Thesen zur Lust

von Franz Schandl

1.

Lust ist ein Artefakt. Natur ist ihr nur Stoff, nicht Inhalt. Mag Sex noch Natur sein, so ist es Sexualität nicht mehr. Der Menschen Lust ist originell, aber nicht originär. Menschen vögeln tatsächlich um des Vögelns willen.

2.

In der Lust geben sich die Menschen nicht den Trieben hin, sondern in der Lust wird der Trieb transformiert. Kein basic instinct steht an, mag eins sich einbilden, was es will. Lust reflektiert und zelebriert das Begehrte. Lust ist nur beiläufig läufig, im Prinzip hat sie sich von der Läufigkeit emanzipiert.

3.

Lust genügt sich nicht im Schwelgen des Gefühls, sie will den Effekt spüren und genießen. Lust verlangt nach Erleben und Befriedigung. Sie ist nicht das eine oder das andere, sondern in der Lust wird das eine im anderen aufgehoben.

4.

Lust meint Empfindung samt Findung. Sie „hat die Gewissheit, dass an sich schon dies Andere es selbst ist.“ (G.W.F. Hegel) Das An-Sich wird zum Für-Sich, folgen wir dieser Denkfigur. Sie negiert die Spannung, indem sie diese positiv einlöst.

5.

Lust kann nicht als ledige Approximation gelten, sondern bedarf auch der Erreichung ihrer Vorhaben. Lust kann nicht auf das Prospektive reduziert werden. Lust auf etwas ist nicht von der Lust bei etwas zu trennen.

6.

Erfüllte Lust meint Verschmelzung. Immer geht es um eine reelle oder ideelle Einverleibung. Stets regt sich Appetit. Was außen ist, soll zu mir kommen oder auch in mir werden.

7.

Im Spektakel wird aus Lust Unterhaltung, stets wird die „Kostenlosigkeit der Lust“ (Raoul Vaneigem) durch Angebote des Entertainments unterlaufen. Aus dem Spiel der Lüste werden Spielräume des Marktes.

8.

König Sex dominiert, aber nicht, weil Lust und Freude sind, sondern weil sie nicht sind. Wir leben in der geilsten, aber wahrscheinlich asexuellsten aller Welten. Begehren und Betätigen sind extrem asynchron. Mit „oversexed and underfucked“ wird einiges richtig beschrieben.

9.

Geilheit mimt das stets verlockende Versprechen. Wir erwarten, dass wir etwas zu erwarten haben und folgen den Sirenen. Durch die verordnete Geilheit können die Warensubjekte immer im Prospekt gehalten werden.

10.

Glück und Genuss, Lust und Freude haben mit dem Wert nichts zu schaffen. Will Wert sich etablieren, muss er die Lust drangsalieren, will die Lust sich erschaffen, muss sie den Wert abschaffen. Das Leben ist zwar besetzt, doch die Lust ist eine subversive Kraft, die immer wieder jenseits des Tauschs ihre Kunststücke probiert.

11.

Im einzigen Leben geht es um das gute Leben, d.h. das Dasein den Lüsten anzunähern, die Notwendigkeiten zurückzudrängen und die Annehmlichkeiten zu erweitern. Es geht darum, soviel als möglich gerne zu tun, nicht weil wir es positiv denkend so zu interpretieren haben, sondern weil es einfach Freude macht.

12.

Worüber man sich heute lustig macht, dass eben niemand von Lust und Liebe leben kann, gerade das gilt es zu verwirklichen.

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