Die äußere Schranke des Kapitals

Wie die Endlichkeit unserer Welt dem kapitalistischen Wachstumszwang unüberwindbare Grenzen setzt. Krise des Kapitalismus – Teil 6

von Tomasz Konicz

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Teil 4
Teil 5

Der Kampf der Menschheit gegen den anthropogenen Klimawandel scheint zu einer regelrechten Sisyphusarbeit auszuarten. Einerseits werden erste Erfolge bei der „Energiewende“ gefeiert: So konnte der Anteil regenerativer Energiequellen bei der Stromversorgung in Deutschland von 21 Prozent in 2011 auf rund 25 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2012 gesteigert werden.

Auch global scheinen die erneuerbaren Energien auf den Vormarsch, wie die Bundesregierung Mitte Juni unter Verweis auf den „Globalen Statusberichts zu erneuerbaren Energien 2012“ meldete. Demnach wurden in 2011 rund 257 Milliarden US-Dollar in den Ausbau von Wind-, Sonnen-, Biomasse- und Wasserkraftwerken investiert, was einer Steigerung des Investitionsvolumens in diesen „nachhaltigen“ Energiesektor von rekordverdächtigen 17 Prozent entspreche. Weltweit würden nun 20,3 Prozent des Stromverbrauchs durch regenerative Energiequellen gedeckt. Bundesumweltminister Peter Altmaier war voll des Selbstlobes angesichts dieser vordergründig beeindruckenden Ergebnisse: „Die Zahlen bestätigen eindrucksvoll, dass die deutsche Energiewende den weltweiten Trend setzt. Die Energiewende sichert damit Deutschlands Rolle als Vorreiter eines dynamischen weltweiten Wachstumssektors, der uns darin unterstützt, Klimaschutz, sichere Energieversorgung und nachhaltiges Wachstum zu vereinbaren.

Dumm nur, dass andererseits 2011 auch ein neuer historischer Rekord bei dem Ausstoß von Treibhausgasen erreicht wurde. Auf die Rekordmenge von 34 Milliarden Tonnen stiegen im vergangenen Jahr weltweit die CO2-Emissionen an, was einem Anstieg von drei Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Damit befindet sich 2011 ganz im langfristigen Trend, da im letzten Jahrzehnt der Ausstoß von Kohlendioxid im Schnitt um 2,7 Prozent jährlich zunahm. Es scheint fast so, dass nur eine weltweite Rezession imstande ist, die Emissionen von CO2 zu senken: Als 2009 die Weltwirtschaftskrise voll ausbrach und alle wichtigen Wirtschaftsräume einen mehr oder minder schweren Einbruch verzeichneten, gingen die Kohlendioxidemissionen tatsächlich um 1,2 Prozent zurück.

Dieser leichte kriegsbedingte Einbruch wurde 2010 aber mehr als kompensiert, als aufgrund der global aufgelegten Konjunkturpakete eine Steigerung der Emissionen von Kohlendioxid um 5,9 Prozent erreicht wurde. Dies war der höchste jährliche Anstieg seit zwei Jahrzehnten. Bisher sind mit Ausnahme von 2009 in keinem einzigen Jahr des 21. Jahrhunderts die Emissionen von Treibhausgasen gesunken. Mehr noch: Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Emissionen ist in diesem Jahrhundert weitaus höher als etwa in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Mit globalen Emissionen von 33 Milliarden Tonnen erreichte die Weltwirtschaft in 2010 einen um 30 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 vergrößerten CO2-Ausstoß, während diese Emissionen in den vergangenen 20 Jahren – also gegenüber 1990 – um 45 Prozent anstiegen. Der durchschnittliche Anstieg der CO2-Emissionen in den vergangenen 20 Jahren war mit 1,9 Prozent per anno folglich auch weitaus niedriger als in den vergangenen Zehn Jahren! Somit lässt sich empirisch eindeutig konstatieren, dass die von Bundesumweltminister Peter Altmaier als „Energiewende“ bejubelte Umstellung der energetischen Basis der Weltwirtschaft auf regenerative Energieträger bisher schlicht nicht stattfindet.

