Es ist ja nur ein Tier…

Das macht sie den Kindern lieb und ihre Betrachtung selig

von Ricky Trang

Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze, Japaner glichen Tieren, etwa Affen, enthält bereits den Schlüssel zum Pogrom. Über dessen Möglichkeit wird entschieden in dem Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tiers den Mensch trifft. Der Trotz, mit dem er dieses Bild von sich schiebt – es ist ja bloß ein Tier – wiederholt sich unaufhaltsam in den Grausamkeiten an Menschen, in denen die Täter das ‚nur ein Tier‘ immer wieder bestätigen müssen, weil sie es schon am Tier nie ganz glauben konnten.

Die früher vermeintlich so klare Grenze zwischen Mensch und „Tier“ wird seit langem immer brüchiger und durchlässiger. Wissenschaftler entdecken bei immer mehr nichtmenschlichen Tieren Fähigkeiten, die früher ausschließlich dem Menschen zugeschrieben wurden. Geschehen ist es um das Monopol der Spezies Mensch auf Symbolisierungsfähigkeit und Erotik, Lachen, Lüge, Werkzeugverwendung oder die Selbsterkennung im Spiegel. Vorbei ist es mit der Mär vom Menschen als Krone der Schöpfung.

Doch auch wenn die Debatte um die (Nicht-)Differenz von Mensch und „Tier“ theoretisch immer anspruchsvoller und die moralischen Ansprüche auch gegenüber anderen Tieren immer höher werden, so findet dies im kollektiven Verhalten nichtmenschlichen Tieren gegenüber praktisch keinen Niederschlag.

Die Alltagspraxis der Konsumption von tierlichen Körperteilen, ihre geschichtliche Permanenz und Totalität lassen eine kritische Reflexion kaum zu – zu habitualisiert ist das Bewusstsein, zu eingeschliffen das Verhalten gegenüber anderen Tieren als einer Verfügungsressource für menschliche Zwecke, zu immun die soziale Ordnung der Mensch-„Tier“ Beziehung gegenüber Einwänden und Veränderungen.

Werfen wir also einen Blick auf den ideologischen Ballast, der auf dem kollektiven Unbewussten unserer „Zivilisation“ lastet.

Das Tier-Konstrukt

Im Griechischen war das Tier noch zoon, das Lebewesen, und schloss den Menschen mit ein, und noch im Lateinischen war es animal, das Lebende, die anima, der Atem einte den Menschen und die anderen Tiere.

Das „Tier“ ist eine fiktive Kategorie. Es existieren tausende höchst unterschiedliche Spezies, einer von denen nach biologischer Taxonomie unzweifelhaft auch die Menschen zuzurechnen sind. Die Idee, die Spezies Mensch als gleichberechtigtes Pendant den abertausenden voneinander grenzenlos verschiedenen Tierarten gegenüberzustellen und diese abertausenden so zu behandeln, als verkörperten sie einen einzigen Typenblock tierischen Daseins, ist einfach anthropozentrischer Größenwahn. Im gesellschaftlichen Allgemeinverständnis meinen Mensch und „Tier“ gegen alle Empirie und Logik etwas Grundverschiedenes, teilweise sogar Gegensätzliches. „Das Tier“ wird zum Konstrukt, zu einem diffusen Sammelbegriff, zu einer Negativ-Projektionsfläche und einem Repräsentanten für das Andere und Minderwertige.

Damit die ständigen Misshandlungen und Tötungen alltäglich werden können und die dafür erforderliche psychohygienische Entlastung zu gewährleisten ist, wird „das Tier“ auf die Körperlichkeit, auf ein jede Subjekthaftigkeit entbehrendes Stück lebende Materie reduziert.

Was ein Mensch ist, lernen wir – unter anderem –, wenn wir an einem Tisch zum Essen sitzen. Wir sind rund um den Tisch und sie sind auf ihm.

Die Gewalt an Tieren wird semantisch in Produktion und Forschung umbenannt, die Gewalttat sprachlich neutralisiert und somit gerechtfertigt. Die soziale Konstruktion von Kategorien wie Haustiere, Versuchstiere, Pelztiere gemäß menschlichen Verwendungszwecken negiert Tiere als Individuen und reduziert sie auf die Rolle als beliebig verwendbare Konsumgüter.

