Das Nadelöhr

von Julian Bierwirth

Das Bild des Jahres 2008 zeigt einen Polizisten, der mit gezogener Waffe eine zu räumende Wohnung durchschreitet. Durch die Immobilienkrise konnten viele Wohnungsbesitzer*Innen die Raten an die Bank nicht mehr zahlen – und dann kam die Polizei. Aber was ist mit den Menschen geschehen, die noch kurz zuvor diese Wohnung als ihr zu Hause bezeichnen konnten? Viele der Betroffenen konnten kurzfristig bei Freund*Innen und Verwandten unterschlüpfen. Nicht wenige von ihnen landeten jedoch früher oder später in einer der riesigen Zeltstädte, die an den Rändern vieler US-Städte für einige Zeit neben der Staatsverschuldung das einzige waren, was noch ein veritables Wachstums aufweisen konnte. Während die Wohnungen ungenutzt leerstehen, sind ihre ehemaligen Bewohner*Innen hier ungeschützt den neugierigen Blicken von Passant*Innen, Journalist*Innen, wie dem Ordnungswahn des örtlichen Polizeidepartements ausgesetzt.

Dass die Menschen nicht mehr ihre bisherigen Wohnungen bewohnen dürfen und diese nun ungenutzt vermodern, liegt nicht an ihrer mangelnden Nützlichkeit. Sie stehen leer, weil es im Kapitalismus nur bedingt darauf ankommt, dass Dinge nützlich sind und benutzt werden. Als  fundamentales Problem entpuppt sich vielmehr die Vermittlung von Wohnungsbedürfnis und Wohnung. Nur wenn hinter dem Wunsch zu wohnen auch eine zahlungskräftige Nachfrage steht, wird – wirtschaftswissenschaftlich gesprochen – aus dem Bedürfnis ein Bedarf. Und nur der taucht am Markt auf und nur der ist relevant für die Ökonomie. Nachdem noch jedes Einführungswerk in die Volkswirtschaftslehre zunächst stolz verkündet, in der Wirtschaft ginge es darum, Menschen mit notwendigen Gütern zu versorgen, wird diese Annahme bereits ein paar Zeilen später dahingehend relativiert, dass es eben doch nicht um nutzbare Dinge, sondern um bezahlbare Waren geht.

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