Kosten und Krise der Arbeitsgesellschaft

Stattdessen scheint die „Energiewende“ auch beim „Vorreiter“ Deutschland an den Kosten zu ersticken, die dieses Unterfangen mit sich bringt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die enormen Investitionen in die entsprechende Infrastruktur lassen die Energiepreise immer weiter steigen, sodass bald Strom für viele Verbraucher zu einem Luxusgut werden könnte. Auch in den Teilen der Wirtschaft, denen bisher keine Preisvergünstigungen eingeräumt wurden, regt sich immer stärker Widerstand gegen die Finanzbelastungen, die mit der Energiewende einhergehen.

In Deutschland wird inzwischen nur noch über die Kosten der Energiewende gesprochen, die Diskussion der Chancen dieses gigantischen Unterfangens, mit dem neue Märkte erschlossen, neue Industrien aufgebaut und massenhaft neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollten, ist hingegen fast vollständig verstummt. Die Investitionen in die erneuerbaren Energien sollten eine Art „Anschubfinanzierung“ darstellen, mit der neue dynamische Wirtschaftszweige entstehen sollten, die zum Träger des Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik avancieren könnten.

Die öffentliche Diskursverschiebung in der Bundesrepublik hat einen einfachen Grund: Das Produktivitätsniveau im Spätkapitalismus ist zu hoch, um die Energiewende unter kapitalistischen Bedingungen vollführen zu können – dies äußert sich gerade in den enormen „Kosten“ dieses Unterfangens. Diese scheinbar absurde Diagnose gewinnt schnell an Schlüssigkeit, wenn wir bedenken, dass die Investitionen in den Aufbau der „Erneuerbaren Energien“ nur dann einen Sinn machten, wenn hierdurch genügend Arbeitsplätze geschaffen würden, die so zur Herausbildung neuer kaufkräftiger Nachfrage und eines höheren Steueraufkommens beitragen würden. Die „Investitionen“ in die Energiewende würden sich so gesamtwirtschaftlich für die Industrie wie den Staat „rentieren“. Aufgrund der hohen Produktivität ist aber das Verhältnis zwischen den notwendigen Investitionen in die regenerative Infrastruktur und den tatsächlichen Verwertungsmöglichkeiten von Lohnarbeit in der „Ökobranche“ sehr ungünstig.

Die Vorausinvestitionen in die Energiewende sind tatsächlich gigantisch. Um die notwendige energetische Infrastruktur für eine regenerative Energiewende bereitzustellen (Netzwerkumbau, Stromspeicher, Infrastruktur für Elektromobilität etc.), wären in der Bundesrepublik wohl Investitionen von Hunderten Milliarden Euro notwendig. Diesen enormen Aufwendungen steht aber keine massive Schaffung von Arbeitsplätzen in den regenerativen Branchen gegenüber, die diese vermittels eines zunehmenden staatlichen Steueraufkommens und anschwellender Marktnachfrage finanzieren könnten. Die Lohnarbeit bildet die einzige Quelle kapitalistischen, sich in Warenform äußernden Reichtums. Sobald der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft die Arbeit auszugehen droht, scheitern auch überlebenswichtige Vorhaben wie die Energiewende an deren „Finanzierbarkeit“.

Ein Vergleich mit dem oft als „Wirtschaftswunder“ verklärten Nachkriegsboom, als die Automobilmachung der Gesellschaft Millionen neuer Arbeitsplätze schaffte, mag diese Problematik illustrieren. Es ist schlicht unvorstellbar, dass bei dem Aufbau des alternativen Energiesektors solch hohe Beschäftigungseffekte erzielt werden können, wie sie im Zuge des Wirtschaftsbooms der 50er Jahre erreicht wurden. Solarzellen und Windkrafträder werden effizient nicht in der Art und Weise produziert wie Autos vor 40 Jahren, als Tausende von Arbeitern auf endlosen Montagebändern in genau festgelegten Zeitintervallen stupide Handgriffe tätigten, um nach Hunderten von Arbeitsschritten, die je ein Arbeiter ausführte, ein Fahrzeug herzustellen. Zumal der Beschäftigungsaufbau in der Ökobranche mit einem Arbeitsplatzabbau im konventionellen Energiesektor einhergeht. E.on hat beispielsweise Anfang 2012 bereits 11 000 Stellen gestrichen. Der Spätkapitalismus ist somit zu produktiv für eine Energiewende. Bei dem heutigen allgemeinen Stand der Automatisierung der Produktion gelten tendenziell auch für die Herstellung alternativer Energiequellen ähnliche Probleme der „Überproduktivität“, die die deutsche Autowirtschaft und der Maschinenbau nur durch Exportoffensiven kompensieren können.