Es beginnt bei der gezielten Verfremdung von Lebensaktivitäten und Handlungen, die menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen gemeinsam sind. Die anderen Tiere essen nicht, sondern fressen, gebären nicht, sondern werfen, sterben nicht, sondern verenden – Bezeichnungen für die Minderwertigkeit ihrer vitalen Vorgänge. Es wird signalisiert, dass es sich um niedere, vernunftlose Lebensformen handelt, um Exemplare und keine Individuen. Solange sie nicht zerlegt und zubereitet auf dem Teller liegen, gelten ihre toten Körper als Kadaver oder Aas und nicht als Leichen.

Die in der Alltagssprache für menschliche Handlungen oder zwischenmenschliche Auseinandersetzungen verwendeten „Tier“-Metaphern verdeutlichen die negative Färbung des „Tier“-Begriffs. Nicht nur Schimpfwörter („Du Schwein!“) zeigen, dass die Übertragung der „Tier“-Bezeichnung auf eine menschliche Handlung oder Person Missbilligung, Verachtung und Abscheu ausdrücken soll. Die Konnotation des Begriffs „Tier“ beinhaltet darüber hinaus das moralisch Verwerfliche, Schmutzige, Abartige und Minderwertige. Sich „wie ein Tier“ zu verhalten, heißt nach allgemeinem Sprachverständnis, ungezügelt, gewalttätig oder grausam zu sein.

Die Empörung, dass jemand „abgestochen wurde wie ein Schwein“ ist keine Kritik am zitierten Umgang mit dem Schwein, der als gegeben und normal betrachtet wird, sondern daran, dass menschliche Individuen brutal und rücksichtslos behandelt werden, die Kritik gilt der durch die Gewalthandlung realisierten Gleichsetzung mit nichtmenschlichen Tieren.

Da die Festlegungen der Sprache die individuelle und kollektive Weltinterpretation bestimmen, wird so mittels der Sprache unser Blick eingegrenzt, andere Wahrnehmungsmöglichkeiten verdeckt und die Welt den menschlichen Herrschaftsinteressen entsprechend konstruiert.

Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden

Für die dominanten ideengeschichtlichen Konzepte seit der Antike blieb das „Tier“-Bild die Kontrastfolie zur eigenen Positionsbestimmung in der Weltordnung. Dabei standen nicht die Gemeinsamkeiten im Vordergrund, sondern oftmals akribisch gesuchte Differenzmerkmale. Auch wenn es für die antike Philosophie noch selbstverständlich war, dass der Mensch ein „Tier“ ist und die klassischen Definitionen des Menschen etwa als animal rationale oder zoon politikon, als sprechendes, denkendes, religiöses oder produzierendes Tier um die Tierheit des Menschen wussten, so wollten sie doch etwas fassen, das den Menschen eindeutig von anderen Tieren trennt. Ausgesprochen populär war die biblische Genesis, die dem Menschen Gottähnlichkeit bescheinigte und ihn aufforderte, sich die Erde mit allem, was da kreucht und fleucht, untertan zu machen.

Dass sich demzufolge nicht die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten und Verwandtschaft, sondern die einer ontologischen Kluft durchsetzte, war der Herrschaft in vielerlei Hinsicht zuträglich. So wurde aus dem undifferenzierten Sammelbegriff „Tier“ unter dem Einfluss religiöser Interpretation und ähnlicher ideengeschichtlicher Ansätze endgültig das Andere, das dem menschlichen Selbstbild entgegengesetzte Konstrukt, dem eine wesentliche gesellschaftspolitische Funktion als zentrale Grundlage für hierarchische Wirklichkeitskonstruktionen, Höher- und Minderwertigkeitszuordnungen und zugleich auch für Legitimationsschemata für Ausgrenzungs-, Unterdrückungs- und Gewaltformen im innerhumanen Bereich zukommt. Wenn sich das Wesen des Menschlichen so definiert, dass es aus bestimmten Eigenschaften wie Vernunft, Sprache, Kultur besteht, sind alle, die diese Eigenschaften nicht in vollem Umfang besitzen, Minderwertige, die entsprechend behandelt und benutzt werden können.

