Der Biedermann aus Hinterbrühl

Michael Spindelegger will Kanzler werden. Eine Chance hat er

von Franz Schandl

Der 1959 geborene Spitzendkandidat der Österreichischen Volkspartei zur Nationalratswahl am 29. September, stammt aus einer traditionell christlichsozialen Familie. Schon sein Vater war Abgeordneter und auch einige Jahre Bürgermeister im niederösterreichischen Hinterbrühl, wo Michael Spindelegger auch heute noch lebt. Er steht für eine ÖVP-Musterkarriere: Kartellbruder, Studium der Rechtswissenschaften, Ministersekretär, Abgeordneter, Zweiter Präsident des Nationalrats, Außenminister und seit 2011, als Josef Pröll nach einem Lungeninfarkt das Handtuch geworfen hat, Parteiobmann und Vizekanzler der Republik. Weder Auffälligkeit noch Originalität lassen sich bei diesem Parteisoldaten erkennen. Vom Typus her erscheint Spindelegger ganz wie der Biedermann aus Hinterbrühl.

Zumindest bisher. Im aktuellen Wahlkampf versucht er dieses Image loszuwerden und macht den Draufgänger. In den letzten Wochen mimt er zusehends den aufgestachelte Stichler vom Dienst. In dieser inszenierten Pose wirkt er anders als Haider, Strache oder Stronach wenig authentisch, eher wie ein gut trainierter Prüfling, dem man die Aufgabe gestellt hat, den Macher rauszulassen und die Sager gleich dazu. Gelegentlich gleicht das auch einer Persiflage wider Willen.

Vor einem Jahr noch hatte es recht schlecht ausgesehen für die ÖVP. Da war zu fürchten, dass sie mit der FPÖ um Platz Zwei kämpfen müsse. Dass Strache aus dem Rennen an vorderster Front ist, ist das alleinige Verdienst von Frank Stronach, der eben im gleichen Teich fischt und noch dazu als der Mann gilt, der von der Wirtschaft was versteht. So einer möchte auch Spindelegger sein. Und je öfter er es betont, desto mehr fällt die ÖVP als die Partei der Reichen und Besitzstandswahrer auf. Das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein, gelingt es nur zu vermitteln, dass die Sozis nicht bloß wenigen, sondern allen etwas wegnehmen wollen. Da fürchten sich dann alle Sparefrohs und Häuslbauer. So befindet man sich seit Wochen mitten im Abwehrkampf gegen die „Faymann-Steuern“, wie die ÖVP die Pläne der SPÖ, Millionäre und Banken zur Kasse zu bieten, bezeichnet.

„Wir sind die Partei für all jene, die täglich fleißig arbeiten, um sich und ihren Familien etwas aufzubauen. Für mich ist klar, wer Fleiß und Tatkraft zeigt, soll auch etwas davon haben!“, sagt Spindelegger. Wer nichts hat, hat nichts verdient, so lautet der unausgesprochene Subtext. Deswegen will der gedopte Mann auch gleich die „Wirtschaft entfesseln.“ „Vor allem am Anfang brauchen Unternehmer eine geborgte Kapitalspritze“, heißt es etwas holprig auf der Homepage der ÖVP. Spindelegger wirkt wie ein Masochist, der mit einigen PR-Injektionen auf einen Sado-Trip geschickt wurde. Ob dieses BDSM-Spiel gar als sexy rüberkommt, wird sich zeigen. Ausgeschlossen ist es nicht.

In den letzten Monaten war er auch schon einige Male in die internationalen Schlagzeilen geraten. Durch den beschlossenen Rückzug der österreichischen Blauhelme vom Golan, bei der Einbestellung des US-Botschafters Anfang des Monats oder letzte Woche bei der unfreiwilligen Landung des bolivianischen Präsidenten, Evo Morales, in Wien. Auch wenn man vielleicht nicht so genau weiß, wer hinter diesem Zwischenstopp von Morales auf seiner Reise von Moskau nach La Paz steckt, Tatsache ist, dass Spindelegger in seiner Funktion als Außenminister zum Flughafen eilte und dann prompt verkündete, es hätte eine „freiwillige Nachschau“ durch österreichische Grenzpolizisten gegeben. Morales und seine Leute hingegen bestreiten das. Durchaus glaubhaft, denn warum hätten sie sich diese zusätzliche Demütigung gefallen lassen sollen? Auch Bundespräsident Fischer hat inzwischen die Fassung der Bolivianer bestätigt.

Insgesamt bleibt der Eindruck haften, dass das österreichischen Außenamt auf Zuruf reagiert, dann noch Morales &Co als „bloßfüßige Indianer“ vorführt, die im Eventualfall keinen diplomatischen Schutz genießen. Man stelle sich nur vor, man holte den österreichischen Außenminister bei einer Rückreise aus Lateinamerika in La Paz aus dem Flieger und inspizierte seine Maschine. Unvorstellbar!

Die österreichische Außenpolitik agiert einmal mehr doppelbödig. Reell geht man vor der US-Administration in die Knie, ideell bedient man, so auch gerade in der Affäre Snowden, das antiamerikanische Ressentiment. Umgekehrt wäre es besser. Auf der gleichen Ebene ist auch die „förmliche Einbestellung“ des US-Botschafter William Eacho in das Außenministerium zu beurteilen. Zwar wurde betont, dass man nicht ausspioniert und überwacht werden will, aber damit hatte es sich schon. In einem ORF-Interview meinte Spindelegger ausdrücklich, dass er davon ausgehe, dass „die USA sagen wird, das stimmt nicht“. Etwas anderes könne er sich gar nicht vorstellen. Na dann.

Indes, das ist Simulation von Diplomatie. Man erledigt nichts, aber man kommt den Stimmungen entgegen, indem man dem Unbehagen Ausdruck verleiht. Da wird heiß gekocht, was niemand isst und die Beteiligten wissen das auch schon im Vorfeld. Man sollte derlei Gesten nicht als Aktionen oder gar Interventionen bewerten. So war es den Österreichern auch leicht gefallen sich gegen das Ende des Waffenembargos der EU betreffend Syrien auszusprechen. Da gibt es keine manifesten ökonomischen Interessen. Außerdem wollte man ursprünglich das rot-weiß-rote Friedenskontingent am Golan belassen. Nach den ersten Zwischenfällen, verursacht durch die syrischen Kriegsparteien, werden jene nun – sehr zum Ärger der UNO – raschest abgezogen. Spindelegger aber auch Faymann wollten sich ihren Wahlkampf nicht durch tote Soldaten verderben lassen.

Auf jeden Fall möchte Spindelegger ins Bundeskanzleramt. Ob das aus eigenen Kräften möglich ist, darf aber bezweifelt werden. Die Sozialdemokraten liegen in allen Umfragen stabil um einige Prozentpunkte vor den christlichsozialen Herausforderern. Doch vergessen wir nicht, dass der ÖVP-Chef noch eine zweite Karte im Ärmel hat: Ein Koalition aus ÖVP, FPÖ und Team Stronach. Und es sage niemand, dass er diese im Notfall nicht zückt. Dann freilich erginge es Werner Faymann wie Viktor Klima im Jahr 2000. Trotz gewonnener Wahl würde er in die Wüste geschickt werden.

Mehr als eine Chance werden ihm die Granden der Volkspartei, allen voran Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll, aber kaum geben. Aber eine Chance hat er, der Spindelegger.

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