Tatsächlich kann ja fast nur noch Deutschland, das aufgrund enormer Leitungsbilanzüberschüsse noch nicht am Rande der Staatspleite taumelt, von einer Energiewende träumen. In den krisengeschüttelten südlichen Euro-Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal ist von einer Energiewende keine Rede, obwohl diese Staaten eigentlich aufgrund der klimatischen Verhältnisse für solch eine energetische Transformation prädestiniert wären.

Kapitalistischer Wachstumszwang

Während die Energiewende aufgrund des im Spätkapitalismus erreichten enormen Produktivitätsniveaus – und der damit einhergehenden Verdrängung von Lohnarbeit aus der Warenproduktion – scheitern wird, sorgt der dem Kapitalismus inhärente Wachstumszwang dafür, dass die Emissionen von Treibhausgasen permanent ansteigen. Diese beständigen Steigerungen des Ausstoßes von Kohlendioxid sind somit keiner verfehlten Politik geschuldet, sondern eine Folge dessen, was den Kapitalismus im Innersten zusammenhält.

Im Kapitalismus dreht sich bekanntlich alles ums Kapital. Das Kapital stellt dabei ein Produktionsverhältnis dar, das seinem ureigensten Antriebsgesetz folgend immer größere Mengen an Energie und Rohstoffen „verfeuern“ muss. Der Ressourcenbedarf der kapitalistischen Weltwirtschaft wird immer weiter ansteigen, bis er an seine „äußere Schranke“ stößt, die in der Endlichkeit der Ressourcen unseres Planeten besteht.

Dieser permanente Wachstumszwang des kapitalistischen Systems resultiert aus dem Wesen des Kapitals selber. Als Kapital fungiert Geld, das durch einen permanenten Investitionskreislauf vermehrt, also „akkumuliert“ oder „verwertet“ werden soll. Das Wirtschaftswachstum ist hierbei nur der volkswirtschaftlich sichtbare Ausdruck der Kapitalakkumulation, die tatsächlich an eine „stoffliche Grundlage“ gebunden ist. Spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise ist klar geworden, dass dieser Prozess der Kapitalakkumulation an die Warenproduktion gekoppelt ist und nicht auf den Finanzmärkten aufgrund reiner Spekulationsprozesse dauerhaft aufrechterhalten werden kann.

Deswegen steigen die Emissionen derzeit vor allem in den sogenannten „Schwellenländern“ wie China, in die ein Großteil der Warenproduktion aufgrund des krisenbedingten Verdrängungswettbewerbs ausgelagert wurde, während die Emissionen in den OECD-Staaten konstant bleiben. Mit einer Steigerung der CO2-Emissionen um 9 Prozent stieß die als „Werkstatt der Welt“ fungierende Volksrepublik im Jahr 2011 pro Kopf 7,2 Tonnen des Treibhausgases aus, was fast dem Pro-Kopf-Ausstoß von 7,5 Tonnen in der EU entspricht. In der Europäischen Union sind aufgrund der Eurokrise die Emissionen sogar um drei Prozent zurückgegangen. Eine Ausnahme stellt hier Deutschland dar, das noch über eine nennenswerte Industrie verfügt und aufgrund des Exportbooms wohl seine selbst gesteckten Klimaziele verfehlen wird.

Außerdem führt die permanente Steigerung der Produktivität dazu, dass mit demselben Kapitaleinsatz immer mehr Waren hergestellt werden können, wodurch der Ressourcenverbrauch in der Produktion zusätzlich ansteigt und die Absatzprobleme anwachsen. Diese aus der „Überproduktivität“ des Spätkapitalismus resultierenden systemischen Absatzprobleme ließen die schon immer gegebenen Tendenzen zur Ausrichtung des Warendesigns anhand der geplanten Obsoleszenz überhand nehmen. Hierbei werden Waren so produziert, dass sie möglichst kurz halten und so Neuanschaffungen notwendig machen. Je schneller nach Ablauf der Garantiefrist die Produkte ihren Geist aufgeben, desto schneller können neu produzierte Waren vermittels ihres Verkaufs Mehrwert generieren – und noch mehr Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben.