Die Griechen entwickelten den Gegensatz von Hellenen und Barbaren. So stand für Aristoteles fest, dass die Mitglieder nicht-hellenischer Völker aufgrund ihrer Andersartigkeit und „tierähnlichen“ Natureigenschaften geborene Knechte im Sinne der natürlichen Herrschaftsordnung seien. Die Funktionen und Leistungen von Sklaven und Haustieren wollte er bestenfalls graduell unterscheiden.

Die Antithese „des Tieres“ manifestierte sich über die Tradierung von Wahrnehmungs-, Klassifikations- und Handlungsmustern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Der für das europäische „Zivilisationsprogramm“ charakteristische Prozess der an verschiedenen Leitideen orientierten und mit Hilfe immer subtilerer Herrschaftstechniken umgesetzten Verinnerlichung äußerer Kontrolle und ihrer Transformation in Selbstkontrolle führte zu einer neuen Betonung des Mensch-„Tier“-Dualismus und einer als natürlich ausgegebenen Klassifikation menschlicher Gruppen nach Geist- versus Naturnähe. Der resultierende Widerspruch, dass die Vorstellungskomplexe „Tier“ und „Natur“ einerseits im Erleben eigener Körperlichkeit und Affektivität als Teil der Eigenheit empfunden, andererseits aber kollektiv als das Nicht-Eigene, die Antithese des zivilisierten Menschen etikettiert werden, dass die Unterwerfung des „tierlichen“ Anderen zwar im Außenraum, nicht aber im Selbst gelingt, führt zu potentiell gewaltförmigen Mechanismen der Identitätsbildung, die sich auch gegen das Andere im interhumanen Bereich richten. So wird der Kampf gegen die naturhaften Anteile des menschlichen Selbst stellvertretend am Anderen ausgetragen.

…barbarischer sind, als man es sich vorstellen kann, denn sie haben keine Kenntnis der Schrift, kennen den Gebrauch des Geldes nicht, gehen im allgemeinen nackt, selbst die Frauen, und tragen auf den Schultern und dem Rücken über lange Strecken Lasten so wie die Tiere.

Für hierarchisch geordnete Staatswesen mit den Leitwerten der Sittlichkeit und Selbstbeherrschung wird das „Tier“-Bild das ideale Erziehungsinstrument. In der zweckgerichteten Seinsordnung wurde das Unvernünftige zum Nutzen des Vernünftigen gemacht, um von diesem beherrscht zu werden – was am „Tier“ als dem vermeintlich unvernünftigen, naturverhafteten Lebewesen vorexerziert und sanktioniert wird. Damit können auch alle Menschengruppen, denen Vernunftmangel, Sittlichkeitsdefizite und eine wesensmäßige Naturnähe zugeschrieben werden, als weitgehend rechtlose und zu beherrschende Wesen betrachtet werden.

Die Idee der Sonderstellung und Einzigartigkeit der eigenen Gruppe bringt immer Gegenbegriffe hervor, wobei die imaginierten Merkmale der eigenen Gruppe zur Etikettierung der Fremdgruppe ins Negative umgedeutet werden. Diese Begriffsoppositionen, die klassischen Elemente von Ausschließungs- und Diskriminierungsprozessen, beziehen sich alle direkt oder indirekt auf das Natur- oder „Tier“-Konstrukt: von Hellenen – Barbaren über Christen – Heiden zu Europäern – Wilden und Übermenschen – Untermenschen.

So werden entsprechend der kulturellen Vorstellung der natürlichen Ordnung, gestützt durch Vorwürfe der Schamlosigkeit, Unzüchtigkeit, Dummheit und Bösartigkeit und unter Aufwertung der eigenen Gruppe die jeweils Anderen den „Tieren“ zugeordnet, denjenigen, die belebt, aber ohne Seele sind. Vom triebhaften, ungezügelten „Neger“, einer Übergangsform zwischen Affen und Menschen, bis zur Metapher des Juden als Ratte, als das Böse und Zersetzende in der antisemitischen Propaganda.

