittelschicht will die Tea-Party aufhalten, indem die in dieser „Mitte“ bestehenden ideologischen Anschauungen ins Extrem getrieben werden: Die irrationale Zuspitzung der neoliberalen Litanei von Selbstverantwortung, Leistungswillen, Unternehmergeist und Regierungsskepsis bildet den eigentlichen Kern der Tea-Party-Ideologie.

Es ist somit ein klassischer „Extremismus der Mitte“, bei dem die im Mainstream herrschenden weltanschaulichen Vorstellungen ins Extrem getrieben werden, der sich in Reaktion auf die Krisenverwerfungen der US-amerikanischen Rechten bemächtigt. Was den US-Wirtschaftsverbänden in ihrer eigenen traditionellen Partei urplötzlich feindlich gegenübertritt, ist das extreme Resultat jahrzehntelanger neoliberaler Indoktrination, die gerade von diesen Wirtschaftsverbänden maßgeblich gefördert wurde. Die Tea-Party benutzt die Polemik gegen Steuererhöhungen und „Big Government“ nicht rein taktisch, um sich geldwerte Steuer- und Standortvorteile zu verschaffen, wie es die amerikanische Wirtschaftslobby tut. Die rechten Hardliner glauben tatsächlich daran, dass der Kapitalismus wieder reanimiert würde, wenn der Staat weitestgehend zerschlagen und jedwede Daseinsvorsorge einfach den betroffenen Menschen selbst überlassen würde.

„Es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur Individuen.“ Die Tea-Party will diese Parole Margret Thatchers praktisch realisieren. Hinzu kommt ein wiederauflebender Rassismus in dieser angstschwitzenden weißen Mittelschicht, die sich mit den demografischen Veränderungen in den USA nicht abfinden kann.

Folglich kann die Einschätzung, wonach Obama als der große Sieger des jüngsten Kräftemessens gilt, nur bedingt aufrechterhalten werden. Obama gelang es zwar, eine Offensive der Rechten abzuwehren. Zudem schienen die Republikaner aufgrund ihrer Erpressungsstrategie enorme Popularitätsverluste hinnehmen zu müssen, die sogar Auswirkungen auf die kommenden Wahlen 2014 haben könnten.

Langfristige Rechtsverschiebung des gesamten politischen Spektrums

Doch zugleich gelten auch die Vertreter der extremen Rechten als die großen Sieger des Haushaltsstreits. Das Wall Street Journal sieht im texanischen Senator Ted Cruz, der maßgeblich zur Eskalation des jüngsten Haushaltsstreits beigetragen hat, einen „Helden der Tea-Party-Rechten“, der nun eine „Plattform für seine Präsidentschaftskandidatur“ geschaffen habe. Der gemäßigte John Boehner sei hingegen „von seiner eigenen Fraktion zusammengeschlagen“ worden, und es stelle sich die Frage, „wieso er überhaupt noch seinen Job haben will“, so das Wall Street Journal wörtlich.

In den Vereinigten Staaten wächst somit eine extremistische Rechte heran, die bei einem künftigen Krisenschub als zentrales politisches Sammelbecken für abgestürzte und verängstigte Mittelschichtangehörige fungieren könnte. Der in dieser Bewegung praktizierte „Extremismus der Mitte“ könnte so zu einer dominierenden Krisenideologie werden und in den USA einen ähnlichen Aufstieg dezidiert rechtsextremer Parteien ermöglichen, wie er sich gerade in Europa vollzieht.

Schließlich muss dieser eine „Sieg“ der Demokraten auch in den Kontext einer langfristigen Rechtsverschiebung des gesamten politischen Spektrums in den USA eingeordnet werden. Seit der „neoliberalen“ Revolution, die durch Ronald Reagan in den 1980er Jahren losgetreten wurde, hat sich das gesamte gesellschaftliche Klima in den USA fundamental geändert. Bestes Beispiel dafür ist etwa die Politik des demokratischen Präsidenten Obama, der beispielsweise weiterhin das Lagersystem in Guantanamo aufrechterhält, oder ein globales Programm extralegaler Tötungen durch eine Hightech-Drohnenflotte betreiben lässt. Die Rechte mag eine Schlacht verloren haben, den Krieg hat sie hingegen längst gewonnen. Die neoliberale kapitalistische Ideologie hat – genauso wie die kapitalistische Wirtschaft – längst einen totalitären Sieg gegen jedwede Dissidenz oder Abweichung errungen. Nun zerbricht sie an ihren Widersprüchen und geht in offenen Irrationalismus und Wahn über.

Doch dies ist nun wirklich keine genuin amerikanische Tendenz. Die Vereinigten Staaten fungieren aufgrund der weiter fortgeschrittenen Krisenprozesse (etwa bei der Deindustrialisierung weiter Landstriche) nur als ein Frühindikator, der die USA auch zu einer idealen Projektionsfläche für Ressentiments macht. Ähnliche Prozesse einer langfristigen Rechtsverschiebung des gesamten politischen Spektrums, die einen Extremismus der Mitte hervorbringen, charakterisieren auch die politische Entwicklung in der Bundesrepublik (Die Neue Mitte ist rechts), wo die „Alternative für Deutschland“ bestrebt ist, letztendlich die Rolle einer deutschen „Tea-Party“ einzunehmen.

Telepolis 27.10.2013

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