Kapitalistischer, sich in Warenfülle äußernder „Reichtum“ muss also tatsächlich in Warenform produziert werden – und die Waren sollen nach Möglichkeit bald nach Ablauf der Garantiefrist kaputtgehen, um so die Akkumulation von Kapital erneut zu befördern. Der Akkumulationsprozess läuft hierbei folgendermaßen ab: Der Unternehmer investiert sein als Kapital fungierendes Geld in Rohstoffe, Arbeitskräfte und Energie, um in Fabriken hieraus neue Waren zu schaffen, die mit Gewinn verkauft werden. Das hierdurch vergrößerte Kapital wird in diesem uferlosen „Verwertungsprozess“ in noch mehr Energie, Rohstoffe etc. investiert, um wiederum noch mehr Waren herzustellen.

Dieser potentiell endlose Kernprozess kapitalistischer Produktion hat die Selbstverwertung, also das unaufhörliche Wachstum des Kapitals zum Ziel. Niemand investiert sein Geld, um danach weniger oder genauso viel zu erhalten. Hiermit müssen auch die Aufwendungen – Rohstoffe und Energie – für diesen Verwertungsprozess permanent erhöht werden. Deswegen wird auch künftig der Rohstoff- und Energiehunger der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie anschwellen, und er wird – wenn er nicht durch gesellschaftlichen Widerstand und Wandel gestoppt wird – erst durch die nächste Weltwirtschaftskrise oder den ökologischen und zivilisatorischen Kollaps unterbrochen werden.

Das Kapital strebt somit nach einer möglichst hohen „Selbstvermehrung“; es ist Geld, das zu mehr Geld werden will. Dieser „hohle“, selbstbezügliche Prozess ist allen gesellschaftlichen oder ökologischen Folgen seiner beständig anwachsenden, alle Weltregionen und Gesellschaftsbereiche verwüstenden Verwertungstätigkeit gegenüber blind. Der permanent anschwellende Prozess der Kapitalakkumulation, der die innerste Treibfeder des kapitalistischen Konjunkturmotors bildet, „verbrennt“ somit die Rohstoffe der Erde, die für unser Überleben notwendig sind. Die zusehends schwindenden Ressourcen unserer Welt bilden das immer enger werdende Nadelöhr, durch das sich dieser Prozess der Kapitalverwertung unter immer größeren Friktionen hindurchzwängen muss. Beide ökologischen Krisenprozesse – die Ressourcenkrise wie die Klimakrise – werden durch diesen Verwertungsprozess des Kapitals maßgeblich befördert.

Das Kapital ist somit aufgrund dieser Notwendigkeit permanenter Expansion das logische Gegenteil einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise, die notwendig wäre, um ein Überleben der menschlichen Zivilisation zu sichern. Das Kapital stellt sozusagen einen Prozess der „effizientesten Ressourcenverschwendung“ dar, der keine menschlichen Bedürfnisse kennt, sondern nur die durch massenmediales Dauerbombardement kreierte zahlungskräftige „Nachfrage“ derjenigen Menschen, die noch nicht aus dem Prozess der Kapitalverwertung herausgeschleudert wurden.

Die aus dem innersten Wesen kapitalistischer Vergesellschaftung entspringende ökologische Krise unseres Planeten entzaubert auch die bekannte kapitalistische Apologetik, der zufolge der Kapitalismus eine quasi „natürliche“ Gesellschaftsformation darstellen würde, die sich einem Naturgesetz gleich durchsetze – und deren Änderung unmöglich sei. Offensichtlich ist genau das Gegenteil der Fall, denn die kapitalistische Verwertungsmaschinerie ist gerade dabei, mittels ihres irrsinnigen Wachstumszwangs die Welt zu zerstören. Das Kapital ist alles andere als „natürlich“, da exponentielles Wachstum in der Natur unserer begrenzten Welt zumeist nur den Prolog zu einem Kollaps darstellt. Wenn schon Parallelen zwischen der kapitalistischen Gesellschaft und „natürlichen Vorgängen“ gezogen werden sollen, so könnte der Verwertungsprozess des Kapitals mit einem geschwürhaften und wucherungsartigen Wachstum verglichen werden, das der Menschheit die Lebensgrundlagen entzieht.


Zuerst erschienen in Telepolis 28.8.2012

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