Der Mann isst Fleisch, die Frau ist Fleisch.

Ebenso wie die Definitionsmacht des Menschen das nichtmenschliche Lebewesen und die Definitionsmacht des Weißen den farbigen Menschen als das Andere konstituiert, wird die Frau in der Geschichte des europäischen Denkens als das Andere des Mannes gedacht. Die Reduktion auf Naturhaftigkeit, Körper und Instinkt sowie die Unterstellung eines Mangels an Vernunft und Individualität, die im Falle der „Tiere“ deren Versachlichung ermöglicht und die totale Herrschaft über ihre Körper sichert, gehört auch zum Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmuster gegenüber Frauen.

Von der Frühneuzeit bis ins 18. Jahrhundert wird die Frau neben dem als widerwärtig verfemten „Tier“, das an Promiskuität gemahnt und daher die Zerstörungslust des Zivilisierten auf sich zieht, zur idealen Projektionsfläche für das Obszöne, Magische und Böse.

Im Zuge der Säkularisierung wandelt sich die Vorstellung der Gottesnähe des Mannes in die Idee einer prinzipiell unbegrenzten Freiheit des (männlichen) Menschen im Rahmen von Technikentwicklung und Naturbeherrschung. Während die Frau als unproduktives Gesellschaftsmitglied zur Hüterin der „Tiere“ wird, kommt es dem Mann zu, die Natur zu beherrschen und den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln. In ein Jagdgebiet, in dem Frauen und „Tiere“ als Beute und Opfer auftreten. Dabei stellt die Beschreibung von Frauen in Begriffen aus der Jägersprache (Schnalle, Luder,…) nur einen wichtigen Aspekt des metaphorischen Gebrauchs des Wortes Fleisch dar. So ist das „Tier“ nicht nur Symbol für die Unterwerfung des Affektiven, Schwächeren und damit „Minderwertigen“, sondern auch Folie für vergleichbare Attribuierungen und Handlungen im intrahumanen Bereich.

Differenzialrechnungen

Nichtmenschliche Tiere werden als inferior angesehen, weil wir der Ansicht sind, dass unsere Spezies über superiore Qualitäten verfügt. Allerdings weist nichts darauf hin, dass die Evolution auf den Menschen und seine Eigenschaften hin ausgerichtet ist. Es gibt keine Stufen die zum Menschen „hinaufführen“. Dementsprechend macht es auch keinen Sinn, die Fähigkeiten der anderen Tiere an denen des Menschen zu messen. Es kommt eben nicht darauf an, ob sie sprechen oder denken können wie wir. Dennoch werden sie implizit als defiziente Wesen beschrieben. Das „Tier“ ist der Mensch minus xy.

Die anthropozentrische Geschichte des Denkens des Mensch-„Tier“ Verhältnisses ist eine Geschichte des Fremd- und Selbstbildes. Es ist auffällig, dass es sich jeweils um Leitideen einer Epoche handelt – um die Gottesebenbildlichkeit im Mittelalter oder um die Fähigkeit zum logos in der antiken Philosophie –, auf die Bezug genommen wird, um die Differenz zwischen Menschen und anderen Tieren zu stabilisieren.

Es ist daher verständlich, wenn viele Tierbefreiung auf Basis eines „Sie sind wie wir“-Modells anstreben, aber dennoch unsinnig. Jedenfalls wollen wir nicht mitmachen beim ebenso beliebten wie widerwärtigen Vergleichen und Aufrechnen der Interessen und des moralischen Status von anderen Tieren mit denen von Kleinkindern, geistig Behinderten und anderen Menschen. Warum sollten nichtmenschliche Tiere, um nicht ausgebeutet zu werden, so sein wie Menschen? Warum sollte irgendwer bestimmte Normen erfüllen müssen, nur damit seine Interessen berücksichtigt werden?

Spezies als bloße biologische Kategorie aufzufassen verbirgt, dass ihr ein System der sozialen Hierarchie zugrunde liegt. Die Grenze zwischen Menschen und anderen Tieren kennzeichnet in erster Linie ein Machtverhältnis und keineswegs eine biologische Differenzierung. Es ist unbedeutend, ob die Differenzierung akkurat ist. Unterschiede werden durch Macht definiert – als Differenz. Die Idee und Konzeption der Differenz (auch zwischen Mensch und „Tier“) wurde vom Menschen erschaffen und geformt und dient als Rechtfertigung der Unterdrückung.

Anstatt über Fähigkeiten und Unterschiede zu reden, gilt es Ideologiekritik zu üben und Macht radikal in Frage zu stellen. Nicht die anderen Tiere in ihrer Ähnlichkeit zum Menschen sind in den Vordergrund zu rücken, sondern der ein- und ausgrenzende Mensch.

Ein Arbeiter, der nicht nur ein ‚verhinderter Kapitalist‘ sein will, und dem es also Ernst ist mit dem Kampf gegen jede Ausbeutung, der beugt sich nicht der verächtlichen Gewohnheit, harmlose Tiere auszubeuten, der beteiligt sich nicht an dem täglichen millionenfachen Mord, der an Grausamkeit, Rohheit und Feigheit alle Schrecknisse des Weltkriegs in den Schatten stellt, – das sind Angelegenheiten, Genossen, die entziehen sich der Abstimmung.

Einer der Gründe für Unterdrückung ist der traditionell fest verankerte Glaube an natürliche Hierarchien, die sich meist schlicht auf faktische Macht und den Willen zur Herrschaftsabsicherung gründen. Tief sitzt die Überzeugung von der Notwendigkeit oder gar „natürlichen“ Legitimität der Herrschaft im kollektiven System unserer Gesellschaftsauffassung. Zu tief scheint der Graben, der in unserer „Zivilisationsgeschichte“ zu den Anderen aufgetan wurde, um die Beherrschung und Verwendung dieser überhaupt als Ausbeutung benennen und damit anerkennen zu können. Indes ist Herrschaft, nicht nur über andere Tiere, eine geschichtliche Realität, jedoch kein Naturgesetz. Ebenso wenig wie unser aller ökonomische Verfügbarmachung und Vernutzung als Bestandteile des warenproduzierenden Systems.

Unterdrückung und Ausbeutung wird zur Selbstverständlichkeit, wenn Lebewesen aufgrund fiktiver oder tatsächlicher Unterschiede als die Anderen konstruiert und kategorisch von den Dominierenden abgegrenzt werden. Damit einher geht die Macht, dadurch Profit zu machen. Diese Macht äußert sich in Kontrolle, Dominanz und Gewalt und ist in der Regel gesetzlich legitimiert.

Als Symbol für minderwertiges Leben und als Repräsentant des Unterlegenen ist das „Tier“ der Prototyp des Anderen, den es zu beherrschen gilt, und dient damit gleichzeitig als Modell für hierauf bezogene Handlungsformen. Von der symbolischen Ebene über gesellschaftliche Normen und Wertesysteme bis hin zu kollektiven und individuellen Einstellungen und Handlungsmustern wird damit eine Grundhaltung gegenüber dem Anderen tradiert, die auf Distanzierung, Verdinglichung und Gewalt beruht und elementare Gemeinsamkeiten physischer (Schmerzempfinden) und psychischer (Leidensfähigkeit) sowie allgemein affektiver, kognitiver und sozialer Art ausblendet.

Diese Formen des Umgangs sind so tief in unserer Tradition und Kultur verwurzelt, dass der Forderung, die unter dem Begriff „Tier“ subsumierten Individuen aus dem Zwang ihrer In-Wert-Nahme, ihrer Vernutzung für menschliche Zwecke zu befreien, nur mit Unverständnis begegnet werden kann.

Auf dieser Erde leben die Tiere in der Hölle. Und ihre Teufel sind die Menschen.

Kant beharrte darauf, dass der sich durch seine Vernunft als Person definierende Mensch, sich grundlegend vom vernunftlosen Tier unterscheidet, mit dem man nach Belieben schalten und walten kann. Seine Ablehnung der Tierquälerei resultiert nicht aus der Sorge um das Wohlergehen der „Tiere“, sondern um die Sittlichkeit des Menschen, der durch Grausamkeit den anderen Tieren gegenüber zu verrohen droht. Eine Argumentationskette die in Himmlers Posener Rede gipfelte.

Erst Schopenhauers Mitleidsethik, die prinzipiell in der Fähigkeit des Menschen, das Leid der Anderen zur Motivation seines Handelns zu machen, die Grundlage der Moral sah, konnte das nichtmenschliche Tier in die Moral miteinbeziehen. Menschen, die sich ihr Mitleid bewahrt haben, werden anderen Tieren kein Leid zufügen, sehen sie doch die Ähnlichkeit zwischen sich und der Schmerz empfindenden Kreatur. Umgekehrt kann es doch auch gar nicht anders sein, als dass Menschen, die sich ihr Mitleid verbieten lassen, es auch im Umgang mit Menschen nicht mehr zur Verfügung haben.

Niemand kann das Leiden, die Angst oder die Panik, den Schrecken oder das Grauen leugnen, von denen andere Tiere ergriffen werden und von denen wir Zeugnis ablegen können. Kein Zweifel auch an der Möglichkeit –nun in uns –, von Mitleid(en) ergriffen zu werden, selbst wenn es anschließend verkannt, verdrängt oder verleugnet wird. Angesichts des Unleugbaren dieser Antwort (ja, sie leiden wie wir, die wir ihretwegen und mit ihnen leiden), die jeder weiteren Frage vorausgeht, ist zumindest auf individueller Ebene Mitgefühl unabdingbar für solidarisches Verhalten. Die Solidarisierung gründet im Nachvollziehen des Leidens und dem daraus entstehenden Interesse an Abhilfe. Im Mitleid mit allen quälbaren Körpern als einzig angemessener Antwort des selbstbewussten Subjekts auf den blinden Naturzusammenhang, in dem Tod und Leiden unvermeidlich sind.

Marcuse irrte,…

…als er in einem Interview auf die Frage, was nach Errichtung der befreiten Gesellschaft zu tun bleibe, antwortete: „Die Tiere befreien natürlich!“ Es mag vielleicht möglich sein, die anderen Tiere zu befreien, ohne die Verhältnisse grundlegend zu ändern, die uns Menschen zu einem elenden und geknechteten Wesen machen. Den Menschen zu befreien, ohne gleichzeitig auch die Warenförmigkeit der anderen Tiere zu negieren, sie nicht länger als erneuerbare Ressourcen, sondern als eigenständige Individuen zu betrachten und zu behandeln, erscheint hingegen als Unmöglichkeit.

Eine emanzipatorische Veränderung gesellschaftlicher und ökonomischer Machtstrukturen kann nicht gelingen, ohne die tiefer liegender Strukturen, welche unsere Wahrnehmung und das Denken auch in Bezug auf die Mensch-„Tier“-Beziehung prägen, grundlegend zu ändern. Gleichzeitig bedarf es der Neuerfindung von uns als Menschen, unserer Form, zu interagieren und unsere Beziehungen zu gestalten. Oder, wie es im „Orientierungspapier“ der Streifzüge heißt: Es gibt keine Transformation der gesellschaftlichen Strukturen ohne Änderung unserer mentalen Basis und keine Änderung der mentalen Basis ohne die Überwindung der Strukturen.

Dass Gewalt und Unterdrückung beseitigt werden müssen, um alle Tiere vor Grausamkeit und Aggression zu schützen, ist Vorbedingung einer „humanen“ Gesellschaft. Freilich wären auch in einer emanzipierten Gesellschaft nicht alle gleich. Aber eine emanzipierte Gesellschaft wäre eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können. In der nicht mehr verglichen wird, ob Xe denselben Wert haben wie Nicht-Xe. Eine Welt, in der Wert und Differenz nicht darüber entscheiden, wer leben darf und wer leiden und sterben muss, in der die Interessen nicht gewogen und gegebenenfalls für zu leicht befunden werden und wir weder Scharfrichter noch Opfer sind.

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